Übersichtsarbeiten - OUP 12/2015
Konservative Optionen zur Beeinflussung der Beinachse bei medialer Gonarthrose: Was bringen Einlagen und Orthesen?
Wolf Petersen1, Andree Ellermann2, Ingo Volker Rembitzki3, Hartmut Semsch4, Christian Liebau5, Raymond Best6
Zusammenfassung: Für die Entstehung der medialen Gonarthrose spielt die varische Abweichung der Beinachse eine große Rolle. Das dadurch erhöhte Knie-Adduktionsmoment soll zur Progression der Gelenkerkrankung beitragen. Orthesen und Einlagen sind eine konservative Möglichkeit zur Beinachsenkorrektur und damit eine Option zur Therapie der medialen Gonarthrose bei Genu varum. Ziel dieses Übersichtsbeitrages ist es, die Literatur im Hinblick auf die wissenschaftliche Evidenz dieser Hilfsmittel zu analysieren.
Zahlreiche Studien haben zeigen können, dass valgisierende Kniegelenkorthesen das Knie-Adduktionsmoment signifikant reduzieren. Auch für einen positiven klinischen Effekt gibt es Hinweise in der Literatur. Die analysierten Studien zeigen, dass sich valgisierende Orthesen eher für fortgeschrittene Arthrosestadien eignen. Übergewicht stellt einen negativen Prädiktor für einen Therapieeffekt dar. Ein Nachteil valgisierender Orthesen ist die geringe Compliance der Patienten.
Die Compliance ist bei einer Versorgung mit Einlagen deutlich höher als bei einer Kniegelenkorthese. Die biomechanischen und klinischen Angaben zum Effekt von Einlagen mit lateraler Erhöhung sind jedoch widersprüchlich. Sie scheinen sich eher bei leichten Arthrosestadien und bei übergewichtigen Patienten zu eignen.
Eine Alternative zu beiden Hilfsmitteln können neue Fuß-Sprungelenkorthesen zur Korrektur der Beinachse sein. Der biomechanische Effekt (Reduktion des Knie-Adduktionsmomentes) ist bereits wissenschaftlich belegt. Die Publikation klinischer Arbeiten steht jedoch noch aus.
Zusammenfassend liegt eine unterschiedlich starke Evidenz für den Einsatz von Orthesen und Einlagen in der konservativen Therapie der medialen Gonarthrose vor.
Schlüsselwörter: Entlastungsorthese, Knie-Adduktionsmoment, Osteoarthrose, Genu varum, konservative Therapie, Review
Zitierweise
Petersen W, Ellermann E, Rembitzki I V, Semsch H, Liebau C, Best R. Konservative Optionen zur Beeinflussung der Beinachse bei medialer Gonarthrose: Was bringen Einlagen und Orthesen?
OUP 2015; 12: 620–626 DOI 10.3238/oup.2015.0620–0626
Summary: The varus malalignement of the lower extremity plays a major role for the pathogenesis of medial osteoarthritis of the knee. The resulting increased knee adduction moment contributes to the progression of the disease. Braces and insoles are options for the correction of the leg axis and therefore also an conservative option to treat medial osteoarthritis. Aim of this review article is to analyze the literature with regard to the scientific evidence of these orthopaedic devices.
Numerous studies have shown that knee unloader braces decrease the knee adduction moment significantly. A positive clinical effect was described as well in the literature. The analyzed studies show that unloader braces have a better effect in patients with advanced osteoarthrtis stages. Obesity seems to be a negative predictor for a therapeutic effect. A disadvantage of valgus braces is the poor compliance of the patients with the therapy.
The compliance of laterally wedged insoles is much higher than that of knee braces. However, the biomechanical and clinical results reported in the literature are contradictory.
Insoles with a lateral wedge seem to be effective in patients with less severe stages of osteoarthritis and obesity. Foot ankle braces are an alternative to both devices. The biomechanical effect (reduction of the knee adduction moment) has been scientifically proven. Clinical results are lacking.
In summary, there is different strong evidence for the use of orthotics and laterally wedged insoles in the conservative therapy of knee osteoarthritis.
