Übersichtsarbeiten - OUP 06/2021
Hüftendoprothetik bei entzündlich rheumatischer Gelenkdestruktion
Die Operationsprinzipien der hüftendoprothetischen Versorgung bei der Rheumatoiden Arthritis unterscheiden sich von denen bei der primären Coxarthrose nicht grundlegend. Aber es sind einige wesentliche Besonderheiten zu berücksichtigen.
Präoperative Vorbereitung
In der Vorbereitung zur Operation ist die aktuelle DMARD-Medikation des Patienten unbedingt zu berücksichtigen. Eine Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) berücksichtigt die aktuelle Literatur [15]: Vor der Implantation einer Hüftendoprothese sollten alle TNF-? Antagonisten 2 Halbwertszeiten pausiert werden. Bei Abatacept, Tocilizumab und Rituximab sollte die Operation am Ende des Intervalls erfolgen. Leflunomid sollte aufgrund des hohen Risikos einer Wundheilungsstörung mittels Cholestyramin ausgewaschen werden. Die Anwendung von Methotrexat und Glukokortikoiden kann perioperativ in unveränderter Dosierung fortgesetzt werden.
In vielen Fällen besteht eine entzündungsbedingte Anämie, die durch einen Eisenmangel verstärkt sein kann. Der Eisenmangel sollte präoperativ ausgeglichen werden. Erythropoietin wird als präoperative Medikation diskutiert, um postoperative Bluttransfusionen zu vermeiden oder zu vermindern.
Präoperative Planung
Der Standard für die Prothesenplanung ist die tiefe Beckenübersichtsaufnahme mit Eichkugel sowie eine Aufnahme nach Lauenstein. Bei ausgedehnten knöchernen Defekten ist die ergänzende Computertomographie (CT) hilfreich, um eine dreidimensionale Darstellung der Knochendefekte zu erreichen. Das Ziel des endoprothetischen Gelenkersatzes ist die Rekonstruktion der individuellen Anatomie unter Berücksichtigung der femoralen und azetabulären Offsets sowie der Beinlänge. Es kann unter Umständen nützlich sein, eine geringer betroffene Gegenseite als Maßstab zu benutzen.
Sehr hilfreich zur Beurteilung der Knochenmasse ist die präoperative Knochendichtemessung in DXA-Technik und ggf. die Einleitung einer spezifischen anti-osteoporotischen Therapie nach aktueller DVO-Leitlinie [16]. Aktuelle Studien verdeutlichen, dass auch bei Patienten mit einer RA, genauso wie in der Allgemeinbevölkerung, eine Osteoporose unterdiagnostiziert und unterbehandelt ist [17]. Gerade im Fall einer elektiven Operation kann eine präoperative Therapie bereits innerhalb von wenigen Monaten zu einer signifikanten Verbesserung der Knochenqualität führen. Dies gilt insbesondere in Anbetracht der wachsenden Anzahl an hochpotenter anti-osteoporotischer Medikamente [18].
Intraoperative Besonderheiten
Das rheumatisch destruierte Gelenk bietet besondere Herausforderungen durch Knochendefekte, Malposition/Malformation der Gelenkkörper und die Osteopenie. Die Verankerung von Prothesenschaft und -pfanne ist aufgrund der häufig deutlich komprimierten Knochenstabilität schwieriger und fordert ggf. zusätzliche Maßnahmen. Pfannenprotrusion und Frakturen des Pfannenbodens erschweren die korrekte Positionierung des Pfannenimplantates. Insgesamt sollte daher bei der RA die Indikation zum endoprothetischen Gelenkersatz frühzeitig gestellt werden, um Situationen mit ausgedehnten Destruktionen zu vermeiden. Schonende und knochensparende Präparationtechnik ist selbstverständlich, bei der RA aber noch einmal bedeutungsvoller, weil es sich vielfach um junge Patienten handelt, die noch eine Wechseloperation zu erwarten haben. Es gilt somit bei der Erstversorgung eine lange Standzeit mit geringem Knochenverbrauch zu erreichen.
Knochenstruktur/Osteopenie
Die verminderte mechanische Knochenqualität bei der Rheumatoiden Arthritis ist als wesentliche Herausforderung bei der Implantation einer Hüftendoprothese anzusehen. Im Falle einer juvenilen RA und Sekundärarthrose im frühen Erwachsenalter findet sich häufig nur eine geringe Verminderung der Knochendichte, nach langjährigem Erkrankungsverlauf und vor allem langjähriger Kortisontherapie kann diese jedoch zu schweren Formen einer Osteoporose führen [19]. Rheumapatienten zeigen auch eine erhöhte Anzahl an hüftgelenksnahen Frakturen verglichen zur Normalbevölkerung [20].
