Übersichtsarbeiten - OUP 03/2020
Indikationen und Technik einer kombinierten MPFL- und Trochleaplastik
In Beugegraden über 30° ist die Kniescheibe überwiegend durch die knöcherne Gleitrinne der Trochlea geführt. In den strecknahen Positionen – bis 30° Beugung – wird die Kniescheibe sowohl knöchern von der Trochlea als auch weichteilig vom medialen patellofemoralen Ligament (MPFL) geführt [2]. Bei der Trochleadysplasie ist die femorale Gleitrinne abgeflacht und medialisiert, die laterale Trochleafacette ist häufig flach oder konvex ausgebildet (Abb. 1). Damit erniedrigt sich die Steigung der lateralen Trochlea, sodass die stabilisierende Funktion der lateralen Trochleafacette ausbleibt. Aus diesem Grund gilt die Trochleadysplasie als der wesentliche prädisponierende Faktor für eine patellofemorale Instabilität [3]. Somit ist es nicht verwunderlich, dass diese knöcherne Formstörung bei Patienten mit einer Instabilität mit einer Häufigkeit von bis zu 85 % und in der Normalbevölkerung mit einer Häufigkeit von weniger als 3 % gefunden wird [11]. Im Rahmen der Erstluxation zeigt sich in bis zu 96 % eine Ruptur des medialen patellofemoralen Ligamentes (MPFL) [26]. Somit finden sich im Anschluss an eine Erstluxation häufig chronische Schäden des Bandhalteapparates mit nachfolgenden Luxationsereignissen sowie anhaltenden Instabilitätsbeschwerden [2, 26]. Somit ist die weichteilige Stabilisierung sicherlich eine logische Konsequenz. Allerdings ist beim gleichzeitigen Vorliegen einer höhergradigen Trochleadysplasie eine isolierte MPFL-Plastik kritisch zu sehen. Zwar hält man den Eingriff vergleichsweise “klein”, die Ergebnisse sind aber enttäuschend. So belegen ausreichend Studien, dass ein isoliertes MPFL-Wiederanheften oder eine MPFL-Rekonstruktion bei Vorliegen einer höhergradigen Dysplasie einen schlechten klinischen Outcome sowie ein nahezu 50 %iges Risiko für eine wiederkehrende Instabilität mit erneuten Luxationsereignissen nach sich zieht [4, 25, 46]. Aber auch ohne Rezidivluxation sind solche Patienten unzufrieden. So zeigt eine Metaanalyse zum isolierten MPFL-Ersatz mit über 25 Studien bei 32 % der Patienten anhaltende Instabilitätsbeschwerden mit einem weiterhin positiven Apprehensiontest, anhaltende Schmerzen usw. [34]. Daneben ist auch an die Gefahr fortschreitender degenerativer Gelenkschäden zu denken. So ist bekannt, dass Trochleadysplasien als Hauptursache femuropatellarer Arthrosen, die häufig prothesenpflichtig werden, anzusehen sind [16, 20, 32, 41]. Dem stehen die unzweideutig guten Ergebnisse, insbesondere für den Kombinationseingriff einer Trochlea- und MPFL-Plastik mit 0 % Reluxationsraten, im Prinzip durchweg negativen klinischen Untersuchungsbefunden für eine Instabilität und nahezu normalisierten Outcome-Scores wie bspw. einem Kujala Score von 88–96 von zu erreichenden 100 Punkten gegenüber [5, 7, 23, 44]. Die guten Ergebnisse für eine zusätzlich zur Trochleaplastik durchgeführten MPFL-Plastik sind unseres Erachtens nicht erstaunlich. So kommt es durch eine effektiv durchgeführte Trochleaplastik zu einer Verlagerung des Patellalaufes nach medial und dorsal (Abb. 2). Diese Korrektur der mechanischen Position nach medial und dorsal konnte anhand von CT -Untersuchungen einer Serie von Patienten nach Trochleaplastik vergleichsweise genau nachgewiesen werden [14]. Somit erscheint die MPFL-Plastik nicht nur zur weichteiligen Reparatur des gerissenen bzw. insuffizienten Bandes, sondern auch in Folge knöchern korrigierter Gelenkgeometrie erforderlich. Letztlich führt die medialisierte und dorsalisierte Patellaposition zu einer Erschlaffung der medialen Bandstrukturen, die eine Neueinstellung bzw. Balancierung des Weichteilalignements erfordert (Abb. 2).
