Übersichtsarbeiten - OUP 05/2022
Leitlinien für die Diagnostik und Behandlung von Arthrosen
Gunter Spahn, Johannes Stöve, Gunther O. Hofmann
CME
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PUNKT
Lernziele:
Nach der Lektüre dieses Beitrags wissen Sie,...
dass Leitlinien für die Behandlung der Koxarthrose und Gonarthrose als Hilfestellung bei der Entscheidungsfindung für bestimmte Therapien und zur Orientierung über das state of the art zum Zeitpunkt der Publikation dienen
dass die Behandlung der Arthrosen multimodal ist. Beratung (education), medikamentöse Behandlung und weitere Maßnahmen wie Hilfsmittelversorgung, Physiotherapie, alternative Behandlungsmethoden und gelenkerhaltende Operationen müssen dabei kombiniert werden
dass ein individuelles Therapiekonzept dabei für jeden einzelnen Patienten zu erstellen ist
Zusammenfassung:
Leitlinien geben, basierend auf dem aktuellen Erkenntnisstand der Wissenschaft, Empfehlungen für die Diagnostik und Therapie verschiedener Erkrankungen. In diesem Artikel werden die aktuellen Empfehlungen der wichtigsten Fachgesellschaften zur Diagnostik und Therapie der Koxarthrose und Gonarthrose zusammengefasst. Übereinstimmend wird festgestellt, dass eine individuelle Beratung der Patienten und ein individuell abgestimmtes Therapiekonzept in Abhängigkeit von den Wünschen und dem Arthrosestadium erfolgen müssen. Keineswegs gibt es für irgendwelche Therapieformen Goldstandards. Für den Therapeuten es dabei wichtig, die möglichen Behandlungsoptionen zu kennen, um dann für seinen Patienten ein individuell abgestimmtes Therapieprogramm zu entwickeln. Dafür dienen die Leitlinien als Hilfestellung. Diese Übersichtsarbeit setzt sich mit den unterschiedlichen Betrachtungsweisen verschiedener Fachgesellschaften in Bezug auf einzelne Therapieformen auseinander.
Schlüsselwörter:
Koxarthrose, Gonarthrose, Leitlinie, Patientenberatung, Therapieempfehlungen
Zitierweise:
Spahn G, Stöve J, Hofman G. O.: Leitlinien für die Diagnostik und Behandlung von
Arthrosen.
OUP 2022; 11: 231–240. DOI 10.53180/oup.2022.0231-0240
Abstract: Based on the current state of scientific knowledge, guidelines provide recommendations for the diagnosis and therapy of various diseases. This article summarizes the current recommendations of the most important professional societies for the diagnosis and therapy of coxarthrosis and gonarthrosis. It is agreed that an individual consultation of the patients and an individually tailored therapy concept must be carried out depending on the wishes and the osteoarthritis stage. By no means there are gold standards for any forms of therapy. It is important for the therapist to know the possible treatment options in order to then develop an individually tailored therapy program for his patient. The guidelines serve as an aid for this. This review deals with the different approaches of different professional societies about individual forms of therapy.
Keywords: coxarthrosis, gonarthrosis, guideline, patient education, recommendations
Citation: Spahn G, Stöve J, Hofman G. O.: Guidelines for the diagnosis and treatment of arthrosis.
OUP 2022; 11: 231-240. DOI 10.53180/oup.2022.0231-0240
G. Spahn: Universitätsklinikum Jena, Praxisklinik für Unfallchirurgie und Orthopädie
J. Stöve: Orthopädische und Unfallchirurgische Klinik, St. Marien- und Annastiftskrankenhaus Ludwigshafen
G. O. Hofmann: Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Jena
Einleitung
Medizinische Leitlinien widerspiegeln den aktuellen Wissensstand für die Diagnostik und Therapie von Erkrankungen. In der Regel basieren sie auf den Ergebnissen aus hochwertigen randomisiert-prospektiven Studien und der zusätzlichen Expertise von an der Verfassung der Leitlinie beteiligten Fachwissenschaftlern. Aufgrund der Heterogenität innerhalb der medizinischen Fachliteratur und der ständigen Entwicklung mit neuen Erkenntnissen, ist es erforderlich, die Leitlinien durch regelmäßige Updates zu aktualisieren. Damit widerspiegeln sie einerseits den aktuellen Wissensstand (state of the art) und geben somit den Ärzten und Therapeuten Hilfestellung bei der Entscheidung über die zu treffenden Maßnahmen im Einzelfall. Keineswegs sind dabei aber Leitlinien starre und rechtsverbindliche Handlungsanweisungen, wodurch sie sich durch Richtlinien bzw. Gesetze unterscheiden.
