Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2017
Ligamentäre Verletzungen des EllenbogensAktuelle Konzepte der operativen und konservativen TherapieCurrent operative and conservative treatment concepts
Klaus J. Burkhart1, Marco M. Schneider1, Friedrich I. Dehlinger1, Rainer Nietschke1, Boris Hollinger1
Zusammenfassung: Bandverletzungen am Ellenbogen sind häufig – auch ohne offensichtliche Luxation des Ellenbogens. Letztlich entscheiden in der Unfallsekunde
Nuancen der Krafteinwirkung, ob es zu einer Subluxation, Luxation, Fraktur oder Luxationsfraktur kommt. Die konsequentere Anwendung des MRTs und der Arthroskopie in der Diagnostik und Therapie der Bandverletzungen offenbart nicht selten, dass der Ellenbogen in der Unfallsekunde luxiert gewesen sein muss mit spontaner Reposition, auch wenn dies vom Patienten so nicht wahrgenommen wurde. Daher muss bei jedem Ellenbogentrauma immer auch eine Bandverletzung in Betracht gezogen werden. Die korrekte Einschätzung der Verletzungsschwere ist schwierig, aber unerlässlich für die Einleitung der korrekten Therapie.
Schlüsselwörter: Ellenbogen, Bandverletzung, Instabilität, Ellenbogenluxation, Diagnostik, Therapie.
Zitierweise
Burkhart KJ, Schneider MM, Dehlinger F, Nietschke R, Hollinger B:
Ligamentäre Verletzungen des Ellenbogens. Aktuelle Konzepte der operativen und konservativen Therapie
OUP 2017; 7/8: 366–372 DOI 10.3238/oup.2017.0366–0372
Summary: Ligamentous injuries of the elbow occur frequently – not only in case of elbow dislocation. Finally, during the trauma second shades of force transmission decide whether a subluxation, dislocation, fracture or dislocation fracture arises. The increasing utilization of MRI and arthroscopy in diagnostics and therapy of ligament tears frequently reveals that the elbow must have been dislocated with spontaneous reduction, even if the patient did not recognize this. Therefore, ligamentous injuries have to be taken into account in every elbow trauma. The correct assessment of the injury severity is difficult, but important for the initiation of the correct therapy.
Keywords: elbow, ligament tear, instability, elbow dislocation, diagnostics, therapy
Citation
Burkhart KJ, Schneider MM, Dehlinger F, Nietschke R, Hollinger B:
Elbow ligamentous injuries. Current operative and conservative
treatment concepts.
OUP 2017; 7/8: 366–372 DOI 10.3238/oup.2017.0366–0372
Einleitung
Bandverletzungen des Ellenbogens stellen eine hohe diagnostische und therapeutische Herausforderung für den behandelnden Chirurgen dar. Letztlich werden viele Bandverletzungen übersehen oder unterschätzt, gerade wenn initial keine Luxation des Ellenbogens vorlag. Aufgrund der vorwiegend ligamentären Führung des Ellenbogens können nicht adäquat therapierte Bandverletzungen zu erheblichen Einschränkungen des Ellenbogens führen. Bandverletzungen betreffen meist den lateralen, nicht selten jedoch auch den medialen Bandapparat. Ursprünglich wurde der Luxationsmechanismus von O‘Driscoll als posterolateraler Luxationsmechanismus beschrieben, bei dem der Patient auf die Hand bei leicht flektiertem Ellenbogen und proniertem Unterarm fällt [19]. Dabei kommt es zunächst zu einer Ruptur des LCL mit posterolateraler Rotationsinstabilität. Wenn sich die Ruptur über die ventrale und dorsale Kapsel fortsetzt, kann es zur vollständigen Luxation des Ellenbogens mit oder ohne Verletzung des MCL kommen. Dieser Unfallmechanismus ist fast identisch mit dem der Radiuskopffraktur [2]. Nuancen entscheiden hier über das letztliche Verletzungsbild bzw. ob es zu einer Radiuskopffraktur, einer Bandverletzung oder einer Kombination kommt. Daher muss bei der Radiuskopffraktur immer auch an eine begleitende Bandverletzung gedacht werden. In einem eigenen Kollektiv aus Patienten mit sekundären Problemen nach Radiuskopffrakturen konnten wir zeigen, dass übersehene Bandverletzungen die häufigste Ursache für anhaltende Beschwerden waren [4].
