Übersichtsarbeiten - OUP 04/2013

Die arthroskopische Therapie der kombinierten Läsion des vorderen, oberen und des hinteren Labrums der Schulter – ein systematischer Review

Dickens et al. [5] berichteten 2012 über 3 Fälle mit zirkumferenter Labrumläsion nach einer einmaligen, isolierten, vorderen, traumatischen Schulterluxation (Fallbericht). In allen 3 Fällen wurde eine arthroskopische Labrumrefixation mit 8 Fadenankern durchgeführt. In 2 Fällen waren die Patienten nach 15 bzw. 18 Monaten asymptomatisch. Im 3. Fall konnte der Patient wegen psychiatrischer Erkrankung nicht nachverfolgt werden. Die Autoren stellten fest, dass im Gegensatz zu zuvor veröffentlichten Fallserien auch eine einzelne akute anteroinferiore Luxation ausreichen kann, um eine zirkumferente Labrumläsion zu erzeugen. Die Autoren empfahlen eine frühe chirurgische Stabilisierung dieser Verletzung.

Diskussion

Die kombinierte Läsion des vorderen, oberen und hinteren Labrums hat in der Fachliteratur mindestens 3 verschiedene Bezeichnungen. Der Begriff “triple labral lesion” wurde von Lo und Burkhart 2005 [1] eingeführt. Hierbei musste jeweils mindestens 2/3 des jeweils vorderen, oberen oder hinteren Labrums für diese Diagnosestellung betroffen sein, also in der Summe mindestens 270° des Umfangs des gesamten Labrums [1]. Tokish et al. prägten den Begriff der “circumferential (360°) lesion” mit einer kompletten Labrumläsion [3]. Ricchetti et al. prägten den Begriff der “panlabral lesion”, wobei das vordere, obere und hintere Labrum betroffen sein müssen und die Summe des betroffenen Labrums 270° betragen muss [4].

Die Evidenz der hier untersuchten Studien zur kombinierten Labrumläsion war mit maximal Level IV niedrig. Dennoch lassen sich aus den hier analysierten Studien einige interessante Punkte ableiten.

Die kombinierte Läsion des vorderen, oberen und hinteren Labrums ist in den hier analysierten Studien trotz zuvor durchgeführter Kernspintomografie häufig ein unerwarteter Befund. Die korrekte Diagnosestellung gelang in bis zu 87 % der Fälle kernspintomografisch nicht [4]. Die kombinierte Läsion trat in bis zu 3,6 % der Fälle aller arthroskopischen Labrumrefixationen auf [4]. In den untersuchten Arbeiten wurde jeweils dass Labrum komplett refixiert. Es ist zu vermuten, dass von weniger erfahrenen Operateuren häufiger obere und insbesondere hintere Labrumläsionen intraoperativ nicht erkannt werden oder aufgrund des erhöhten technischen Schwierigkeitsgrades nicht refixiert werden. Die Auswirkungen einer inkompletten Versorgung einer höhergradigen Labrumläsion sind aus der Literatur heraus nicht bekannt. Die hier untersuchten Studien geben hierzu keine spezifischen Informationen. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass inkomplett versorgte Labrumläsionen eine höhere Reluxationsrate haben und möglicherweise auch eine schlechtere Funktion und mehr Schmerzen postoperativ machen. Eine Überprüfung der Stabilität des vorderen, oberen und hinteren Labrums sollte daher Bestandteil jeder diagnostischen Schulterarthroskopie sein. Wenn eine kombinierte Labrumläsion erkannt wird, sollte eine komplette Refixation erfolgen. Beachtet werden muss aber auch, dass die arthroskopische Therapie der kombinierten Läsion des vorderen, oberen und hinteren Labrums einen höheren Schwierigkeitsgrad aufweist. Insbesondere die hintere Labrumrefixation wird regelmäßig nur von spezialisierten Schulteroperateuren durchgeführt. Schulterchirurgisch interessierte Operateure sollten sich daher frühzeitig mit der chirurgischen Technik der insbesondere hinteren Labrumrefixation auseinandersetzen. Hilfreich ist hierbei, dass die operative Versorgung der kombinierten Labrumläsion sowohl in Seitenlage als auch in Beach Chair Lagerung möglich ist (Abbildungen 1–7).

Im Wesentlichen sind die Ergebnisse nach Operation als gut zu bezeichnen. In bis zu 11 % der Fälle ist aber mit einer persisitierenden Instabilität zu rechnen [4]. Es ist mit notwendigen Reoperationen aufgrund verschiedener Komplikationen wie Steife, Bizepstendinitis, persistierender Instabilität oder Omarthrose in bis zu 15 % der Fälle zu rechnen, auch wenn die Operationen an hochspezialisierten Schulterzentren durchgeführt werden [3].

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Marius von Knoch

Klinik für Orthopädie und Endoprothetik, Schulterzentrum

Klinikum Bremerhaven Reinkenheide gGmbH

Postbrookstraße 103

27574 Bremerhaven

mariusvonknoch@yahoo.com

Literatur

1. Lo IK, Burkhart SS. Triple labral lesions: pathology and surgical repair technique-report of seven cases. Arthroscopy. 2005; 21: 186–193.

2. Tokish JM, McBratney CM, Solomon DJ, Leclere L, Dewing CB, Provencher MT. Arthroscopic repair of circumferential lesions of the glenoid labrum: surgical technique. J Bone Joint Surg Am. 2010; 92 Suppl 1 Pt 2:130–144.

3. Tokish JM, McBratney CM, Solomon DJ, Leclere L, Dewing CB, Provencher MT. Arthroscopic repair of circumferential lesions of the glenoid labrum. J Bone Joint Surg Am. 2009; 91: 2795–2802.

4. Ricchetti ET, Ciccotti MC, O’Brien DF et al. Outcomes of arthroscopic repair of panlabral tears of the glenohumeral joint. Am J Sports Med. 2012; 40: 2561–2568.

5. Dickens JF, Kilcoyne KG, Giuliani J, Owens BD. Circumferential labral tears resulting from a single anterior glenohumeral instability event: a report of 3 cases in young athletes. Am J Sports Med. 2012; 40: 213–217.

Fussnoten

Klinik für Orthopädie und Endoprothetik, Schulterzentrum, Klinikum Bremerhaven, Chefarzt: PD Dr. med. Marius von Knoch

Abteilung Orthopädie, Universitätsmedizin, Georg-August-Universität Göttingen, Abteilungsdirektor: Univ.-Prof. Dr. med. Wolfgang Schultz

DOI 10.3238/oup.2013.0196–0199

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