Übersichtsarbeiten - OUP 09/2012
Gibt es eine akzeptierte untere Altersgrenze für die Implantation
einer inversen Schulterendoprothese? Ein systematischer Review Is there an accepted minimum patient age to implant a reverse shoulder prosthesis? A systemati
Die 19 analysierten Artikel wurden zwischen 2005 und 2011 in den beiden genannten Fachjournalen veröffentlicht. Die Studien stammten mehrheitlich aus den USA, Frankreich und der Schweiz. Kumulativ enthielten die 19 Studien 1169 Fälle, hierbei betrug der Mittelwert der Fallzahl pro Studie knapp 62 Fälle. Der Median lag bei 51 Fällen, das Minimum bei 11, das Maximum bei 240 Fällen. In 15 Arbeiten wurde die primäre Implantation einer inversen Schulter-endoprothese beschrieben. In 4 Studien erfolgte die Implantation einer inversen Schulterendoprothese mehrheitlich als Revisionsimplantat. Zwei Studien waren Multicenterstudien (s. Tab. 1).
Mittleres Alter
Der Mittelwert des mittleren Alters der Patienten aller Arbeiten betrug 71,3 Jahre, der Median lag bei 71 Jahren, das Minimum lag bei 62 Jahren, das Maximum bei 81 Jahren. In einer Studie war das mittlere Alter nicht angegeben [8].
Mindestalter
Der Mittelwert des Mindestalters der Patienten aller Arbeiten lag bei 48,9 Jahren. Das minimale Mindestalter lag bei 34 Jahren, das maximale Mindestalter bei 65 Jahren. In 2 Studien lagen keine Angaben zum Mindestalter vor [8, 16].
Diskussion
Aus der hier vorliegenden Literaturanalyse war keine Studie erkenntlich, in dem die Auswirkung des Patientenalters auf das postoperative Ergebnis nach Implantation einer inversen Schulterendoprothese analysiert wurde. In allen Studien wurden Ausnahmen gemacht hinsichtlich der traditionellen Empfehlung, inverse Schulterendoprothesen nicht bei Patienten unter 70 Jahren zu implantieren. Beispielhaft kann hier die Multicenterstudie von Guery et al. angeführt werden, in der die untere Altersgrenze von 70 Jahren explizit empfohlen wird, der jüngste Patient aber 58 Jahre alt ist [5]. Es ist davon auszugehen, dass hier Abwägungen in Einzelfällen zu Gunsten der kurz- oder mittelfristigen Wiederherstellung einer ausreichenden Schulterfunktion aber zuungunsten der eigentlich breit im Schrifttum akzeptierten Altersgrenze erfolgten. Nur in einer Studie wurde eine untere Altersgrenze definiert und dann auch tatsächlich eingehalten. Entgegen den allgemeinen Empfehlungen der Literatur wurde diese untere Altersgrenze aber bei 65 Jahren gesetzt [22] und entsprach somit nicht der traditionell empfohlenen Altersgrenze von 70 Jahren [5].
Die eigene Arbeit hat einige methodische Schwächen. Es wurde nur die Untergrenze betrachtet, die tatsächliche Anzahl jüngerer Patienten im Vergleich zum Gesamtkollektiv der jeweiligen Studie wurde nicht berücksichtigt, da diese aus den analysierten Studien nicht ermittelbar waren. Somit ist nicht ganz sicher, ob die Implantation einer inversen Schulterendoprothese eine relative Ausnahmesituation ist oder ob dies ein inzwischen häufigeres Vorgehen ist. Ein weiterer möglicher Kritikpunkt kann sein, dass hier nur 2 Fachjournale in die Auswertung einbezogen wurden. Dies geschah deswegen, um die Praxis der Meinungsführer zu beleuchten, die regelhaft in diesen beiden führenden Journalen veröffentlichen. Diese Meinungsführer proklamieren im Prinzip auch die Altersgrenze von 70 Jahren.
