Übersichtsarbeiten - OUP 01/2020

Die distale Radiusfraktur

Karl-Josef Prommersberger, Karlheinz Kalb, Marion Mühldorfer-Fodor

Zusammenfassung:

Mit einem Viertel aller Frakturen im Kindes- und Jugendalter und einem Sechstel im Erwachsenenalter ist die distale Radiusfraktur die häufigste Fraktur des Menschen, wobei in
vielen Ländern ein Anstieg der Inzidenz beobachtet wird. Unsere Kenntnisse punkto Frakturmorphologie und Begleitverletzungen der distalen Radiusfrakturen wurden in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich erweitert. Zugleich kam es zu einem Wandel in der Therapie. Auch wenn
bei der überwiegenden Mehrheit distaler Radiusfrakturen immer noch eine konservative
Behandlung erfolgt, so ist doch ein auch unter ökonomischen Gesichtspunkten bedeutender
Anstieg an Plattenosteosynthesen zu verzeichnen. Und dies obwohl es bisher nicht gelungen ist, eine Überlegenheit der plattenosteosynthetischen Versorgung distaler Radiusfrakturen gegenüber anderen Behandlungsmethoden nachzuweisen. Diese Arbeit gibt einen Überblick über Inzidenz, Frakturmorphologie, Begleitverletzungen, Diagnostik, Therapie, Komplikationen und Ergebnisse distaler Radiusfrakturen.

Schlüsselwörter:
Distale Radiusfraktur, Anatomie, Klassifikationen, Therapie, Komplikationen

Zitierweise:
Prommersberger KJ, Kalb K, Mühldorfer-Fodor M: Die distale Radiusfraktur. OUP 2020; 9: 003–010

DOI 10.3238/oup.2020.0003–0010

Summary: With 25 and 18 % of all fractures in the pediatric and eldery population, respectively, fractures of the distal radius are among the most fractures of human being. Over the last two decades there is an important increase of our knowledge concerning fracture morphology and associated injuries of distal radius fractures. At the same time, therapy of distal radius fractures changed. Even if the great majority of distal radius fractures is still treated non-operatively, internal fixation with locking-plates increased significantly leading to an enormous health care burden. Yet, there is no evidence that internal fixation leads to superior results compared to other treatment modalities. This review gives an overview of the incidence, fracture morphology, associated injuries, diagnostics, treatment, complications, and outcomes of distal radius fractures.

Keywords: Distal radius fractures, anatomy, classifications, therapy, complications

Citation: Prommersberger K-J, Kalb K, Mühldorfer-Fodor M: Distal radius fractures. OUP 2020; 9: 003–010
DOI 10.3238/oup.2020.0003–0010

Klinik für Handchirurgie, Rhön-Klinikum Campus Bad Neustadt

Epidemiologie und Unfallmechanismus

Frakturen des distalen Radius sind sowohl von großem klinischen als auch sozioökonomischen Interesse, machen sie doch 25 % aller Frakturen im Kindes- und Jugendalter und 18 % aller Frakturen im Erwachsenenalter aus [3, 12]. So wurden 2001 in den USA mehr als 640.000 distale Radiusfrakturen gezählt und waren der Grund für 1,5 % aller Vorstellungen in Notaufnahmen der Krankenhäuser. Während in einigen Staaten, so den USA, Japan und auch in Deutschland, Ende letzten und Anfang diesen Jahrhunderts ein Anstieg der Inzidenz distaler Radiusfrakturen pro Jahr beobachtet wurde, wird aus Ontario (Kanada) eine gleichbleibende Inzidenz mit 2,32 bis 2,70 distaler Radiusfrakturen pro 1.000 Einwohner über 35 Jahre für die Jahre 2004–2013 berichtet.

Zwei Häufungen distaler Radiusfrakturen werden beobachtet; eine im Kindes- und Jugendalter zwischen 10 und 14 Jahren und eine zweite ab dem 60. Lebensjahr [3]. Die Mehrheit kindlicher – und jugendlicher Patienten sind männlich (60 %), wohingegen im Erwachsenenalter, insbesondere postmenopausal mehr Frauen betroffen sind. Im Alter zwischen 40 und 64 Jahren sind 71 % der Patienten mit einer distalen Radiusfraktur Frauen, bei über 65 Jahren steigt der Anteil der Frauen bis auf 85 % an [3].

Häufigste Ursache für eine distale Radiusfraktur ist ein Sturz aus dem Stand und beim Gehen. Insbesondere bei postmenopausalen Frauen spielt dabei die Knochenqualität, aber auch Übergewicht eine wichtige Rolle. So fanden Hegeman und Mitarbeiter bei 94 Frauen mit distaler Radiusfraktur und einem Durchschnittsalter von 69 Jahren bei 85 % eine verringerte Knochendichte und bei 51 % gar eine Osteoporose [16].

Anatomie

Der distale Radius ist an der Bildung zweier Gelenke beteiligt, dem Radiokarpal- und dem distalen Radioulnargelenk (DRUG). Das Radiokarpalgelenk bildet zusammen mit dem ulnokarpalen Komplex als Gelenkpfanne und den dem Unterarm zugewendeten Gelenkflächen der proximalen Handwurzelreihe als Gelenkkopf das proximale Handgelenk. Die Stirnfläche des Radius, Facies articularis carpea radii, ist durch eine knorpelig-knöcherne Trennleiste (Crista radii) in individuell unterschiedlichem Ausmaß in 2 Gelenkfacetten (Fovea scaphoidea und lunata) unterteilt. Die Stirnfläche des Radius steht nicht exakt senkrecht zur Längsachse der Speiche, sondern neigt sich etwa 10° nach palmar und durchschnittlich 22° nach ulnar. Die durchschnittliche Neigung der Fovea scaphoidea liegt sowohl in radio-ulnarer als auch in dorso-palmarer Richtung deutlich über und die Neigung der Fovea lunata in beiden Ebenen deutlich unter der durchschnittlichen Gesamtneigung der distalen Radiusgelenkfläche. Das proximale Handgelenk ist ein Eigelenk. Es ermöglicht die Beugung und Streckung der Hand um die große, quergestellte Achse, und die Radial- und Ulnarduktion um die kleine, dorsopalmar gerichtete Achse des Gelenks.