Andererseits sind auch Luxationsmechanismen, die medial beginnen, bzw. isolierte mediale Bandverletzungen möglich [9]. Ursächlich sind Stürze mit supiniertem Unterarm oder Stürze auf den gestreckten Ellenbogen mit massivem Valgusimpakt. Kleine Fragmente der anteromedialen Facette des Coronoids können hinweisend für einen posteromedialen Luxationsmechanismus sein.
Ziel des Artikels ist es, die Diagnostik und Therapie der isolierten Bandverletzung ohne zu reponierende Luxation darzulegen. Zur Diagnostik und Therapie der Ellenbogenluxation verweisen wir auf unseren Artikel in der OUP 6/2014, S. 292–299 [12].
Anatomie und Biomechanik
Die Stabilität des Ellenbogens wird zum einen über die knöcherne Gelenkführung, zum anderen über die passiven und aktiven weichteiligen Stabilisatoren gewährleistet [16]. Diese werden in primäre und sekundäre Stabilisatoren eingeteilt. Primäre Stabilisatoren sind das Ulnohumeralgelenk, das MCL sowie das LCL. Sekundäre Stabilisatoren sind das Radiohumeralgelenk sowie die Unterarm-Extensoren und -Flexoren [18].
Das MCL ist der primäre Stabilisator gegenüber Valgusstress. Es besteht aus 3 Anteilen: vorderes Bündel (AML), hinteres Bündel (PML) und den transversen Fasern. Das AML ist der biomechanisch wichtigste Anteil. Es zieht als schmaler, fester Strang vom ulnaren Epicondylus zum Tuberculum subliminus, dem ulnaren Ausläufer des Processus coronoideus, während das PML deutlich zarter ausgebildet ist und flächig am Olecranon ansetzt. Das Anspannungsverhalten beider Bandanteile ist reziprok. Das PML ist in Flexion angespannt und in Extension locker. Das AML zeigt in Extension die höchste Anspannung und wird in maximaler Flexion etwas lockerer, wobei eine gewisse Isometrie über den Großteil der Bewegung vorliegt. Die Flexoren als dynamische Stabilisatoren sind parallel zum Verlauf des anterioren Bündels ausgerichtet. In biomechanischen Studien wurde eine Belastbarkeit des MCL von ca. 33 Nm festgestellt [5]. Bei einem Tennisaufschlag oder bei einem Wurf eines Baseballpitchers treten jedoch Kräfte über 60 Nm auf. Diese Diskrepanz unterstreicht die Wichtigkeit der Flexoren als dynamische Stabilisatoren, ohne die der Ellenbogen die hohen Belastungen nicht gewährleisten könnte. Das Radiohumeralgelenk ist der sekundäre Stabilisator gegenüber Valgusstress.
Das LCL besteht ebenfalls aus 3 wichtigen Anteilen: das RCL, das LUCL und das Lig. annulare (LA). Das LA zieht von der anterioren zur dorsalen Incisura radialis ulnae und umschließt so den Radiuskopf. Das RCL entspringt dem radialen Condylus am Übergang zum Epicondylus und inseriert gemeinsam mit dem LA an der Crista supinatoris. Das LUCL zieht als direkte und kürzeste Verbindung vom radialen Condylus etwas dorsal des RCL zur Crista supinatoris ulnae. Das LUCL ist der primäre Stabilisator gegenüber posterolateralen Rotationskräften. Der LCL-Komplex ist der sekundäre Stabilisator gegen Varuskräfte, das Ulnohumeralgelenk der primäre. Die Fasern der Unterarmextensoren sind parallel zum RCL ausgerichtet, der M. anconeus parallel zum LUCL.