Keywords: Unloader brace, knee adduction moment, osteoarthritis, varus knee, conservative therapy, review
Citation
Petersen W, Ellermann E, Rembitzki I V, Semsch H, Liebau C, Best R. Konservative Optionen zur Beeinflussung der Beinachse bei medialer Gonarthrose: Was bringen Einlagen und Orthesen?
OUP 2015; 12: 620–626 DOI 10.3238/oup.2015.0620–0626
Einleitung
Mit steigendem Lebensalter wird die
Osteoarthrose (OA) zur häufigsten Ursache für Knieschmerzen [33].
Die Therapie der OA ist in erster Linie konservativ (Aufklärung, Gewichtsreduktion, Aktivität, Analgetika und nicht steroidale Anitrheumatika) [12, 27]. Aber auch mechanische Hilfsmittel wie Stützen, Gehstock, Orthesen und Einlagen gehören zur konservativen Therapie der Osteoarthrose [20, 27].
Die Schwere der OA nimmt mit steigendem Lebensalter zu [33]. In der 4. und 5. Dekade beginnt die Erkrankung meist in einem Kompartiment (unikompartimentelle Gonarthrose) und es überwiegen beginnende bis mittelgradige Krankheitsstadien. Am häufigsten ist die mediale Gonarthrose bei varischer Beinachse (Abb. 1 und 2).
Es ist lange bekannt, dass die Beinachse für die Entstehung und Progression der unikompartimentellen Gonarthrose eine große Bedeutung hat [40]. Bei einem Genu varum verschiebt sich die mechanische Beinachse nach medial. Auf diese Weise wird das Knie-Adduktionsmoment erhöht und es resultiert eine vermehrte Belastung des medialen Kompartimentes [33]. Eine varische Beinachse von 4°–6° kann die Belastung des medialen Kompartiments um 70–90 % erhöhen [33]. Eine Erhöhung des Knieadduktionsmoments um 20 % soll das Risiko für eine Progression der Osteoarthrose vergrößern [20].
Aus diesem Grund sollten bei Patienten mit unikomartimenteller Gonarthrose und Varusfehlstellung Therapiestrategien in Betracht gezogen werden, die das „Alignement“ der unteren Extremität adressieren [27].
Eine definitive Lösung ist die kniegelenknahe Umstellungsosteotomie, mit der die Beinachse dauerhaft korrigiert werden kann (Abb. 1). Eine derartige Operation ist aber mit einer langen beruflichen Ausfallzeit verbunden, die sich viele Patienten in diesem Lebensalter nicht leisten können. In diesen Fällen können Orthesen und Einlagen eine Alternative sein, um das Malalignement der unteren Extremität zu adressieren.
Einlagen sollen über eine Eversion des Kalkaneus eine Valgusrotation der Tibia bewirken. Orthesen greifen hingegen meist direkt im Bereich des Kniegelenks an. Dabei applizieren diese Orthesen nach dem klassischen Drei-Punkt-Prinzip eine valgische oder varische Kraft um die mechanische Achse aus dem betroffenen Kompartiment zu verlagern [2, 15, 27, 28, 33]. Ein neues Konzept sind sogenannte Fuß-Sprunggelenk-Orthesen. Sie überbrücken in der Frontalebene das OSG und USG [11]. Durch einen lateralen Gegenhalt am Unterschenkel wird der Varuswinkel des Kniegelenks reduziert und der Vektor der Bodenreaktionskraft von medial nach lateral verlagert.
Ziel dieser Übersichtsarbeit ist es, die verschiedenen konservativen Maßnahmen zur Korrektur der Beinachse bei medialer Gonarthrose anhand von Angaben aus dem Schrifttum zu vergleichen.
Valgisierende Knieorthesen
Knieorthesen (unloader braces) können – nach dem Drei-Punkt-Prinzip – eine varische Kraft auf das Kniegelenk applizieren, um die mechanische Achse vom medialen Kompartiment nach lateral zu verlagern. Der Korrekturdruck wird meist über den kontralateralen Kondylus aufgebaut, um das schmerzhafte Kompartiment zu entlasten (Abb. 3). Die Krafteinleitung kann über Druckpunkte oder Zugelemente erfolgen (Abb. 3). Dabei werden konfektionierte von speziell angefertigten (custom made) Orthesen unterschieden.