Das distale Radioulnargelenk ermöglicht im Zusammenspiel mit dem proximalen Radioulnargelenk als Teil des sogenannten Unterarmgelenkes die Handumwendbewegung. Es wird gebildet aus der Incisura ulnaris des Radius und der Circumferentia articularis des Ulnakopfes als korrespondierende Gelenkflächen sowie dem ulnokarpalen Bandkomplex. Der Ulnakopf ist der eigentliche Fixpunkt des Gelenkes, um den sich der Radius dreht. Der ulnokarpale Bandkomplex (triangularer fibrocartilaginärer Komplex = TFCC) ist zwischen den Ulnakopf und den korrespondierenden Handwurzelknochen als Puffer und gleichzeitig als Stabilisator des DRUG geschaltet. Er spannt sich von seiner Ursprungsstelle an der ulnaren Kante des distalen Radius als dreieckige Platte zur Verankerung an der Basis des Processus styloideus ulnae. Mit seiner palmaren und dorsalen ligamentären Begrenzung (Lig. radioulnare dorsale und palmare) ist er die wesentliche stabilisierende Struktur des DRUG.

Der Radius ist palmar im metaphysären Bereich in radio-ulnarer Ebene relativ flach, nach distal zum Radiokarpalgelenk hin ist er konkav gebogen, um an der Watershed line am weitesten nach palmar vorzustehen. Die Watershed line liegt distal des M. pronator quadratus und ist von der palmaren Gelenkkapsel bedeckt. Streckseitig ist der Radius konvex gebogen und weist hier mehr oder weniger stark ausgebildete Knochenleisten auf, die der Verankerung des Retinaculum extensorum und damit der Strecksehnenfächer dienen. An der am kräftigsten ausgeprägten Knochenleiste, dem Listerschen Tuberkulum, wird die lange Daumenstrecksehne umgelenkt.

Am normal konfigurierten, unverletzten Handgelenk wird die Kraft im Wesentlichen in der beugeseitigen Hälfte des Radius von der Handwurzel auf den Unterarm übertragen. In der Fossa lunata liegt dabei das Punctum maximum der Kraftübertragung etwas mehr palmar als in der Fossa scaphoidea. Die Dicke der Kortikalis des distalen Radius als auch seine Mikrostruktur tragen dem Rechnung. So ist die palmare Kortikalis des distalen Radius deutlich, jedoch nicht signifikant dicker als die dorsale Kortikalis, wobei sowohl palmar als auch dorsal die Dicke der Kortikalis nach proximal zur Diaphyse hin signifikant zunimmt. Ebenso ist die subchondrale Platte im Bereich der stärksten Kraftübertragung von der Hand auf den Radius, also in der palmaren Hälfte der Fossa lunata am kräftigsten ausgebildet. Aus der subchondralen Platte der Fossa lunata ziehen beugeseits mehrere kräftige Trabekel senkrecht zur Gelenkfläche nach proximal, um hier in die palmare Kortikalis einzustrahlen [5].

Die Form der Incisura ulnaris, auch Sigmoid notch genannt, variiert wie die des korrespondierenden Ulnakopfes, abhängig von der Ulnavarianz. Meist ist die Inzisur flach (42 %) oder C-förmig (30 %) gekrümmt. Es werden jedoch auch S-förmige oder palmar akzentuierte Krümmungen beobachtet [30].

Am distalen Radius entspringen sowohl dorsal als auch palmar zahlreiche, den Karpus stabilisierende Bänder. Die Verläufe einfacher intraartikulärer Frakturen sparen diese Bandursprünge aus, was für die Ligamentotaxis von Bedeutung ist [4].

Diagnostik

Schmerzhafte Schwellung und Deformität des Handgelenkes weisen zusammen mit der Anamnese auf eine distale Radiusfraktur hin; eine Röntgenuntersuchung des Handgelenkes in zwei Ebenen sichert – in den allermeisten Fällen – die Diagnose. Auch wenn auf den ersten Blick eine isolierte Verletzung des distalen Unterarmes und Handgelenkes vorliegen mag, sollte man von Beginn an den Patienten in seiner Gesamtheit wahrnehmen (Sturz aus innerer Ursache?).

Bei der klinischen Untersuchung sollten stets auch Sensibilität und Durchblutung der Hand und der Finger geprüft und festgehalten werden. Bestehen Sensibilitätsstörungen, gilt es zu differenzieren zwischen vorbestehenden und nun verstärkten und neu aufgetretenen Gefühlsstörungen. So selbstverständlich es ist, offene Verletzungen zu dokumentieren, so wichtig ist es auch, den geschlossenen Weichteilschaden (drohendes Kompartmentsyndrom bei massiver Schwellung?) festzuhalten.

Sowohl bei Verdacht auf eine distale Radiusfraktur, als auch zur Verlaufsbeurteilung sind grundsätzlich zuerst Standardaufnahmen des Handgelenkes in 2 Ebenen in Neutralstellung des Handgelenkes bei mittlerer Rotation des Unterarmes durchzuführen. Für die dorsopalmare Aufnahme ist der Oberarm im Schultergelenk um 90° zu abduzieren, sodass bei 90° gebeugtem Ellenbogen Unterarm und Hand auf Schulterniveau liegen. Zur seitlichen Aufnahme wird der Oberarm an den Oberkörper angelegt und wiederum im Ellenbogengelenk um 90° gebeugt, sodass die ulnare Handkante auf dem Röntgentisch zu liegen kommt.

Liegt eine Fraktur vor, interessiert, ob diese extra- oder intraartikulär ist, ob bei Gelenkbeteiligung diese einfach oder mehrfragmentär ist und ob die Gelenkkongruenz erhalten oder zerstört ist. Des Weiteren interessiert das Ausmaß der Frakturierung der Metaphyse, die radiokarpalen Gelenkwinkel, ob ein Versatz des Gelenkfragmentes nach radial, dorsal oder palmar besteht, das Längenverhältnis von Radius und Ulna und ob es Hinweise für knöcherne oder ligamentäre Begleitverletzungen gibt [25].

Liegt eine Gelenkbeteiligung vor, hat sich die Durchführung einer Computertomografie (CT) bewährt, ist sie doch der Projektionsradiografie in der Beurteilung der Gelenkkongruenz sowohl des Radiokarpal-, erst recht jedoch des distalen Radioulnargelenkes deutlich überlegen [10, 27]. Bei einfachen intraartikulären Frakturen bevorzugen wir dabei die Arthro-CT. Bei Applikation von Kontrastmittel (KM) in das Mediokarpalgelenk lassen sich durch Übertritt des KM in das Radiokarpal- bzw. Ulnokarpalgelenk Läsionen des skapholunären bzw. lunotriquetralen Bandes nachweisen, was Auswirkungen auf die Operationsstrategie hat [18]. Bei komplexen Gelenkfrakturen ziehen wir eine native CT vor, kann doch durch die KM-Injektion die Beurteilung kleiner Gelenkfragmente erschwert werden. Während Rikli es bevorzugt, die CT nach Anlage eines Fixateur externe und grober Reposition durchzuführen, sehen wir hierin keinen Vorteil.

