Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2017
Ligamentäre Verletzungen des EllenbogensAktuelle Konzepte der operativen und konservativen TherapieCurrent operative and conservative treatment concepts
Klaus J. Burkhart1, Marco M. Schneider1, Friedrich I. Dehlinger1, Rainer Nietschke1, Boris Hollinger1
Zusammenfassung: Bandverletzungen am Ellenbogen sind häufig – auch ohne offensichtliche Luxation des Ellenbogens. Letztlich entscheiden in der Unfallsekunde
Nuancen der Krafteinwirkung, ob es zu einer Subluxation, Luxation, Fraktur oder Luxationsfraktur kommt. Die konsequentere Anwendung des MRTs und der Arthroskopie in der Diagnostik und Therapie der Bandverletzungen offenbart nicht selten, dass der Ellenbogen in der Unfallsekunde luxiert gewesen sein muss mit spontaner Reposition, auch wenn dies vom Patienten so nicht wahrgenommen wurde. Daher muss bei jedem Ellenbogentrauma immer auch eine Bandverletzung in Betracht gezogen werden. Die korrekte Einschätzung der Verletzungsschwere ist schwierig, aber unerlässlich für die Einleitung der korrekten Therapie.
Schlüsselwörter: Ellenbogen, Bandverletzung, Instabilität, Ellenbogenluxation, Diagnostik, Therapie.
Zitierweise
Burkhart KJ, Schneider MM, Dehlinger F, Nietschke R, Hollinger B:
Ligamentäre Verletzungen des Ellenbogens. Aktuelle Konzepte der operativen und konservativen Therapie
OUP 2017; 7/8: 366–372 DOI 10.3238/oup.2017.0366–0372
Summary: Ligamentous injuries of the elbow occur frequently – not only in case of elbow dislocation. Finally, during the trauma second shades of force transmission decide whether a subluxation, dislocation, fracture or dislocation fracture arises. The increasing utilization of MRI and arthroscopy in diagnostics and therapy of ligament tears frequently reveals that the elbow must have been dislocated with spontaneous reduction, even if the patient did not recognize this. Therefore, ligamentous injuries have to be taken into account in every elbow trauma. The correct assessment of the injury severity is difficult, but important for the initiation of the correct therapy.
Keywords: elbow, ligament tear, instability, elbow dislocation, diagnostics, therapy
Citation
Burkhart KJ, Schneider MM, Dehlinger F, Nietschke R, Hollinger B:
Elbow ligamentous injuries. Current operative and conservative
treatment concepts.
OUP 2017; 7/8: 366–372 DOI 10.3238/oup.2017.0366–0372
Einleitung
Bandverletzungen des Ellenbogens stellen eine hohe diagnostische und therapeutische Herausforderung für den behandelnden Chirurgen dar. Letztlich werden viele Bandverletzungen übersehen oder unterschätzt, gerade wenn initial keine Luxation des Ellenbogens vorlag. Aufgrund der vorwiegend ligamentären Führung des Ellenbogens können nicht adäquat therapierte Bandverletzungen zu erheblichen Einschränkungen des Ellenbogens führen. Bandverletzungen betreffen meist den lateralen, nicht selten jedoch auch den medialen Bandapparat. Ursprünglich wurde der Luxationsmechanismus von O‘Driscoll als posterolateraler Luxationsmechanismus beschrieben, bei dem der Patient auf die Hand bei leicht flektiertem Ellenbogen und proniertem Unterarm fällt [19]. Dabei kommt es zunächst zu einer Ruptur des LCL mit posterolateraler Rotationsinstabilität. Wenn sich die Ruptur über die ventrale und dorsale Kapsel fortsetzt, kann es zur vollständigen Luxation des Ellenbogens mit oder ohne Verletzung des MCL kommen. Dieser Unfallmechanismus ist fast identisch mit dem der Radiuskopffraktur [2]. Nuancen entscheiden hier über das letztliche Verletzungsbild bzw. ob es zu einer Radiuskopffraktur, einer Bandverletzung oder einer Kombination kommt. Daher muss bei der Radiuskopffraktur immer auch an eine begleitende Bandverletzung gedacht werden. In einem eigenen Kollektiv aus Patienten mit sekundären Problemen nach Radiuskopffrakturen konnten wir zeigen, dass übersehene Bandverletzungen die häufigste Ursache für anhaltende Beschwerden waren [4].
