Übersichtsarbeiten - OUP 04/2025

Die Behandlung des Hallux valgus
Ein praktischer Leitfaden

In der Regel erfolgt die Arztkonsultation wegen der augenscheinlichen Verlagerung der Großzehe und der daraus resultierenden Passformproblematik von Konfektionsschuhen. Mitunter wird eine schmerzhafte Rötung am „Ballen“ beklagt, welche einer Druckbursitis im Bereich der Pseudoexostose entspricht. In seltenen Fällen kann die Bursitis zu einem Ulcus führen. Direkte Schmerzen im Großzehengrundgelenk werden meist erst im fortgeschrittenen Stadium beklagt, wenn aufgrund der jahrelangen Inkongruenz im Gelenk eine deutliche Arthrose entstanden ist [13, 14]. Mitunter entstehen durch die Verlagerung der Großzehe interdigitale oder plantare Clavi, welche zu Schmerzen führen können.

Klinischer Befund

Im Stehen zeigt sich eine Abweichung des ersten Mittelfußknochens nach medial (metatarsus primus varus) und eine Abweichung der Großzehe nach lateral (Hallux valgus). Im meist fortgeschrittenen Stadium steht die Großzehe proniert (Drehfehler). Es muss die Reponierbarkeit der Großzehe und deren Beweglichkeit im Grundgelenk, der Weichteilmantel (Bursa über der Pseudoexostose, plantare Clavi, Tinea pedis) und die neurologische sowie angiologische Situation untersucht und dokumentiert werden. Essenziell ist ebenfalls eine zusätzliche Rückfußbeurteilung im Stehen: ein vermehrtes Rückfußvalgus mit too many toe sign und eine ungenügende Aufrichtung der Ferse im Zehenspitzenstand in die Varusposition wie auch ein Plattfuß mit instabiler Fußwurzel müssen dokumentiert und in die therapeutischen Überlegungen einbezogen werden.

Bildgebung

Die erforderliche Bildgebung umfasst Röntgenaufnahmen des betreffenden gesamten Fußes im dorso-plantaren (mit 20° Röhrenkippung) und seitlichen Strahlengang im Stehen. Die Aufnahmen im Stand sind unbedingt erforderlich, da sonst keine Aussage zur Statik getroffen werden kann und sich die zu erstellenden Messwinkel erheblich von Aufnahmen ohne Belastung unterscheiden [15]. Zusätzliche Aufnahmen, wie Schrägaufnahmen oder eine Sesambeinaufnahme, sind besonderen Fragestellungen vorbehalten. Gleiches gilt für MRT-Untersuchungen oder die klassische CT. Eine Besonderheit ist die digitale Volumentomografie (DVT). Sie ermöglicht die erforderlichen Standaufnahmen und liefert gleichzeitig Informationen wie eine CT. Immer zu erheben ist der Intermetatarsale-1–2-Winkel (IMA) nach Mitchel [16], der Hallux valgus-Winkel (HVA) und der distale Gelenkflächenwinkel (DMAA), wobei dieser, wenn möglich, am offenen Gelenk korrekt eingeschätzt werden muss [17]. Zudem ist die Position des medialen Sesambeines in Relation zur Schafthalbierenden am Metatarsale 1 zu beurteilen (Abb. 1).