Lässt sich auf den Röntgenaufnahmen keine Fraktur nachweisen, besteht klinisch jedoch weiterhin der Verdacht auf eine distale Radiusfraktur, sollte man eine CT oder besser eine Kernspintomografie durchführen, wobei nicht selten auch zusätzliche Handwurzelfrakturen aufgedeckt werden [15].

Klassifikationen

Auch wenn im klinischen Jargon immer noch Eponyme in der Beschreibung distaler Radiusfrakturen gebräuchlich sind, ja oft dominieren, ist es aus mehreren Gründen sinnvoll Klassifikationen zu verwenden. Zum einen lassen sie abhängig vom Schweregrad der Fraktur eine Prognose bzgl. des zu erwartenden klinischen Ergebnisses zu, zum anderen sind sie bei Planung der operativen Versorgung hilfreich und ermöglichen bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung des eigenen Patientengutes eine Vergleichbarkeit mit veröffentlichten Daten.

Unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten hat sich die Klassifikation der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO) bewährt. Auch wird sie von der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung beim Vorliegen einer distalen Radiusfraktur bei der Erstellung des D-Arztberichtes gefordert. Die AO-Klassifikation unterscheidet zwischen extraartikulären (Typ A), partiellen (Typ B) und vollständigen Gelenkfrakturen (Typ C). Bei jedem Frakturtyp werden, abhängig davon ob eine einfache oder mehrfragmentäre Fraktur vorliegt sowie abhängig von der Richtung der Dislokation, 3 Gruppen unterschieden, die selbst wieder in 3 Untergruppen unterteilt sind, sodass also 27 verschiedene Frakturmuster klassifiziert sind. Der Typ A1 beschreibt Frakturen der distalen Ulna bei intaktem Radius. Während für extraartikuläre Frakturen die Interobserver-Reliabilität gut ist, ist sie bei partiellen Gelenkfrakturen nur fair und bei vollständigen Gelenkfrakturen gar nur moderat und dies selbst bei Verwendung von Computertomografiebildern [17].

Unter therapeutischen Gesichtspunkten hat sich uns die Fernandez-Klassifikation bewährt, die 5 Typen unterscheidet:

  • I = metaphysärer Biegungsbruch mit dorsaler oder palmarer Dislokation;
  • II = Abscherfraktur der dorsalen oder palmaren Radiuslippe;
  • III = Kompressionsfraktur der radiokarpalen Gelenkfläche;
  • IV = Avulsionsfrakturen, inklusive radiokarpaler Luxationsfrakturen;
  • V = Kombinationen der Frakturtypen I bis IV.

Fernandez ordnet neuerdings dorsale Abscherfrakturen (Barton-Frakturen) in die Gruppe der radiokarpalen Luxationsfrakturen, also in den Typ IV ein und rät, diese Frakturen aufgrund der regelhaft vorliegenden Beteiligung der palmaren Kortikalis von der Beugeseite zu versorgen [6].

Bezüglich der Mitverletzung des distalen Radioulnargelenkes veröffentlichten Fernandez und Jupiter 1996 eine ebenfalls therapieorientierte Klassifikation. Es werden 3 Typen (I = stabil, II = instabil, III = fraglich stabil) mit je 2 Untertypen unterschieden [14].

Auch wenn es sich nicht um Klassifikationen handelt, sind mehrere biomechanische Konzepte unter operationsstrategischen Gesichtspunkten von Bedeutung. Basierend auf ihrem 3-Säulen-Konzept empfahlen Rikli und Regazzoni die Versorgung distaler extraartikulärer nach dorsal dislozierter Radiusfrakturen mittels zweier im Winkel von ca. 60° zueinander versetzt an der radialen und der intermediären Säule angebrachter Minifragmentplatten [26]. Die radiale Säule umfasst die Metaphyse im Bereich des Processus styloideus radii und der Fossa scaphoidea, die intermediäre Säule die Metaphyse im Bereich der Fossa lunata und die ulnare Säule die distale Ulna.

Brink erweiterte zusammen mit Rikli das 3-Säulen- zum 4-Corner-Konzept [7]. Die radiale Ecke umfasst den Processus styloideus radii und die Fossa scaphoidea streck- und beugeseits, die dorsale Ecke den dorsalen Anteil der Fossa lunata und der Sigmoid notch, die palmare Ecke den palmaren Anteil der Fossa lunata und der Sigmoid notch. Die ulnare Ecke entspricht der distalen Ulna. Analog zur AO-Klassifikation wird letztlich zwischen extraartikulären, partiell und komplett intraartikulären Frakturen unterschieden, wobei die partiell intraartikulären Frakturen in 6 Untergruppen, abhängig davon welche Ecke bzw. Ecken disloziert sind, unterteilt werden. Kommt es bei Dislokation der dorsalen, insbesondere aber der palmaren Ecke zu einer Subluxation des Mondbeines, droht die Gefahr, dass – so dieses Fragment, das nicht sehr groß sein muss, nicht korrekt fixiert wird – es zu einer chronischen Subluxation des gesamten Karpus im Verlauf kommt. Abhängig davon welcher Frakturtyp bzw. Untertyp vorliegt, empfehlen Brink und Rikli plattenosteosynthetische Versorgungen rein von palmar oder dorsal bzw. kombiniert palmar und dorsal unter Verwendung einer oder auch mehr Platten. Dabei muss man wissen, dass Peter Brink ein Anhänger dorsaler Plattenosteosynthesen bei dorsal dislozierten Frakturen ist und Daniel Rikli, wie wir, nie vor einer gleichzeitigen Versorgung komplexer Frakturen von palmar und dorsal zurückschreckte.

So hilfreich das 4-Corner-Konzept für die Entwicklung einer operativen Versorgungsstrategie ist, lässt es doch den zentralen Anteil der Radiusgelenkfläche, der bei Hochenergietraumen tief in die Metaphyse eingestaucht sein kann, unberücksichtigt. Diese zentrale Gelenkflächenimpression findet sich in den Konzepten von Pechlaner, er spricht von zentraler Luxationsfraktur, sowie Medoff und Kopylov [21, 23].