Zahlreiche biomechanische Studien haben zeigen können, dass das Knie-Adduktionsmoment bei Patienten mit Genu varum und medialer Gonarthrose durch eine valgisierende Orthese signifikant reduziert werden kann [1, 2, 4, 5, 9, 10, 13, 18, 19, 22–24, 26, 29, 30, 32, 35, 36]. Dieser positive Effekt konnte sowohl für „Custom made braces“ [5] als auch für konfektionierte Orthesen gezeigt werden [10, 13]. Auch die Art der Krafteinleitung (Druckpunkte oder Zugelemente) hatte keinen Einfluss auf die Effekte der untersuchten Orthesen [10, 18, 36].
Der biomechanische Effekt der
Orthesen auf das Knie-Adduktionsmoment erreichte in einer Studie bis zu 32 % [26]. Dieser Befund hat klinische Relevanz, da Kemp et al. [20] gezeigt haben, dass ein Anstieg des Knie-Adduktionsmoments um ca. 20 % das Risiko für die Progression der Gonarthrose erhöht.
Nur 4 biomechanische Studien haben keinen Effekt valgisierender Orthesen auf das Knie-Adduktionsmoment nachweisen können [7, 8, 14, 16]. In
einer dieser Studien war zwar ein leicht reduziertes Knie-Adduktionsmoment nachweisbar. Der Unterschied war aber nicht signifikant [14]. In einer Studie wurde der Effekt valgisierender Orthesen bei gerader Beinachse untersucht [8] und in einer weiteren Studie waren die Schmerzen trotz fehlendem Effekt auf das Knie-Adduktionsmoment signifikant reduziert [16].
Drei Studien konnten zeigen, dass valgisierende Knieorthesen die Gehgeschwindigkeit und die Schrittlänge steigerten [1, 14, 37]. In einer Studie verbesserte sich die Gang-Symmetrie zwischen betroffenem Bein und der Gegenseite [37]. Weitere biomechanische Parameter, die sich durch Valgus-Bracing verbesserten, waren die Außendrehung des Fußes („foot progression angle”), die Gelenkwinkel der unteren Extremität und die Kraft [24].
Eine Studie konnte zeigen, dass Co-Kontraktionen des M. vastus lateralis, des M. biceps femoris, des M. vastus medialis und der medialen Beuger durch Valgus-Bracing vermindert werden können.
Die lateralen Co-Kontraktionen konnten jedoch auch durch eine neutrale Orthese vermindert werden [34]. Diese Befunde weisen darauf hin, dass der Effekt valgisierender Orthesen nicht nur durch eine Reduktion des Knie-Adduktionsmoments hervorgerufen wird. Möglicherweise wird durch die stabilisierende Wirkung der Orthese die notwendige Muskelkraft – und damit die Belastung – des Gelenks reduziert. Es ist lange bekannt, dass die Instabilität für die Entstehung der Arthrose, aber auch für die Symptome eine Rolle spielt [25, 39]. Als Konsequenz resultiert eine erhöhte Muskelaktivität mit Co-Kontraktionen antagonistischer Muskelgruppen [33, 34]. Durch diese Co-Kontraktionen wird das Gelenk zwar einerseits stabilisiert, andererseits aber auch vermehrt belastet.
Die Mitteilungen klinischer Ergebnisse bei Anwendung valgisierender Orthesen sind weniger eindeutig als die biomechanischen Ergebnisse. Ein systematisches Cochrane-Review [6] kommt zu widersprüchlichen Ergebnissen hinsichtlich des klinischen Effekts valgisierender Orthesen. Eine in dieses Review eingeschlossene Studie konnte keinen Effekt der Orthese auf Schmerz (VAS), Funktion (WOMAC) und Lebensqualität nachweisen. In 3 weiteren Studien konnte jedoch gezeigt werden, dass valgisierende Orthesen einen signifikanten Effekt auf diese 3 klinischen Faktoren (Schmerz, Funktion und Lebensqualität) haben. In dieses Cochrane-Review wurden nur kontrollierte randomisierte Studien eingeschlossen. Zahlreiche nicht-randomisierte Studien konnten bestätigen, dass valgisierende Orthesen bei Patienten mit Genu varum und medialer Gonarthrose Schmerzen (VAS) reduzieren und die Gelenkfunktion (WOMAC) verbessern [5, 13, 16, 18, 19, 24, 26, 32, 37].
