Übersichtsarbeiten - OUP 05/2025
Initiative zur Erfassung von Verletzungen des vorderen Kreuzbandes bei Kindern und Jugendlichen (PAMI)
Amanda Magosch, Natalie Mengis, Caroline Mouton, Christian Nührenbörger, Romain Seil
Zusammenfassung:
Die Zahl kindlicher und jugendlicher Verletzungen des vorderen Kreuzbands (VKB) hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die Behandlung stellt unter anderem aufgrund individueller anatomischer Voraussetzungen, des anhaltenden Wachstums und unterschiedlicher Therapieoptionen eine große Herausforderung dar. Bislang fehlen weitgehend belastbare wissenschaftliche Grundlagen und einheitliche Behandlungsempfehlungen. Vor diesem Hintergrund wurde 2013 auf Initiation der europäischen Gesellschaft für Sporttraumatologie, Kniechirurgie und Arthroskopie (European Society of Sports Traumatology, Knee Surgery & Arthroscopy, ESSKA) die Initiative zur Erfassung von Verletzungen des vorderen Kreuzbandes bei Kindern und Jugendlichen (Paediatric Anterior Cruciate Ligament Monitoring Initiative, PAMI) geformt. Das übergeordnete Ziel des Projekts ist der Aufbau einer evidenzbasierten Grundlage für die Behandlung von VKB-Verletzungen im Kindes- und Jugendalter sowie die Entwicklung internationaler Leitlinien. Das Projekt ist als multizentrische, langfristige Beobachtungsstudie angelegt. Kinder und Jugendliche mit traumatischer VKB-Ruptur im Alter von 6–17 Jahren werden unabhängig von der gewählten Therapie (operativ oder konservativ) über einen geplanten Zeitraum von 30 Jahren nachbeobachtet. Das PAMI-Projekt ist somit eine der wenigen internationalen Datenbanken zu VKB-Verletzungen im Kindes- und Jugendalter, die sowohl konservative als auch operative Verfahren abbildet. Neben Patienten- und Verletzungsdaten werden klinische Untersuchungsbefunde, Angaben zur Therapie sowie patientenberichtete Ergebnisse im Verlauf erhoben. Bis Juni 2025 wurden 361 Patientinnen und Patienten aus 7 europäischen Einrichtungen eingeschlossen. Insgesamt leistet das PAMI-Projekt einen wichtigen Beitrag zur besseren Versorgung kindlicher VKB-Verletzungen. Es schafft ein europäisches Netzwerk zur Erhebung valider Langzeitdaten und fördert den internationalen Austausch.
Schlüsselwörter:
Vorderes Kreuzband, Knie, Kind, PAMI, international, pädiatrisch
Zitierweise:
Magosch A, Mengis N, Mouton C, Nührenbörger D, Seil R: Initiative zur Erfassung von Verletzungen des vorderen Kreuzbandes bei Kindern und Jugendlichen
OUP 2025; 14: 210–215
DOI 10.53180/oup.2025.0210-0215
Abstract: In recent years, the incidence of anterior cruciate ligament (ACL) injuries in children and adolescents has increased significantly. Managing these injuries presents considerable clinical challenges, due to individual anatomical variation, ongoing skeletal growth, and the broad spectrum of available treatment options inter alia. However, high-quality scientific evidence and standardized treatment guidelines for this patient population remain largely insufficient. To address this gap, the Paediatric Anterior Cruciate Ligament Monitoring Initiative (PAMI) was established in 2013 as initiative of the European Society of Sports Traumatology, Knee Surgery & Arthroscopy (ESSKA). The primary objective of the PAMI is to build an evidence-based platform for the diagnosis and management of pediatric ACL injuries and to support the development of international clinical guidelines. The PAMI is designed as a multicenter, long-term observational study. It includes children and adolescents aged 6–17 years with traumatic ACL ruptures, regardless of whether they undergo surgical or conservative treatment. Participants are followed over a planned period of 30 years, with data collected prospectively. PAMI is one of the few international registries that comprehensively captures both operative and non-operative management strategies for ACL injuries in skeletally immature patients. Data collection includes patient demographics, injury characteristics, clinical examination findings, treatment details, and longitudinal patient-reported outcome measures. Up to June 2025, 361 patients have been enrolled across seven participating centers in Europe. The PAMI project represents a major step forward in improving the care of pediatric ACL injuries. By establishing a collaborative European network and generating validated long-term clinical data, PAMI not only contributes to a deeper understanding of injury mechanisms and outcomes but also fosters international collaboration aimed at standardizing and optimizing treatment approaches for this vulnerable patient group.
