Übersichtsarbeiten - OUP 05/2025

Initiative zur Erfassung von Verletzungen des vorderen Kreuzbandes bei Kindern und Jugendlichen (PAMI)

Die Vorteile ebenso wie die Risiken einer chirurgischen Behandlung müssen sorgfältig gegenüber einer konservativen Behandlung abgewogen werden. In der Literatur wird eine Vielzahl verschiedener operativer Verfahren mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen zur VKB-Rekonstruktion bei Kindern und Jugendlichen beschrieben [11]. Im Gegensatz dazu gibt es kaum konkrete Verfahrensanweisungen zur konservativen Therapie dieser Verletzung und die Studienlage ist begrenzt [10].

In den aktuellen Behandlungsrichtlinien für VKB-Verletzungen bei Kindern und Jugendlichen fehlt es daher an wissenschaftlicher Evidenz [3, 8, 12], sodass für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte ein therapeutisches Dilemma entsteht. Trotz der steigenden Inzidenz ist die Anzahl kindlicher VKB-Verletzungen in einzelnen Krankenhäusern gering und es fehlt an multizentrischen Studien mit prospektiver Datenerhebung und Langzeitergebnissen.

Aus diesem Grund wurde im Jahr 2013 auf Veranlassung der europäischen Gesellschaft für Sporttraumatologie, Kniechirurgie und Arthroskopie (European Society of Sports Traumatology, Knee Surgery & Arthroscopy, ESSKA) die Initiative zur Erfassung von Verletzungen des vorderen Kreuzbandes bei Kindern und Jugendlichen (Paediatric Anterior Cruciate Ligament Monitoring Initiative, PAMI) gegründet. Die PAMI stellt ein kollaboratives internationales System zur Sammlung und Analyse von Patienten-, Behandlungs- und Ergebnisdaten zu VKB-Verletzungen im Kindes- und Jugendalter dar.

Ziel dieses Artikels ist eine Vorstellung des PAMI-Projektes. Zunächst werden die Zielsetzung und die organisatorische Struktur der Initiative erläutert. Außerdem erfolgt eine Darstellung der Rekrutierungsstrategie und der Datenart. Darüber hinaus wird ein Einblick in die bislang erhobenen Daten gegeben und es werden mögliche zukünftige Entwicklungen und Potenziale diskutiert.

Zielsetzung des Projektes

Das übergeordnete Ziel der PAMI ist der Ausbau der Evidenzbasis für die optimale Behandlung von VKB-Verletzungen im Kindes- und Jugendalter. Darüber hinaus verfolgt die PAMI folgende Ziele:

die Beschreibung aktueller Behandlungsoptionen nach einer kindlichen oder jugendlichen VKB-Verletzung

die Analyse der damit verbundenen kurz-, mittel- und langfristigen klinischen Behandlungsergebnisse

die Erweiterung der wissenschaftlichen Grundlage für fundierte Therapieentscheidungen

die Entwicklung von internationalen Behandlungsempfehlungen.

Organisation des PAMI-Projektes

Das PAMI-Projekt wurde 2013 von der ESSKA initiiert und wird seitdem durch diese gefördert und finanziell unterstützt. Weitere wesentliche finanzielle Unterstützung in Form einer Starthilfe wurde zudem von Smith & Nephew und der olympischen Solidargemeinschaft (Olympic Solidarity, OS) bereitgestellt. Das luxemburgische Institut für Gesundheit (Luxembourg Institute of Health, LIH) unterstützt das Projekt mit wissenschaftlicher und technischer Expertise, insbesondere hinsichtlich der gesicherten Online-Plattform zur Datensammlung. Das Projekt ebenso wie die Online-Plattform stimmen mit der allgemeinen Datenschutzverordnung (General Data Protection Regulation, GDPR) 2016/679 überein [18]. Die Leitung des Projektes obliegt einem Lenkungsausschuss (PAMI steering committee,
PAMILeA). Dieser sorgt dafür, dass die übergeordneten Ziele des PAMI-Projektes erreicht werden und ist für die Kommunikation zwischen den Projektpartnern sowie für die Verbreitung der Studienergebnisse zuständig. Die alltägliche administrative Organisation wird von einem Mitglied des
PAMILeA übernommen, das als Projektmanager fungiert. Das Projekt wurde während des ESSKA-Kongresses im Mai 2018 offiziell vorgestellt und für Teilnahmeanträge geöffnet [16].