In den letzten Jahrzehnten haben sich die Erkenntnisse zum Krankheitsbild der Arthrose erheblich erweitert. Dies betrifft sowohl Kenntnisse in der Pathophysiologie, der Diagnostik und vor allem auch in Bezug auf die therapeutischen Möglichkeiten. Neben der Entwicklung zahlreicher neuer Therapiemethoden, deren Tauglichkeit sich aber immer auch in der Langzeitbeobachtung bestätigen muss, gab es auch Entwicklungen in gegenteiliger Richtung. Waren noch in den 80er-/90er Jahren des letzten Jahrhunderts ungezielte arthroskopische Gelenk-Debridements (sogenannte Gelenktoilette) Goldstandard bei der gelenkerhaltenden Arthrosebehandlung, so hat sich dies inzwischen völlig gewandelt. Basierend auf zahlreichen prospektiv-randomisierten Studien, hatte sich gezeigt, dass diese Therapiemethode heute als obsolet anzusehen ist.
Ausgehend von den beiden deutschen AWMF-Leitlinien für die Koxarthrose und Gonarthrose wird in diesem Artikel versucht, einen Überblick über zusätzliche internationale Leitlinien zu geben und hier auch darzustellen, dass es keineswegs einheitliche Betrachtungsweisen gibt. Insbesondere die internationalen Leitlinien beschäftigen sich hier mit seltener angewandten Arthrosebehandlungen. Damit soll dem Leser dargestellt werden, in welcher Weise solche Therapien sinnvoll oder weniger sinnvoll sind.
Im Hinblick auf den Schwerpunkt dieses Themenheftes wird dabei das Hauptaugenmerk auf die gelenkerhaltenden Therapiemaßnahmen gelegt und es erfolgt eine Beschränkung auf die Krankheitsbilder Koxarthrose und Gonarthrose. Einbezogen in diese Aufstellung wurden nur Leitlinien der führenden Fachgesellschaften, die in den letzten 10 Jahren erstellt bzw. aktualisiert wurden:
Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) [1]; (DGOOC) [2]
OARSI (Osteoarthritis Research Society International) [3]
AAOS (American Academy of Orthopaedic Surgeons) [4]
ASR (American College of Rheumatology) [5]
Definition und Diagnostik der Krankheitsbilder Koxarthrose und Gonarthrose (Tab. 1)
Übereinstimmend in allen Leitlinien wird gefordert, dass die Diagnose des Krankheitsbildes Koxarthrose und Gonarthrose aufgrund anamnestischer, klinischer und gleichermaßen radiologischer Kriterien zu stellen ist.
Die anamnestisch-klinischen Kriterien basieren dabei im Grunde in allen Leitlinien auf denen der ASR und den Kriterien für Bestimmung des radiologischen Schweregrades der Arthrose auf den Kriterien nach Kellgren-Lawrence. Bezüglich der Wertigkeit der verschiedenen diagnostischen Kriterien wird an dieser Stelle auf eine weitere Arbeit in diesem Themenheft näher eingegangen.
Grundlegende
Therapieprinzipien (Tab. 2)
Keine der Leitlinien gibt unterschiedliche Empfehlungen für die Behandlung einer primären oder sekundären Arthrose. Grundsätzlich gehen die Leitlinien dabei offensichtlich vom Standard, der primären idiopathischen, altersabhängigen Arthrose aus. Lediglich bei speziellen Therapieempfehlungen für operative Maßnahmen werden hier Unterschiede gemacht. Da sich aber dieses Themenheft vorwiegend auf die gelenkerhaltende Therapie bezieht, wird hier nicht näher darauf eingegangen.
