Übersichtsarbeiten - OUP 04/2025
Die Behandlung des Hallux valgusEin praktischer Leitfaden
Katrin Diener, Steffen Ruchholtz, Greta-Linn Diener
Zusammenfassung:
Die Hallux valgus-Erkrankung kommt in der zivilisierten Welt häufig vor und beinhaltet eine dreidimensionale Verlagerung des ersten Mittelfußknochens und der Großzehe. Die Ätiologie dieser Veränderung ist multifaktoriell, wobei das weibliche Geschlecht bevorzugt wird. Weiterhin scheint eine genetische Disposition, enges Schuhwerk, das Alter und eine allgemeine Überbeweglichkeit eine Rolle zu spielen. Ein wesentlicher Faktor für die Entstehung des Hallux valgus stellt der pes planovalgus dar. Die Hallux valgus-Deformität führt zum einen zu Passformproblemen im Schuh, im Weiteren zur Arthrose im Großzehengrundgelenk und damit verbundenen Schmerzen und zudem auch zu Veränderungen der Kleinzehenstellung. Aber Hallux valgus ist nicht gleich Hallux valgus und es gilt mittels einer profunden klinischen Untersuchung und einer standardisierten radiologischen Abklärung festzustellen, ob ein Hallux valgus vorliegt und wenn ja, welchen Schweregrad und welche möglichen anatomischen Besonderheiten dieser aufweist. Es sollte über die begrenzten konservativen Therapieoptionen aufgeklärt werden. Diese beinhalten plattfuß- oder rückfußkorrigierende Einlagen, die Kräftigung der Fußmuskulatur, angepasstes Schuhwerk, eine Optimierung des Körpergewichtes und die Wahl der sportlichen Belastung. Dem klinischen und radiologischen Befund angepasst wird das OP-Verfahren à la carte indiziert. Das setzt voraus, dass den verschiedenen Befundkonstellationen durch unterschiedliche OP-Verfahren aus einer Vielzahl an möglichen Operationstechniken angemessen begegnet werden kann. Diese umfassen regelhaft Weichteiltechniken und knöcherne Korrekturen im Bereich des ersten Metatarsale mit seinen angrenzenden Gelenken. Zudem sind korrigierende Eingriffe am Grundglied etabliert. Im letzten Jahrzehnt fanden minimalinvasive Techniken der Hallux valgus-Korrektur Verbreitung. Zur Erlernung der verschiedenen Operationstechniken bedarf es einer mitunter sehr flachen Lernkurve. Eine perioperative oder zeitnahe postoperative radiologische Kontrolle des Korrekturergebnisses sollte organisatorisch möglich sein. Die Hallux valgus-Chirurgie weist ein hohes Ambulantisierungspotenzial auf, umso wichtiger ist eine engmaschige Nachbehandlung sowie eine hohe Patientencompliance.
Schlüsselwörter:
Hallux valgus, Ballenzeh, metatarsus primus varus, metatarsus adductus, Hallux rigidus, intermetatarsaler Winkel, Metatarsale-1-Osteotomie, modifizierte Lapidus-Arthrodese, MICA-Technik
Zitierweise:
Diener K, Ruchholtz S, Diener G-L: Die Behandlung des Hallux valgus. Ein praktischer Leitfaden
OUP 2025; 14: 158–163
DOI 10.53180/oup.2025.0158-0163
Summary: Hallux valgus is a common condition in the developed world and involves a three-dimensional displacement of the first metatarsal and the big toe. The etiology of this deformity is multifactorial, with a higher prevalence in females. Genetic predisposition, tight footwear, age, and generalized hypermobility also appear to play a role. Pes planovalgus is an important contributing factor in the development of hallux valgus. The hallux valgus deformity can lead to problems with shoe fit, as well as osteoarthritis of the metatarsophalangeal joint of the big toe, associated pain, and changes in the alignment of the lesser toes. However, not all cases of hallux valgus are the same. A thorough clinical examination and standardized radiological assessment are essential to determine whether hallux valgus is present and, if so, its severity and any associated anatomical variations. The limited conservative treatment options should be discussed with the patient. These include the use of insoles to correct flatfoot or hindfoot malalignment, strengthening of the foot muscles, appropriate footwear, optimization of body weight, and selection of suitable physical activities. Surgical intervention is tailored (“à la carte”) to the individual case, based on clinical and radiological findings. This requires that the different clinical presentations be addressed with appropriate surgical techniques from a broad spectrum of available procedures. These typically include soft tissue procedures and bony corrections involving the first metatarsal and its adjacent joints. Additionally, corrective procedures on the basal phalanx have become established. In the past decade, minimally invasive techniques for hallux valgus correction have become increasingly widespread. Mastery of these surgical techniques may require a relatively shallow learning curve. Perioperative or immediate postoperative radiological verification of the correction should be feasible from an organizational standpoint. The surgery for hallux valgus has a high potential for outpatient treatment; therefore, close postoperative follow-up and strong patient compliance are all the more important.
