Originalarbeiten - OUP 02/2022

Kurzfristige Ergebnisse mit einer schaftfreien inversen Onlay Schulterendoprothese (Easytech, FX Solutions)

Jörg Jerosch, Uzichi Gospel Nathan, Andreas Breil-Wirth, Lars Victor von Engelhardt

Zusammenfassung:
In der vorliegenden Arbeit werden die kurzfristigen Ergebnisse mit der schaftfreien inversen Onlay Schulterendoprothese Easytech (FX Solution) vorgestellt. Bei 55 Patienten mit einer Defektarthropathie erfolgte die schaftfreie Implantation. Zuvor und mindestens 6 Monate postoperativ wurde das klinische und radiologische Outcome dokumentiert. Im Rahmen der klinischen Untersuchungen wurden prä- und postoperativ der DASH-, ASES- sowie der nichtaltersadaptierte Constant-Score erhoben. Auf den anteroposterioren Röntgen-Aufnahmen wurden die akromiohumerale Distanz (AHD), das humerale Offset (HO), das laterale glenohumerale Offset (LGHO) und die Höhe des Rotationszentrums gemessen, um relevante Parameter der präoperativen sowie inversen Gelenkgeometrie zu erheben. Der Constant-Score zeigte einen Anstieg von 11,8 auf 59,3 Punkte. Der DASH-Score verbesserte sich von 73,3 auf 22,2, der ASES-Score von 48,5 auf 74,9 Punkte. Die mittlere AHD vergrößerte sich von einem Mittelwert von 5,7 mm auf 35,1 mm. Das humerale Offset veränderte sich von 25,6 mm auf 52,5 mm. Das laterale glenohumerale Offset änderte sich geringfügig von 63,9 mm auf 67,7 mm. Das Rotationszentrum wurde im Mittel um 25,7 mm medialisiert und um 6,5 mm distalisiert. Ein inferiores Notching wurde nicht festgestellt. Die schaftfreie inverse Schulterendoprothetik mit dem Easytech-System erlaubt eine adäquate Medialisierung und Distalisierung des Rotationszentrums. Das glenohumerale Offset ist im Wesentlichen erhalten. Hierdurch sehen wir, korrespondierend zum guten klinischen Outcome, funktionelle Vorteile. Die ausbleibende Detektion eines skapulären Notching lässt sich am ehesten mit dem vglw. niedrigen Schaft-Hals-Winkel von 145° sowie mit dem Offset der Glenosphäre erklären. Letztlich zeigt diese Arbeit, dass unterschiedliche gelenkgeometrische Eigenschaften der inversen Endoprothesen, sowohl bezüglich des funktionellen Outcomes als auch hinsichtlich kurz- und langfristiger Komplikationen relevant sind. Evtl. ist es für den verantwortlichen Arzt interessant, dies bei der Implantatauswahl zu berücksichtigen.

Schlüsselwörter:
Inverse Schulterprothese, schaftfreier Schultergelenkersatz, Defektarthropathie

Zitierweise:
Jerosch J, Nathan UG, Breil-Wirth A, von Engelhardt LV: Kurzfristige Ergebnisse mit einer
schaftfreien inversen Onlay Schulterendoprothese (Easytech, FX Solutions)
OUP 2022;11: 080–087
DOI 10.53180/oup.2022.0080-0087

Summary: This report represents the short-term results with the stemless reverse onlay shoulder replacement Easytech (FX Solution). In 55 patients a stemless implantation was performed. The clinical and radiological outcome was documented preoperatively and after a minimum of 6 months. The clinical outcome was assessed using the DASH-, ASES-and Constant-Scores without age-adjustment. On anterioposterior x-rays, the acromiohumeral distance (AHD), the humeral offset (HO), the lateral glenohumeral offset (LGHO) and the height of the center of rotation were measured to assess relevant parameters of the pre- and postoperative, reversed joint geometry. The Constant-Score increased from 11.8 to 59.3 points. The DASH-Score improved from 73.3 to 22.2, the ASES-Score from 48.5 to 74.9 points. The mean AHD increased from 5.7 mm to 35.1 mm. The humeral offset changed from 25.6 mm to 52.5 mm. The lateral glenohumeral offset changed from 63.9 mm to 67.7 mm. The mean total medialization of the center of rotation was 25.7 mm and its mean distalization measured 6.5 mm. An inferior notching was not detected in our series. Stemless reversed onlay shoulder replacement using the Easytech system provides an adequate distalization and medialization of the center of rotation. The glenohumeral offset is mainly preserved. By this, we see functional advantages corresponding to a good clinical outcome. The relatively low neck-shaft angle of 145° and the offset of the glenosphere might explain why a scapular notching was not noticed in our series. Finally, this article shows that different joint geometry properties of reversed endoprostheses are relevant for the functional outcome and for short- and long-term complications. Therefore, the responsible surgeon might consider these characteristics when choosing an implant.