Alle Leitlinien stimmen darin überein, dass eine umfassende Aufklärung (Education) der Patienten eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Arthrosetherapie ist. Der Patient muss das Krankheitsbild verstehen, ihm muss klar werden, dass es sich um eine irreversible Schädigung des Gelenkes handelt und er es erlernen muss, mit dieser Erkrankung umzugehen. In einem vertrauensvollen Gespräch sollten dabei dem Patienten Strategien für das Alltagsverhalten, seine sportlichen Aktivitäten und den sinnvollen Gebrauch der verordneten Maßnahmen an die Hand gegeben werden.
Überwiegender Einigkeit besteht darin, dass eine Gewichtsreduktion bei Gonarthrose empfehlenswert ist. Dies ist damit begründet, dass Übergewicht bzw. Adipositas wesentliche Risikofaktoren für das Entstehen der Erkrankung und die Erkrankungsmanifestation sind.
Weniger Einigkeit besteht jedoch hier bei den Koxarthrosen. Hier sind Übergewicht und Adipositas keineswegs so stark ausgeprägte Risikofaktoren wie bei der Gonarthrose. Die deutsche Leitlinie gibt hier keine generelle Empfehlung. Andere Leitlinien beurteilen den Effekt der Gewichtsreduktion bei Koxarthrose auch eher zurückhaltend. Die Realisierung einer Gewichtsreduktion sollte dabei übereinstimmend zunächst durch Nahrungsumstellung in Kombination mit moderater Sportaktivität und dem Ausmaß der Erkrankung angepasster körperlicher Aktivierung erfolgen. Nur bei extremen Fällen werden gelegentlich die Möglichkeiten zur medikamentösen Unterstützung bzw. zu bariatrisch- chirurgischen Maßnahmen diskutiert.
Physikalische Therapie (Tab. 3)
Bezüglich der Wirksamkeit verschiedener Maßnahmen der Physiotherapie wird auf das entsprechende Kapitel in diesem Themenheft hingewiesen.
Überwiegende Einstimmigkeit besteht in allen Leitlinien darüber, dass physiotherapeutische Behandlungen zur Basistherapie der Arthrosen und als ergänzende Behandlungsmethoden gelten können. In den verschiedenen Leitlinien werden dabei teilweise spezielle Therapieformen ausdrücklich beurteilt und mit entsprechender Wertigkeit empfohlen. Dabei wird übereinstimmend darauf hingewiesen, dass bestimmte Therapien individuell sehr unterschiedlich angewandt werden, in Abhängigkeit von den jeweiligen Erfahrungen der Ärzte/Therapeuten bzw. auch der Möglichkeiten (z.B. in Deutschland das Heilmittel-Budget bei gesetzlich Krankenversicherten).
Analgetika und Antiphlogistika (Abb. 1, Tab. 4)
In allen Leitlinien besteht der überwiegende Konsens, dass die medikamentöse Therapie mit Analgetika und Antiphlogistika zur Basistherapie der Arthrosen zählt. Keine der Leitlinien hingegen spricht sich eindeutig für irgendeine Medikation als „Goldstandard“ aus. Die Gründe dafür liegen einerseits in der zum Teil heterogenen Studienlage in den RTCs, aber vor allem in dem Umstand, dass alle für die analgetisch-antiphlogistische Behandlung infrage kommenden Medikamente erhebliche Nebenwirkungen haben können. Dies sind einerseits bei den NSAR die Risiken für ein gastrointestinales Blutungsrisiko oder die Nebenwirkungen in Bezug auf die Herz- und Nierenfunktion. Ebenso besteht Übereinstimmung darin, dass die Anwendung von Opioiden in der Regel nur kurzzeitig erfolgen sollte und im Falle der Opiate-Pflicht über Alternativen (bspw. Endoprothesenimplantation) nachgedacht werden muss. In Bezug auf die Bewertung unterscheiden sich die deutschen Leitlinien dabei etwas gegenüber den angloamerikanischen Leitlinien. Paracetamol bspw. wird in Deutschland nicht mehr empfohlen, während die Leitlinien der AAOS und ASR dieses Medikament besonders favorisiert. Einige Leitlinien verweisen darauf, dass lokale NSAR-haltige Salben durchaus eine Alternative zur oralen Medikation sein können, um die systemischen Nebenwirkungen zu reduzieren.