Therapie

Seit Beginn des dritten Jahrtausends ist es in vielen Ländern zu einem deutlichen Anstieg der Versorgung distaler Radiusfrakturen mit einer Plattenosteosynthese gekommen. Ungeachtet dessen wird weiterhin die absolute Mehrheit distaler Radiusfrakturen konservativ behandelt. Über alle Altersgruppen betrachtet wurden 2005 in den USA noch rund 86 % aller distaler Radiusfrakturen konservativ behandelt, 2014 waren es nur noch 77,5 %. Gleichzeitig ging auch der Prozentsatz mittels geschlossener Reposition und perkutaner Drahtspickung behandelter distaler Radiusfrakturen signifikant von 5,4 % auf 2,5 % zurück. Parallel dazu kam es zu einem Anstieg mit offener Reposition und interner Stabilisation, also mit Plattenosteosynthese versorgter distaler Radiusfrakturen von 8,7 % auf 20,0 %, was ebenfalls statistisch signifikant war [3].

Im Kindes- und Jugendalter spielt weder die Plattenosteosynthese mit 1,3 % noch die perkutane Drahtspickung mit 2 % eine nennenswerte Rolle. Grund ist das enorme Korrekturpotenzial des wachsenden distalen Radius, sodass in vielen Fällen noch nicht einmal eine Reposition erforderlich ist. So wird ein Seit-zu-Seit-Versatz um 50 % problemlos korrigiert.

Angesichts des Umstandes, dass im fortgeschrittenen Alter Fehlstellungen des distalen Radius oft gut toleriert werden, überrascht der Anstieg an Plattenosteosynthesen zwischen 2005 und 2014 von 9,9 % auf 23,4 % bei den über 65-jährigen [3]. Dass bei diesem Therapiewandel auch das Gesundheitssystem eines Landes eine Rolle spielen mag, lassen Zahlen aus Ontario/Kanada vermuten, wo zwar auch zwischen 2004 und 2013 ein Anstieg der Plattenosteosynthese von 7 % auf 13 % beobachtet wurde, die Rate konservativ behandelter Radiusfrakturen mit 82 % 2004 und 84 %, 2013 jedoch gleichblieb [1]. Von vielen Autoren wird der Wandel in der Therapie der distalen Radiusfraktur angesichts einer im Langzeitverlauf fehlenden klaren Überlegenheit der Plattenosteosynthese gegenüber anderen Behandlungsmethoden punkto klinischem Ergebnis einerseits und der damit verbunden Kosten andererseits kritisch hinterfragt.

Konservative Behandlung

Nicht dislozierte Frakturen und Frakturen, die nach geschlossener Reposition aufgrund der Knochenqualität stabil erscheinen, sind für eine konservative Behandlung im Gipsverband geeignet. Dieser sollte anfangs aufgrund der Schwellneigung nicht zirkulär sein und die distale Hohlhandbeugefurche nicht überragen, sodass eine freie Bewegung der Finger möglich ist. Die Patienten sind darauf hinzuweisen, die Hand über Herzhöhe zu halten und ihre Finger zu bewegen. Die Metaanalyse von 12 Studien mit mehr als 1000 Patienten mit konservativ behandelten distalen Radiusfrakturen ergab nach Beendigung der Ruhigstellung punkto Schmerzen, Beweglichkeit und dem radiologischen Ergebnis keine Vorteile bei Ruhigstellung im Gipsverband länger als drei Wochen versus Ruhigstellung von drei Wochen. Patienten mit Ruhigstellung von 3 Wochen wiesen eine bessere Griffkraft und bessere Ergebnisse beim qDASH (quick Disabilities of Arm, Shoulder and Hand) sowie PRWE-Score (Patient-Rated-Wrist-Evaluation) auf. Entsprechend wird eine Ruhigstellung von 3 Wochen empfohlen [13].

Da stets die Gefahr der sekundären Dislokation besteht, sind insbesondere nach stattgehabter Reposition regelmäßige Röntgenkontrollen erforderlich, wobei vielerorts die „4711-Regel“ befolgt wird, also Röntgenkontrollen nach 4, 7 und 11 Tagen erfolgen. Bei kindlichen Wulstfrakturen kann nach 3 Wochen, so kein Druckschmerz mehr besteht, ohne erneute Röntgenkontrolle die Ruhigstellung aufgehoben werden.

Arora und Mitarbeiter konnten zeigen, dass kein signifikanter Unterschied nach konservativer bzw. operativer Versorgung einer instabilen distalen Radiusfraktur mittels palmarer winkelstabiler Plattenosteosynthese bzgl. des klinischen Ergebnisses bei Patienten über 65 Jahre besteht [2]. Andererseits lässt sich nie vorhersagen, ob eine verbleibende Fehlstellung des distalen Radius zu Beschwerden führt oder nicht. Beides muss man älteren Patienten darlegen und dass es sehr wohl möglich ist, auch im fortgeschrittenen Alter mit gutem Erfolg fehlverheilte Radiusfrakturen zu korrigieren [24]. Fällt die Entscheidung zur konservativen Therapie, sollte man auf eine Reposition verzichten, kommt es doch rasch wieder zum Kollaps und dies oft mit einer stärkeren Fehlstellung als primär.

Operative Behandlung

Die palmare winkelstabile Plattenosteosynthese ist zweifelsohne die bevorzugte Behandlung operationspflichtiger distaler Radiusfrakturen und dies auch und gerade für Extensionsfrakturen [22]. Bevorzugter Zugang ist der Henry-Zugang zwischen Arteria radialis und der Sehne des Musculus flexor carpi radialis (FCR), wobei eine Tendenz zu kurzen Inzisionen und Erhalt bzw. Refixation des Musculus pronator quadratus besteht, auch wenn klinisch hierfür bis dato kein Vorteil nachgewiesen werden konnte. Zur Versorgung veralteter Extensionsfrakturen mit beginnender Kallusbildung streckseitig hat sich uns der erweiterte FCR-Zugang bewährt. Nach Ablösen sämtlicher Weichteile, inklusive des dorsalen Periosts vom Radius, wird dabei der Schaft des Radius proximal der Fraktur proniert und dadurch vom Gelenkblock gelöst und gibt somit den Zugang nach dorsal frei, sodass der Kallus hier entfernt werden und dann die Reposition des Gelenkblockes erfolgen kann. Frakturen der ulno-palmaren Ecke des Radius, insbesondere wenn das Fragment sehr klein ist und die Fraktur distal der Watershed-Line liegt, sind weder gut vom Henry-Zugang aus darzustellen, noch mittels herkömmlicher Platten gut zu fixieren. Von einigen Firmen werden für diese Frakturen spezielle Platten bzw. Plattenextensionen angeboten. Wir bevorzugen zur Fixation dieser Frakturen einen erweiterten Karpaltunnelzugang und eine Zuggurtungsosteosynthese, insbesondere wenn das Fragment Richtung Karpus aufgerichtet und disloziert ist.

