Übersichtsarbeiten - OUP 03/2020
Indikationen und Technik einer kombinierten MPFL- und Trochleaplastik
Klinisch sind nach den ersten orientierenden Untersuchungen v.a. spezifische Funktionstests in verschiedenen Beugegraden wesentlich, um die Indikation zu einer kombinierten Trochlea- und MPFL-Plastik zu sichern. Zunächst beginnen wir die Untersuchung mit ersten orientierenden Befunden. Bittet man den Patienten um ein Austrecken des hängenden Beines, gewinnt man einen ersten Eindruck zum Patella-Alignment. Gleitet die Patella kurz vor dem Erreichen der vollen Streckung ähnlich zu einem umgedrehten J von der normalerweise geraden Strecke nach außen ab, so gilt das J-Sign als positiv. Diesem orientierenden, vergleichsweise unspezifischen Zeichen sollten genauere Stabilitätsprüfungen folgen. So lässt sich der Einfluss einer Instabilität der medialen Bandstrukturen sowie der Trochleadysplasie durch eine passive Lateralisation der Patella in verschiedenen Beugegraden am locker hängenden Bein gut überprüfen. Die Patella sollte bei dieser Untersuchung zwischen 20° und 30° Flexion nicht mehr als die Hälfte ihrer Breite lateralisierbar sein [38]. Liegt neben einem insuffizienten MPFL eine Trochleadysplasie vor, so ist die Translation nach lateral nicht nur in strecknahen Positionen, sondern auch bei leicht vermehrten Beugegraden zwischen 30° und 60° erhöht. Die Apprehensiontests sind sehr geeignet, um eine weichteilige sowie knöcherne Instabilität der Patella zu beurteilen. Bewegt man das Knie von der Streckung in eine Beugung von maximal 30° und zeigt der Patient unter leichter Lateralisation der Patella eine Abwehrreaktion, die bspw. in der Mimik v.a. aber in einer vermehrten Muskelspannung ersichtlich ist, so gilt der Test als positiv. Neben dem weichteiligen Apprehensiontest in strecknahen Positionen ist dann der knöcherne Apprehensiontest bei höheren Beugegraden, in denen die Stabilität v.a. durch die Trochlea gesichert wird, wichtig. Ist der Apprehensiontest somit bei Beugegraden zwischen 30 und 60° positiv, so deutet dies auf eine zusätzliche Insuffizienz der knöchernen Führung. Neben der häufigen Trochleadysplasie kann allerdings auch ein höhergradiger Rotationsfehler zugrunde liegen. Als zweiten Schritt mögen wir besonders den sog. “Moving patellar Apprehensiontest nach Ahmad“. Dieser Test lässt sich gut nach dem weichteiligen und knöchernen Apprehensiontest beurteilen, da er nun die Abwehrreaktion in den verschiedenen Beugegraden vermindert. Hierzu wird die Kniescheibe beim Durchbewegen durch den Zeigefinger nach medial translatiert bzw. gehalten. Die Testung gilt als positiv, wenn die zuvor beobachtete Apprehension Symptomatik durch eine simulierte Stabilisierung der Kniescheibe abgeschwächt wird. Ahmad zeigte, dass dieser zusätzliche Test eine vergleichsweise hohe Sensitivität, aber auch eine hohe Spezifität bei der Diagnostik der Patellainstabilität aufweist [1]. Sind die knöchernen Stabilitäts- und Apprehensiontests positiv und finden sich korrespondierende MR- oder Röntgen-Befunde einer schweren Dysplasie, also Typ B-D nach Dejour, deutet dies auf die Notwendigkeit einer knöchernen Containment-Anpassung hin.
Wichtig ist zudem die Beurteilung bzw. der Ausschluss möglicher Achs- und Rotationsfehler. Hierzu erheben wir bevorzugt Befunde im Stehen und in Bauchlage. Im Fall einer vermehrten femoralen Antetorsion zeigt sich im Stehen eine vermehrte Innenrotationsstellung des Femurs mit einer nach innen gerichteten Kniescheibe, der sog. schielenden Patella. Wichtig für eine Beurteilung ist dabei, dass die Füße parallel nach vorne gerichtet sind. Bei einer Valgusstellung zeigt sich ein erhöhter Q-Winkel zwischen der Oberschenkelachse und der Verbindungslinie zwischen der Patella und der Tuberositas tibiae. Die Beurteilung der tibialen Rotation erfolgt durch eine Beurteilung der Fußstellung bei beidseits nach vorne gerichteter Tuberositas tibiae. Zeigen hierbei ein Fuß oder beide Füße vermehrt nach außen, so sollte die eher seltene vermehrte tibiale Außentorsion abgeklärt werden. Zuletzt werden mögliche Rotationsfehler in Bauchlage in 90° Knieflexion beurteilt. Bei der Messung der maximalen Hüftinnen- und Hüftaußenrotation zeigt sich bei einer Coxa antetorta nicht selten eine überhöhte (> 65°) Außen- sowie und eine stark verminderte (< 30°) Innenrotation [37]. Auch der Winkel zwischen Oberschenkel und Fußachse kann auf etwaige Rotationsfehler hinweisen. Sollte sich anhand der klinischen Untersuchung ein Verdacht auf einen tibialen und/oder femoralen Rotationsfehler oder eine höhergradige Valgusstellung zeigen, erachten wir Ganzbeinaufnahmen und ggf. ein Rotations-MRT als sinnvoll.