Sonstige medikamentöse
Behandlung und Nahrungsergänzungsstoffe (Tab. 5)
SADOA („slow acting drugs in osteoarthritis“) bewirken eine Symptomverbesserung (Gelenkfunktion und Schmerz). Allerdings tritt die Wirkung dabei erst über einen längeren Zeitraum ein. DMOADs („disease modifying osteoarthritis drugs“) können den Prozess der Knorpel-Degeneration aufhalten oder sogar zu einer Knorpel-Regeneration in frühen Phasen der Erkrankung beitragen.
Die intraartikuläre Injektion von Hyaluronsäure (Hauptbestandteil der Synovia) verbessert die Gelenkfunktion und ist schmerzreduzierend im Vergleich zum Placebo. Klinisch setzt ihre Wirkung im Vergleich mit intraartikulären Kortikoiden (innerhalb der ersten 2 Wochen bessere Schmerzreduktion) später ein [6]. Allerdings ist es bislang unklar, ob eine Hyaluronsäure-Behandlung wirklich zu einer Verlangsamung oder gar Umkehr der Knorpel-Degeneration führt. Andererseits wird die Anwendung der Hyaluronsäure von einzelnen Fachgesellschaften gar nicht mehr empfohlen. Auch die deutsche Leitlinie für die Gonarthrose beschränkt die Anwendung dieser Methode auf diejenigen Fälle, bei denen orale Analgetika nicht wirken oder kontraindiziert sind. Hyaluronsäurepräparate unterscheiden sich vor allem in Bezug auf ihre Moleküllänge. Die Datenlage in Bezug auf den genauen Wirkmechanismus oder die Wahl verschiedener Präparate ist unsicher. Daher kann derzeit nicht von einem Goldstandard in Bezug auf diese Therapieform ausgegangen werden.
Für alle anderen Anwendungen von SADOA oder DMOAD geben die Leitlinien überwiegend keine oder nur eingeschränkte Empfehlungen.
Ebenso zu diesen Methoden gehört die PRP (platelet rich plasma). Thrombozyten enthalten in hoher Konzentration verschiedene Wachstumsfaktoren und Zytokine wie „Platelet Derived Growth Factor“, „Transforming Growth Factor-?1 und -?2“, „Epidermaler Wachstumsfaktor“ (EGF), „Fibroblast growth factor“, „Epithelial growth factor“, „Insulinähnliche Wachstumsfaktoren“ und „Platelet-Derived Angiogenesis Factor“. Durch spezielle Plasmapherese-Verfahren ist es möglich, aus dem Vollblut des Patienten diese körpereigenen Knorpel-protektiven Substanzen anzureichern und diese dann intraartikulär zu applizieren. Die für die Herstellung des PRP notwendigen Plasmapherese-Instrumentarien und damit die Herstellung sind keineswegs standardisiert. Das Verfahren der PRP-Therapie (platelet rich plasma) ist daher derzeit Gegenstand aktueller kontroverser Diskussionen in Bezug auf die Wirksamkeit bei der Behandlung der Gonarthrose. So hat auch die AG Geweberegeneration der DGOU unlängst die Methode beurteilt und spricht derzeit noch keine generelle Empfehlung für die Anwendung dieser Therapieform aus [7]. Lediglich die Leitlinie der AAOS hingegen gibt eine mäßige Empfehlung. Alle übrigen Leitlinien, lehnen diese Therapieform aufgrund der bislang nur unsicheren Datenlage ab. Zudem ist zu beachten, dass für Deutschland strenge Richtlinien in Bezug auf die Applikation von Blutprodukten gelten. Sowohl bei der intraartikulären Applikation von Kortikoiden als auch bei der Hyaluronsäure- bzw. PRP-Behandlung sind die Regeln für die Gelenkpunktion strikt zu beachten [8].