Key words: Anterior cruciate ligament, knee, kid, PAMI, international, paediatric
Citation: Magosch A, Mengis N, Mouton C, Nührenbörger D, Seil R: Paediatric Anterior Cruciate Ligament Monitoring Initiative (PAMI)
OUP 2025; 14: 210–215. DOI 10.53180/oup.2025.0210-0215
R. Seil: Sportklinik, Centre Hospitalier de Luxembourg (CHL) – Clinique d’Eich, Luxemburg & Luxembourg Institute of Research in Orthopedics, Sports Medicine and Science (LIROMS), Luxemburg & Human Motion, Orthopaedics, Sports Medicine and Digital Methods (HOSD), Luxembourg Institute of Health (LIH), Luxemburg
A. Magosch: Sportklinik, Centre Hospitalier de Luxembourg (CHL) – Clinique d’Eich, Luxemburg
N. Mengis: Sportklinik, Centre Hospitalier de Luxembourg (CHL) – Clinique d’Eich, Luxemburg & Kantonspital Baselland, Universitäres Zentrum Bewegungsapparat, Kniechirurgie und Sportorthopädie, Basel, Schweiz
C. Mouton, C. Nührenbörger: Sportklinik, Centre Hospitalier de Luxembourg (CHL) – Clinique d’Eich, Luxemburg & Luxembourg Institute of Research in Orthopedics, Sports Medicine and Science (LIROMS), Luxemburg
Einleitung
Die Zahl der Verletzung des vorderen Kreuzbandes (VKB) im Kindes- und Jugendalter hat in den letzten 2 Jahrzehnten stark zugenommen [17, 20]. Insbesondere bei Jugendlichen ist außerdem die Zahl der operativen Versorgungen von VKB-Verletzungen drastisch gestiegen [14]. Eine solche Verletzung ist ein einschneidendes Ereignis. Sie kann die Lebensqualität beeinträchtigen, sich auf die Entwicklung des Kniegelenkes sowie seine zukünftige Funktionalität auswirken und zu frühzeitigem Auftreten von Arthrose führen [21]. Etwa ein Drittel der Kinder und Jugendlichen erleiden zudem eine weitere VKB-Verletzung, sei es am ipsilateralen erstverletzten und gegebenenfalls operierten Kniegelenk oder am kontralateralen gesunden Knie [2, 15].
Mehr noch als bei Erwachsenen ist die Behandlung einer VKB-Ruptur bei Kindern und Jugendlichen entsprechend ihrem Alter und ihrer Skelettreife sehr individuell zu gestalten. Dabei müssen verschiedene Aspekte, wie bspw. die Ausprägung der Instabilität, die Begleitverletzungen und das verbleibende Kniewachstum, berücksichtigt werden. In Anbetracht des Komplikationspotenzials und der hohen Rate an Zweitverletzungen bedarf diese junge Patientengruppe daher besonderer Expertise. Im Konsensus-Statement des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) werden 3 Behandlungsziele bei kindlichen VKB-Verletzungen formuliert:
- 1. die Wiederherstellung eines stabilen und funktionalen Kniegelenkes
- 2. die Reduktion des Risikos assoziierter oder sekundärer Verletzungen und chirurgischer Eingriffe
- 3. die Minimierung des Risikos chirurgisch bedingter Wachstumsstörungen [7].
Die Vorteile ebenso wie die Risiken einer chirurgischen Behandlung müssen sorgfältig gegenüber einer konservativen Behandlung abgewogen werden. In der Literatur wird eine Vielzahl verschiedener operativer Verfahren mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen zur VKB-Rekonstruktion bei Kindern und Jugendlichen beschrieben [11]. Im Gegensatz dazu gibt es kaum konkrete Verfahrensanweisungen zur konservativen Therapie dieser Verletzung und die Studienlage ist begrenzt [10].
In den aktuellen Behandlungsrichtlinien für VKB-Verletzungen bei Kindern und Jugendlichen fehlt es daher an wissenschaftlicher Evidenz [3, 8, 12], sodass für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte ein therapeutisches Dilemma entsteht. Trotz der steigenden Inzidenz ist die Anzahl kindlicher VKB-Verletzungen in einzelnen Krankenhäusern gering und es fehlt an multizentrischen Studien mit prospektiver Datenerhebung und Langzeitergebnissen.