Keywords: Reversed shoulder replacement, stemless shoulder arthroplasty, cuff arthropathy

Citation: Jerosch J, Nathan UG, Breil-Wirth A, von Engelhardt LV: Short-term results of a stemless reverse onlay shoulder replacement (Easytech, FX Solutions). OUP 2022;11: 080–087. DOI 10.53180/oup.2022.0080-0087

Jörg Jerosch, Uzichi Gospel Nathan, Andreas Breil-Wirth: Abteilung für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Johanna-Etienne-Krankenhaus Neuss

Lars Victor von Engelhardt: Fakultät für Gesundheit, Private Universität Witten/Herdecke

Einleitung

Bei der Defektarthropathie ermöglicht die inverse Schulterendoprothese eine Funktionsverbesserung und eine erfolgreiche Schmerzreduktion [8, 52]. Das inverse Prinzip nach Grammont beruht auf einer Umkehrung der Gelenkflächen, die eine weitere Dezentrierung des Humeruskopfes verhindert. Die dabei veränderte Biomechanik kann das Fehlen der Rotatorenmanschette in einem begrenzten Umfang effektiv kompensieren [8, 22]. Neben der Defektarthropathie gab es für die inverse Endoprothese eine Indikationserweiterung mit ähnlich guten Ergebnissen [8, 22]. Hierzu zählen massive, irreparable Rotatorenmanschettenrupturen ohne relevante Arthropathien [64], die rheumatoide Arthritis in Kombination mit Manschettendefekten [48], schlechte klinische Ergebnisse nach Hemi- und Totalendoprothese [9, 17, 63], Tumore [18], posttraumatische Folgezustände mit schlechtem klinischen Ergebnis [9], sowie frische proximale Humerusfrakturen des älteren Menschen [11]. Hier zeigen prospektiv randomisierte Studien hinsichtlich funktioneller Ergebnisse aber auch hinsichtlich der Kosteneffizienz die Überlegenheit der inversen, im Vergleich zur anatomischen Schulterendoprothese [43, 44, 51]. Zusammenfassend findet sich sowohl bei Primärversorgungen als auch bei Revisionen eine zunehmende Zahl inverser Versorgungen [32].

Nachdem schaftassoziierte Probleme wie bspw. Frakturen, aufwendige Revisionen und Lockerungen in der Literatur gar nicht so selten sind [2, 25, 45, 55, 65], wird der knochensparenden, schaftfreien Schulterendoprothetik, welche die Kraft ausschließlich proximal in die Metaphyse einleitet, zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt. Die bekannten gelenkgeometrischen Prinzipien der inversen Endoprothetik werden auch durch schaftfreie Systeme erzielt [61]. Bei differenzierter Indikationsstellung zeigen schaftlose Systeme im Kurzzeit- aber auch im Langzeit-Follow-up mindestens ebenso sichere und gute klinische Ergebnisse wie geschaftete Implantate [2, 4, 13, 41, 61, 58].

Ein ganz anderer Vorteil findet sich bei ggf. nachfolgenden traumatischen periprothetischen Frakturen. Bei konventionell gestielten inversen Endoprothesen kann es zu anatomisch ungünstigen Frakturen im Verlauf des N. radialis kommen. Bei der schaftfreien Endoprothese hingegen liegen die Frakturen deutlich günstiger direkt unterhalb des Humeruskopfes [26]. Obwohl das Konzept schaftfreier inverser Endoprothesen noch relativ neu ist, sind bereits viele verschiedene Modelle auf dem Markt. Bei den inversen Endoprothesen sind beim Design der humeralen Komponenten Inlay- und Onlay-Systeme zu unterscheiden. Ein gutes Beispiel für ein Inlay-System ist das Total Evolutive Shoulder System (TESS™, Zimmer Biomet, Warsaw, Indiana USA), welches die erste und am besten untersuchte schaftfreie inverse Endoprothese auf dem Markt darstellt [3, 5, 24, 28, 61]. Charakteristisch für das TESS-System ist die humerale Corolla, innerhalb der das inverse Polyethylen als Inlay-System aufgenommen wird. Bei der hier untersuchten schaftfreien inversen Easytech Endoprothese (EasytechTM, Fa. FX Solutions, Viriat, Frankreich) handelt es sich hingegen um ein Onlay-System. In den letzten 9 Jahren haben wir mit schaftfreien Inlay-Systemen und in den letzten Jahren auch mit Onlay-Systemen gute Erfahrungen gesammelt. Im Folgenden möchten wir erste klinische und röntgenologische Ergebnisse mit der schaftfreien, inversen Onlay Easytech-Endoprothese vorstellen.

