Übersichtsarbeiten - OUP 02/2023
Frakturen des oberen SprunggelenkesAnfängeroperation oder doch Komplexeingriff?
Zum besseren Verständnis der Frakturmorphologie und -entstehung eignet sich die Lauge-Hansen-Klassifikation, welche sich an der Richtung der einwirkenden Kraft und der Fußstellung zum Unfallzeitpunkt orientiert. Allerdings können zwischen 5 und 17 % der Frakturen mit ihr nicht erfasst werden [7, 8].
Die aktuelle AO- (Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen) Klassifikation unterscheidet insgesamt 27 Frakturtypen in 3 an die Weber-Denis-Klassifikation angelehnten Subkategorien und adressiert somit sowohl Pathologien des Innenknöchels als auch der Syndesmose (Abb. 2A) [9].
Begleitet werden Frakturen des Außenknöchels, je nach Mechanismus in 30 % der Fälle von Innenknöchelfrakturen und/oder Frakturen der Tibiahinterkante (sog. Volkmanndreieck) [1]. Umgangssprachlich wird hier häufig von uni-, bi- und tri-maleolaren Frakturen gesprochen, wobei die Tibiahinterkante hierbei fälschlicherweise als „dritter Maleolus“ deklariert wird.
Eine Sonderform stellt die hohe Fibulafraktur, die sog. Maisonneuve-Fraktur dar. Diese Kombinationsverletzung besteht aus der Fraktur des Innenknöchels oder Deltabandruptur, Ruptur der Syndesmose und Ruptur der Membrana interossea mit Ausleitung der einwirkenden Kraft und konsekutiver Fraktur der Fibula auf Schafthöhe oder im proximalen Drittel. Weitere Sonderformen stellen knöcherne Avulsionen (Ausrisse) der Syndesmose aus der Fibula (Wagstaffe-Fragment) oder aus der Tibia (Tubercule de Tillaux-Chaput) dar.
Indikationsstellung
Entscheidend für die Therapieplanung ist die Stabilitätsbeurteilung der Maleolengabel einerseits und der Dislokationsgrad der Fraktur anderseits.
Das Ziel einer operativen Versorgung sollte eine möglichst exakte anatomische Wiederherstellung der Gelenkkongruenz und die Durchführbarkeit einer frühfunktionellen Nachbehandlung sein.
Für infrasyndesmale Frakturen im Sinne eines knöchernen Bandausrisses, welche als stabile Frakturen gewertet werden können, sind stets eine konservative Behandlung mit Sprunggelenkorthese unter schmerzadaptierter Vollbelastung und freifunktioneller Nachbehandlung wie bei Außenbandrupturen ausreichend.
Bei Frakturen auf Höhe der Syndesmose und größeren infrasyndesmalen Frakturen, im Sinne von Weber A- oder B-Frakturen, wird zwischen stabilen, nicht dislozierten und instabilen, dislozierten Frakturen unterschieden. Liegt eine Dislokation unter 2 mm ohne ligamentäre Begleitverletzungen vor, kann eine konservative Therapie durch Ruhigstellung in einer Unterschenkelgipsschiene oder Orthese erfolgen. Nach 2 Wochen Ent- oder Teil-Belastung kann die Mobilisation in einer Gehschiene bzw. Orthese für weitere 4 Wochen angeschlossen werden. Eine Röntgenkontrolle ist nach 1, 2 und 6 Wochen zu empfehlen.
Suprasyndesmale Frakturen vom Typ Weber C sollten aufgrund der vorhandenen Instabilität der Maleolengabel stets einer operativen Versorgung zugeführt werden.
Bei instabilen oder dislozierten Frakturen erfolgt die operative Versorgung entweder innerhalb der ersten 6 Stunden durch eine interne Osteosynthese oder nach Abschwellen der Weichteile im Verlauf von ca. 4–7 Tagen nach temporärer Ruhigstellung in einer Unterschenkelgipsschiene.
Bei stark dislozierten Frakturen, ausgeprägter Instabilität oder Luxationen sollte umgehend die offene Reposition und Osteosynthese, allerdings nur bei geeigneten Weichteilen, oder alternativ die geschlossene Reposition und Stabilisierung mittels gelenküberbrückenden Fixateur Externe erfolgen. Im Zweifel sollte dem Fixateur stets der Vorzug gegeben werden, da postoperative Weichteilkomplikationen am Sprunggelenk sehr schwer zu beherrschen sind. Nach Konsolidierung der Weichteile erfolgt der Verfahrenswechsel mit definitiver interner Stabilisierung [10].