Aus diesem Grund wurde im Jahr 2013 auf Veranlassung der europäischen Gesellschaft für Sporttraumatologie, Kniechirurgie und Arthroskopie (European Society of Sports Traumatology, Knee Surgery & Arthroscopy, ESSKA) die Initiative zur Erfassung von Verletzungen des vorderen Kreuzbandes bei Kindern und Jugendlichen (Paediatric Anterior Cruciate Ligament Monitoring Initiative, PAMI) gegründet. Die PAMI stellt ein kollaboratives internationales System zur Sammlung und Analyse von Patienten-, Behandlungs- und Ergebnisdaten zu VKB-Verletzungen im Kindes- und Jugendalter dar.
Ziel dieses Artikels ist eine Vorstellung des PAMI-Projektes. Zunächst werden die Zielsetzung und die organisatorische Struktur der Initiative erläutert. Außerdem erfolgt eine Darstellung der Rekrutierungsstrategie und der Datenart. Darüber hinaus wird ein Einblick in die bislang erhobenen Daten gegeben und es werden mögliche zukünftige Entwicklungen und Potenziale diskutiert.
Zielsetzung des Projektes
Das übergeordnete Ziel der PAMI ist der Ausbau der Evidenzbasis für die optimale Behandlung von VKB-Verletzungen im Kindes- und Jugendalter. Darüber hinaus verfolgt die PAMI folgende Ziele:
die Beschreibung aktueller Behandlungsoptionen nach einer kindlichen oder jugendlichen VKB-Verletzung
die Analyse der damit verbundenen kurz-, mittel- und langfristigen klinischen Behandlungsergebnisse
die Erweiterung der wissenschaftlichen Grundlage für fundierte Therapieentscheidungen
die Entwicklung von internationalen Behandlungsempfehlungen.
Organisation des PAMI-Projektes
Das PAMI-Projekt wurde 2013 von der ESSKA initiiert und wird seitdem durch diese gefördert und finanziell unterstützt. Weitere wesentliche finanzielle Unterstützung in Form einer Starthilfe wurde zudem von Smith & Nephew und der olympischen Solidargemeinschaft (Olympic Solidarity, OS) bereitgestellt. Das luxemburgische Institut für Gesundheit (Luxembourg Institute of Health, LIH) unterstützt das Projekt mit wissenschaftlicher und technischer Expertise, insbesondere hinsichtlich der gesicherten Online-Plattform zur Datensammlung. Das Projekt ebenso wie die Online-Plattform stimmen mit der allgemeinen Datenschutzverordnung (General Data Protection Regulation, GDPR) 2016/679 überein [18]. Die Leitung des Projektes obliegt einem Lenkungsausschuss (PAMI steering committee,
PAMILeA). Dieser sorgt dafür, dass die übergeordneten Ziele des PAMI-Projektes erreicht werden und ist für die Kommunikation zwischen den Projektpartnern sowie für die Verbreitung der Studienergebnisse zuständig. Die alltägliche administrative Organisation wird von einem Mitglied des
PAMILeA übernommen, das als Projektmanager fungiert. Das Projekt wurde während des ESSKA-Kongresses im Mai 2018 offiziell vorgestellt und für Teilnahmeanträge geöffnet [16].
Die Patientenrekrutierung und Datenerhebung erfolgt in verschiedenen internationalen Partnereinrichtungen. Mögliche Partner stellen alle öffentlichen und privaten medizinischen Einrichtungen dar, die Kinder und Jugendliche mit VKB-Verletzungen behandeln. Der offizielle Antrag zur Teilnahme am Projekt kann über die entsprechende Webseite der
ESSKA (https://www.esska.org/page/PAMI) gestellt werden. Ein Ethikantrag muss von jeder möglichen Partnereinrichtung gemäß den nationalen, bzw. lokalen, Gesetzen, Vorschriften und Richtlinien gestellt werden. Die notwendigen Dokumente zur Vorbereitung werden durch den PAMILeA in unterschiedlichen Sprachen zur Verfügung gestellt. In jeder Partnereinrichtung gibt es einen Standortkoordinator als Ansprechpartner bzw. als Hauptverantwortlichen für das Teilprojekt vor Ort. Alle Daten werden über die gesicherte Online-Plattform gesammelt, zu der ausschließlich die teilnehmenden Einrichtungen sowie der PAMILeA Zugang haben. Dabei werden die Daten über eine systemisch generierte Patientenidentifikationsnummer pseudonymisiert, um maximalen Datenschutz zu gewährleisten und rechtliche Probleme im Zusammenhang mit der Datenübertragung zwischen verschiedenen europäischen Ländern zu vermeiden. Jeder Standortkoordinator verwaltet eine Korrespondenztabelle mit der Patientenidentität und der automatisch generierten Patientenidentifikationsnummer.
