Übersichtsarbeiten - OUP 05/2022
Leitlinien für die Diagnostik und Behandlung von Arthrosen
Keine der Leitlinien gibt unterschiedliche Empfehlungen für die Behandlung einer primären oder sekundären Arthrose. Grundsätzlich gehen die Leitlinien dabei offensichtlich vom Standard, der primären idiopathischen, altersabhängigen Arthrose aus. Lediglich bei speziellen Therapieempfehlungen für operative Maßnahmen werden hier Unterschiede gemacht. Da sich aber dieses Themenheft vorwiegend auf die gelenkerhaltende Therapie bezieht, wird hier nicht näher darauf eingegangen.
Alle Leitlinien stimmen darin überein, dass eine umfassende Aufklärung (Education) der Patienten eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Arthrosetherapie ist. Der Patient muss das Krankheitsbild verstehen, ihm muss klar werden, dass es sich um eine irreversible Schädigung des Gelenkes handelt und er es erlernen muss, mit dieser Erkrankung umzugehen. In einem vertrauensvollen Gespräch sollten dabei dem Patienten Strategien für das Alltagsverhalten, seine sportlichen Aktivitäten und den sinnvollen Gebrauch der verordneten Maßnahmen an die Hand gegeben werden.
Überwiegender Einigkeit besteht darin, dass eine Gewichtsreduktion bei Gonarthrose empfehlenswert ist. Dies ist damit begründet, dass Übergewicht bzw. Adipositas wesentliche Risikofaktoren für das Entstehen der Erkrankung und die Erkrankungsmanifestation sind.
Weniger Einigkeit besteht jedoch hier bei den Koxarthrosen. Hier sind Übergewicht und Adipositas keineswegs so stark ausgeprägte Risikofaktoren wie bei der Gonarthrose. Die deutsche Leitlinie gibt hier keine generelle Empfehlung. Andere Leitlinien beurteilen den Effekt der Gewichtsreduktion bei Koxarthrose auch eher zurückhaltend. Die Realisierung einer Gewichtsreduktion sollte dabei übereinstimmend zunächst durch Nahrungsumstellung in Kombination mit moderater Sportaktivität und dem Ausmaß der Erkrankung angepasster körperlicher Aktivierung erfolgen. Nur bei extremen Fällen werden gelegentlich die Möglichkeiten zur medikamentösen Unterstützung bzw. zu bariatrisch- chirurgischen Maßnahmen diskutiert.
Physikalische Therapie (Tab. 3)
Bezüglich der Wirksamkeit verschiedener Maßnahmen der Physiotherapie wird auf das entsprechende Kapitel in diesem Themenheft hingewiesen.
Überwiegende Einstimmigkeit besteht in allen Leitlinien darüber, dass physiotherapeutische Behandlungen zur Basistherapie der Arthrosen und als ergänzende Behandlungsmethoden gelten können. In den verschiedenen Leitlinien werden dabei teilweise spezielle Therapieformen ausdrücklich beurteilt und mit entsprechender Wertigkeit empfohlen. Dabei wird übereinstimmend darauf hingewiesen, dass bestimmte Therapien individuell sehr unterschiedlich angewandt werden, in Abhängigkeit von den jeweiligen Erfahrungen der Ärzte/Therapeuten bzw. auch der Möglichkeiten (z.B. in Deutschland das Heilmittel-Budget bei gesetzlich Krankenversicherten).
Analgetika und Antiphlogistika (Abb. 1, Tab. 4)
In allen Leitlinien besteht der überwiegende Konsens, dass die medikamentöse Therapie mit Analgetika und Antiphlogistika zur Basistherapie der Arthrosen zählt. Keine der Leitlinien hingegen spricht sich eindeutig für irgendeine Medikation als „Goldstandard“ aus. Die Gründe dafür liegen einerseits in der zum Teil heterogenen Studienlage in den RTCs, aber vor allem in dem Umstand, dass alle für die analgetisch-antiphlogistische Behandlung infrage kommenden Medikamente erhebliche Nebenwirkungen haben können. Dies sind einerseits bei den NSAR die Risiken für ein gastrointestinales Blutungsrisiko oder die Nebenwirkungen in Bezug auf die Herz- und Nierenfunktion. Ebenso besteht Übereinstimmung darin, dass die Anwendung von Opioiden in der Regel nur kurzzeitig erfolgen sollte und im Falle der Opiate-Pflicht über Alternativen (bspw. Endoprothesenimplantation) nachgedacht werden muss. In Bezug auf die Bewertung unterscheiden sich die deutschen Leitlinien dabei etwas gegenüber den angloamerikanischen Leitlinien. Paracetamol bspw. wird in Deutschland nicht mehr empfohlen, während die Leitlinien der AAOS und ASR dieses Medikament besonders favorisiert. Einige Leitlinien verweisen darauf, dass lokale NSAR-haltige Salben durchaus eine Alternative zur oralen Medikation sein können, um die systemischen Nebenwirkungen zu reduzieren.