Material und Methode

In diese Untersuchung sind 55 Patienten (m/w = 19/36, Durchschnittsalter 74,6 [Formel: ± ]7,6, Range 56–88 Jahre) mit einer Defektarthropathie einbezogen, bei denen von Mitte 2019 bis Ende 2020 eine schaftfreie, inverse Easytech Endoprothese implantiert wurde. Die Patienten wurden vor der Implantation und mindestens 6 Monate postoperativ untersucht (Ethikvotum der Universität Witten-Herdecke Nr. 47/2019). Zur Beurteilung der Schulterfunktion erfolgte neben der klinischen Untersuchung die Erhebung des Constant Murley-, DASH- und ASES Scores [14, 23, 47]. Bei den hier untersuchten Patienten erfolgte zudem nach ca. 6 Monaten eine Röntgenuntersuchung. In den Röntgenbildern wurden Komplikationen wie evtl. Lockerungen, Luxationen, Frakturen und ggf. Zeichen eines skapulären Notching untersucht. Darüber hinaus erfolgte eine Auswertung der Gelenkgeometrie. Hierbei wurden die akromiohumerale Distanz, das humerale Offset, das laterale glenohumerale Offset und die Höhe des Rotationszentrums als radiologische Parameter bestimmt (Abb. 1).

Bei dem Easytech Schultersystem handelt es sich um ein CE-zertifiziertes Endoprothesen-System. Sowohl die glenoidale als auch die humerale Komponente weist Besonderheiten auf. An der glenoidalen Komponente ist der Durchmesser der Basisplatte mit 24 mm relativ klein gehalten. Der Verankerungszapfen hat eine Länge von 17 mm und einen Durchmesser von 7,5 mm. Dieser kann mit Adaptern um 6 und 10 mm verlängert werden. Zum verbesserten Einwachsen weist sowohl der Zapfen als auch die Rückfläche eine Doppelbeschichtung mit porösem Titan und Hydroxylapatit auf. Die winkelstabilen Schrauben erlauben eine Angulation von max. +/- 12 Grad (Abb. 2a). Für die Lokalisation des zentralen Loches im Glenoid empfiehlt der Hersteller eine Distanz von ca. 12 mm von der unteren Glenoidkante. Dies ist sinnvoll, da unserer Erfahrung nach insbesondere ein Abweichen des zentralen Bohrloches nach kranial die Stabilität der Basisplatte gefährdet. Eine solche Fehlpositionierung kann ursächlich für ein Ausbrechen der Glenoidkomponente sein. Die distale Platzierung und Dimensionierung der Basisplatte basiert auf den Kadaveruntersuchungen von Kelly et al., wonach die distale Position bei ca. 12 mm kranial der ursprünglichen unteren Glenoidkante die beste Stabilität der Basisplatte ermöglicht [29]. Eine solche Positionierung kann nach Entfernung der individuell meist unterschiedlich ausgedehnten Osteophyten und Austasten des Glenoides bspw. durch eine Markierung unter Anwendung dieser 12 mm-Regel erzielt werden. Alternativ bietet die Firma ein Zielinstrument an, das ein Abweichen der Bohrung nach kranial verhindert. Die Glenosphäre ist mit einem Offset von 3,5 mm lateralisiert und nach der Verschraubung auf der Basisplatte um 10 Grad inkliniert; die Durchmesser messen 36 und 40 mm. Sie ist zentriert (Abb. 2c) oder exzentrisch (Abb. 2d) erhältlich. Eine Titan-Nitrit-Komponente ist für Allergiepatienten verfügbar (Abb. 2e).

Bei einigen stielfreien inversen Prothesen erfolgt die humerale Resektion bei 155°. Dies kann bei engen Gelenkverhältnissen den Raum zur Glenoidpräparation einengen. Ist dann ein vermehrter Hakendruck notwendig, so kann dies Schäden des kortikalen Ringes an der Humerusmetaphyse nach sich ziehen. Hingegen kann bei der Easytech Prothese, da es sich um ein Onlay-System handelt, die Resektionsebene am Humeruskopf 2–3 mm tiefer gewählt werden. Auch erfolgt die Resektion standardmäßig etwas steiler mit einer 145°-Osteotomie. Dies bietet mehr Raum für die Glenoidpräparation. Das metaphysäre Anker-Implantat der Easytech-Prothese ist in Durchmessern von 30, 34 und 38 mm verfügbar. Anhand von explantierten Kappenprothesen der Schulter konnten wir zeigen, dass der metaphysäre Knochen nach der Implantation in den peripheren, kortikalisnahen Abschnitten im Follow-up vitaler und stabiler ist als in den zentralen Knochenabschnitten [60]. Aus diesem Grund wählen wir nach der Austestung mit den verfügbaren Probestanzen stets das größtmögliche Implantat. So verhakt sich das Implantat möglichst kortikalisnahe mit fünf sägeblattförmigen Verankerungszapfen. Es ist, ebenso wie die Metaglene, doppelt beschichtet (Abb. 2b).