Palmare Platten können die Beugesehnen irritieren. Bei ihrer Platzierung ist darauf zu achten, dass sie möglichst nicht die Watershed-Line überragen. Durch dorsal die Kortikalis überragende Schrauben kann es zu Strecksehnenrupturen, insbesondere der langen Daumenstrecksehne kommen. Gelenknahe ist es vollkommen ausreichend, wenn die Schraubenlänge ¾ des dorso-palmaren Durchmessers des Radius entspricht.

Auch wenn sich die große Mehrheit distaler Radiusfrakturen von der Beugeseite aus versorgen lässt, bedarf es bei dorsalen Frakturen mit intakter palmarer Kortikalis eines dorsalen Zugangs. Liegt eine Gelenkfraktur vor, eröffnen wir das Radiokarpalgelenk unter Schonung der Bandansätze. Zur Stabilisation hat sich die Anordnung von zwei dünnen Platten im Winkel von ca. 60° zueinander, platziert zwischen dem ersten und zweiten sowie vierten und fünften Strecksehnenfach, bewährt [26]. Gelegentlich ist es allerdings günstiger, die radiale Platte streng radial unter den Sehnen des ersten Strecksehnenfaches zu platzieren. Die lange Daumenstrecksehne verlagern wir am Ende der Operation beim dorsalen Zugang stets subkutan.

Bei den zentralen Luxationsfrakturen, in der Regel einhergehend mit gleichzeitiger Zertrümmerung der palmaren und dorsalen Kortikalis, ist oft ein Zugang von palmar und dorsal erforderlich. Wir beginnen den Eingriff auf der Beugeseite, lässt sich hier die Länge des Radius durch Verzahnung der dicken Kortikalis exakter herstellen als auf der Streckseite. Gelenknahe empfiehlt es sich, kurze Schrauben einzubringen, die lediglich die palmare Kortikalis fassen. Dies erlaubt beim Zugang von dorsal, die streckseitigen und insbesondere die Gelenkfragmente ungehindert zu reponieren. Während aufgrund der winkelstabilen Fixierung es bei den allermeisten Frakturen keiner Spongiosaplastik oder der Verwendung von Knochenersatzmaterial bedarf, ist es oft nötig, die subchondrale Knochenhöhle nach Anheben des in die Metaphyse impaktierten zentralen Gelenkfragmentes aufzufüllen und das auf Gelenkniveau angehobene Fragment zu unterfüttern. Sind palmare und dorsale Kortikalis metaphysär so zertrümmert, dass auch durch eine kombiniert palmare und dorsale Plattenosteosynthese keine sichere Stabilität gewährleistet ist, empfiehlt sich das Anbringen einer, das Handgelenk überbrückenden Platte. Distal kann diese am Metakarpale II oder III fixiert werden, proximal wird sie an der Radiusdiaphyse befestigt.

Auch wenn sich die arthroskopisch unterstützte Versorgung von Gelenkfrakturen punkto Beurteilung der Gelenkkongruenz der Versorgung unter alleiniger Röntgendurchleuchtung gegenüber als überlegen zeigt, konnte bis dato im Hinblick auf das klinische Ergebnis keine Überlegenheit nachgewiesen werden. Die zusätzliche Handgelenksarthroskopie bietet jedoch die Möglichkeit, mögliche Begleitverletzungen wie Rupturen des skapholunären Bandes und des TFCC abzuklären, so dies nicht im Vorfeld mittels Arthro-CT geschehen ist. Die Handgelenksspiegelung kann, so sie lediglich zum Ausschluss bzw. zur Sicherung von Begleitverletzungen erfolgt, sowohl von dorsal als auch von palmar mit Zugang zwischen der A. radialis und dem FCR durchgeführt werden. Vorteilhafterweise erfolgt sie in diesen Fällen nach Fixation des Radius, lässt sich dabei dokumentieren, dass keine intraartikuläre Schraubenfehllage vorliegt.

Ausbehandlungen im Fixateur externe sind selten geworden. Es ist jedoch angebracht, bei starker Schwellung primär einen Fixateur externe anzulegen und nach Abschwellen auf eine interne Stabilisation zu wechseln.

Nach Stabilisation des Radius ist, gleich ob ein zusätzlicher Abriss des Processus styloideus ulnae (PSU) vorliegt oder nicht, die Stabilität des distalen Radioulnargelenkes zu prüfen und ggf. wiederherzustellen. Bei Abriss des TFCC an seiner Anheftung in der Fovea ulnaris wird dieser transossär refixiert. Danach bedarf es der Ruhigstellung im Oberarmgipsverband für 6 Wochen. Liegt eine Fraktur an der Basis des PSU mit Instabilität des DRUG vor, wird der PSU refixiert, sei es mittels Zuggurtung oder einer Spezialplatte. Frakturen des Ulnakopfes fixieren wir stets, bedarf es ansonsten einer Ruhigstellung im Oberarmgipsverband. Da selbst filigrane Platten zur Fixation des PSU Beschwerden beim Auflegen der Hand auf die ulnare Handkante bereiten, müssen sie meist entfernt werden.

Am Ende jeder Operation ist per Röntgendurchleuchtung das radiologische Ergebnis zu dokumentieren. Zum Nachweis, dass keine intraartikuläre Schraubenfehllage besteht, ist dabei für die dorso-palmare Aufnahme der Unterarm um 10–15° und für die seitliche Röntgenaufnahme um 20–25° anzuheben. Hierdurch trifft der Zentralstrahl jeweils parallel auf den radiokarpalen Gelenkspalt. Zum Nachweis, dass die distalen Schrauben bei palmarer Plattenosteosynthese den Radius nicht dorsal penetrieren, muss der Röntgenstrahl parallel zur Unterarmlängsachse ausgerichtet werden. Hierzu wird der Unterarm supiniert und das Handgelenk flektiert. Ist es möglich die Durchleuchtungsaufnahmen digital zu speichern oder zumindest auf Papier auszudrucken, bedarf es nicht zwingend postoperativ während des stationären Aufenthaltes einer erneuten Röntgenuntersuchung. Bei aufwendigen Gelenkrekonstruktionen empfiehlt es sich, auch postoperativ eine CT durchzuführen.