Neben den Schäden des Bandapparates und der Trochleadysplasie sind aber auch weitere anlagebedingte, oft auch gemeinsam auftretende Störungen der knöchernen Konstitution bei der Entstehung einer chronischen Instabilität zu beachten und ggf. zu adressieren. Hinsichtlich relevanter Achs- und Rotationsfehler ist hier insbesondere der femorale Antetorsionswinkel zwischen Schenkelhalsachse und der Tangente der Hinterkante der Femurkondylen (Norm: bis ca. 20°) von praktischem Interesse. In diesen Fällen mit einer vermehrten Antetorsion ist bspw. eine derotierende Osteotomie wiederum in Kombination mit einer MPFL-Plastik ein sinnvolles und mittlerweile auch nachgewiesen erfolgreiches Verfahren [24]. Vergleichsweise selten kann auch eine vermehrte Tibiatorsion, die als Winkel zwischen den beiden längsten Linien durch das Tibiaplateau oberhalb des Fibulaköpfchens und auf Höhe des Pilon tibiale gemessen werden kann (Norm: < 40°), eine Lateralisierung der Patella nach sich ziehen. Weitere zu beachtende und häufig assoziiert auftretende konstitutionelle Faktoren sind ein möglicher Patellahochstand, der bspw. anhand des Insall-Salvati-Index (Norm 0,8–1,2) beschrieben werden kann, sowie der Abstand zwischen der Tuberositas tibiae und der Trochleagrube (TT-TG) (Norm < 20 mm). Bezüglich eines erweiterten TT-TG, der teilweise mit einer Trochleadysplasie assoziiert auftritt, sollte angemerkt werden, dass dieser Befund im Rahmen einer Trochleaplastik mit einer ein wenig vermehrt lateralisiert durchgeführten Korrektur der asymmetrischen Trochleafacetten vergleichsweise sicher adressiert und damit korrigiert werden kann. Diese Möglichkeit, einen erweiterten TT-TG zu verbessern, wurde sowohl für die Technik einer Trochleaplastik nach Dejour als auch für die Technik nach Bereiter beschrieben [10, 15, 44]. Ebenso zeigt eine CT Studie von Fucentese et al. eine messbare und adäquate Lateralisierung der Trochleagrube nach Trochleaplastik [14]. Dieser Aspekt sollte uns bei der Entscheidung einer evtl. zusätzlich sinnvoll erscheinenden Tuberositasosteotomie bewusst sein.
Indikation anhand klinischer und bildgebender Befunde
Die gebräuchlichste bildgebende Einteilung der Trochleadysplasie geht auf Dejour et al. zurück und unterteilt die Schweregrade in die Typen A–D, welche am besten auf transversalen MRT- oder CT-Schichten zu beurteilen sind [11]. Entscheidend für eine sinnvolle Beurteilung ist, dass ausschließlich die obersten Schichten der Trochlea zur Beurteilung herangezogen werden (Abb. 1, rote Kreise). Betrachtet man hingegen die Notch-nahen Schichten der Trochlea, so wird man regelmäßig fehlerhafte Ergebnisse mit falsch negativen Befunden erzielen. Dies ist nach unserer Erfahrung ein häufiger Fehler bei der Beurteilung der MRT Bilder, der die Gefahr einer fehlerhaften Aufklärung und dann logischerweise die Gefahr einer fehlerhaften Therapieentscheidung des Patienten in sich birgt. Lippacher und Dejour haben gezeigt, dass die Inter-Observer Reliabilität bei der Klassifikation nach Dejour hoch ist. Deshalb reicht im klinischen Alltag die Differenzierung einer leichten (Typ A) und einer schweren Dysplasie (Typ B-D) [18]. Diese einfache Differenzierung in eine leichte und eine schwere Dysplasie ist im Alltag realistisch umsetzbar. Die schweren Formen bedürfen bei einer entsprechenden klinischen Korrelation (s.u.) der knöchernen Korrektur. Darüber hinaus sind im MRT bei einer Instabilität der Patella die meist an der femoralen Insertion zu beobachtenden frischen oder chronischen MPFL-Schäden und insbesondere die wiederum recht häufigen Knorpelschäden vergleichsweise sicher diagnostizierbar [26, 43]. Ein besonderes Problem stellen die Fälle mit einer Trochleadysplasie und höhergradigen Knorpelschäden des Retropatellargelenkes beim jungen Patienten dar. Unseres Erachtens ist gerade in solchen Fällen die Trochleaplastik essentiell, um rasch fortschreitende degenerative Gelenkschäden aufzuhalten. Dennoch haben wir auch in diesen Fällen, sofern die Knorpelschäden mit entsprechenden Knorpelmatrixverfahren versorgt wurden, ausgesprochen gute klinische Erfahrungen sammeln können.