Zur Optimierung und Weiterentwicklung des Projektes findet ein regelmäßiger Austausch zwischen dem
PAMILeA und den Partnereinrichtungen statt. Der Beitrag aller aktiven Mitglieder in dieser Initiative soll in wissenschaftlichen Veröffentlichungen und auf Kongressen gewürdigt werden.
Patientenauswahl und Datenerhebung
Derzeit kann jede Patientin/jeder Patient mit einer traumatischen, also durch körperliche Aktivität bedingten VKB-Verletzung für die PAMI-Datenbank rekrutiert werden. Dabei muss das Skelettalter nach Greulich & Pyle [6] zum Aufnahmezeitpunkt zwischen 8 und 14 Jahren bei Mädchen und 8 und 16 Jahren bei Jungen liegen und die Diagnose sollte mittels Magnetresonanztomografie (MRT) und positivem Lachman-Test gesichert sein. Patientinnen und Patienten nach Kniegelenksluxation und Personen mit kombinierten Verletzungen des vorderen und hinteren Kreuzbandes und/oder Frakturen des Tibiaplateaus werden derzeit ausgeschlossen. Eine zukünftige Änderung der Ein- und Ausschlusskriterien, u.a. bezüglich des Alters, wird in Betracht gezogen.
Bei dem Projekt handelt es sich um eine fortlaufende Beobachtungsstudie. Es werden keine Behandlungsalgorithmen oder -richtlinien vorgegeben. Die erhobenen Daten lassen sich in 5 Kategorien zusammenfassen, die in Abbildung 1 dargestellt sind. Die Ergebnisse der klinischen Untersuchung – einschließlich des Lachman- und des Pivot-shift-Tests [5, 19] sowie der Überstreckbarkeit (Recurvatum) des Kniegelenkes – müssen mindestens einmal angegeben werden, entweder zum Zeitpunkt des ersten ärztlichen Kontaktes oder zum Zeitpunkt der Operation (präoperativ unter Narkose). Unabhängig von der gewählten Therapie werden alle Patientinnen und Patienten jährlich kontaktiert und gebeten, kindgerechte Fragebögen zur Erfassung der Funktionalität des Kniegelenkes (Paediatric International Knee Documentation Committee Subjective Knee Form in Children, Pedi-IKDC) [9] und der täglichen Aktivität (Hospital for Special Surgery Pediatric Functional Activity Brief Scale, HSS Pedi-FABS) [4] auszufüllen. Die vorgesehene Nachbeobachtungszeit jeder VKB-Verletzung beträgt 30 Jahre. In allen Kategorien wird die Menge der erhobenen Daten bewusst geringgehalten, um eine kurze Ausfüllzeit sicherzustellen. Auf der Online-Plattform bestehen spezifische Kontrollmechanismen, die Widersprüche in den Daten oder fehlende Daten erkennen. Ähnlich wie bei den Ein- und Ausschlusskriterien sind Modifikationen erhobener Datenkategorien im Verlauf möglich. Somit soll sichergestellt werden, dass auch neue Techniken und Trends in der Behandlung von VKB-verletzten Kindern und Jugendlichen frühzeitig in die Datenbank aufgenommen werden können und das Projekt eine enge Orientierung an den praktischen Gegebenheiten des klinischen Alltags wahrt. Beispielsweise ist eine zukünftige Integration bildgebender Verlaufskontrollen in die Datenbank geplant, um Wachstumsstörungen und Veränderungen des Neigungswinkels der Tibia (Slope) abbilden und bewerten zu können (Abb. 1).