Unsere Technik –
was ist uns wichtig, was sagt die Literatur?
Unsere Technik erfolgt sowohl bei der Rekonstruktion des MPFL als auch bei der Trochleaplastik ohne Verwendung von Knochenankern. Als Zugang nutzen wir einen kurzen medialen parapatellaren Zugang, der ausgehend vom unteren Teil der medialen Patellakante ca. 2 cm oberhalb des medialen Patellaoberrandes endet. Neben einer guten Exposition der medialen Patellakante ist hiermit auch eine übersichtliche Darstellung der Trochlea möglich (Abb. 3a, 3b) [44]. Betrachtet man die Literatur, so ist dieser Zugang ungewöhnlich. Alle Autoren, die eine Trochleaplastik nach Bereiter verwenden, wählen einen lateralen parapatellaren Zugang [5, 15, 21, 23, 29, 40, 45]. Im Gegensatz dazu wird bei der Methode nach Dejour ein modifizierter medialer Vastuszugang genutzt. Hierbei werden Fasern des M. vastus medialis auf ca. 4 cm in den Muskelbauch durchtrennt [10]. Auch dieser Zugang erscheint uns nicht so praktikabel wie ein medialer parapatellarer Zugang. Die muskelschonende Eröffnung der Vastusfaszie und die Möglichkeit, die Inzision im Bereich der Quadrizepssehne zu verlängern, erlaubt stets eine ausreichend übersichtliche Darstellung der Trochlea, sowohl im proximalen Bereich als auch im distalen Abschnitt direkt oberhalb der Notch (Abb. 3b). Bei der Darstellung der medialen Patellakante kann ein verbleibender Gewebestumpf für die Kapselnaht sicher belassen werden. Die Anlage des von uns empfohlenen V-förmigen Bohrkanales (s.u.) zum Durchzug des MPFL-Transplantates ist kein Problem (Abb. 3a). Darüber hinaus bietet sich ein optimaler Zugang zur medialen nach kaudal ziehenden Kapsel, bis hin zur femoralen MPFL-Insertion. Hier kann ein Gewebetunnel für den Weg des MPFL-Transplantates zur femoralen MPFL-Insertion schonend und sicher zwischen den beiden Kapselblättern präpariert werden (Abb. 3c). Nachdem die beiden Kapselblätter vernäht worden sind, liegt das eingespannte Transplantat sicher zwischen beiden Kapselblättern, ohne ein Shaving-Phänomen zu verursachen. Zudem kann die Sehne des Musculus vastus medialis beim Kapselverschluss obliquus je nach Bedarf gerafft werden. Im Gegensatz zu anderen Zugängen ist eine ausgedehnte Hautmobilisation vom lateral parapatellaren Zugang hin zur medialen Patella oder ein zweiter Hautschnitt nicht nötig, um das MPFL zu rekonstruieren. Ein weiterer Vorteil ist, sofern im Verlauf bspw. die Implantation eines Gelenkersatzes nötig sein sollte, dass dieselbe Inzision in verlängerter Form für die Implantation verwendet werden kann. Hier wären zwei alte Inzisionen, zum einem an der medialen Patella und zum anderen lateral parapatellar, hinsichtlich der Wundheilung ungünstig. Letztlich sehen wir für den kombinierten Eingriff mit dem medialen Zugang viele logische Vorteile. In diesem Zusammenhang sind arthroskopische Techniken einer Trochleaplastik bspw. hinsichtlich des kosmetischen Ergebnisses sicherlich ein Thema [6]. Wir sind der Meinung, dass uns bei den arthroskopischen Trochleaplastiken die wichtige palpatorische Komponente zur Einschätzung der Plastizität und zum schonenden Anmodellieren und Anpressen des osteochondralen Lappens fehlt. Hinsichtlich der kosmetischen Ergebnisse haben wir in einer unserer Fallserien die Patientenzufriedenheit nach etwas mehr als 2 Jahren nach der offenen Trochleaplastik evaluiert. Hiernach wurde das kosmetische Ergebnis als sehr zufriedenstellend bewertet. Entsprechend unserer Befragungen waren weder das Selbstbewusstsein, noch die Kleiderwahl im Anschluss an die Operation eingeschränkt. Ästhetische Narbenoperationen waren für die von uns befragten Patienten nicht von Interesse [44].