Hilfsmittel (Tab. 6)
In den meisten Leitlinien wird die Anwendung geeigneter Hilfsmittel (Gehhilfen, Bandagen, Orthesen zur Entlastung bei Knie-Arthrose) empfohlen. Bemerkenswert ist es, dass keine der Leitlinien eine explizite Empfehlung oder Ablehnung für das Tragen von Bandagen abgibt. Eine strenge Empfehlung für Einlagen mit seitlicher Fußranderhöhung zur Entlastung des medialen Gelenkraumes bei unikompartimenteller medialer Gonarthrose gibt jedoch allein die AAOS-Leitlinie.
Sonstige mögliche Therapieoptionen (Akupunktur, Röntgen-Bestrahlung, RSO) (Tab. 7)
Akupunktur zählt zu den Methoden der „Alternativmedizin“ und entstammt der traditionellen chinesischen Medizin (TCM). Über das Setzen von Nadeln an bestimmten definierten Leitungsbahnen (Meridianen) sollen diese Punktionen den Energiefluss beeinflussen und damit zu einer Symptomlinderung führen. Alternativ zu Sder Punktion ist es hier auch möglich, punktuell manuellen Druck auszuüben (Akupressur). Auch wenn der Effekt der Akupunktur sicherlich zu einem nicht geringen Teil auf den Placeboeffekt zurückzuführen ist, ist es durchaus möglich, in einzelnen Fällen hier einen Therapieversuch zu unternehmen [9]. Eine generelle Empfehlung im Sinne einer Standardtherapie gibt es jedoch nicht.
Eine Entzündungsbestrahlung (Orthovolttherapie) kann über die Modulation der Entzündungsreaktion im Gelenk zu einer erheblichen Schmerzreduktion beitragen und gilt allgemein als sinnvolle Ergänzung zur Behandlung der schmerzenden Gelenke. Obwohl eine Behandlung mit niedrig dosierter Röntgen- oder Gammastrahlung (s.g. Reizbestrahlung, bzw. die Bestrahlung) zur Behandlung von symptomatischen Arthrosen vielfach mit gutem Erfolg angewandt wird, hat sich bisher keine der hier diskutierten Leitlinien zu dieser Therapieform positioniert [10].
Neben der Behandlung mit Kortikoiden, Hyaluronsäure und PRP ist die Radiosynoviorthese (RSO) ein weiteres intraartikuläres Verfahren. Der im deutschsprachigen Raum gebräuchliche Terminus RSO (Radio-Synovio-Orthese; Orthese = Wiederherstellung) ist etwas verwirrend, zumal der Begriff Orthese für die entsprechenden Hilfsmittel reserviert ist. Dem Prinzip nach näher kommt daher die Bezeichnung des Verfahrens in der angloamerikanischen Literatur als „radiation synovectomy“. Das Prinzip besteht darin, Beta-Strahler (vorwiegend Yttrium 90 aber auch Rhenium 186 bzw. Erbium 169) in den Gelenkraum zu applizieren. Durch die dabei entstehende Bestrahlung von innen heraus kommt es zu einem Effekt, der einer Synovektomie ähnelt. Hauptsächliche Anwendungsgebiete dieser Behandlung sind aktivierte Arthritiden und könnten nach Auffassung der Nuklearmedizin auch bei aktivierter Arthrose (erhebliche Ergussbildung und Entzündungssymptomatik) angewandt werden [11].
Arthroskopie und sonstige, nicht endoprothetische
Operationen (Tab. 8)
In Bezug auf die Leitlinien muss eingeschränkt werden, dass sich die OARSI und ASR zu diesen Behandlungsoptionen überhaupt nicht äußerten, dass sie ausschließlich nicht-operative Maßnahmen beurteilten.