Bisher sind wenige Faktoren bekannt, um geeignete Patienten für eine Brace-Therapie zu identifizieren. Gaasbeck et al. [14] konnten zeigen, dass der Braceeffekt bei höherem Varusmalalignement größer war als bei Patienten mit nur geringem Varusmalalignement. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Brouwers et al. [3]. In dieser prospektiv randomisierten Studie war der Effekt des Braces vom Ausmaß der Varusfehlstellung abhängig [3]. Komistek et al . [21] konnten zeigen, dass bei adipösen Patienten, die mit einem Valgus-Brace versorgt waren, kein biomechanischer und klinischer Effekt zu erzielen war. Ein Grund für diese Beobachtung können Anpassungsschwierigkeiten der Orthese am adipösen Bein sein. Verschiedene Studien kamen zu dem Ergebnis, dass eher höhergradige Arthrosestadien (Grad 3–4 nach Kellgren und Lawrance) von einer Brace-Therapie profitieren als erst- bis zweitgradige Arthrosen [3, 40]. Weitere günstige prognostische Faktoren sind das Alter (< 60 Jahre) und die sekundäre Arthrose [3].
Auch die mangelnde Compliance kann die Ergebnisse klinischer Studien zum Effekt von „Unloader braces“ beeinflussen. Ein Problem valgisierender Orthesen ist oft die Compliance der Patienten [3, 6, 7, 42, 43]. In einer prospektiv randomiserten Studie lag die Compliance in der „Unloader brace“-Gruppe bei nur 45 % [43]. Grund für die schlechte Compliance sind Passungenauigkeiten, die zu Druck- und Scheuerstellen im Bereich der Kondylen führen können (Abb. 4) sowie ein fehlender Therapieeffekt [6].
Zusammenfassend liegt also hinreichend biomechanische und klinische Evidenz vor, um den klinischen Einsatz valgisierender Orthesen bei Patienten mit Genu varum und medialer Gonarthrose zu rechtfertigen. Damit sind valgisierende Orthesen eine Therapieoption, die bei unikompartimentellen Gonarthrosen sogar von der OARSI (Osteoarthritis Research Society International) empfohlen werden [27]. Bei der Orthopaedic Research Society beträgt der wissenschaftliche Empfehlungsgrad 76 % [33].
Weitere Anwendungsgebiete valgisierender Orthesen sind der sogenannte „Brace-Test“, mit dem der Effekt einer Beinachsenkorrektur vor einer operativen Intervention (Umstellungsosteotomie) getestet werden kann und ihr Einsatz in der postoperativen Therapie nach Interventionen am hyalinen Gelenkknorpel [30].
Einlagen mit lateraler
Erhöhung
Auch Einlagen mit lateraler Erhöhung sollen die mechanische Achse der unteren Extremität nach lateral verlagern (Abb. 5 und 6).
Die Ergebnisse biomechanischer Studien hinsichtlich des Effekts von Einlagen sind jedoch widersprüchlich [7, 10, 13, 17, 19]. Jones et al. [19] konnten zeigen, dass lateral erhöhende Einlagen das Knie-Adduktionsmoment um ca. 8 % reduzieren und die Geh-Geschwindigkeit erhöhen. Auch Fu et al. [13] und Hinman et al. [17] konnten einen Effekt von Einlagen auf das Knie-Adduktionsmoment nachweisen. Nach Angaben von Duivenvorden et al. [6] lässt sich mit lateral erhöhenden Einlagen nur eine geringe Reduktion von 4 % erzielen. Nach 6 Wochen Tragedauer war dieser Effekt aber nicht mehr nachweisbar [7]. Im Gegensatz zu diesen Studien stehen Angaben von Fantini Pagani et al. [10]. Die Autoren konnten zeigen, dass Einlagen mit lateraler Erhöhung keinen Einfluss auf das Knie-Adduktionsmoment haben.
