Übersichtsarbeiten - OUP 10/2018

Evidenzen für schmerztherapeutische Interventionen an der Wirbelsäule
Auswirkungen auf deutsche und europäische LeitlinienEffects on German and European guidelines

Markus Schneider1

Zusammenfassung: Durch die Neufassungen von Leitlinien zur Versorgung des Kreuzschmerzes sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien wurden erstmals Interventionen beim spezifischen Kreuzschmerz in Form von epiduraler Injektion einer Nervenwurzel und Radiofrequenzläsionen an den Facettengelenken in den Blickpunkt des Interesses gerückt. Die Interventionen gibt es bereits seit 30–40 Jahren, dennoch unterlagen sie stets einer großen Diskussion über die Wertigkeit im Rahmen der Behandlung von Rücken- und Rücken-Beinschmerzen. In den letzten Jahren hat die entsprechende Forschung zugenommen, sowohl in der Quantität als auch in der Qualität; der vorliegende Artikel zitiert vor allem eine Veröffentlichung in den Niederlanden sowie Leitlinien aus den USA, beide überblicken Jahrzehnte von Forschungsergebnissen und Übersichtsarbeiten.

Insbesondere im Lumbalbereich wurde durch die britische Leitlinienkommission eine eindeutige Überlegenheit der Radiofrequenzläsion gegenüber anderen Therapien dargestellt. Dem folgen viele Krankenkassen in Form von IV-Verträgen, die diese Interventionen ihren Patienten ermöglichen. Dennoch ist die Kostenerstattung beim überwiegenden Teil der gesetzlich versicherten Patienten nicht geklärt. Die Frage wird gestellt, inwieweit die Vergütung dieser evidenten Leistungen in naher Zukunft allen gesetzlichen Versicherten zugutekommt.

Schlüsselwörter: Injektionen, spezifische Rückenschmerzen, Lumbalgie, Ischialgie, transforaminale Injektion, Facettenschmerz, Lumbalsyndrom, Radiofrequenz-Denervation,
Nervenverödung, Facettengelenke, Steroide, PRT,
rückenmarknahe Injektion, Nervenwurzeln, Leitlinien,
nationale Versorgungsleitlinien

Zitierweise
Schneider M: Evidenzen für schmerztherapeutische Interventionen an der Wirbelsäule. Auswirkungen auf deutsche und europäische Leitlinien.
OUP 2018; 7: 476–481 DOI 10.3238/oup.2018.0476–0481

Summary: Interventional pain procedures in back pain undergo a long history and as well controversial discussion among pain physicians. Within the last 15 years published data became better for cervical as for lumbar interventions. In 2016 this led to the acceptance and recommendation of transforaminal injections in sciatica as well as of radiofrequency denervation of the facet joints in chronic lumbar pain in the NICE Guidelines “lumbar pain and sciatica in over 16s” in the UK. Also German Guidelines mention this procedures in their last versions in 2017. The most important trials are shown, yet the question is whether reimbursement will follow the evidence outcomes and guidelines.

Keywords: spinal injection, low back pain, guidelines,
transforaminal, SIJ radiofrequency, denervation, medial branch block, facet joint, NICE, SIS

Citation
Schneider M: Evidence for spinal interventional procedures. Effects on German and European guidelines.
OUP 2018; 7: 476–481 DOI 10.3238/oup.2018.0476–0481

1 alphaMED, Bamberg

Schmerztherapeutische Injektionen im Rahmen eines multimodalen Behandlungskonzepts sind in Deutschland seit Jahren ein strittiges Thema. Vielfach haftet den interventionellen Schmerztherapeuten der Ruf des „Chronifizierers“ an, immer noch wird davon ausgegangen, dass 85 % aller chronischen Rückenschmerzen nicht spezifischen Ursprungs sind. Entsprechend fällt auch auf, dass die in Deutschland veröffentlichten Leitlinien streng diese beiden Entitäten spezifischer und nicht spezifischer Rückenschmerz unterscheiden.