Bereits in der Vor-Arthroskopie-Ära wurde vereinzelt über Versuche berichtet, Arthrotomien an arthrotischen Kniegelenken durchzuführen, mit dem Ziel alle offensichtlichen Pathologien wie Osteophyten, eingerissene Menisken, freie Gelenkkörper, veränderte Synovia zu entfernen und gleichzeitig die Gelenkflächen zu glätten. Magnuson bezeichnete dieses Vorgehen als „housecleaning“. Mit der Etablierung der Arthroskopie als operative Methode, insbesondere durch die Vereinfachung infolge der Videoarthroskopie, nahm zwischen den 80er-/90er Jahren des letzten Jahrhunderts die Zahl an arthroskopischen Gelenk-Debridements enorm zu. Eine arthroskopische „Gelenk-Toilette“ war zeitweise Standardmethode bei der Behandlung von Gonarthrosen. Für andere Gelenke, insbesondere für die Hüfte war dieser Trend hingegen nicht zu beobachten. Bezüglich des Hüftgelenkes lag dies sicherlich daran, dass diese Methode wesentlich aufwendiger ist und nur in ausgewählten Zentren in größeren Zahlen durchgeführt wurde. Die Ergebnisse waren meistens nur kurzfristig oder gar nicht zu beobachten. Ausgelöst durch die Studie von Mosely, aber auch der anderer Arbeitsgruppen wurde dieses Vorgehen ab 2010 zunehmend kritisch beurteilt [12, 13]. In Deutschland führte dies dazu, dass der GBA am 27.11.2015 empfahl, die Arthroskopie des Kniegelenks bei Gonarthrose zukünftig aus dem Leistungsverzeichnis der gesetzlichen
Krankenkassen zu streichen (https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen-meldungen/591/).
Allerdings kann die Methode Arthroskopie weiter bei speziellen Indikationen auch bei der Behandlung von Gonarthrosen angewandt werden. Dies betrifft vor allem symptomatische, konservativ nicht zu behandelnde Meniskusrisse, das Entfernen freier Gelenkkörper oder mechanisch störender Osteophyten bzw. auch eine arthroskopische Synovektomie bei erheblicher Reizbildung im Gelenk. Letztere Maßnahme erbringt bessere Ergebnisse als wiederholte Cortisoninjektionen bzw. eine RSO. Außerdem spielt die Arthroskopie bei der Behandlung fokaler Knorpelschäden im Rahmen einer „Früharthrose = early OA“ eine große Rolle [14–17].
Als Alternative zum unikompartimentellen Gelenkersatz besteht, entsprechend den Empfehlungen der Gonarthrose-Leitlinie der DGOOC als auch der AAOS, bei jüngeren Patienten die Möglichkeit einer Korrektur der Beinachse durch Osteotomie. Genaue Kriterien für die Indikation zu dieser Maßnahme im Vergleich zur Schlitten-Endoprothese werden jedoch nicht vorgegeben.
Nur eine Leitlinie (AAOS) führt als weitere, gelenkerhaltende Operation eine Denervierung des Kniegelenkes als mögliche Behandlungsoption an. Eine generelle Empfehlung für dieses Verfahren kann daher nicht gegeben werden.
Für die gelenkerhaltende operative Behandlung der Koxarthrose gibt die deutsche Leitlinie der DGOOC folgende Empfehlungen. Hierzu wird jedoch eingeschränkt, dass dies nur bei Früharthrosen, nicht jedoch im Fall einer fortgeschrittenen Arthrose erfolgen sollte:
ein symptomatisches femoroacetabuläres Impingement (FAI); sollte in Übereinstimmung mit dem Expertenrat des AGA Hüft- Komitee behandelt werden: starker Konsens.
eine symptomatische Labrumläsion sollte operativ therapiert werden: mehrheitliche Zustimmung
bei geeigneter Indikation sollten symptomatische Knorpelschäden bei leichten Formen der Früharthrose therapiert werden: Konsens
bei osteochondralen Defekten des Hüftkopfes kann eine Defektauffüllung durch Spongiosa indiziert sein: Konsens
Fazit für die Praxis
Die vorgestellten Leitlinien für die Arthrose-Behandlung widerspiegeln derzeitigen Kenntnisstand in Bezug auf die Diagnostik und Therapie der Erkrankungen. Im Hinblick auf die hohe Heterogenität aus den Ergebnissen der internationalen Studien zeigen sich zwischen den einzelnen Leitlinien Unterschiede in Bezug auf die Wertigkeit. Damit sind die Leitlinien für den jeweiligen Therapeuten eine sinnvolle Orientierungshilfe, allerdings keineswegs ein Dogma.
