Arzt und Recht - OUP 05/2023
Ein juristisches UpdateSchmerztherapie
Heiko Schott
Herrn Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jörg Jerosch in unvergessener Dankbarkeit für wertschätzende Förderung, Forderung, fachlichen Austausch, Diskussionen und langjährige Freundschaft
Die orthopädische Schmerztherapie ist Gegenstand alltäglichen Handelns in Praxis und Klinik. Im Hinblick auf die juristischen Ausgestaltungen ist sie insbesondere zu differenzieren bei akuten und chronischen Schmerzen sowie in den Bereichen der Regelversorgung und der privatversicherten Patientinnen und Patienten. Primär treten regelmäßig juristische Fragestellungen in Verfahren des Honorars, bzw. des Regresses und denen der zivilrechtlichen Haftung auf.
Im Folgenden wird der Blick auf 3 Beispiele aktueller Erkenntnisse und Entwicklungen gerichtet.
Schmerztherapie in der
Praxis/GOP 30700 EBM
Bereits in der Ausgabe OUP 9/19 wurde anhand eines aktuellen Urteils des Sozialgerichtes Stuttgart dargestellt, dass von einer KV-seitigen rechtsfehlerhaften Quotierung der GOP 30700 EBM ausgegangen wurde. Im Gegensatz zu den GOP 30702 und 30704 EBM unterliegt gerade die GOP 30700 EBM keiner Mengenbegrenzung und ist daher nicht auf die Fallzahlen beschränkt. Die GOP 30702 EBM beispielsweise stellt eine Zusatzpauschale dar, die nur in Ansatz gebracht werden kann, sofern überhaupt die Grundpauschale der GOP 30700 angefallen sei. Der durch die KV hierdurch gezogene Rückschluss allerdings kann nicht greifen; die GOP 30700 EBM kann auch anfallen, wenn die Zusatzpauschale nach GOP 30702 EBM nicht angefallen sei. Eine isolierte Beschränkung der GOP 30700 EBM ist daher gar nicht möglich.
Dieses Beispiel zeigt eindringlich, wie wichtig die genaue Lektüre der Honorarbescheide und/oder der Honorarberichtigungsbescheide ist, um negative Auswirkungen verhindern zu können, bzw. diese fristgerecht mit Rechtsmitteln anfechten zu können.
Schmerztherapie in der
Praxis/GOP 30724 EBM – Spinalnervenanalgesie
Die Spinalnervenanalgesie ist häufig zumindest eine Komponente einer Rückenschmerztherapie. Sie ist als solche in ein Regime verschiedener Maßnahmen eingebunden und aber auch an strenge Voraussetzungen gebunden.
Der Ansatz der Gebührenordnungsposition 30724 EBM ist regelmäßig Gegenstand abrechnungsspezifischer Streitigkeiten.
Hintergrund ist hierbei, dass diese GOP eine der Ausnahmen darstellt, bei der im EBM gerade nicht lediglich die Tätigkeit an der Patientin/am Patienten vergütet wird. Hier ist vielmehr die Dokumentation ebenfalls obligater Leistungsinhalt. Selbst bei fehlerfreier Leistungserbringung im Übrigen (Spinalnervenanalgesie unter EKG-Monitoring und Pulsoxymetrie) wird die Leistung nicht – auch nicht teilweise – vergütet, sofern nicht der vegetative Effekt mit Nachweis dokumentiert wird. Auf jeden Fall sollte neben der Sauerstoffsättigung und den EKG-Werten ebenfalls die seitenvergleichende Hauttemperaturmessung in Grad Celsius als vegetativer Effekt dokumentiert werden. Stellt sich ein vegetativer Effekt nicht ein, ist die GOP 30724 nicht ansetzbar.
In einem aktuellen Verfahren vor dem Sozialgericht Düsseldorf ist bei dieser Ziffer, was häufig übersehen wird, gerade streitgegenständlich, ob die allgemeinen Bestimmungen des EBM zusätzlich zu beachten sind, auch wenn die KV sich hierauf nicht beruft.
Konkret muss daher unbedingt darauf hingewiesen werden, dass gemäß Punkt 2.1.4 der allgemeinen Bestimmungen EBM eine zusätzliche Abrechnungsvoraussetzung für die GOP 30724 EBM auch die sogenannte Berichtspflicht ist. Hiernach hat der Behandelnde mindestens eine Befundkopie an den Hausarzt zu übermitteln. Wird dies unterlassen oder versäumt, findet eine Leistungsvergütung nicht statt, bzw. wird regressiert werden.