Die Onlay-Polyethylen-Kompo-nenten sind modular und über ein Metallsteckkonus-Modul mit dem metaphysären Ankerimplantat verbunden (Abb. 2 f–h). Die PE-Kom ponenten sind, wie die Glenosphäre, in Durchmessern von 36 und 40 mm verfügbar. Es kann zwischen Höhen von + 3, + 6 und +9 mm ausgewählt werden. Die Beständigkeit der Verbindung zwischen dem modularen Metallsteckkonus und dem metaphysären Ankerimplantat wurde mittels dynamischer, biomechanischer Testverfahren geprüft. Das modulare Onlay-Design erlaubt, dass das glenohumerale Offset des Polyethylens gegenüber dem Humerus bzw. dem einliegenden metaphysären Ankerimplantat durch eine unterschiedliche Positionierung verändert werden kann. So kann das Offset des Humerus, je nach Rotationseinstellung der Onlay-Komponente in allen Richtungen variiert werden (Abb. 3). Bspw. erlaubt dies eine zusätzliche Lateralisation des Humerus. In Kombination mit der Höhenaustestung der verfügbaren Inlaykomponenten erlaubt die Offseteinstellung eine vielseitigere Einstellung der Gelenkstabilität, der Spannung des Deltamuskels sowie der Spannung evtl. erhaltener Rotatoren. Darüber hinaus kann die Möglichkeit einer Offset-Erweiterung den Umlenkwinkel des Deltamuskels ein wenig verbessern (Abb. 4). Die in Abb. 4 rechts gezeigte Polyethylen-Positionierung mit einem um wenige Millimeter erweiterten Offset und einer leicht reduzierten akromiohumeralen Distanz ist in unserer Gruppe in Deutschland häufiger präsent als bei den französischen Kollegen. Evtl. bietet diese Technik in einem begrenzten Umfang funktionelle Vorteile. So mag dies helfen, eine Überspannung des Deltamuskels bei einer gleichzeitig vglw. hohen Gelenkstabilität etwas sicherer zu vermeiden. Evtl. reduziert dies die Wahrscheinlichkeit der im Verlauf von Jahren, insbesondere bei überspannten Verhältnissen, gelegentlich zu beobachtenden Deltainsuffizienz.

Ergebnisse

Die Nachuntersuchungszeit betrug wenigstens 6 und in Einzelfällen höchstens 12 Monate. Komplikationen neurologischerseits wie bspw. Apraxien des Nervus axillaris, Plexuslähmungen etc. oder anderweitige Komplikationen wie Luxationen, Frühinfekte etc. bestanden nicht. Der Constant-Score stieg im Mittel von präoperativ 11,8 ± 8,5 Punkten auf 59,3 ± 14,0. Der DASH-Score verbesserte sich von 73,3 ± 14,1 auf 22,2 ± 14,4 Punkte. Ebenso kam es zu einer Verbesserung des ASES-Scores von 48,5 ± 10,3 auf postoperativ 74,9 ± 14,0 Punkte. Die radiologischen Parameter (Abb. 1) zeigten die folgenden Veränderungen: Die AHD vergrößerte sich im Mittel von 5,7 ± 7,3 mm auf 35,1 ± 8,3 mm (p < 0.001). Das humerale Offset erweiterte sich von 25,6 ± 5,1 mm auf 52,5 ± 7,1 mm (p < 0.001). Das laterale glenohumerale Offset veränderte sich nicht signifikant um wenige Millimeter von 63,9 ± 19,8 mm auf 67,7 ± 10,0 mm postoperativ (p = 0.076). Das Rotationszentrum wurde im Mittel um 6,5 ± 12,5 mm distalisiert. Dabei veränderte sich die Höhe des Rotationszentrums von durchschnittlich von 17,1 ± 8,6 mm auf 10,4 ± 5,8 mm postoperativ. Dieser Unterschied war in dieser Fallserie allerdings nicht signifikant (p = 0.125). Die gesamte Medialisierung des Rotationszentrums wird durch die Summe aus der Differenz des lateralen glenohumeralen Offsets und der Vergrößerung des humeralen Offset beschrieben [8, 61]. In dieser Studie wurde das Rotationszentrum im Mittel um 25,7 ± 16,2 mm medialisiert. Ein inferiores Skapula-Notching, radiologische Zeichen einer Lockerung der Prothesenkomponenten, periprothetische Frakturen, Akromionfrakturen sowie Prothesenluxationen wurden in diesem ersten Follow-up nicht festgestellt.