Es lässt sich trefflich darüber streiten, ob es nach plattenosteosynthetischer Versorgung einer distalen Radiusfraktur zusätzlich einer Gipsruhigstellung bedarf. Da die allermeisten Patienten doch anfangs Schmerzen beklagen, nehmen wir regelhaft kurzfristig eine Ruhigstellung vor. Gleich ob mit oder ohne zusätzlicher Ruhigstellung muss sichergestellt werden, dass die Patienten am Tage nach der Operation mit Fingerübungen begingen und vor Entlassung die Finger vollstrecken und die Faust voll schließen können.

Dorsale Platten und Brückenplatten entfernen wir regelmäßig nach knöcherner Konsolidierung 4–6 Monate postoperativ. Oft ist gleichzeitig eine Strecksehnen- und nach aufwendigen Gelenkflächenrekonstruktionen auch eine Gelenklösung erforderlich. Palmare Platten können, so es keinen Hinweis auf eine Irritation der Beugesehnen gibt, belassen werden.

Begleitverletzungen

Begleitverletzungen distaler Radiusfrakturen betreffen das distale Radioulnargelenk und die distale Ulna, Bänder und Knochen der Handwurzel, Nerven und Sehnen. Sie können, insbesondere, wenn sie primär übersehen und/oder nicht behandelt werden, das klinische Ergebnis negativ beeinflussen und sind sekundär nicht immer folgenlos zu therapieren.

Während Irritationen des N. ulnaris im Rahmen distaler Radiusfrakturen extrem selten sind, kommen Beeinträchtigungen des N. medianus mit einer Häufigkeit von 0,2–21,3 % sehr häufig vor [19]. Während es keine Empfehlung gibt, ob man ein vorbestehendes Karpaltunnelsyndrom ohne Verstärkung der Symptomatik im Rahmen der operativen Behandlung einer distalen Radiusfraktur mitangehen soll, besteht Einigkeit bei neu aufgetretener oder seit dem Unfall verstärkter vorbestehender Symptomatik den Karpalkanal zu dekomprimieren. Erfolgt die Stabilisation der Fraktur über einen Henry-Zugang, ist es ratsam über dem Karpalkanal einen gesonderten Hautschnitt anzulegen, um nicht durch Verbindung beider Inzisionen den R. palmaris des N. medianus zu gefährden. Ist die Fraktur für eine konservative Behandlung geeignet und die Karpaltunnelsymptomatik nicht sehr ausgeprägt, kann man einige Tage zuwarten, hoffend, dass mit Rückgang der Schwellung sich die Beschwerden zurückbilden. Sieht man sich aufgrund einer ausgeprägten akuten oder persistierenden Medianussymptomatik gezwungen den Karpalkanal zu dekomprimieren, ist es durchaus sinnvoll auch die Fraktur zu stabilisieren.

Da die Unfallmechanismen distaler Radiusfrakturen und knöcherner sowie ligamentärer Verletzungen des Karpus identisch sind, wundert es nicht, dass Handwurzelfrakturen und -bandverletzungen häufige Begleitverletzungen distaler Radiusfrakturen sind. Eigene Untersuchungen zeigten mehr, jedoch nicht signifikant mehr Rupturen des skapholunären Bandes bei komplett als bei partiell intraartikulären Frakturen [18]. Letztlich muss man bei jeder distalen Radiusfraktur, auch bei extraartikulären, nach Zeichen einer skapholunären Bandverletzung suchen. Hinweise geben bereits die Projektionsaufnahmen des Handgelenkes. Verläuft der Frakturspalt einer intraartikulären Fraktur auf den Gelenkspalt zwischen Skaphoid und Lunatum aus, so ist dies unabhängig von der Weite des SL-Spaltes, erst recht jedoch bei erweitertem Spalt verdächtig auf eine Verletzung des SL-Bandes. Bei Extensionsfrakturen folgt das Lunatum der Radiusgelenkfläche in die Verkippung nach dorsal. Übersteigt der radiolunäre Winkel den seitlichen Gelenkwinkel der Radiusgelenkfläche um mehr als 10°, ist dies ebenfalls verdächtig auf eine SL-Bandruptur. Wurde präoperativ nicht mittels Arthro-CT bei intraartikulären Frakturen Bandverletzungen ausgeschlossen und erfolgt keine zusätzliche Arthroskopie des Handgelenkes, sollte man bei der abschließenden Röntgendurchleuchtung auf Zeichen einer SL-Läsion achten (Verkippung des Lunatums in die Extensionsstellung bei korrekter dorsopalmarer Inklination der Radiusgelenkfläche, Unterbrechung des Bogens der proximalen Handwurzelreihe, erweiterter SL-Spalt) und eine Traktionsaufnahme vornehmen [28]. Komplettrupturen sowie Rupturen des biomechanisch wichtigen dorsalen Anteils des SL-Bandes bedürfen der operativen Versorgung mittels Naht, Sicherung der Naht mittels Transfixation von Skaphoid und Lunatum sowie Skaphoid und Kapitatum und ggf. Bandverstärkung durch eine Kapsulodese.

Es besteht Einigkeit, dass bei dislozierten Frakturen des Skaphoids sowie bei allen Frakturen des proximalen Skaphoidpols Operationsindikation besteht. Da die Zeit bis zur knöchernen Heilung einer undislozierten Skaphoidfraktur deutlich länger sein kann als die einer Radiusfraktur, empfiehlt sich zumindest bei operationspflichtigen Radiusfrakturen auch die undislozierte Kahnbeinfraktur anzugehen.

Komplikationen

Untersuchungen mit speziellem Fokus auf Komplikationen nach distalen Radiusfrakturen berichten von Komplikationsraten zwischen 6 und 80 % [20]. McKay und Mitarbeiter konnten 236 von 250 von ihnen behandelte Patienten mit distaler Radiusfraktur nachuntersuchen und fanden eine Komplikationsrate aus ärztlicher Sicht von 27 % (85 Komplikationen). 73,4 % der betroffenen 64 Patienten hatten eine, 20,3 % zwei und 6,3 % drei Komplikationen. Die Komplikationsrate korrelierte mit der Komplexizität der Versorgung, woraus zu schließen ist, dass sie auch mit der Schwere der Frakturen korrelierte. So wiesen Brüche, die einer alleinigen Ruhigstellung im Gipsverband bedurften, eine Komplikationsrate von 17 % auf, solche, die einer offenen Reposition und kombinierten internen und externen Stabilisation sowie Spongiosaplastik bedurften, eine Rate von 60 %. Im Gegensatz zur Komplikationsrate von 27 % aus ärztlicher Sicht, betrug die Komplikationsrate aus Patientensicht lediglich 21 %, wobei nur 7 % der betroffenen Patienten 2 Komplikationen beklagten und 93 % eine.