Sonstige medikamentöse
Behandlung und Nahrungsergänzungsstoffe (Tab. 5)
SADOA („slow acting drugs in osteoarthritis“) bewirken eine Symptomverbesserung (Gelenkfunktion und Schmerz). Allerdings tritt die Wirkung dabei erst über einen längeren Zeitraum ein. DMOADs („disease modifying osteoarthritis drugs“) können den Prozess der Knorpel-Degeneration aufhalten oder sogar zu einer Knorpel-Regeneration in frühen Phasen der Erkrankung beitragen.
Die intraartikuläre Injektion von Hyaluronsäure (Hauptbestandteil der Synovia) verbessert die Gelenkfunktion und ist schmerzreduzierend im Vergleich zum Placebo. Klinisch setzt ihre Wirkung im Vergleich mit intraartikulären Kortikoiden (innerhalb der ersten 2 Wochen bessere Schmerzreduktion) später ein [6]. Allerdings ist es bislang unklar, ob eine Hyaluronsäure-Behandlung wirklich zu einer Verlangsamung oder gar Umkehr der Knorpel-Degeneration führt. Andererseits wird die Anwendung der Hyaluronsäure von einzelnen Fachgesellschaften gar nicht mehr empfohlen. Auch die deutsche Leitlinie für die Gonarthrose beschränkt die Anwendung dieser Methode auf diejenigen Fälle, bei denen orale Analgetika nicht wirken oder kontraindiziert sind. Hyaluronsäurepräparate unterscheiden sich vor allem in Bezug auf ihre Moleküllänge. Die Datenlage in Bezug auf den genauen Wirkmechanismus oder die Wahl verschiedener Präparate ist unsicher. Daher kann derzeit nicht von einem Goldstandard in Bezug auf diese Therapieform ausgegangen werden.
Für alle anderen Anwendungen von SADOA oder DMOAD geben die Leitlinien überwiegend keine oder nur eingeschränkte Empfehlungen.
Ebenso zu diesen Methoden gehört die PRP (platelet rich plasma). Thrombozyten enthalten in hoher Konzentration verschiedene Wachstumsfaktoren und Zytokine wie „Platelet Derived Growth Factor“, „Transforming Growth Factor-?1 und -?2“, „Epidermaler Wachstumsfaktor“ (EGF), „Fibroblast growth factor“, „Epithelial growth factor“, „Insulinähnliche Wachstumsfaktoren“ und „Platelet-Derived Angiogenesis Factor“. Durch spezielle Plasmapherese-Verfahren ist es möglich, aus dem Vollblut des Patienten diese körpereigenen Knorpel-protektiven Substanzen anzureichern und diese dann intraartikulär zu applizieren. Die für die Herstellung des PRP notwendigen Plasmapherese-Instrumentarien und damit die Herstellung sind keineswegs standardisiert. Das Verfahren der PRP-Therapie (platelet rich plasma) ist daher derzeit Gegenstand aktueller kontroverser Diskussionen in Bezug auf die Wirksamkeit bei der Behandlung der Gonarthrose. So hat auch die AG Geweberegeneration der DGOU unlängst die Methode beurteilt und spricht derzeit noch keine generelle Empfehlung für die Anwendung dieser Therapieform aus [7]. Lediglich die Leitlinie der AAOS hingegen gibt eine mäßige Empfehlung. Alle übrigen Leitlinien, lehnen diese Therapieform aufgrund der bislang nur unsicheren Datenlage ab. Zudem ist zu beachten, dass für Deutschland strenge Richtlinien in Bezug auf die Applikation von Blutprodukten gelten. Sowohl bei der intraartikulären Applikation von Kortikoiden als auch bei der Hyaluronsäure- bzw. PRP-Behandlung sind die Regeln für die Gelenkpunktion strikt zu beachten [8].