Interessenkonflikte:
Keine angegeben.
Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. habil. Gunter Spahn
Praxisklinik für Unfallchirurgie und
Orthopädie Eisenach
Universitätsklinikum Jena
Sophienstraße 16
99817 Eisenach
spahn@pk-eisenach.de
Fragen zum CME-Artikel
1. Bedeutung der Leitlinien. Welche Antwort ist richtig?
In Deutschland sind grundsätzlich nur die AWMF-Leitlinien verbindlich.
An die Festlegungen innerhalb der Leitlinien hat sich jeder Arzt strikt zu halten.
Nur bei einer starken Empfehlung innerhalb einer Leitlinie ist eine
jeweilige Maßnahme sinnvoll.
Leitlinien sind unverbindliche Hilfestellungen für den Arzt oder Therapeuten, um ihm bei der individuellen Entscheidungsfindung beim Patienten zu helfen.
In Behandlungsberichten sollte immer angegeben werden, nach welcher Leitlinie sich der Arzt/Therapeut gerichtet hat.
2. Aufklärung und
Selbstmanagement
Ein Patient muss nur vor invasiven Maßnahmen über die Risiken des Eingriffs aufgeklärt werden.
Der Patient muss nur über Risiken und Nebenwirkungen bei Medikamenteneinnahme aufgeklärt werden.
Selbstmanagement wird überbewertet und daher in den Leitlinien nicht empfohlen.
Da Arthrosen heilbar sind, sind überflüssige Aufklärungsgespräche nicht zu empfehlen.
Die Aufklärung des Patienten über das Wesen der Erkrankung, die Prognose, die Möglichkeiten der Prävention und Therapie sowie Bedeutung des Selbstmanagements in Bezug auf die Lebensweise sind entscheidende Säule für eine erfolgreiche Arthrosetherapie
3. Gewichtskontrolle
Eine Gewichtskontrolle ist für alle Arthroseformen die wichtigste Maßnahme.
Bei übergewichtigen Patienten mit einer Kniearthrose soll in jedem Fall versucht werden, eine Gewichtskontrolle bzw. Gewichtsreduktion anzustreben.
Gewichtsreduktion ist die wichtigste Maßnahme bei der Behandlung der Koxarthrose.
Bei Patienten mit einer Adipositas permagna ist vor Behandlungsbeginn eine bariatrische Operation zu empfehlen.
Medikamente (s.g. Appetitzügler) sind in jedem Fall zu empfehlen.
4. Physikalische Therapie
Medikamentöse Therapie und operative Verfahren sind heute so effektiv, dass man auf Physiotherapie weitgehend verzichten kann.
Manualtherapie ist bei allen Arthroseformen Therapie der Wahl.
In Bezug auf die physikalische Therapie sind verschiedene mögliche Verfahren individuell auf das spezielle Krankheitsbild des jeweiligen Patienten abzustimmen und gegebenenfalls auch im Behandlungsverlauf zu korrigieren.
Vibrationsbehandlung ist eine innovative Behandlungsform bei der Gonarthrose und sollte in jedem Fall angewandt werden.
Durch entsprechende Physiotherapie gelingt es in jedem Fall, alle Patienten erfolgreich zu behandeln.
5. Analgetika und Antiphlogistika
Medikamentöse Behandlung bei Arthrose erfordert ein individuelles Abwägen in Bezug auf die individuellen Patienten-Gegebenheiten (vor allem in Bezug auf die Nebenwirkungen).
Paracetamol darf keineswegs mehr im Falle einer Arthrose appliziert werden.
Opioide sind Methode der Wahl bei der langfristigen Arthrosetherapie.
Die lokale Anwendung von NSAR-haltigen Salben ist obsolet.