Diskussion

Die schaftfreie, metaphysäre Verankerung der Easytech Endoprothese ist in diesen kurzzeitigen Follow-up‘s stabil. Interessant ist, dass auch bei geschafteten und damit mehr diaphysär bzw. meta-diaphysär verankernden inversen Systemen humerale Lockerungen nicht auszuschließen sind. So zeigte bspw. eine Multicenteranalyse eine Rate von aseptischen Schaftlockerungen von immerhin 6 % [21]. Weitere Arbeiten zu schaftgeführten, inversen Systemen zeigen humerale Lockerungsraten von 1,3 % [66], 2 % sowie 3 % [33]. Ballas et al., eine eigene Studie und v.a. eine Langzeituntersuchung von Beck at al. beschrieben bei der schaftfreien, metaphysär verankernden inversen TESS-Endoprothese bei Patienten mit einer Defektarthropathie einen festes Einwachsen ohne humerale Lockerungen [3, 4, 61]. Es stellt sich die Frage, ob dies auf einen Aspekt der proximalen Krafteinleitung schaftfreier Implantate hinweist. Evtl. beeinflusst dies die Lockerungen geschafteter Implantate, die in Folge des sog. “stress shielding“ im Langzeit-Follow-up gelegentlich zu sehen sind. Hierbei ist zu bemerken, dass die schaftfreie inverse Versorgung bei Frakturfolgezuständen, bei denen der peripher-metaphysäre Knochen geschädigt ist, nicht zu empfehlen ist [61]. In der vorliegenden Untersuchung mit einem sehr kurzen Follow-up wurden ausschließlich Patienten mit einer Defektarthropathie u./o. schweren Arthrosen und Manschettenschäden eingeschlossen. Das Konzept der peripher metaphysären Verankerung mit einem möglichst großen Ankerimplantat wurde umgesetzt. Somit scheint sich eine hohe Primärstabilität zu finden. Die Doppelbeschichtung aus porösem Titan und Hydroxylapatit findet sich im Bereich des gesamten metaphysären Ankerimplantates, an der Rückfläche der Metaglene und um den Zapfen herum. Dies ähnelt der schaftfreien TESS-Endoprothese, die eine gute Langzeitstabilität mit einem soliden Einwachsen sowohl im proximalen Humerus als auch am Glenoid zeigt [4].

Die funktionellen Ergebnisse der Easytech Endoprothese liegen mit einem Constant Score von 59 Punkten ähnlich gut wie unsere Daten zur stielfreien inversen TESS Prothese. Hier lag der absolute Constant Score bei 55 Punkten [60]. Bei diversen schaftgeführten und schaftlosen inversen Prothesen liegen die absoluten Constant Scores in einem Bereich zwischen 40 und 60 Punkten [8, 10, 16, 39, 62]. Somit liegen die Scores der schaftfreien inversen Endoprothesen gut im Range. Die Auswertung der Gelenkgeometrie zeigt eine adäquate Distalisierung und Medialisierung des Rotationszentrums. Zur Medialisierung des Rotationszentrums nach inverser Prothese findet sich in der Literatur eine außerordentliche Streuweite der Werte [1, 8, 27, 46]. Mit der schaftfreien TESS-Endoprothese zeigten wir eine Medialisierung im Mittel von knapp 21 mm. Somit sind unsere Messungen zur Medialisierung der Easytech-Prothese mit 25,7 mm etwas höher als bei der TESS-Endoprothese. Ähnlich verhält es sich mit dem humeralen Offset, das bei der TESS-Endoprothese bei 38,5 mm und bei der Easytech-Endoprothese bei 52,5 mm lag. Letztlich liegen die geometrischen Veränderungen beim humeralen Offset und bei der Medialisierung des Rotationszentrums im Vergleich zu den Literaturangaben ein wenig höher [8, 27, 28, 36–38]. Die Distalisierung des Rotationszentrums entspricht der Distanz zwischen der Unterkante des Glenoides und dem Rotationzentrum des Humerus bzw. der Glenosphäre. Im Vergleich zur Delta- (DepuySynthes, Raynham, Massachusetts, USA) oder TESS-Endoprothese, die sich beide durch eine größere Metaglene auszeichnen, lässt sich die kleinere Basisplatte der Easytech-Prothese minimal tiefer platzieren. Somit wundert es nicht, dass die Ergebnisse der Easytech-Endoprothese mit 6,5 mm eine um 1–2 mm größere Distalisierung aufweisen als bspw. die anderen genannten Implantate, bei denen die Distalisierung des Rotationszentrums bspw. zwischen 4 und 5 mm liegt [8, 61].