Aus diesem systematischem Review lässt sich schließen, dass trotz der in der Literatur mehrfach genannten Altersempfehlung von 70 Jahren aufwärts für die Implantation einer inversen Schul-terendoprothese dies regelhaft nicht eingehalten wird. Der Evidenzgrad der traditionellen Altersempfehlung ist aber gering und hat lediglich den Grad einer Expertenmeinung bzw. Expertenempfehlung. Passend hierzu liegt auch im Bericht des australischen Endoprothesenregisters von 2011 mit 2740 Fällen das Mindestalter bei 32 Jahren [23]. Die bereits veröffentlichte Literatur spricht weder für noch wider diese Praxis, da nach Kenntnis der Autoren bislang keine Arbeiten vorliegen, die explizit das Patientenalter mit dem postoperativen Ergebnis, dem Auftreten von Komplikationen oder dem Langzeitergebnis in Beziehung setzen. Wenn bei jungen Patienten unter 70 Jahren eine inverse Schulterendoprothese implantiert wird, sollte die fehlende Datenlage bei der Indikationsstellung und der Aufklärung offen berücksichtigt und mit dem Patienten diskutiert werden, da sie der traditionellen Expertenmeinung nicht entspricht (s. Abb. 1 und 2). Ob ein jüngeres Patientenalter einen Risikofaktor für eine Lockerung oder ein anderweitiges Versagen einer inversen Schulterendoprothese darstellt, ist bislang nicht abschließend geklärt.
Korrespondenzadresse
PD Dr. med. Marius von Knoch
Klinik für Orthopädie und
Endoprothetik, Schulterzentrum
Klinikum Bremerhaven
Reinkenheide gGmbH
Postbrookstraße 103
27574 Bremerhaven
mariusvonknoch@yahoo.com
Literatur
1. Werner CM, Steinmann PA, Gilbart M et al., Treatment of painful pseudoparesis due to irreparable rotator cuff dysfunction with the Delta III reverse-ball-and-socket total shoulder prosthesis. J Bone Joint Surg Am. 2005; 87: 1476–1486.
2. Favard L, Levigne C, Nerot C et al., Reverse prostheses in arthropathies with cuff tear: are survivorship and function maintained over time? Clin Orthop Relat Res. 2011; 469: 2469–2475.
3. Lenarz C, Shishani Y, McCrum C, et al., Is reverse shoulder arthroplasty appropriate for the treatment of fractures in the older patient? Early observations. Clin Orthop Relat Res. 2011; 469: 3324–3331.
4. Flury MP, Frey P, Goldhahn J, Reverse shoulder arthroplasty as a salvage procedure for failed conventional shoulder replacement due to cuff failure – midterm results. Int Orthop. 2011; 35: 53–60.
5. Guery J, Favard L, Sirveaux F et al., Reverse total shoulder arthroplasty. Survivorship analysis of eighty replacements followed for five to ten years. J Bone Joint Surg Am. 2006; 88: 1742–1747.
einer inversen Schulterendoprothese? Ein systematischer Review
Die 19 analysierten Artikel wurden zwischen 2005 und 2011 in den beiden genannten Fachjournalen veröffentlicht. Die Studien stammten mehrheitlich aus den USA, Frankreich und der Schweiz. Kumulativ enthielten die 19 Studien 1169 Fälle, hierbei betrug der Mittelwert der Fallzahl pro Studie knapp 62 Fälle. Der Median lag bei 51 Fällen, das Minimum bei 11, das Maximum bei 240 Fällen. In 15 Arbeiten wurde die primäre Implantation einer inversen Schulter-endoprothese beschrieben. In 4 Studien erfolgte die Implantation einer inversen Schulterendoprothese mehrheitlich als Revisionsimplantat. Zwei Studien waren Multicenterstudien (s. Tab. 1).
Mittleres Alter
Der Mittelwert des mittleren Alters der Patienten aller Arbeiten betrug 71,3 Jahre, der Median lag bei 71 Jahren, das Minimum lag bei 62 Jahren, das Maximum bei 81 Jahren. In einer Studie war das mittlere Alter nicht angegeben [8].
Mindestalter
Der Mittelwert des Mindestalters der Patienten aller Arbeiten lag bei 48,9 Jahren. Das minimale Mindestalter lag bei 34 Jahren, das maximale Mindestalter bei 65 Jahren. In 2 Studien lagen keine Angaben zum Mindestalter vor [8, 16].
Diskussion
Aus der hier vorliegenden Literaturanalyse war keine Studie erkenntlich, in dem die Auswirkung des Patientenalters auf das postoperative Ergebnis nach Implantation einer inversen Schulterendoprothese analysiert wurde. In allen Studien wurden Ausnahmen gemacht hinsichtlich der traditionellen Empfehlung, inverse Schulterendoprothesen nicht bei Patienten unter 70 Jahren zu implantieren. Beispielhaft kann hier die Multicenterstudie von Guery et al. angeführt werden, in der die untere Altersgrenze von 70 Jahren explizit empfohlen wird, der jüngste Patient aber 58 Jahre alt ist [5]. Es ist davon auszugehen, dass hier Abwägungen in Einzelfällen zu Gunsten der kurz- oder mittelfristigen Wiederherstellung einer ausreichenden Schulterfunktion aber zuungunsten der eigentlich breit im Schrifttum akzeptierten Altersgrenze erfolgten. Nur in einer Studie wurde eine untere Altersgrenze definiert und dann auch tatsächlich eingehalten. Entgegen den allgemeinen Empfehlungen der Literatur wurde diese untere Altersgrenze aber bei 65 Jahren gesetzt [22] und entsprach somit nicht der traditionell empfohlenen Altersgrenze von 70 Jahren [5].