Sollten Patienten mit einer Arthrose länger als 3 Monate eine Medikation mit Analgetika und Antiphlogistika benötigen, so besteht die Indikation zur Endoprothese.
6. Hyaluronsäure Behandlung
Methode der 1. Wahl bei jeder Form der Koxarthrose und Gonarthrose.
Hyaluronsäure führt in jedem Fall zu Schmerzreduktion und zur Verlangsamung der Arthrose-Progression.
Die Wirkmechanismen der Hyaluronsäure sind genau bekannt, weswegen sie großzügig eingesetzt werden sollte.
Die intraartikuläre Injektion von Hyaluronsäure (Hauptbestandteil der Synovia) verbessert die Gelenkfunktion und ist schmerzreduzierend im Vergleich zum Placebo.
Da es sich bei der Hyaluronsäurebehandlung um eine Routinemaßnahme handelt, sind intraartikuläre Injektionen hier ungefährlich.
7. SADOA und DMOAD
Müssen immer bei der Behandlung von Arthrosen eingesetzt werden.
Besonders Vitamin D führt zu einer Reduktion der Arthroseprogression und zur Schmerzreduktion.
PRP ist Mittel der Wahl bei Behandlung schwerer Koxarthrosen und Gonarthrosen.
Keine dieser Behandlungsmethoden kann derzeit generell für die Behandlung von Arthrosen empfohlen werden. Dies aufgrund der schwachen Evidenzlage. Aufgrund der geringen Nebenwirkungen ist jedoch ein Therapieversuch im Einzelfall möglich.
Phytotherapie verzögert die Notwendigkeit einer Endoprothesenimplantation für längere Zeit.
8. Hilfsmittel
Übereinstimmend lehnen alle Leitlinien den Gebrauch von Hilfsmitteln ab.
Schuheinlagen werden besonders bei der Behandlung der Koxarthrose durch die deutsche Leitlinie empfohlen.
Die OARSI-Leitlinie empfiehlt ausdrücklich den Gebrauch von Gehstützen bei aktivierter Gonarthrose.
Entsprechend der AAOS sind Schuheinlagen mit seitlicher Fußranderhöhung bei der Gonarthrose sehr empfehlenswert.
Orthesen sind keine sinnvolle Therapieoption bei der Behandlung der Kniearthrose.
9. Weitere Therapien
Akupunktur ist Methode der Wahl bei einer symptomatischen Arthrose und muss in jedem Fall vor dem Einsatz von Analgetika und Antiphlogistika versucht werden.
Eine radiologische Entzündungsbestrahlung wird von allen Leitlinien als hervorragende Methode zur Behandlung der Arthrosen empfohlen.
Bei der RSO werden oral Radionuclide appliziert, die eine besondere Affinität zum Knorpel haben und damit zu einer Regeneration führen.
Die RSO ist bei aktivierten Arthrosen mit erheblicher Entzündungssymptomatik und Ergussbildung eine mögliche Therapieoption
Das Aufsetzen von Blutegeln wird übereinstimmend in allen Leitlinien bei der Behandlung der Gonarthrose empfohlen.
10. Arthroskopie
Eine Arthroskopie ist, egal mit welcher Indikation, bei einer Gonarthrose immer kontraindiziert.
Besonders der Effekt einer Gelenk-Lavage mit Entfernung von Dedritus aus dem Gelenk führt oft zu langjährigen guten Ergebnissen.
Eine generelle arthroskopische Gelenktoilette ist abzulehnen. Allerdings gibt es spezielle Indikation wie symptomatische Meniskusschäden, freie Gelenkkörper oder eine erhebliche Synovialitis, die trotz GBA-Beschluss auch heute noch durchgeführt werden sollten.
Bei fortgeschrittenen Arthrosen sollte immer der Versuch unternommen werden, den zerstörten Gelenkknorpel durch geeignete Maßnahmen wiederherzustellen.
Bei erforderlicher höher dosierter Analgetikagabe muss immer eine Denervierung erfolgen.
Die Teilnahme an der CME-Fortbildung ist nur online möglich auf der Website www.online-oup.de