Erstmals 2011 wurden in den Nationalen Versorgungsleitlinien für nicht spezifischen Kreuzschmerz [1] Therapien und Einteilungen durchgeführt. Unglücklicherweise lautete jedoch der Titel damals: Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz. Erst im Untertitel wurde darauf eingegangen, dass es sich um die Leitlinien für den nicht spezifischen Kreuzschmerz handelt. Dies hat zu Irritationen auch auf Seiten der Kostenträger geführt, da in diesen Leitlinien bei nicht spezifischem Kreuzschmerz die Injektionen keinen Stellenwert hatten, was ja unter der Ansicht richtig ist, dass ein Schmerzgenerator gefunden werden muss, um ihn mit Injektionen oder anderen Interventionen zu behandeln.

Entsprechend wurden dann auch mit dem Verweis auf diese Leitlinien die Honorare für Injektionen im Bereich der Behandlung des Rückenschmerzes zunehmend schlechter vergütet bzw. gestrichen.

Auch bei Betrachtung der Cochrane-Veröffentlichungen bis 2016 finden sich hier ungenügende Trennungen in spezifischen und nicht spezifischen Kreuzschmerz und entsprechend schlechte Evidenzen. In der letzten Cochrane-Veröffentlichung von Staal et al. [7] wird jedoch zumindestens darauf eingegangen, dass gewissen Untergruppen eine positive Antwort bei spezifischen Injektionstherapien zugesprochen werden kann.

Um nicht eine Vielzahl von Reviews zu zitieren, habe ich 2 grundlegende Arbeiten berücksichtigt: 2012 erschien in Buchform eine Arbeit mit dem Titel „Evidence-based interventional pain medicine“ vom niederländischen Autor van Zundert, die aus einem Manual in Niederländisch aus dem Jahr 2009 hervorging [8]. Es wurden hierbei europäische Literaturstellen und Methoden aufgegriffen, anschließend mit der angloamerikanischen Literatur verbunden und um Evidenzen ergänzt.

Die zweite Publikation ist die Leitlinie der American Society of Interventional Pain Physicians (ASIPP) aus dem Jahr 2013 [5]. Hier wurden auf 283 Seiten 2024 Literaturstellen von 1966–2012 betrachtet. Die Interventionen wurden nach zervikalen, thorakalen und lumbalen Schmerzen aufgegliedert und mit entsprechenden Evidenzgraden versehen. Näheres hierzu in Tabelle 1 und Tabelle 2 bezüglich der Halswirbelsäule.

Interventionen
an der Halswirbelsäule

Bei radikulären Symptomen der Halswirbelsäule unterscheidet man 2 Zugangswege, entweder den epidural transforaminalen Zugang von ventrolateral oder den interlaminären epiduralen Zugang von dorsal. Während der transforaminale Zugang bis vor wenigen Jahren von verschiedenen Fachgesellschaften propagiert wurde, zeigte sich im Rahmen der Zunahme von Interventionen bei dieser Technik besonders in den USA, dass es immer wieder zu erheblichen schwerwiegenden Komplikationen mit Hemi- und Paraplegien sowie auch zu Todesfällen kam. Nach einem Treffen im November 2014 unter Federführung der FDA wurde ein Dokument erstellt [9], das auf die Literatur und die beschriebenen Zwischenfälle eingeht. Es wurde zwar nicht generell von den zervikalen transforaminalen Injektionen abgeraten, jedoch sollte die Indikation hierfür eng gestellt werden und auf jeden Fall mit einem nicht kristallinen Kortikoid durchgeführt werden, da dies in allen Fällen mit schwerwiegenden Komplikationen verwendet wurde und man davon ausgeht, dass bei kristallinen Steroiden die Gefahr eines spinalen Infarkts besonders hoch ist.

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