AWMF S3 – Leitlinie 001/025 in Version 4.1 –
Behandlung akuter
perioperativer und posttraumatischer Schmerzen
Insbesondere im Hinblick auf zivilrechtliche Haftungen ist es angezeigt, regelmäßig aktualisiert, Kenntnisse über bestehende Leit- und Richtlinien zu haben. Während Richtlinien, insbesondere die der Ärztekammern, des Gemeinsamen Bundesausschusses, des Paul-Ehrlich- oder des Robert-Koch-Institutes untergesetzliche Normen darstellen, die es zu beachten gilt, sind Leitlinien als Handlungs- und Entscheidungskorridore zu verstehen, von denen in begründeten Fällen abgewichen werden kann oder in Einzelfällen sogar muss.
Vor diesem Hintergrund ist mehr als erwähnenswert, dass die Leitlinie „Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen“, AWMF–Leitlinie 001/025, in der aktuellen Version 4.1 seit dem 13.12.2022 Geltung erlangt hat. Neben insbesondere für Kliniken relevanten Vorgaben zu prä-, intra- und postoperativer Schmerzmedikation sowie entsprechender Dokumentation und Aufklärung enthält die Leitlinie Informationen über konkrete Schmerzmedikationen, deren Ausschlüsse und Kombinationsmöglichkeiten. Wechselwirkungen, Nebenwirkungen und Kontraindikationen von NSAR und NOPA werden insbesondere in Kapitel 3.3.2.1, „Effektivität verschiedener Analgetika“, ausführlich erörtert, dargestellt und ausgewertet.
Es ist daher anzunehmen, dass die medikamentöse (Begleit-)Therapie auch in Fällen eines nicht operativ bedingten oder posttraumatischen Schmerzes an den Maßstäben, Vorgaben und Auswertungen dieser Leitlinie gemessen werden wird.
Haftungsrechtlich geht die Leitlinienwirkung daher über die reine, konkrete Thematik des perioperativen und posttraumatischen Schmerzes hinaus, da die in der Leitlinie dargestellten Erkenntnisse und Auswertungen bei nahezu jeglicher medikamentös veranlassten Schmerzreduktion anwendbar und zu beachten sein werden.
Bereits vor finalisierter Überarbeitung der Leitlinie hatte am 17. September 2020 der gemeinsame Bundesausschuss in seiner Pressemitteilung 47/2020 angekündigt, dass Krankenhäuser und Praxen zukünftig verpflichtet sein sollen, ein Konzept zum Akutmanagement als Bestandteil ihres internen Qualitätsmanagements einzuführen, beziehungsweise ein vorhandenes weiter zu entwickeln. Ziel ist es hierbei, nach Operationen eine individuelle und effektive Schmerztherapie für jede Patientin/jeden Patienten sicherzustellen. Auch die Politik hat sich diesem Thema somit verschrieben. Die Erfahrung hat gezeigt, dass GBA-Beschlüsse relativ zeitnahe Auswirkungen auf die tägliche Arbeit in Praxis und Klinik haben werden. Es steht zu erwarten, dass für Praxis und Klinik zur perioperativen Schmerztherapie zukünftig auch SOPs oder vergleichbare Verfahrensanweisungen gefordert werden werden.
Aus juristischer Sicht und Erfahrung kann die Kenntnis und Auseinandersetzung mit dieser Leitlinie aus den vorgenannten Gründen nur dringend jedem Arzt angeraten werden.
Fazit
Schmerztherapie ist medizinisch wie juristisch ständigem Wandel unterworfen.
Die aufgezeigten 3 Beispiele verdeutlichen diese stetige Veränderung von Anforderungen, Voraussetzungen und Modalitäten der Schmerztherapie und die Notwendigkeit der hiermit verbundenen Informationsverpflichtung. Die dichotome Motivation, einerseits das Beste in der Patientinnen-/Patientenversorgung zu verlangen und andererseits eingedenk bestehender Haftungsrisiken nicht selbstschädigend agieren zu wollen, bedingt für die Behandelnden die stetige Auseinandersetzung, sowohl in medizinischer als auch in juristischer Hinsicht.
Jörg Jerosch und ich haben genau diesen wechselseitigen Austausch in den letzten 20 Jahren immer sehr genossen und gewertschätzt. In stillem Gedenken.
Korrespondenzadresse
Rechtsanwalt Heiko Schott
Fachanwalt für Medizinrecht
Leithestraße 39
45886 Gelsenkirchen
mail@raschott.de
Heiko Schott: Kanzlei Schmelter & Schott, Gelsenkirchen
1 Vgl. Schott in OUP 2019, 9 (9–10)