Bei instabilen Frakturen müssen Rupturen der Syndesmose oder des Deltabandes geprüft und wenn möglich durch Nähte und ggf. zusätzliche Augmente adressiert werden, wobei diesbezüglich unterschiedliche Techniken und Materialien verfügbar sind. Die Stabilisierung der Syndesmose kann technisch durch die direkte Naht, augmentierende Naht oder indirekt auch eine Stellschraubenfixierung bzw. weniger rigide durch Fadensysteme mit knöcherner Verankerung (bspw. TightRope®) realisiert werden. Die alleinige Naht sollte nicht mehr erfolgen, da sie alleine nur eine ungenügende biomechanische Stabilität bietet. Daher sollte neben der Stellschrauben-Osteosynthese die transossäre Verankerung ggf. in Kombination mit direkten Syndesmosen-Nähten erfolgen. Eine additive Osteosynthese der begleitenden Fibulaschaft- oder proximalen Fibulafraktur muss in aller Regel nicht durchgeführt werden.
Besonderes Augenmerk verdient der geriatrische Patient. Die Therapieziele unterscheiden sich nicht grundsätzlich von jungen aktiven Patientinnen und Patienten. Jedoch sollte kritisch hinterfragt werden, ob diese realistisch sind oder ob Kompromisse eingegangen werden müssen. Einfluss auf die Therapieentscheidung haben neben Komorbiditäten die Knochenqualität, Compliance und der Weichteilzustand. Eine Hilfe zur Entscheidungsfindung von konservativer Behandlung bis hin zur unkonventionellen Hybridversorgung bietet der Algorithmus von Pichl et al. [11].
OP-Technik
Die operative Stabilisierung kann sehr gut in Rückenlage unter Allgemein- oder Leitungsanästhesie erfolgen. Die Verwendung einer Blutsperre obliegt den Vorlieben des Operateurs. Der Hautschnitt hat entsprechend der Frakturhöhe längsverlaufend zu erfolgen mit Präparation in die Tiefe unter Schonung der Peronealsehnen, des Nervus peroneus superficialis ventral und des Nervus suralis dorsal. Die Osteosynthese erfolgt üblicherweise bei Supinations-Eversions-Verletzungen durch anatomische Reposition und interfragmentäre Kompressionsschraube (wenn möglich orthogonal zum Frakturspalt). Eine vorherige Einsicht in das Gelenk mit Spülung ist wünschenswert. Additiv wird eine Neutralisationsplatte, meist mittels kostengünstiger Drittelrohrplatte, implantiert. Bei mehrfragmentären Frakturen und schlechter Knochenqualität kann unter Rekonstruktion von Achse, Länge und Torsion eine winkelstabile Osteosynthese mit anatomischen Formplatten oder LCP-Platten durchgeführt werden.
Innenknöchelfrakturen können in der Regel nach Reposition über 2 eingebrachte K-Drähte mit kanülierten Teil- oder Vollgewindeschrauben stabilisiert werden. Bei kleinen, schaligen Fragmenten ist eine einzelne Schraube und ein Kirschnerdraht zur Rotationssicherung ausreichend. Alternativ kann eine Zuggurtung oder mediale Abstützplatte verwendet werden. Entscheidend ist hierbei die exakte Rekonstruktion der tibiotalaren Gelenkfläche.
Frakturen des hinteren Volkmann-Dreiecks im Sinne von knöchernen Syndesmosen-Ausrissen sollten unabhängig von der betroffenen Gelenkfläche bei Dislokation > 2 mm nach Osteosynthese der Fibula und des Innenknöchels stabilisiert werden [12, 13]. Dies ist bspw. von ventral durch indirekte Zugschraubenosteosynthesen möglich. Hierbei kann eine zunächst länger gewählte Teilgewindeschraube mit dem Seitenschneider eingekürzt werden, um den Frakturspalt sicher zu überbrücken und um dann eine suffiziente Kompression ausüben zu können. Sollte eine geschlossene Reposition bspw. aufgrund von Interponaten nicht gelingen, ist die offene Reposition mit direkter Einsicht notwendig. Diese ist entweder durch die Fibulafraktur hindurch (technisch nicht einfach) oder von postero-medial (mit dem Nachteil einer größeren Inzision) möglich. Alternativ kann eine direkte Verschraubung oder Plattenosteosynthese von dorsal durchgeführt werden. Die sichere offene Reposition ist gegenüber einer unsicheren bzw. qualitativ eingeschränkten Reposition der Syndesmose der Vorzug zu geben [12].