Originalarbeiten - OUP 02/2022
Kurzfristige Ergebnisse mit einer schaftfreien inversen Onlay Schulterendoprothese (Easytech, FX Solutions)
Die funktionellen Ergebnisse der Easytech Endoprothese liegen mit einem Constant Score von 59 Punkten ähnlich gut wie unsere Daten zur stielfreien inversen TESS Prothese. Hier lag der absolute Constant Score bei 55 Punkten [60]. Bei diversen schaftgeführten und schaftlosen inversen Prothesen liegen die absoluten Constant Scores in einem Bereich zwischen 40 und 60 Punkten [8, 10, 16, 39, 62]. Somit liegen die Scores der schaftfreien inversen Endoprothesen gut im Range. Die Auswertung der Gelenkgeometrie zeigt eine adäquate Distalisierung und Medialisierung des Rotationszentrums. Zur Medialisierung des Rotationszentrums nach inverser Prothese findet sich in der Literatur eine außerordentliche Streuweite der Werte [1, 8, 27, 46]. Mit der schaftfreien TESS-Endoprothese zeigten wir eine Medialisierung im Mittel von knapp 21 mm. Somit sind unsere Messungen zur Medialisierung der Easytech-Prothese mit 25,7 mm etwas höher als bei der TESS-Endoprothese. Ähnlich verhält es sich mit dem humeralen Offset, das bei der TESS-Endoprothese bei 38,5 mm und bei der Easytech-Endoprothese bei 52,5 mm lag. Letztlich liegen die geometrischen Veränderungen beim humeralen Offset und bei der Medialisierung des Rotationszentrums im Vergleich zu den Literaturangaben ein wenig höher [8, 27, 28, 36–38]. Die Distalisierung des Rotationszentrums entspricht der Distanz zwischen der Unterkante des Glenoides und dem Rotationzentrum des Humerus bzw. der Glenosphäre. Im Vergleich zur Delta- (DepuySynthes, Raynham, Massachusetts, USA) oder TESS-Endoprothese, die sich beide durch eine größere Metaglene auszeichnen, lässt sich die kleinere Basisplatte der Easytech-Prothese minimal tiefer platzieren. Somit wundert es nicht, dass die Ergebnisse der Easytech-Endoprothese mit 6,5 mm eine um 1–2 mm größere Distalisierung aufweisen als bspw. die anderen genannten Implantate, bei denen die Distalisierung des Rotationszentrums bspw. zwischen 4 und 5 mm liegt [8, 61].
Ein gutes Offset der inversen Versorgung kann sowohl glenoidal als auch auf der humeralen Seite mittels Lateralisation des Humerus erzielt werden. Bei einzelnen geschafteten Prothesen kann die Lateralisation des Humerus über ein zusätzliches modulares Element oder, bei Onlay-Varianten, mit der Möglichkeit einer medialisierten Einstellung der Polyethylen führenden Komponente erzielt werden. Eine ähnliche Offsetlösung besteht in einem begrenzten Umfang auch bei der schaftfreien inversen Easytech-Endoprothese mit der Möglichkeit eines exzentrisch platzierbaren Polyethylen-Onlays (Abb. 3). Eine solche Erhöhung des Offset der inversen Systeme erscheint aus verschiedenen Gründen sinnvoll. Bspw. führt die Lateralisation des Humerus zu einer Verbesserung des Deltoid-Umlenkwinkels (Abb. 4). Darüber hinaus finden sich ein günstigerer Hebelarm und eine bessere Vorspannung des Deltamuskels. Dies erachten wir als funktionell vorteilhaft. So erhöht dies den Druck auf das Gelenk, was zum einem die Stabilität gegenüber Luxationen verbessert, und zum anderen einen günstigeren Druckvektor auf die Glenosphäre und damit auf das Interface zwischen Metaglene und knöchernen Glenoid nach sich zieht. Dieser Vektor, der nicht mehr so sehr “von kaudal hebelt“, ist möglicherweise für das Einwachsen und die Langzeitstabilität der Basisplatte vorteilhaft. Aber nicht nur das vermehrte Offset, sondern auch die damit erzielbare verringerte Distalisierung erachten wir als sinnvoll. So kommt es mit der medialisierten Position des Inlays nicht nur zu einer Lateralisation des Humerus, sondern auch zu einer Kranialisierung des Humerus in Relation zum Rotationzentrum. Damit reduziert sich die Distanz zum Akromion entlang der 145°-Resektionsebene (Abb. 4). So kann die intraoperative Spannungsaustestung nicht nur mit der Höhenaustestung des Inlays sondern auch mittels Offset-Einstellung der Onlay-Komponente geändert werden. Neben den generellen funktionellen Vorteilen besteht hierdurch die Möglichkeit, bspw. bei schlaffen Gelenkverhältnissen, eine exzessive Distalisierung zu reduzieren bzw. im Rahmen zu halten. Dies ist in Anbetracht von Komplikationen, die mit einer starken Distalisierung einhergehen, sinnvoll. Kim et al. zeigten, dass neurologische Defizite mit Apraxien, die in bis zu 19 % der Fälle zu finden sind, signifikant mit dem Ausmaß der humeralen Distalisierung zusammenhängen [31]. Tashjian et al. zeigten, dass eine vermehrte Distalisierung darüber hinaus mit einer signifikant erhöhten Rate weiterer Komplikationen und einer signifikant erhöhten Revisionsrate einhergeht [57]. Diese aktuellen Arbeiten sind nachvollziehbar, weil eine extreme Distalisierung und Weichteilspannung mit neuromuskulären Schmerzen und Schäden, einer Deltainsuffizienz, Akromionfrakturen, Sehnenreizungen und -entzündungen sowie überhöhten Belastungen auf die Implantatkomponenten einhergehen kann.
Auf der glenoidalen Seite gelingt die Offseterhöhung entweder durch eine lateralisierte Glenosphäre [34, 35] oder durch einen Knochenaufbau am Glenoid, der sog. BIO-RSA (bony-increased offset-reverse shoulder anthroplasty) [6]. Bei der Easytech Prothese weist die Glenosphäre ein um 3,5 mm lateralisiertes Offset auf. Nachteil solcher metallischen Offsetlösungen ist, dass das Drehzentrum außerhalb des Knochenimplantat-Interfaces liegt. Bei Systemen mit vglw. ausgeprägten Offseterweiterungen kann dies mit erhöhten Lockerungsraten einhergehen [20]. Andererseits scheinen Implantate mit winkelstabilen Schrauben im 10-Jahres-Follow-up keine vermehrten glenoidalen Lockerungen mehr zu zeigen [15]. Die Easytech-Endoprothese erlaubt die Einbringung 4 winkelstabiler Schrauben; zudem kann der kräftige Zapfen je nach Knochensituation in diversen Längen eingebracht werden. Beachtet man darüber hinaus die Stabilitätsuntersuchungen von Kelly et al. mit der beschriebenen Optimalposition der Metaglene [29], den etwas günstigeren Kraftvektor auf das Interface zwischen Metaglene und Knochen, sowie die Doppelbeschichtung der Implantatrückflächen, so ist eine gute Sekundärstabilität zu vermuten.