Einblick in den aktuellen Datensatz
Bis einschließlich Juni 2025 waren
7 medizinische Einrichtungen aktiv an der Patientenrekrutierung beteiligt:
Akershus Universitetssykehus (N-Nordbyhagen)
Centre Hospitalier de Luxembourg – Clinique d’Eich (L-Luxemburg)
Gelenkpunkt – Facharztpraxis für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sporttraumatologie (A-Innsbruck)
Hospital Universitari Dexeus
(E-Barcelona)
Istituto Ortopedico Rizzoli
(I-Bologna)
Máxima Medical Center
(NL-Eindhoven)
Ullevål sykehus – Oslo universitetssykehus (N-Oslo)
Von Oktober 2018 bis Juni 2025 wurden 361 Patientinnen und Patienten mit primärer VKB-Ruptur in die Datenbank aufgenommen, wobei etwa ein Viertel weiblich (n = 91) und etwa drei Viertel männlich (n = 270) sind. Die jährliche Anzahl der für die Datenbank rekrutierten Patientinnen und Patienten ist in Abbildung 2 dargestellt. Das durchschnittliche chronologische Alter zum Zeitpunkt der ersten registrierten VKB-Verletzung liegt bei 12 Jahren (Abb. 3). Elf Patientinnen und Patienten (6 weibliche und 5 männliche) erlitten im genannten Zeitraum als Kinder beziehungsweise Jugendliche eine kontralaterale VKB-Ruptur, sodass sich die Gesamtzahl der registrierten primären Verletzungen im Kindes- und Jugendalter auf 372 beläuft. Die Verletzungen entstanden mehrheitlich beim Fußballspielen (n = 164, 44 % aller Verletzungen), gefolgt vom Skifahren (n = 66, 18 % aller Verletzungen) und Trampolinspringen (n = 21, 6 % aller Verletzungen).
Zusätzlich sind in der Datenbank insgesamt 16 VKB-Transplantat-Rupturen (Re-Rupturen) erfasst. Vier dieser Patientinnen und Patienten wurden bereits mit der ipsilateralen Primärverletzung in das PAMI-Projekt eingeschlossen, während 12 Patientinnen und Patienten initial in einer medizinischen Einrichtung ohne Projekt-Partnerschaft behandelt wurden.
Erste Erfahrungen und detaillierte Datenauswertungen aus dem PAMI-Projekt wurden 2021 von Mouton et al. veröffentlicht [13]. Das Autorenteam befindet sich derzeit in der neuerlichen Auswertung der Datenbasis, sodass im Laufe des Jahres mit einer weiteren Publikation gerechnet werden kann.
Diskussion
Die PAMI ist eine von wenigen internationalen Kooperationsstudien in der orthopädischen Chirurgie und Sportmedizin mit einem pädiatrischen Patientenkollektiv. Bis Juni 2025 schloss das Projekt bereits über 360 Patientinnen und Patienten aus 7 Behandlungseinrichtungen in 6 europäischen Ländern ein. Diese Zahlen spiegeln das große Interesse an länderübergreifender wissenschaftlicher Zusammenarbeit wider. Neben der umfassenden, vielseitigen Datenbank zu VKB-Verletzungen im Kindes- und Jugendalter, ist die PAMI auch eine Gemeinschaft bzw. ein Netzwerk von Ärztinnen und Ärzten, die mit dieser Patientengruppe arbeiten. Zudem spiegelt die Studie auch länderspezifische Trends und Techniken wider, wodurch der internationale Austausch angeregt wird. Langfristiges Ziel des Projektes ist die gemeinsame Erstellung von Behandlungsalgorithmen und -leitlinien, die zur internationalen Standardisierung der Behandlung beitragen werden.
Eine Auswertung der Daten aus dem PAMI-Projekt kann das Verständnis der Verletzungsmechanismen sowie der Risikofaktoren im Kindes- und Jugendalter verbessern und zur Entwicklung spezifischer Präventionsprogramme beitragen. Die Zusammenfassung aktueller konservativer und operativer Behandlungsmöglichkeiten ermöglicht deren Beurteilung und Verbesserung. Hervorzuheben ist der Einschluss sowohl konservativer als auch operativer Therapiemaßnahmen in die Datenbank sowie die von der Therapie unabhängige Nachuntersuchung. Die Therapieoptionen sind somit ganzheitlich abgebildet und dies wird helfen, Personen mit der Notwendigkeit zur operativen Behandlung von den Personen zu unterscheiden, die von einer konservativen Behandlung profitieren. Die Auswertung der kurz, mittel- und langfristigen klinischen Ergebnisse wird dazu beitragen, eine Evidenzbasis zur Optimierung der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten zu schaffen und das Verständnis der Anatomie, der Biomechanik und der Entwicklung des kindlichen Kniegelenkes zu verbessern.