Auch ein systematisches Cochrane Review kommt zu widersprüchlichen Ergebnissen hinsichtlich des Effekts lateral erhöhender Einlagen [6]. In dieses Review konnte nur eine Studie mit geringer Qualität eingeschlossen werden, in der Einlagen mit einer Kontrollgruppe ohne Einlagen verglichen wurden [6]. In dieser Studie hatten Patienten, die mit einer Einlage versorgt wurden, nach 9 Monaten weniger Schmerzen (VAS) im Vergleich zu Patienten ohne Behandlung. Die Ergebnisse von 3 weiteren Studien konnten gebündelt werden (n = 358, moderate-Studienqualität). In diesen Studien wurden Patienten mit lateral erhöhenden Einlagen mit Patienten verglichen, die mit einer neutralen Einlage versorgt wurden. Es bestand nur geringe Evidenz für einen Effekt auf Schmerz (NAS), Steifigkeit (WOMAC) und Funktion (WOMAC) nach 12 Monaten [6]. In einer dieser Studien war der Gebrauch von nichtsteroidalen Antirheumatika in der Gruppe, die mit lateral erhöhenden Einlagen versorgt waren, verringert [6]. Aufgrund dieser Ergebnisse kommen die Autoren dieses Reviews zu der Schlussfolgerung, dass moderate Evidenz besteht, dass lateral erhöhende Einlagen keinen Effekt auf klinische Symptome wie Schmerz, Steifigkeit und Funktion haben [6]. In einer weiteren Metaanalyse konnte nur ein klinischer Effekt für lateral erhöhende Einlagen gefunden werden, wenn diese mit einer Kontrollgruppe ohne Behandlung verglichen wurden [31]. War die Kontrollgruppe eine neutrale Einlage, blieb der Effekt aus [31].
Zwei prospektive randomisierte Studien haben den Effekt von lateral erhöhenden Einlagen mit Orthesen verglichen [2, 43]. In beiden Studien kam es mit beiden Hilfsmitteln zu einer Verbesserung der Symptome und es bestand kein Unterschied zwischen Einlage und Orthese. Beide Autoren sehen Einlagen als alternatives Hilfsmittel im Vergleich zur Orthese. Arzanpour et al. [2] konnten weiterhin zeigen, dass sich die Gehgewindigkeit und die Schrittlänge durch die Anwendung lateral erhöhender Einlagen verbessern.
Positive Prädiktoren für den Einsatz von Einlagen waren leichte Athrosestadien [17, 41, 43] und Adipositas [35]. Ein Vorteil von Einlagen mit lateraler Erhöhung ist in der hohen Compliance der Patienten im Vergleich zu valgisierenden Orthesen zu sehen [6, 43].
ZSusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Angaben im Schrifttum zum biomechanischen und klinischen Effekt lateral erhöhender Einlagen widersprüchlich sind. Daher ist die wissenschaftliche Evidenz für den Einsatz von Einlagen vage. Wahrscheinlich lässt sich bei leichten Arthrosestadien und leichten Varusfehlstellungen ein biomechanischer und klinischer Effekt erzielen.
Fuß-Sprunggelenkorthesen
Eine biomechanische Studie konnte zeigen, dass durch eine zusätzliche Stabilisierung des Sprunggelenks die Effektivität von Einlagen mit lateraler Erhöhung deutlich verbessert werden kann [38]. In dieser Studie hatte die alleinige Applikation einer lateral erhöhenden Einlage keinen biomechanischen Effekt. Die zusätzliche Applikation einer Orthese, die das obere Sprunggelenk stabilisierte, führte jedoch zu einer signifikanten Reduktion des Knie-Adduktionsmoments. Damit konnte gezeigt werden, dass die Stabilität im oberen Sprunggelenk ein Faktor ist, der die Wirkung von Einlagen mit lateraler Erhöhung unterstützt.