Ein gutes Offset der inversen Versorgung kann sowohl glenoidal als auch auf der humeralen Seite mittels Lateralisation des Humerus erzielt werden. Bei einzelnen geschafteten Prothesen kann die Lateralisation des Humerus über ein zusätzliches modulares Element oder, bei Onlay-Varianten, mit der Möglichkeit einer medialisierten Einstellung der Polyethylen führenden Komponente erzielt werden. Eine ähnliche Offsetlösung besteht in einem begrenzten Umfang auch bei der schaftfreien inversen Easytech-Endoprothese mit der Möglichkeit eines exzentrisch platzierbaren Polyethylen-Onlays (Abb. 3). Eine solche Erhöhung des Offset der inversen Systeme erscheint aus verschiedenen Gründen sinnvoll. Bspw. führt die Lateralisation des Humerus zu einer Verbesserung des Deltoid-Umlenkwinkels (Abb. 4). Darüber hinaus finden sich ein günstigerer Hebelarm und eine bessere Vorspannung des Deltamuskels. Dies erachten wir als funktionell vorteilhaft. So erhöht dies den Druck auf das Gelenk, was zum einem die Stabilität gegenüber Luxationen verbessert, und zum anderen einen günstigeren Druckvektor auf die Glenosphäre und damit auf das Interface zwischen Metaglene und knöchernen Glenoid nach sich zieht. Dieser Vektor, der nicht mehr so sehr “von kaudal hebelt“, ist möglicherweise für das Einwachsen und die Langzeitstabilität der Basisplatte vorteilhaft. Aber nicht nur das vermehrte Offset, sondern auch die damit erzielbare verringerte Distalisierung erachten wir als sinnvoll. So kommt es mit der medialisierten Position des Inlays nicht nur zu einer Lateralisation des Humerus, sondern auch zu einer Kranialisierung des Humerus in Relation zum Rotationzentrum. Damit reduziert sich die Distanz zum Akromion entlang der 145°-Resektionsebene (Abb. 4). So kann die intraoperative Spannungsaustestung nicht nur mit der Höhenaustestung des Inlays sondern auch mittels Offset-Einstellung der Onlay-Komponente geändert werden. Neben den generellen funktionellen Vorteilen besteht hierdurch die Möglichkeit, bspw. bei schlaffen Gelenkverhältnissen, eine exzessive Distalisierung zu reduzieren bzw. im Rahmen zu halten. Dies ist in Anbetracht von Komplikationen, die mit einer starken Distalisierung einhergehen, sinnvoll. Kim et al. zeigten, dass neurologische Defizite mit Apraxien, die in bis zu 19 % der Fälle zu finden sind, signifikant mit dem Ausmaß der humeralen Distalisierung zusammenhängen [31]. Tashjian et al. zeigten, dass eine vermehrte Distalisierung darüber hinaus mit einer signifikant erhöhten Rate weiterer Komplikationen und einer signifikant erhöhten Revisionsrate einhergeht [57]. Diese aktuellen Arbeiten sind nachvollziehbar, weil eine extreme Distalisierung und Weichteilspannung mit neuromuskulären Schmerzen und Schäden, einer Deltainsuffizienz, Akromionfrakturen, Sehnenreizungen und -entzündungen sowie überhöhten Belastungen auf die Implantatkomponenten einhergehen kann.

Auf der glenoidalen Seite gelingt die Offseterhöhung entweder durch eine lateralisierte Glenosphäre [34, 35] oder durch einen Knochenaufbau am Glenoid, der sog. BIO-RSA (bony-increased offset-reverse shoulder anthroplasty) [6]. Bei der Easytech Prothese weist die Glenosphäre ein um 3,5 mm lateralisiertes Offset auf. Nachteil solcher metallischen Offsetlösungen ist, dass das Drehzentrum außerhalb des Knochenimplantat-Interfaces liegt. Bei Systemen mit vglw. ausgeprägten Offseterweiterungen kann dies mit erhöhten Lockerungsraten einhergehen [20]. Andererseits scheinen Implantate mit winkelstabilen Schrauben im 10-Jahres-Follow-up keine vermehrten glenoidalen Lockerungen mehr zu zeigen [15]. Die Easytech-Endoprothese erlaubt die Einbringung 4 winkelstabiler Schrauben; zudem kann der kräftige Zapfen je nach Knochensituation in diversen Längen eingebracht werden. Beachtet man darüber hinaus die Stabilitätsuntersuchungen von Kelly et al. mit der beschriebenen Optimalposition der Metaglene [29], den etwas günstigeren Kraftvektor auf das Interface zwischen Metaglene und Knochen, sowie die Doppelbeschichtung der Implantatrückflächen, so ist eine gute Sekundärstabilität zu vermuten.

