Übersichtsarbeiten - OUP 10/2018
Evidenzen für schmerztherapeutische Interventionen an der WirbelsäuleAuswirkungen auf deutsche und europäische LeitlinienEffects on German and European guidelines
Es ist zu unterscheiden, ob die Leitlinien – wie besonders in den USA – von Fachgesellschaften erstellt wurden oder von übergeordneten, z.T. staatlichen Institutionen. Während in den USA die Leitlinien der SIS oder auch der ASIPP in früheren Jahren schon die Anwendung von Injektionen der spezifischen Rückenschmerzen unterstützten, waren die offiziellen fachübergreifenden Leitlinien eher zurückhaltend. Sowohl in den erstmalig publizierten Guidelines des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) als auch in den zuvor zitierten Leitlinien zum nicht spezifischen Kreuzschmerz sowie in den Cochrane-Reviews waren Empfehlungen zur Injektion eher zurückhaltend. Dies änderte sich, als Ende 2016 in Großbritannien die Leitlinien für Low Back Pain überarbeitet wurden. Hier wurde ausdrücklich auch der radikuläre Schmerz mit in die Leitlinie einbezogen. In den aktuellen Guidelines des NICE [10] wird sowohl bei der radikulären lumbalen Symptomatik eine epidurale Steroidinjektion auf dem transforaminalen Weg empfohlen als auch eine Radiofrequenz des lumbalen Facettengelenks nach vorherigem Block. Es wird hier auf die Leitlinien der SIS verwiesen.
Ein Beispiel für die statistische Arbeit der Arbeitsgruppe unter Berücksichtigung der Effektstärke (Cohens d) zeigt Abbildung 4 für kurzfristige und langfristige lumbale Schmerzen.
Ein Jahr später erschienen dann in Deutschland die Leitlinien für den spezifischen Kreuzschmerz [1], die leider keine lumbalen Radikulopathien berücksichtigte. In Deutschland brachte diese Leitlinie aus interventioneller Sicht erstmals die Neuerung, dass der Facettenschmerz bei lumbalem Rückenschmerz von bis zu 44 % in einer Leitlinie anerkannt wurde und darüber hinaus auch nach einer entsprechenden Blockade des medialen Astes die Radiofrequenzbehandlung der Facettengelenke lumbal empfohlen wurde. Bezüglich der lumbalen Wurzelreizsyndrome wurde auf die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie verwiesen, welche die epidurale Injektion zumindest anspricht, auch wenn sie sich auf sehr alte Literatur bezieht. Somit gibt es seit wenigen Monaten eine Leitlinie, welche interventionelle Techniken in Form von Blocks und Radiofrequenz-Ablation eindeutig beinhaltet. Bedarf besteht noch an einer eindeutigen Versorgungsleitlinie für die lumbalen Radikulopathien, die bisher nur von einer Fachgesellschaft publiziert wurde. Es ist jedoch geplant, sie in einer Neuauflage der Leitlinien zum spezifischen Kreuzschmerz zu implementieren. Ob die guten Evidenzen der transforaminalen Injektion darin Einzug halten, wird sich herausstellen.
Bezüglich der Radikulopathien an der Halswirbelsäule möchte ich kurz die im Dezember 2017 herausgegebene Leitlinie der DGN zur zervikalen Radikulopathie [11] ansprechen. Auch hier wird festgestellt, dass die periradikuläre Infiltrationstherapie zur Schmerzreduktion in Erwägung gezogen werden kann, gemäß den internationalen Standards wird festgehalten, dass partikelhaltige Steroide aufgrund der höheren Gefahr schwerwiegender Komplikationen nicht zur Anwendung kommen sollen. Nicht ganz im Einklang mit den internationalen Statements ist jedoch die Empfehlung des transforaminalen Zugangs anstatt des interlaminären Zugangs.