Diese Studie führte zur Entwicklung einer Orthese, die im Bereich des Fußes und Sprunggelenks ansetzt, um die Beinachse zu korrigieren (Abb. 7 und 8). Diese Orthese besteht aus einem Fuß- und Unterschenkelteil, welche über ein Gelenk miteinander verbunden sind. Das Gelenk ist ausschließlich in der Sagitalebene frei beweglich. In der Frontalebene werden OSG und USG rigide überbrückt. Durch den lateralen Gegenhalt am Unterschenkel soll der Varuswinkel des Kniegelenks reduziert werden und der Vektor der Bodenreaktionskraft von medial nach lateral verlagert werden (Abb. 8). Auf diese Weise kann das Knie-Adduktionsmoment verringert werden. Außerdem wird über eine Limitierung der Eversion Einfluss auf eine pathologische Tibiarotation genommen.
Biomechanische Untersuchungen konnten diese Hypothese bestätigen [11]. Diese Studie konnte zeigen, dass das Varusmoment am Knie durch den Einsatz der Fuß-Sprunggelenkorthese signifikant reduziert werden kann [11]. An dieser Untersuchung nahmen 14 Patienten mit einer Varus-Fehlstellung teil. Diese biomechanischen Ergebnisse bestätigten das Wirkprinzip der Orthese.
Damit ist die Agillium freestep eine Orthese, bei der Applikations- und Wirkort nicht identisch sind. Vorteil dieses Wirkprinzips ist, dass die externe Krafteinleitung nicht im Bereich des Kniegelenks erfolgt. Damit kann es hier nicht zu Druck- und Scheuerstellen kommen, die von konventionellen Entlastungsorthesen (Unloader braces) bekannt sind. Klinische Ergebnisse zu Fuß-Sprungelenk-Orthesen, die die Beinachse verändern, sind bisher jedoch nicht publiziert worden. So bleibt abzuwarten, ob sich die biomechanischen Vorteile dieser Orthesen in die klinische Praxis übertragen lassen.
Schlussfolgerung
Schlussfolgernd lässt sich anhand der in der Literatur mitgeteilten Daten festhalten, dass Orthesen und Einlagen eine Option in der Therapie der Osteoarthrose sind. Der biomechanische Effekt valgisierender Orthesen ist hinreichend belegt. Auch für einen klinischen Effekt gibt es deutliche Hinweise. Valgisierende Orthesen eignen sich eher bei fortgeschrittenen Arthrosestadien. Übergewicht stellt einen negativen Prädiktor für einen Therapieeffekt dar. Ein Nachteil valgisierender Orthesen ist die geringe Compliance der Patienten mit dieser Therapieoption.
Die Compliance ist bei einer Versorgung mit Einlagen deutlich höher als bei einer Kniegelenkorthese. Die biomechanischen und klinischen Angaben zum Effekt von Einlagen mit lateraler Erhöhung sind jedoch widersprüchlich. Sie scheinen sich eher bei leichten Arthrosestadien und bei übergewichtigen Patienten zu eignen.
Eine Alternative zu beiden Hilfsmitteln können neue Fuß-Sprungelenk-Orthesen zur Korrektur der Beinachse sein. Der biomechanische Effekt (Reduktion des Knie-Adduktionsmoments) ist bereits wissenschaftlich belegt. Die Publikation klinischer Arbeiten steht jedoch noch aus.
Interessenkonflikt: Ingo Volker Rembitzki ist, außer seiner freien Tätigkeit an der Deutschen Sporthochschule, Mitarbeiter bei der Firma Otto Bock
Health Care GmbH, die die Agilium Freestep Orthese vertreibt.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Wolf Petersen
Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Martin Luther Krankenhaus Berlin
Caspar Theysstr. 27–33
14193 Berlin
wolf.petersen@pgdiakonie.de
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Fussnoten
1 Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Martin Luther Krankenhaus, Berlin
2 Arcus Sportklinik, Pforzheim
3 Deutsche Sporthochschule, Köln
4 Ortema, Markgröningen
5 Asklepios Klinikum, Bad Harzburg
6 Sportklinik, Stuttgart