Die eigene Arbeit hat einige methodische Schwächen. Es wurde nur die Untergrenze betrachtet, die tatsächliche Anzahl jüngerer Patienten im Vergleich zum Gesamtkollektiv der jeweiligen Studie wurde nicht berücksichtigt, da diese aus den analysierten Studien nicht ermittelbar waren. Somit ist nicht ganz sicher, ob die Implantation einer inversen Schulterendoprothese eine relative Ausnahmesituation ist oder ob dies ein inzwischen häufigeres Vorgehen ist. Ein weiterer möglicher Kritikpunkt kann sein, dass hier nur 2 Fachjournale in die Auswertung einbezogen wurden. Dies geschah deswegen, um die Praxis der Meinungsführer zu beleuchten, die regelhaft in diesen beiden führenden Journalen veröffentlichen. Diese Meinungsführer proklamieren im Prinzip auch die Altersgrenze von 70 Jahren.
Aus diesem systematischem Review lässt sich schließen, dass trotz der in der Literatur mehrfach genannten Altersempfehlung von 70 Jahren aufwärts für die Implantation einer inversen Schul-terendoprothese dies regelhaft nicht eingehalten wird. Der Evidenzgrad der traditionellen Altersempfehlung ist aber gering und hat lediglich den Grad einer Expertenmeinung bzw. Expertenempfehlung. Passend hierzu liegt auch im Bericht des australischen Endoprothesenregisters von 2011 mit 2740 Fällen das Mindestalter bei 32 Jahren [23]. Die bereits veröffentlichte Literatur spricht weder für noch wider diese Praxis, da nach Kenntnis der Autoren bislang keine Arbeiten vorliegen, die explizit das Patientenalter mit dem postoperativen Ergebnis, dem Auftreten von Komplikationen oder dem Langzeitergebnis in Beziehung setzen. Wenn bei jungen Patienten unter 70 Jahren eine inverse Schulterendoprothese implantiert wird, sollte die fehlende Datenlage bei der Indikationsstellung und der Aufklärung offen berücksichtigt und mit dem Patienten diskutiert werden, da sie der traditionellen Expertenmeinung nicht entspricht (s. Abb. 1 und 2). Ob ein jüngeres Patientenalter einen Risikofaktor für eine Lockerung oder ein anderweitiges Versagen einer inversen Schulterendoprothese darstellt, ist bislang nicht abschließend geklärt.
Korrespondenzadresse
PD Dr. med. Marius von Knoch
Klinik für Orthopädie und
Endoprothetik, Schulterzentrum
Klinikum Bremerhaven
Reinkenheide gGmbH
Postbrookstraße 103
27574 Bremerhaven
mariusvonknoch@yahoo.com
Literatur
1. Werner CM, Steinmann PA, Gilbart M et al., Treatment of painful pseudoparesis due to irreparable rotator cuff dysfunction with the Delta III reverse-ball-and-socket total shoulder prosthesis. J Bone Joint Surg Am. 2005; 87: 1476–1486.
2. Favard L, Levigne C, Nerot C et al., Reverse prostheses in arthropathies with cuff tear: are survivorship and function maintained over time? Clin Orthop Relat Res. 2011; 469: 2469–2475.
3. Lenarz C, Shishani Y, McCrum C, et al., Is reverse shoulder arthroplasty appropriate for the treatment of fractures in the older patient? Early observations. Clin Orthop Relat Res. 2011; 469: 3324–3331.
4. Flury MP, Frey P, Goldhahn J, Reverse shoulder arthroplasty as a salvage procedure for failed conventional shoulder replacement due to cuff failure – midterm results. Int Orthop. 2011; 35: 53–60.
5. Guery J, Favard L, Sirveaux F et al., Reverse total shoulder arthroplasty. Survivorship analysis of eighty replacements followed for five to ten years. J Bone Joint Surg Am. 2006; 88: 1742–1747.