Übersichtsarbeiten - OUP 07/2019
Hüftendoprothese beim jungen Patienten
Auf den ersten Blick mag man annehmen, dass Kurzschaftsysteme aufgrund der kurzen Verankerungsstrecke eine geringere Primärstabiliät aufweisen. Bei dieser Betrachtung gilt es, schenkelhalsresezierende und schenkelhalsteilerhaltende Schäfte zu differenzieren. Schenkelhalsresezierende Schäfte verhalten sich grundsätzlich wie Standardschäfte und definieren sich über ihren Verankerungsmodus im Femurschaft. Schenkelhalsteilerhaltende Schäfte hingegen nutzen den Schenkelhals mit für die Verankerung. Dies führt zu einer posterior-anterior-posterioren (PAP) Verankerung unter Einbeziehung des Schenkelhalses (Abb. 3). Im Gegensatz zu einem Gradschaftsystem sichert dies nicht nur eine axiale Primärstabilität, sondern dies erhöht auch zusätzlich eine primäre Rotationsstabilität [6, 29]. Drosos und Touzopoulos untersuchten die Primärstabilität von Kurzschäften anhand eines systematischen Literaturreviews [16]. Es fanden sich hierbei vornehmlich Arbeiten für die schenkelhalsteilerhaltenden Prothesen. Die Autoren zeigten, dass die Primärstabilitäten bei dieser Art der Kurzschäfte vergleichbar sind zu der Stabilität von Standardschäften. Ferguson et al. untersuchten in einer randomisierten Studie 26 Patienten mit einem Kurzschaft (Minihip, Corin) und 23 Patienten mit einen Standardschaft (Metafix, Merete) mitttels einer radiostereometrischen Analyse (RSA). Nach 2 Jahren zeigten die Patienten mit der Minihip-Kurzschaftprothese im Vergleich zu denen mit der konventionellen Metafix-Prothese eine signifikant geringere Subsidence (inferiore Migration) [19].
Untersuchungen mittels Doppelröntgenabsorptiometrie (dual energy X-ray absorptiometry, DEXA) zeigen, dass der größte Umbau nach einer zementfreien Hüftprothesenimplantation in den ersten 3–6 Monaten nach der Operation stattfindet und nach einem Jahr ein Plateau erreicht wird [40, 41]. In den folgenden 1–2 Jahren erfolgen langsame Anpassungen. Auch der schenkelhalsteilerhaltende Minihip-Schaft zeigt in den ersten 3–6 Monaten eine proximal betonte Knochendichteminderung, die allerdings geringer ausfällt als bei den Standardschäften. Im Weiteren kommt es dann zu einer Konsolidierung der periprothetischen Knochendichte [18]. Der periprothetische Knochendichteverlust in den ersten 6 Monaten deckt sich mit Ergebnissen anderer Studien [2, 12, 22, 39, 41, 46, 52]. Den im Vergleich zu den Standardschäften geringeren, moderaten Knochendichteverlust in den proximalen Gruen-Regionen nach einem Jahr bestätigen neben Untersuchungen zur Minihip [18] auch Studien anderer schenkelhalsteilerhaltender Kurzschäfte wie die Metha-Kurzschaftprothese [8, 41]. Ebenfalls gute Ergebnisse zeigt die Nanos-Kurzschaftprothese (Smith & Nephew) [8, 22]. Aus der Gruppe der schenkelhalsteilerhaltenden Kurzschaftprothesensysteme schert lediglich der CFP-Schaft (Link) mit Knochendichteverlusten von über 30 % in der Gruen-Zone 7 aus [39]. Eine Besonderheit dieser Prothese ist ein Kragen als Halsauflage, der laut Produktbeschreibung der Einleitung physiologischer Druckkräfte in das Femur dienen soll. Hier scheint es, dass die Idee einer physiologischen Krafteinleitung über eine Halsauflage nicht richtig bzw. noch nicht ausgereift ist. Die positiven Entwicklungen, die nach 12 Monaten beim Minihip-Schaft zu erkennen waren [18], setzten sich nach 5 Jahren weiter fort. Im Bereich des Trochanter major (Gruen 1) zeigte sich weiterhin eine Zunahme des BMD, also ein Knochenaufbau. Am Trochanterminor (Gruen 6) hingegen ein weiterer, allerdings minimaler Verlust (Abb. 4).