Keywords: Hallux valgus, bunion, metatarsus primus varus, metatarsus adductus, hallux rigidus, intermetatarsal angle, metatarsal 1 osteotomy, modified Lapidus arthrodesis, MICA technique
Citation: Diener K, Ruchholtz S, Diener G-L: The treatment of hallux valgus. A practical guide
OUP 2025; 14: 158–163. DOI 10.53180/oup.2025.0158-0163
K. Diener: ATOS MVZ, Wiesbaden
S. Ruchholtz, G-L. Diener: Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Marburg
Einleitung
Die Fehlstellung der Großzehe im Sinne der Hallux valgus-Deformität stellt in der täglichen Praxis ein häufiges Krankheitsbild dar. Die Wünsche der Betroffenen variieren von Stellungsverbesserungen aus ästhetischen Gründen über Schmerzreduktion, Aktivitätssteigerung bis hin zur modischen Schuhversorgung. Die Realisierung dieser Wünsche ist durch die Etablierung moderner gelenkerhaltender Operationsverfahren in der Hallux valgus-Chirurgie weitgehend möglich geworden.
Ätiologie
Die Entstehung eines Hallux valgus ist multifaktoriell bedingt und beruht auf einem Zusammenspiel aus intrinsischen und extrinsischen Faktoren. Zu den intrinsischen Faktoren gehört unter anderem die genetische Veranlagung. Vor allem bei der juvenilen Form des Hallux valgus besteht eine familiäre Häufung [1]. Zudem können anatomische Besonderheiten wie prädisponierende anatomische Varianten des Metatarsale-1-Knochens [2], eine Metatarsalpronation [3], ein pes planus [4] sowie funktionelle Besonderheiten im Sinne einer Bandlaxizität mit reduzierter Stabilität im Fußgewölbe [5] oder einer Achillessehnen- und Wadenmuskelverkürzung [6] die Entstehung eines Hallux valgus begünstigen. Ein zunehmendes Patientenalter [7] sowie das weibliche Geschlecht sind ebenfalls als prädisponierende Faktoren zu beobachten, wobei das weibliche Geschlecht unter anderem durch die o.g. anatomischen Unterschiede wie z.B. in der Form und Größe des Metatarsale-I-Kopfes [2] sowie durch Unterschiede im Bindegewebe [8] die Entstehung eines Hallux valgus fördert. Bei den extrinsischen Faktoren ist vor allem ein ungeeignetes Schuhwerk zu nennen, wobei dieses eher das Voranschreiten der Erkrankung als die direkte Verursachung bedingt [9]. Zu nennen sind hier vor allem Schuhe mit hohen Absätzen sowie mit enger Spitze, wodurch der Druck auf den Vorfuß vergrößert und die Fehlstellung gefördert wird [10]. Zudem kann bei einer übermäßigen Belastung des Vorfußes, beispielsweise beim Balletttanz, ein gehäuftes Auftreten des Hallux valgus beobachtet werden [11]. Ein höheres Körpergewicht konnte in Studien nicht als signifikanter prädisponierender Risikofaktor bestätigt werden [12].