Andererseits sind auch Luxationsmechanismen, die medial beginnen, bzw. isolierte mediale Bandverletzungen möglich [9]. Ursächlich sind Stürze mit supiniertem Unterarm oder Stürze auf den gestreckten Ellenbogen mit massivem Valgusimpakt. Kleine Fragmente der anteromedialen Facette des Coronoids können hinweisend für einen posteromedialen Luxationsmechanismus sein.
Ziel des Artikels ist es, die Diagnostik und Therapie der isolierten Bandverletzung ohne zu reponierende Luxation darzulegen. Zur Diagnostik und Therapie der Ellenbogenluxation verweisen wir auf unseren Artikel in der OUP 6/2014, S. 292–299 [12].
Anatomie und Biomechanik
Die Stabilität des Ellenbogens wird zum einen über die knöcherne Gelenkführung, zum anderen über die passiven und aktiven weichteiligen Stabilisatoren gewährleistet [16]. Diese werden in primäre und sekundäre Stabilisatoren eingeteilt. Primäre Stabilisatoren sind das Ulnohumeralgelenk, das MCL sowie das LCL. Sekundäre Stabilisatoren sind das Radiohumeralgelenk sowie die Unterarm-Extensoren und -Flexoren [18].
Das MCL ist der primäre Stabilisator gegenüber Valgusstress. Es besteht aus 3 Anteilen: vorderes Bündel (AML), hinteres Bündel (PML) und den transversen Fasern. Das AML ist der biomechanisch wichtigste Anteil. Es zieht als schmaler, fester Strang vom ulnaren Epicondylus zum Tuberculum subliminus, dem ulnaren Ausläufer des Processus coronoideus, während das PML deutlich zarter ausgebildet ist und flächig am Olecranon ansetzt. Das Anspannungsverhalten beider Bandanteile ist reziprok. Das PML ist in Flexion angespannt und in Extension locker. Das AML zeigt in Extension die höchste Anspannung und wird in maximaler Flexion etwas lockerer, wobei eine gewisse Isometrie über den Großteil der Bewegung vorliegt. Die Flexoren als dynamische Stabilisatoren sind parallel zum Verlauf des anterioren Bündels ausgerichtet. In biomechanischen Studien wurde eine Belastbarkeit des MCL von ca. 33 Nm festgestellt [5]. Bei einem Tennisaufschlag oder bei einem Wurf eines Baseballpitchers treten jedoch Kräfte über 60 Nm auf. Diese Diskrepanz unterstreicht die Wichtigkeit der Flexoren als dynamische Stabilisatoren, ohne die der Ellenbogen die hohen Belastungen nicht gewährleisten könnte. Das Radiohumeralgelenk ist der sekundäre Stabilisator gegenüber Valgusstress.
Das LCL besteht ebenfalls aus 3 wichtigen Anteilen: das RCL, das LUCL und das Lig. annulare (LA). Das LA zieht von der anterioren zur dorsalen Incisura radialis ulnae und umschließt so den Radiuskopf. Das RCL entspringt dem radialen Condylus am Übergang zum Epicondylus und inseriert gemeinsam mit dem LA an der Crista supinatoris. Das LUCL zieht als direkte und kürzeste Verbindung vom radialen Condylus etwas dorsal des RCL zur Crista supinatoris ulnae. Das LUCL ist der primäre Stabilisator gegenüber posterolateralen Rotationskräften. Der LCL-Komplex ist der sekundäre Stabilisator gegen Varuskräfte, das Ulnohumeralgelenk der primäre. Die Fasern der Unterarmextensoren sind parallel zum RCL ausgerichtet, der M. anconeus parallel zum LUCL.