Die Analyse der PearlDiver-Datenbank mit über 1 Million distaler Radiusfrakturen, behandelt zwischen 2005 und 2014, ergab eine Gesamtkomplikationsrate von 8,3 % [3]. Mit 9,4 % war die Komplikationsrate bei operativer Therapie prozentual deutlich höher als bei konservativer mit 5,4 %. Alle Komplikationen – Pseudarthrosen, Infektionen, Sehnenrupturen, Kontrakturen, mechanische Probleme, komplexes regionales Schmerzsyndrom – bis auf die Ausheilung in Fehlstellung wurden nach operativer Behandlung signifikant häufiger beobachtet als nach nicht-operativer Behandlung. Nach Plattenosteosynthesen kam es in 2,73 % zu nicht weiter beschriebenen mechanischen Komplikationen durch die Platte, in 2,14 % zu tiefen und oberflächlichen Infektionen, in 0,96 % zu Kontrakturen, in 0,78 % zu einer Ausheilung der Fraktur in Fehlstellung und in 0,55 % zu Sehnenrupturen. Überraschend ist der Prozentsatz von 1,33 % ausgebliebener knöcherner Heilung nach Plattenosteosynthese. Auch wenn die Rate an Sehnenrupturen nach Plattenosteosynthesen mit 0,55 % nicht sehr hoch ist, so ist sie doch mehr als dreimal höher als nach konservativer Behandlung mit 0,16 %.

Während nach konservativer Behandlung fast ausnahmslos Rupturen der langen Daumenstrecksehne beobachtet werden, kommt es nach palmaren Plattenosteosynthesen sowohl zu Beuge- als auch Strecksehnenrupturen. Ursache für letztere sind dorsal überstehende Schrauben. Die Gefahr einer Beugesehnenruptur, betroffen ist vor allem die lange Daumenbeugesehne, aber auch tiefe und oberflächliche Fingerbeugesehnen sowie die FCR-Sehne, steigt, je weiter eine palmare Platte beugeseits der Watershedline positioniert ist [29]. Neuerdings gibt es palmare Platten mit einer rinnenförmigen Aussparung gelenknahe, sodass die lange Daumenbeugesehne durch diese Aussparung läuft und nicht mehr über die Plattenkante.

Ergebnisse

Die Ergebnisse nach distalen Radiusfrakturen im Kindesalter sind nahezu ausnahmslos sehr gut bis gut und dies unabhängig davon, ob Fehlstellung durch geschlossene Reposition korrigiert werden oder nicht. Bei der Entscheidung für oder gegen eine Reposition gilt es, entsprechend in erster Linie die noch vorhandene Remodellingkapazität zu berücksichtigen und weniger das Ausmaß der Fehlstellung, wobei Flexionsfrakturen schlechter korrigieren als Extensionsfrakturen.

Mehrere randomisierte Studien verglichen die Ergebnisse der Versorgung distaler Radiusfrakturen im Erwachsenenalter mittels winkelstabiler palmarer Plattenosteosynthese versus perkutaner K-Drahtspickung. Obwohl diese Studien erst in den letzten Jahren erfolgten, wurden leider in alle auch Patienten im höheren Lebensalter eingeschlossen, obwohl seit der Arbeit von Arora und Mitarbeiter bekannt ist, dass im höheren Lebensalter verbliebene Fehlstellungen oft gut toleriert werden. Eine Metaanalyse dieser Studien ergab, dass Patienten nach palmarer winkelstabiler Plattenosteosynthese 3 und 12 Monate postoperativ funktionell gering bessere Ergebnisse hatten gegenüber den Patienten mit K-Drahtspickung, wie der DASH-Score zeigte [8]. Der Unterschied war jedoch so gering, dass er nicht als klinisch relevant bewertet wurde. Auch hatten Patienten mit Plattenosteosynthese nach 3, jedoch nicht mehr nach 6 Monaten eine etwas bessere Flexion des Handgelenkes und eine bessere Supination. Die radiologischen Ergebnisse waren identisch. Patienten mit K-Drahtspickung wiesen eine höhere Rate an oberflächlichen Infekten auf.

Ergab die größte dieser Studien unter Verwendung des PRWE bereits weder nach 3, 6 und 12 Monaten klinisch relevante Unterschiede zwischen den zwei Behandlungsgruppen, so konnte in einer jüngst veröffentlichten Folgeuntersuchung nach 5 Jahren ebenfalls keine Unterschiede punkto Schmerzen, Handgelenksfunktion und Lebensqualität gefunden werden [11].

Mehrere Studien zeigten zwar radiologisch bessere Ergebnisse nach operativer, insbesondere plattenosteosynthetischer Versorgung distaler Radiusfrakturen bei Patienten über 65 Jahren im Vergleich zur konservativen Behandlung, ergaben jedoch trotz verbliebener Fehlstellungen keine wesentlichen funktionellen Unterschiede [2]. Jüngst wurde sogar in Frage gestellt, ob ältere Patienten von einer unter Anleitung durchgeführten krankengymnastischen Übungsbehandlung profitieren [9].

Auch wenn es bisher nicht gelungen ist zu zeigen, dass die aufwendige und kostenintensive plattenosteosynthetische Versorgung distaler Radiusfrakturen anderen Versorgungsmodalitäten punkto klinischem Ergebnis überlegen ist, sehen wir rückblickend auf mehr als 30 Jahre Behandlung distaler Radiusfrakturen und all den Wandel in dieser Zeit, Vorteile der Plattenosteosynthese. So kehren Berufstätige schneller in ihren Beruf zurück. Die Zahl an extraartikulären Radiuskorrekturosteotomien ist im eigenen Krankengut ebenso wie das Auftreten eines chronisch regionalen Schmerzsyndromes und sonstige Komplikationen durch K-Drähte deutlich rückläufig. Auch wenn es dies noch zu belegen gilt, ist es unser Eindruck, dass gerade Patienten mit komplexen intraartikulären Radiusfrakturen vom Typ C2 und mehr noch vom Typ C3 nach AO-Klassifikationen sowie Patienten mit Begleitverletzung von Plattenosteosynthesen profitieren.