Konservative Therapie

Die konservative Therapie umfasst Bequemschuhe bis hin zum orthopädischen Maßschuh und druckentlastende Hilfsmittel wie Silikonspreizer oder „Fingerlinge“. Einlagen können weichbettend und druckentlastend wirken und die Statik bei einem Knick- und/oder Plattfuß verbessern. Hallux valgus-Schienen werden oft als schmerzhaft empfunden und setzen nicht an der Ursache der Großzehenfehlstellung an. Die Kräftigung der Fußmuskulatur und Propriozeptionstraining sind nicht verkehrt, können aber ebenso die Erkrankung nicht ursächlich therapieren, das heißt die knöcherne Fehlstellung korrigieren. Eine angepasste Schuhwahl sollte zur Sprache kommen. Zudem können vorfußbelastende Sportarten vermieden werden, zum Beispiel Start-Stopp-Sportarten wie Tennis oder Badminton. Auch wenn das Körpergewicht in Studien keinen signifikanten Einfluss auf die Hallux valgus-Entstehung gezeigt hat, so sollte das Körpergewicht in Hinblick auf die Arthroseentwicklung trotzdem in der Beratung berücksichtigt werden. Allen konservativen Maßnahmen ist gemein, dass sie ausschließlich symptomatisch wirken [18]. Eine Korrektur der anatomischen Fehlstellung ist nur durch einen operativen Eingriff möglich. Zudem sollte darauf hingewiesen werden, dass bei Belassen der Situation sowohl das Ausmaß der Fehlstellung als auch die Arthrose im Großzehengrundgelenk zunehmen werden [19].

Operative Therapie

Ziel aller operativen Maßnahmen ist es, dass nach der knöchernen und weichteiligen Korrektur ein physiologischer IMA und ein harmonisches Alignement zwischen den Sesambeinen und dem Metatarsale-1-Kopf mit kongruentem Großzehengrundgelenk ohne Drehfehler resultiert. Erschwert wird dieses Ziel durch den Umstand, dass die chirurgischen Maßnahmen an liegenden Erkrankten vorgenommen werden und erst später unter voller Belastung das eigentliche Ergebnis zu sehen ist. Grundlegende Voraussetzung für den Erfolg der operativen Therapie ist die korrekte Erhebung und Analyse der klinischen wie auch radiologischen Befunde. Die große Kunst ist es, das den gegebenen Umständen angemessene Operationsverfahren herauszusuchen. Eine Hilfe kann die S2e-Leitlinie zum Hallux valgus bieten, die die Erkrankung in 2 Schweregrade einteilt. Nachfolgendes Schema ist als Gerüst zur Entscheidungsfindung vorgesehen (Abb. 2) [20].

Distale Korrektur

Die bekannteste distale Korrekturosteotomie ist die Chevron- (oder Austin-) Osteotomie [21]. Diese ist mit dem distalen Weichteileingriff im Sinne des lateralen release zu kombinieren [22]. Die Chevron-Osteotomie wird limitiert vom IMA, insbesondere aber von der Stellung des medialen Sesambeins zur Schafthalbierenden des MT 1: die Verschiebung des distalen Fragmentes darf nur unterhälftig der Schaftbreite erfolgen. Bei Überschreiten droht ein Abkippen des distalen Fragmentes trotz interner Fixation [23]. Die Ausrichtung der v-förmigen Osteotomie erlaubt bei der Verschiebung des Metatarsale-1-Kopfes eine begrenzte Verlängerung, Verkürzung, Elevation und/oder Plantarisation und durch eine zusätzliche medialbasige Keilentnahme die Korrektur des DMAA.

Diaphysäre Korrektur

Die bekannteste diaphysäre Korrektur-osteotomie ist die Scarf-Osteotomie, wo z-förmig gesägt wird [24]. Auch diese knöcherne Maßnahme muss mit dem distalen Weichteileingriff kombiniert werden [25]. Das postoperative Ziel entspricht dem der Chevron-Osteotomie. Das Ausmaß der Korrektur ist etwas höher als bei der Chevron-Osteotomie [26] und zusätzlich kann hier in größerem Umfang verlängert und verkürzt, aber auch rotiert, verschoben, plantarisiert und/oder eleviert werden. Kompliziert wird der Eingriff bei schlechter Knochenqualität, da die beiden Knochenschalen ineinander stauchen (Dachrinneneffekt) [27] und auch eher frakturieren können. Beim Rotieren könnte ein pathologischer DMAA an Schwere zunehmen. Dann droht ein Hallux valgus-Rezidiv.

Proximale Korrektur

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