Mit einem ähnlichen Konzept wurde 2016 in den Vereinigten Staaten von Amerika die Studie „Paediatric ACL: Understanding Treatment Outcomes“ (PLUTO, Kindliches VKB: Verstehen von Behandlungsergebnissen) begonnen [22]. In 10 amerikanischen Kliniken wurden hierfür Patientinnen und Patienten mit einer VKB-Ruptur bei offener Wachstumsfuge rekrutiert, um unterschiedliche Behandlungsansätze zu vergleichen und zu evaluieren. Bis dato sind noch keine Ergebnisse verfügbar. Die niedrige angestrebte Fallzahl von Patientinnen und Patienten mit konservativem Therapieprozedere (n = 45) könnte die Aussagekraft bezüglich des Behandlungserfolges insbesondere im Vergleich mit operativen Behandlungsmethoden (angestrebte Fallzahl von bis zu n = 255) limitieren [23].
Um gegenwärtige Limitationen in den Einschlusskriterien des Projektes anzugehen, ist für die Zukunft eine Änderung dieser möglich beziehungsweise vorgesehen. Derzeit wird der Einschluss von Patientinnen und Patienten mit knöchernen Avulsionsverletzungen diskutiert. Des Weiteren bildet das aktuelle Studienprotokoll langfristige Beeinträchtigungen nicht ab, sondern erhebt lediglich von der Patientin oder dem Patienten berichtete Ergebnisbewertungen (patient-
reported outcome measure, PROM). Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rücklaufquoten diesbezüglich verhalten, da diese nach den Erfahrungen aus VKB-Registern bei Erwachsenen schnell abnimmt. Als Beobachtungsstudie kann das PAMI-Register Korrelationen zwischen den erhobenen Daten beschreiben, Kausalitäten können hierdurch jedoch nicht abgeleitet werden. Eine Stichprobenverzerrung insbesondere bezüglich der Wahl des Therapieverfahrens ist nicht auszuschließen, da die Entscheidung den behandelnden Ärztinnen und Ärzten obliegt und durch die Standards der Behandlungseinrichtung beeinflusst werden kann.
Abschließend ist festzuhalten, dass auch wenn das PAMI-Projekt sich zunehmender Bekanntheit erfreut, eine weitere Bewerbung der Initiative wichtig ist, um das Netz der Partnereinrichtungen weiter auszubauen und Sponsoren zu gewinnen.
Schlussfolgerung
Das PAMI-Projekt schafft ein europaweites Netzwerk zur Sammlung und Analyse von Daten, die die Diagnostik und Behandlung von VKB-Verletzungen im Kindes- und Jugendalter betreffen. Das Projekt zielt darauf ab, objektive Daten zu generieren und eine belastbare wissenschaftliche Grundlage für internationale Leitlinien zu schaffen. Letztendlich soll das Projekt die Verletzungsinzidenz reduzieren sowie zu optimalen Heilungsverläufen nach Verletzung beitragen um die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen langfristig zu schützen.
Interessenkonflikte:
Keine angegeben.
Danksagung:
Die Autoren möchten sich bei allen Mitarbeitenden für die aktive Beteiligung am PAMI-Projekt bedanken, insbesondere bei den Projektleitenden und deren Teams an den Partnereinrichtungen:
- Guri Ekås (Akershus Universitetssykehus, N-Nordbyhagen)
- Romain Seil & Caroline Mouton (Centre Hospitalier de Luxembourg – Clinique d’Eich, L-Luxemburg
- Christian Fink (Gelenkpunkt – Facharztpraxis für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sporttraumatologie, A-Innsbruck)
- Juan Carlos Monllau (Hospital Universitari Dexeus, E-Barcelona)
- Stefano Zaffagnini (Istituto Ortopedico Rizzoli, I-Bologna)
- Rob Janssen (Máxima Medical Center, NL-Eindhoven)
- Lars Engebretsen & Håvard Moksnes (Ullevål sykehus – Oslo universitetssykehus, N-Oslo)
-Anthony Megali für die Zeichnung der Piktogramme in Abbildung 1.
Finanzielle Förderung:
Die Initiative zur Erfassung von Verletzungen des vorderen Kreuzbandes bei Kindern und Jugendlichen erhielt eine finanzielle Starthilfe von Smith & Nephew und von der olympischen Solidargemeinschaft.
Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Romain Seil
Sportklinik, Centre Hospitalier de
Luxembourg (CHL)
Clinique d‘Eich
78 Rue d‘Eich
L-1460 Luxembourg
rseil@yahoo.com