Interessenkonflikt:

Keine angegeben

Literatur

1. Armstrong KA, von Schroeder HP, Baxter NN, Zhong T, Huang A, McCabe SJ: Stable rates of operative treatment of distal radius fractures in Ontario, Canada: a population-based retrospective cohort study (2004–2013). J Can Chir 2019; 62: 386–392

2. Arora R, Lutz M, Deml C, Krappinger D, Haug L, Gabl M: A prospective randomized trial comparing nonoperativ treatment with volar locking plate fixation for displaced and unstable distal radius fractures in patients sixty-five years of age or older. J Bone Joint Surg 2011; 93-A: 2146–2153

3. Azad A, Kang HP, Alluti RK, Vakhshori V, Kay HF, Ghiassi A: Epidemiological and treatment trends of distal radius fractures across multiple age groups. J Wrist Surg 2019; 8: 305–311

4. Bain GI, Alexander JJ, Eng K, Durrant A, Zustein MA: Ligament origins are preserved in distal radial intraarticular two-part fractures: A computed tomography-based study. J Wrist Surg 2013; 2: 255–262

5. Bain GI, MacLean SBM, McNaughton T, Williams R: Microstructure of the distal radius and its relevance to distal radius fractures. J Wrist Surg 2017; 6: 307–315

6. Bhashyam AR, Fernandez DL, Fernandez dell´Oca A, Jupiter JB: Dorsal Barton fracture is a variation of dorsal radiocarpal dislocation: a clinical study. J Hand Surg Eur Vol 2019; 44: 1065–1071

7. Brink PRG, Rikli DA: Four-corner concept: CT-based assessment of fracture patterns in distal radius. J Wrist Surg 2016; 5: 147–151

8. Chaudhry H, Kleinlugtenbelt YV, Mundi R, Ristevski B, Goslings CJ, Bhandari M: Are Volar Locking Plates Superior to Percutaneous K-wires for Distal Radius Fractures? A Meta-analysis. Clin Orthop Relat Res 2015; 473: 3017–3027

9. Chung K, Malay S, Shauver M et al.: The relationship between hand therapy and long-term outcomes after distal radius fracture in older adults: Evidence from the randomized wrist and radius injury surgical trial. Plast Reconst Surg 2019; 144: 230e–237e

10. Cole JR, Bindra RR, Evanoff BA, Gilula LA, Yamaguchi K, Gelberman RH: Radiographic evaluation of osseous displacements following intraarticular fracture of the distal radius: reliability of plain radiographs versus computed tomography. J Hand Surg 1997; 22A: 792–800

11. Costa ML, Achten J, Rangan A, Lamb SE, Parsons NR: Perctuaneous fixation with Kirschner wires versus volar locking-plate in adults with dorsally displaced fracture of distal radius: five-year follow-up of a randomized controlled trial. Bone Joint J 2019; 101-B: 978–983

12. Court-Brown CM: The epidemiology of fractures and dislocations. In: Court-Brown CM, Heckman JD, McQueen MM, Ricci WM, Tornetta P (eds.): Rockwood and Green’s Fractures in Adults. Vol 1. 8th ed. Philadelphia: Wolters Kluwer, 2015: 59–108

13. van Delft EAK, van Gelder TG, de Vries R, Vermeulen J, Bloemers FW: Duration of cast immobilisation in distal radius fractures: A systemativ review. J Wrist Surg 2019; 8: 430–438

14. Fernandez DL, Jupiter JB: Fractures of the distal radius: A practical approach to management. New York: Springer, 1996

15. Glickel SZ, Hinojoso L, Eden CM, Balutis E, Barron OA, Catalano LW 3rd: Predictive power odf distal radial metaphyseal tenderness for diagnosing occult fracture. J Hand Surg 2017; 42A: 835.e1–835.e4

16. Hegeman JH, Oskam J, van der Palen J, ten Duis HJ, Vierhout PAM: The distal radius fracture in elderly women and the bone mineral density of the lumbar spine and hip. J Hand Surg 2004; 29B: 473–476

17. Jayakumar P, Teunis T, Giménez BB, Verstreken F, Di Mascio L, Jupiter JB: AO distal radius fracture classification: Global perspective on observer agreement. J Wrist Surg 2017; 6: 46–53

18. Klempka A, Wagner M, Fodor S, Prommersberger KJ, Uder M, Schmitt R: Injuries of the scapholunate and lunotriquetral ligaments as well as the TFCC in intra-articular distal radius fractures. Prevalence assessed with MDCT arthrography. Eur Radiol 2016; 26: 722–732

19. Mack GR, McPherson SA, Lutz RB: Acute median neuropathy after wrist trauma. The role of emergent carpal tunnel release. Clin Orthop Relat Res 1994; 300: 141–146

20. McKay SD, MacDermid JC, Roth JH, Richards RS: Assessment of complications of distal radius fractures and development of a complication check list. J Hand Surg 2001; 26A: 916–922.

21. Medoff RJ, Kopylov P: Immediate internal fixation and motion of comminuted distal radius fractures using a new fragment specific system. Orthop Trans 1998; 22: 165

22. Orbay JL, Fernanez DL: Volar fixation for dorsally displaced fractures of the distal radius: a preliminary report. J Hand Surg 2002; 27A: 205–215

23. Pechlaner S: Die Hyperextensionsverletzung des Handgelenkes. Reinbeck: Einhorn-Presse Verlag, 1999

24. Pillukat T, van Schoonhoven J, Prommersberger KJ: Ist die Korrekturosteotomie der fehlverheilten distalen Radiusfraktur auch beim älteren Menschen indiziert? Handchir Mikrochir Plast Chir 2007; 39: 42–48

25. Prommersberger KJ, Schmitt R: Trauma des distalen Unterarmes. In: Schmitt R, Lanz U (Hrsg): Bildgebende Diagnostik der Hand. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 2015: 252–269

26. Rikli DA, Regazzoni P: Fractures of the distal end of the radius treated by internal fixation and early function. A preliminary report of 20 cases. J Bone j Surg 1996; 78-B: 588–592

27. Rozental TD, Bozentka DJ, Katz MA, Steinberg DR, Beredjiklian PK: Evaluation of the sigmoid notch with computed tomography following intra-articular distal radius fracture. J Hand Surg 2001; 26A: 244–251

28. Schädel-Höpfner M, Böhringer G, Gotzen L, Celik I: Traction radiography for the diagnosis of scapholunate tears. J Hand Surg 2005; 30B: 464–467

29. Soong M, Earp BE, Bishop G, Leung A, Blazar P: Volar locking plate implant prominence and flexor tendon rupture. J Bone Joint Surg 2011; 93-A: 328–335

30. Tolat AR, Stanley JK, Trail IA: A cadaveric study of the anatomy and stability of the distal radius in the coronal and transverse planes. J Hand Surg 1996; 21B: 587–594

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med.
Karl-Josef Prommersberger

Klinik für Handchirurgie

Rhön-Klinikum Campus Bad Neustadt

Von-Guttenberg-Straße 11

97616 Bad Neustadt a. d. Saale

josef.prommersberger@campus-nes.de

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8