Aktuelle Vergütungssituation im deutschen EBM und
Forderungen an die Kassen
Injektionen im Wirbelsäulenbereich sind nur im Ausnahmefall Bestandteil der Vergütung im Rahmen der gesetzlichen Krankenkassen. Sämtliche nervennahen Injektionen, insbesondere die epiduralen Injektionen, sind aufgrund des Off-label-Status von Cortison von der Vergütung ausgeschlossen. Dieses wurde von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung im Herbst 2013 eindeutig festgelegt [12].
Zwar gibt es im EBM die GOP 34503, mit der bildwandlergestützten Interventionen an der Wirbelsäule vergütet werden, da jedoch hier nach internationalen Leitlinien der mediale Ast adressiert wird, ist dies streng genommen ebenfalls ein Off-label-Use. Im Rahmen der orthopädischen Schmerztherapie ist diese auch im Röntgenbudget erhalten und somit bei Weitem nicht kostendeckend.
Besonders schwierig wird es bei der Radiofrequenzdenervation, hier gab es bis zum Beschluss 290 des Bewertungsausschusses zum 1. April 2013 eine adäquate Abrechnungsziffer, die jedoch streng genommen die offene Radiofrequenzintervention abdeckte. Diese wurde im ambulanten Bereich ersatzlos gestrichen, aufgrund strenger MDK-Prüfungen ist auch die Radiofrequenzbehandlung im stationären Bereich in den allermeisten Fällen nicht abbildbar.
Dies wurde wohl in einigen Vorstandsetagen besonders von Betriebskrankenkassen als problematisch gesehen, und so gibt es eine Vielzahl von meist regionalen integrierten Versorgungsverträgen, in denen diese Kosten entweder offiziell als Vertrag oder inoffiziell durch interne Absprachen bei Krankenkassen vergütet werden.
Dennoch sollte darauf hingearbeitet werden, dass eine Therapiemöglichkeit für alle gesetzlich Versicherten in Deutschland möglich ist, derzeit sind eher kleinere und wohlhabendere gesetzliche Krankenkassen in eine extra budgetierten Vergütung eingebunden. Damit es nicht wieder zu einer erheblichen Mengenausweitung kommt, ist zu überlegen, ob man eine spezielle Zertifizierung einführt, wie beispielsweise in der Schweiz für interventionell arbeitende Schmerztherapeuten.
Zusammenfassung
In vielen Arbeiten wurde besonders von Arbeitsgruppen interventionell arbeitender Schmerztherapeuten weltweit dargelegt, dass gute Studien, z.T. randomisiert und kontrolliert, Patienten gut geholfen werden kann, bei denen ein Schmerzgenerator gefunden wird.
Dennoch muss betont werden, dass auch bei mäßig chronifizierten Patienten mit identifizierbarem Schmerzgenerator das biopsychosoziale Schmerzmodell nicht unberücksichtigt bleiben darf. Trotzdem kann man sich in Deutschland des Eindrucks nicht erwehren, dass viele multimodal arbeitende Abteilungen gut aufgestellt sind durch Schmerztherapeuten, Physiotherapeuten und Psychologin/Psychotherapeuten. In den wenigsten Fällen steht hier gleichberechtigt ein interventioneller Schmerztherapeut zur Seite.
Ganz anders sieht dies in Großbritannien aus, hier gibt es knapp 30 Schmerzzentren, in den einträchtig Schmerzmediziner, Physiotherapeuten, Psychotherapeuten und interventionelle Schmerztherapeuten nebeneinander arbeiten, entsprechend sind auch die Leitlinien der British Pain Society bzw. der zitierten NICE-Leitlinien.
In Deutschland hat die interventionelle Schmerztherapie erst in den letzten 2 Jahren in den Leitlinien zum spezifischen Rückenschmerz Einzug gehalten, es bleibt abzuwarten, ob durch diese Leitlinien der Druck auf die Krankenkassen zur Honorierung erhöht werden kann. Bereits heute zeigt sich eine zunehmende Bereitschaft, im Erstattungsverfahren, in Einzelfallentscheidung oder durch IV-Verträge besonders einiger Betriebskrankenkassen den Patienten zu helfen. Die Zukunft wird zeigen, ob in diesem Bereich Geld der (evidenten) Leistung folgt.