Die Patientenrekrutierung und Datenerhebung erfolgt in verschiedenen internationalen Partnereinrichtungen. Mögliche Partner stellen alle öffentlichen und privaten medizinischen Einrichtungen dar, die Kinder und Jugendliche mit VKB-Verletzungen behandeln. Der offizielle Antrag zur Teilnahme am Projekt kann über die entsprechende Webseite der
ESSKA (https://www.esska.org/page/PAMI) gestellt werden. Ein Ethikantrag muss von jeder möglichen Partnereinrichtung gemäß den nationalen, bzw. lokalen, Gesetzen, Vorschriften und Richtlinien gestellt werden. Die notwendigen Dokumente zur Vorbereitung werden durch den PAMILeA in unterschiedlichen Sprachen zur Verfügung gestellt. In jeder Partnereinrichtung gibt es einen Standortkoordinator als Ansprechpartner bzw. als Hauptverantwortlichen für das Teilprojekt vor Ort. Alle Daten werden über die gesicherte Online-Plattform gesammelt, zu der ausschließlich die teilnehmenden Einrichtungen sowie der PAMILeA Zugang haben. Dabei werden die Daten über eine systemisch generierte Patientenidentifikationsnummer pseudonymisiert, um maximalen Datenschutz zu gewährleisten und rechtliche Probleme im Zusammenhang mit der Datenübertragung zwischen verschiedenen europäischen Ländern zu vermeiden. Jeder Standortkoordinator verwaltet eine Korrespondenztabelle mit der Patientenidentität und der automatisch generierten Patientenidentifikationsnummer.

Zur Optimierung und Weiterentwicklung des Projektes findet ein regelmäßiger Austausch zwischen dem
PAMILeA und den Partnereinrichtungen statt. Der Beitrag aller aktiven Mitglieder in dieser Initiative soll in wissenschaftlichen Veröffentlichungen und auf Kongressen gewürdigt werden.

Patientenauswahl und Datenerhebung

Derzeit kann jede Patientin/jeder Patient mit einer traumatischen, also durch körperliche Aktivität bedingten VKB-Verletzung für die PAMI-Datenbank rekrutiert werden. Dabei muss das Skelettalter nach Greulich & Pyle [6] zum Aufnahmezeitpunkt zwischen 8 und 14 Jahren bei Mädchen und 8 und 16 Jahren bei Jungen liegen und die Diagnose sollte mittels Magnetresonanztomografie (MRT) und positivem Lachman-Test gesichert sein. Patientinnen und Patienten nach Kniegelenksluxation und Personen mit kombinierten Verletzungen des vorderen und hinteren Kreuzbandes und/oder Frakturen des Tibiaplateaus werden derzeit ausgeschlossen. Eine zukünftige Änderung der Ein- und Ausschlusskriterien, u.a. bezüglich des Alters, wird in Betracht gezogen.

Bei dem Projekt handelt es sich um eine fortlaufende Beobachtungsstudie. Es werden keine Behandlungsalgorithmen oder -richtlinien vorgegeben. Die erhobenen Daten lassen sich in 5 Kategorien zusammenfassen, die in Abbildung 1 dargestellt sind. Die Ergebnisse der klinischen Untersuchung – einschließlich des Lachman- und des Pivot-shift-Tests [5, 19] sowie der Überstreckbarkeit (Recurvatum) des Kniegelenkes – müssen mindestens einmal angegeben werden, entweder zum Zeitpunkt des ersten ärztlichen Kontaktes oder zum Zeitpunkt der Operation (präoperativ unter Narkose). Unabhängig von der gewählten Therapie werden alle Patientinnen und Patienten jährlich kontaktiert und gebeten, kindgerechte Fragebögen zur Erfassung der Funktionalität des Kniegelenkes (Paediatric International Knee Documentation Committee Subjective Knee Form in Children, Pedi-IKDC) [9] und der täglichen Aktivität (Hospital for Special Surgery Pediatric Functional Activity Brief Scale, HSS Pedi-FABS) [4] auszufüllen. Die vorgesehene Nachbeobachtungszeit jeder VKB-Verletzung beträgt 30 Jahre. In allen Kategorien wird die Menge der erhobenen Daten bewusst geringgehalten, um eine kurze Ausfüllzeit sicherzustellen. Auf der Online-Plattform bestehen spezifische Kontrollmechanismen, die Widersprüche in den Daten oder fehlende Daten erkennen. Ähnlich wie bei den Ein- und Ausschlusskriterien sind Modifikationen erhobener Datenkategorien im Verlauf möglich. Somit soll sichergestellt werden, dass auch neue Techniken und Trends in der Behandlung von VKB-verletzten Kindern und Jugendlichen frühzeitig in die Datenbank aufgenommen werden können und das Projekt eine enge Orientierung an den praktischen Gegebenheiten des klinischen Alltags wahrt. Beispielsweise ist eine zukünftige Integration bildgebender Verlaufskontrollen in die Datenbank geplant, um Wachstumsstörungen und Veränderungen des Neigungswinkels der Tibia (Slope) abbilden und bewerten zu können (Abb. 1).

Einblick in den aktuellen Datensatz

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