Ein Notching wird bei inversen Endoprothesen mit Häufigkeiten von 0–88 % beschrieben [8, 39, 40, 50, 54, 56, 62, 63]. Im Zumstein-Review lag die Häufigkeit bei 35,4 % [66]. Neben einer Offseterweiterung [7] und der Verwendung exzentrischer Glenosphären [19], kann auch der Inklinationswinkel der humeralen Komponente ein Notching signifikant verringern [12, 30]. Die meistverwendeten inversen Systeme wie bspw. die Delta X-tend™ (DepuySynthes, Raynham, Massachusetts, USA), die Aequalis Reversed™ (Tornier Wrigth Medical, Tennessee, USA) und die Affinis Inverse™ (Mathys, Bettlach, Schweiz) haben einen Schaft-Hals-Winkel von 155°. Kempton et al. beschrieben bei Prothesen mit einem Schaft-Hals-Winkel von 145° eine signifikant niedrigere Inzidenz [30]. Bei der Easytech-Prothese ist somit auch eine reduzierte Notchingrate zu erwarten. Nachdem wir in vorangegangen Studien zur schaftfreien TESS-Endoprothese im Gegensatz zu einem Schaftsystem den Inklinationswinkel selber festlegen bzw. verringern konnten, haben wir in diesen Fallserien einen mittleren Schaft-Hals-Winkel von 147° erzielt. Hier konnten wir mit dem reduzierten Schaft-Hals-Winkel deutlich erniedrigte Notching-Raten von ca. 12 % nachweisen [61]. Bei der Easytech-Endoprothese erfolgt die humerale Resektion standardmäßig mit einen varisierten Inklinationswinkel von 145°. Diese Inklination kann, gemeinsam mit der Glenoidlateralisation, die Ergebnisse der Easytech-Prothese erklären. Darüber hinaus zeigen unterschiedliche Studien, dass sich auch das Bewegungsausmaß der inversen Versorgung mit einer steileren Inklination bessert [34, 35, 59]. In einer biomechanischen Studie zeigten Ladermann et al., dass hinsichtlich des Bewegungsumfanges der optimale Inklinationswinkel bei 144° liegt [34]. Neben dem funktionellen Aspekt sehen wir hierdurch auch die Chance, mögliche Komplikationen wie bspw. Luxationen, die durch ein Anschlagen bedingt sind oder aber auch Glenoidlockerungen, die auch durch ein Notching-bedingt sein können [49], zu vermeiden.

Betrachtet man die humeralen und glenoidalen Offset-Möglichkeiten, kann man die inversen Prothesen in 4 logische Gruppen klassifizieren (Abb. 5). Diese Einteilung mag prima vista komplex erscheinen, dennoch erachten wir dies als interessant, da unterschiedliche geometrische Eigenschaften der verfügbaren Implantate nun einmal das funktionelle Outcome aber auch die Rate früher und später Komplikationen wie Luxationen, Muskel- und Nervenschäden, Notching- und Lockerungsraten etc. direkt beeinflussen bzw. verursachen können. So ist es hilfreich, sich entsprechender Unterschiede verschiedener Implantate bewusst zu sein. Evtl. ist diese Einteilung auch hilfreich, um für die allgemeine oder auch für die individuelle Patientenversorgung das geeignete Implantat zu wählen.

Bei einem medialen Glenoid und einem medial positionierten Humerus (MGMH) ist das Rotationszentrum nahe der glenoidalen Gelenklinie positioniert. Das Inlay bzw. der humerale Anteil mit dem Inlay ist nahe zum intramedulären Kanal positioniert. Die Grammont-Prothese ist ein typisches Beispiel (Abb. 5a). Hier zeigen sich folgende Merkmale: Aufgrund der Glenosphäre ohne lateralem Offset findet sich ein reduziertes Risiko für eine glenoidale Lockerung [20]. Die aktive Armabduktion basiert v.a. auf der hohen Vorspannung des Deltamuskels, der Kraftvektor ist eher ungünstig. Aufgrund einer in bestimmten Fällen notwendigen, chronischen Überspannung besteht ein erhöhtes Risiko für eine langfristige Atrophie und Insuffizienz des Deltamuskels. Zudem finden sich hohe Notching-Raten [53], welche teils mit einem erhöhten Risiko einer sekundären Glenoidlockerung einhergeht [49]. Aufgrund der relativen Verkürzung der Rotatoren ist, sofern diese noch vorhanden sind, die aktive Rotation evtl. eingeschränkt.