Pfannenrekonstruktion
Am Azetabulum des rheumatisch destruierten Gelenks findet sich häufig eine Schwächung des dorsalen Pfannenrands und eine Steilstellung der Pfanneneingangsebene, vergleichbar mit einer schweren Dysplasiecoxarthrose [21]. Eine Protrusion des Azetabulums medialisiert das Drehzentrum und vermindert das physiologische Offset [22]. Dann kann die Rekonstruktion des ursprünglichen Drehzentrums und die gewünschte Inklination der Pfanne in 40°–45° eine Herausforderung sein. Die Eingangsöffnung zur Pfanne ist manchmal kleiner als der tiefere Pfannendurchmesser (Abb. 7).
Folgende Ziele sind zu erreichen:
Korrektur der Pfanneneingangsebene
Wiederherstellung des azetabulären Drehzentrums
Stabilisation des Pfannenbodens und Wiederherstellung eines tragfähigen Pfannenlagers
Neben der generellen Knochendichtemessung finden sich insbesondere bei der Protrusionsform und der Destruktionsform eine lokal stark erhöhte Knochenresorption bedingt durch die Osteoklasten-Aktivierung. Dies muss insbesondere bei der Pfannenpräperation beachtet werden, um eine zu tiefe Fräsung oder eine Azetabulumfraktur beim Einschlagen einer Press-Fit Pfanne zu vermeiden.
Bei kleineren Pfannendefekten und bei moderater Protrusion kann es ausreichen, eine Pfannenbodenplastik mittels autologer Knochenspongiosa aus dem resezierten Hüftkopf durchzuführen, bei größeren Defekten unter Hinzunahme von allogener gefriergetrockneter Knochenspongiosa [23, 24]. Größere Stücke von 8–10 mm zeigen ein bessere Integration als Knochenmehl [25, 26] . Zudem sollten fettige Anteile möglichst entfernt werden, weil sie das Verwachsen der Transplantatspongiosa bremsen. Möglich ist die Auffüllung mittels Spongiosa bei intaktem Pfannenboden. Bei ausgeprägten Formen der Protrusion ist auch die Verwendung von autologen oder allogenen Knochenscheiben möglich, die den Raum zwischen letzter Fräsung und Azetabulumgrund ausfüllen [27]. In jedem Fall sollte der Pfannenrand bei der Fräsung erhalten bleiben. Für die meisten Press-Fit Pfannen ist ein Implantat-Knochen-Kontakt von 60 % notwendig, um eine primärstabile Verankerung zu erreichen. Dies gelingt in der Primärsituation bei der RA in der Regel.
Für größere kavitäre Defekte eignet sich die Einteilung nach Paprosky, wie sie für die Revisionssituation verwendet wird [29]. Bei segmentalem Defekt der Hauptbelastungszone am dorsokranialen Pfannenrand, die bei der rheumatischen Destruktion häufiger vorkommt, kann die Verwendung von metallischen Augmenten (Wedges) sinnvoll sein, um das Rotationszentrum zu kaudalisieren (Abb. 9). Solange die anteriore und posteriore Wand erhalten ist, zeigten auch bei größeren kavitären Defekten Pfannen aus trabekulärem Metall gute Ergebnisse [30]. Bei großen zentralen sowie dorsokranialen Pfannenranddefekten sind in der Regel strukturelle metallische Augmente notwendig. Es kommen hochporöse Pressfitpfannen zur Anwendung, welche unter das metallische Augment eingebracht werden können [31–33]. Hiermit kann das Rotationszentrum anatomisch rekonstruiert werden. Bei noch ausgedehnteren Defekten kann womöglich kein stabiles Implantat-Knochen-Interface mit Pressfitpfannen erzielt werden. In diesem Fall muss eine Abstützschale mit zusätzlichem Pfannenaufbau mittels allogener Knochenspongiosa verwendet werden. Ebenso kommen Pfannendachschalen bei größeren Pfannenbodenperforationen oder bei Azetabulum-Frakturen mit Beckendiskontinuität zur Anwendung [34]. Diese Situationen sind in der Primärversorgung eher eine Ausnahme.