Klinische Daten
Capone et al. untersuchten einen Kurzschaft (Nanos, Smith & Nephew) bei Patienten mit einer Osteonekrose im Alter von 60 Jahren oder jünger nach 3–10 Jahren [10]. Im gesamten Zeitraum zeigte sich eine signifikante Verbesserung im WOMAC-, UCLA- und Harris-Hip-Score. Zum Zeitpunkt der letzten Untersuchung zeigte sich keine Osteolyse oder eine Revision. In einer prospektiven Studie untersuchten wir 186 Patienten, die eine schenkelhalsteilerhaltende Kurzschaftprothese (Minihip, Corin) erhielten. Es fand sich keine Begrenzung hinsichtlich des Alters der Patienten, die im Mittel 59 Jahre alt waren [58]. Der mittlere Nachuntersuchungszeitraum betrug knapp 10 Jahre. Präoperativ und postoperativ zeigten die jährlichen Nachuntersuchungen im Oxford-Hip-Score (OHS) und im Hip-Dysfunction-Osteoarthritis-and-Outcome-Score (HOOS) eine signifikante Verbesserung mit exzellenten Werten. Von Jahr zu Jahr blieben diese guten klinischen Ergebnisse konstant. Die standardisierten Beckenübersichts- und axialen Röntgenaufnahmen der betroffenen Hüften zeigten bis auf einen Fall mit einem asymptomatischen Patienten kein proximales Stress-Shielding der femoralen Komponente. Diese Subgruppenanalysen zeigten keine signifikanten Unterschiede bezüglich des Alters, der Ätiologie, der Hüfterkrankung oder der Gleitpaarung. Zum Zeitpunkt der letzten Nachuntersuchung wurden 2 femorale Komponenten aufgrund einer symptomatischen Sinterung revidiert. Dieses erfolgte 4 und 12 Monate postoperativ. In Anbetracht dieser beiden frühen Revisionen ergibt sich eine Überlebensrate für aseptische Lockerungen nach 10 Jahren von 98,7 %.
Schlussfolgerung
Das Konzept der schenkelhalsteilerhaltenden Kurzschäfte scheint auch für junge Patienten reliabel. Trotz des Monoblock-Designs, das die ansonsten gar nicht so seltenen Konusbrüche sicher vermeidet, erlaubt das Top-down-Konzept eine vergleichsweise sichere und genaue Rekonstruktion der Gelenkgeometrie. Anhand der RSA-Messungen zeigt sich im Vergleich zu den Standardschäften eine hohe Primärstabilität. Anhand der Dexa-Messungen und der röntgenologischen Verlaufsuntersuchungen zeigt sich gegenüber den Standardschäften eine dauerhafte und physiologische Krafteinleitung. Der vergleichsweise ungünstige Knochenabbau in den proximalen Gruen-Zonen ist damit deutlich reduziert. Entsprechend der guten osteologischen Eigenschaften und der Ergebnisse zur Gelenkgeometrie ist das kurzzeitige, aber auch langfristige Outcome einschließlich der Langzeitüberlebensraten überzeugend. Moderne, individuell schenkelhalsteilerhaltende Kurzschaftprothesen sind daher zur Versorgung insbesondere von jungen, aber auch älterer Patienten geeignet.
Interessenkonflikte:
Die Autoren weisen auf folgende Beziehung hin: LVvE erhielt Aufwandsentschädigungen für Vorträge und Instruktionskurse von der Firma Corin. JJ erhält Beraterhonorare von den Firmen Corin und Implantcast.