Bei einem lateralen Glenoid und einem medial positionierten Humerus (LGMH) liegt das Rotationszentrum lateral der Glenoidverankerung (Abb. 5b). Dieses wird bspw. bei der Encore-Prothese (Reverse® shoulder, DJO Global, Guildford, Vereinigtes Königreich) durch eine weitauslaufende Glenosphärenform oder aber durch einen knöchernen Glenoidaufbau (Bio-RSA) erreicht. Die humerale Komponente bleibt nach wie vor in der Humerusachse, so dass dies zu einer Medialisation führt. Dieser Prothesentyp zeichnet sich durch minimale Notchingraten aus. Die ein wenig erhöhte Spannung der Rotatorenmanschette wirkt sich positiv auf die aktive Rotation aus. Bei den metallischen Offseterweiterungen ist das Risiko für eine glenoidale Lockerung auf Grund der erhöhten Belastung am Glenoid-Implantat-Interface potentiell erhöht [42].

Bei einem medialen Glenoid und einem lateral positionierten Humerus (MGLH) ist das Rotationszentrum wieder weiter medial im Bereich des anatomischen Glenoides lokalisiert. Der Humerusschaft ist lateralisiert, die humerale Gelenkkomponente sitzt exzentrisch zum Humerusschaft (Abb. 5c). Dieses Prinzip ist besonders gut mit inversen “Onlay-Prothesen“ zu erreichen. Der längere Deltoid-Momentarm und der erhöhte Umlenkwinkel über dem Tuberculum majus wirken sich positiv auf die aktive Arm-Elevation aus. Eine bessere Spannung der Rotatorenmanschette unterstützt die aktive Innen- und Außenrotation. Zudem zeichnet sich dieser Prothesentyp durch ein reduziertes Risiko der glenoidalen Lockerung aus.

Bei einem lateralen Glenoid und einem lateral positionierten Humerus (LGLH) liegt das Rotationszentrum wiederum lateral der glenoidalen Verankerung. Die humerale Gelenkkomponente sitzt exzentrisch zum Humerusschaft, der Schaft ist lateralisiert (Abb. 5d). Diese Geometrie ist je nach Positionierung des Onlays mit der schaftfreien inversen Onlay-Easytech-Prothese zu erreichen. Dieser Typ zeichnet sich durch geringe Notchingraten aus. Die erhöhte Belastung am Glenoid-Implantat-Interface kann das Risiko für eine glenoidale Lockerung erhöhen. Beide Offset-Optionen, sowohl glenoidal als auch humeral, können je nach Bedarf die Spannung der evtl. noch vorhandenen Rotatorenmanschette verbessern. Der etwas längere Deltoid-Momentarm und der verbesserte Umlenkwinkel des Deltamuskels kann sich positiv auf die aktive Arm-Elevation aufgrund auswirken.

Fazit

Bei den unterschiedlichen inversen Endoprothesen ist es sinnvoll, die gelenkgeometrischen Eigenschaften und deren Auswirkungen auf das funktionelle Outcome sowie auf typische frühe und späte Komplikationen zu kennen. Die ersten klinischen Ergebnisse der schaftfreien inversen Easytech Endoprothese liegen gut im Range für geschaftete und schaftfreie inverse Versorgungen. Die Verwendung des exzentrischen Polyethylen-Onlays erlaubt eine individuelle Anpassung des humeralen Offsets. Aus funktioneller Sicht und auch zur Vermeidung von kurz- u./o. langfristigen Komplikationen ist dies durchaus in Erwägung zu ziehen.

Interessenkonflikte:

Jörg Jerosch: Beraterhonorare von den Firmen Corin, FX Solutions und Implantcast.

Lars Victor von Engelhardt: Aufwandsentschädigungen für Vorträge und Instruktionskurse von der Firma Corin und FXSolutions.

Uzichi Gospel Nathan, Andreas Breil-Wirth: Keine angegeben.

Die Präsentation des Themas ist unabhängig und die Darstellung der Inhalte produktneutral.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jörg Jerosch

Wissenschaftsbüro

Grabenstraße 11

40667 Meerbusch

j.jerosch@hotmail.com

Prof. Dr. med. Lars Victor

Baron von Engelhardt

Fakultät für Gesundheit der Universität Witten/Herdecke

Alfred-Herrhausen-Straße 50

58455 Witten

Abteilung für Unfallchirurgie,

Landesklinikum Horn

Spitalgasse 10,

A-3580 Horn

larsvictor@hotmail.de

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