Anamnese und klinische
Untersuchung
Patienten stellen sich nach Sturzanamnese meist mit Schmerzen des medialen und/oder lateralen Ellenbogens vor. Der Ellenbogen ist sorgfältig auf Verletzungszeichen wie Schwellung, Hämatom, Schürfungen oder Wunden zu untersuchen. Ein Hämathros lässt sich meist sehr gut im Bereich des dorsolateralen Softspots tasten. Die Erhebung des DMS-Status ist obligat. Die Palpation umfasst die Epicondylen sowie den Bandverlauf. Eine Druckdolenz ist hinweisend für eine Verletzung der entsprechenden Strukturen. Die Beweglichkeit wird geprüft. Häufig liegt eine mehr oder weniger ausgeprägte Bewegungseinschränkung vor. Die Stabilitätstestung ist von höchster Wichtigkeit bei einer vermuteten Bandverletzung:
Varusstabilität: Der Varusstress sollte in Innenrotation der Schulter und in Pronation des Unterarms ausgeübt werden. Die Prüfung erfolgt in voller Streckung und 30° Flexion, um durch die leichte Beugestellung das Olecranon aus der Fossa olecrani zu entblocken.
Valgusstabilität: Valgusstress wird analog zur Varustestung in voller Streckung und 30° Flexion ausgeübt. Allerdings sollte die Schulter außenrotiert und der Unterarm supiniert werden.
Posterolaterale Rotationsinstabilität: Der Pivot-Shift-Test ist als klassischer Test der PLRI beschrieben. Er kann im Liegen oder Sitzen durchgeführt werden. Es wird eine Kombinationsbewegung aus axialer Kompression, Supination, Valgusstress und Flexion ausgeführt, um bei ca. 40° Flexion eine (Sub)Luxation des Ellenbogens zu bewirken, die als Radiuskopfluxation getastet bzw. gesehen werden kann. Bei zunehmender Beugung kommt es zur Reposition, die als Klicken wahrgenommen werden kann. Dieser Test ist beim wachen Patienten selten erfolgreich, da der Patient durch schmerzbedingtes Gegenspannen der Muskulatur die(Sub)Luxation verhindert. Daher muss schon die Schmerzprovokation bei diesem Manöver als positives Apprehension-Zeichen gewertet werden [17].
Der Pinzettengriff stellt eine gute Alternative zum Pivot-Shift-Test dar, der auch vom wachen Patienten oft sehr gut toleriert wird. Hierbei legt der sitzende Patient den betroffenen Arm entspannt auf dem Oberschenkel ab. Der Untersucher umfasst mit der einen Hand den Oberarm, wobei der Daumen auf dem dorsalen Capitulum unmittelbar proximal des radiohumeralen Gelenkspalts liegt, während er mit der zweiten Hand den Unterarm umfasst. Der Daumen wird dabei auf dem dorsolateralen Radiuskopf unmittelbar distal des radiohumeralen Gelenkspalts positioniert. Die Hand fasst den Radiusschaft von ventral-ulnar und führt nun eine dorsolaterale Translationsbewegung aus, um eine Subluxation des Unterarms zu provozieren [8].
Alle Tests sollten im Seitenvergleich durchgeführt werden, da die Festigkeit der Bandführung erheblichen interindividuellen Unterschieden unterliegt.
Bildgebung
Basisdiagnostik stellt das Röntgen des Ellenbogens in 2 Ebenen dar. Im Röntgen werden vor allem knöcherne Begleitverletzungen ausgeschlossen. Des Weiteren wird auf Subluxationen und knöcherne Bandausrisse geachtet. In aller Regel kommt es zum humeralen Abriss der Bänder. Es sind jedoch auch ulnare Bandausrisse möglich. Daher muss ein besonderes Augenmerk auf das Coronoid inkl. anteromedialer Facette und Tuberculum subliminus sowie die Crista supinatoris gelegt werden. Ggf. müssen entsprechende Befunde mittels CT genauer evaluiert werden [3, 21].
Die MRT gewinnt in der Diagnostik der Bandverletzungen des Ellenbogens zunehmend an Bedeutung. Zum einen können die Bänder selbst sehr gut beurteilt werden [14]. Zum anderen lassen sich die Beteiligung der Extensoren und Flexoren gut einschätzen und sekundäre Instabilitätszeichen (Abb. 1) wie Subluxationen, Coronoidfrakturen, cartilaginäre Abscherfragmente des Radiuskopfs und Osborne-Cotterill-Läsionen [13] darstellen, die der konventionellen Röntgendiagnostik meist entgehen [11]. Gerade zur Darstellung der Subluxationen sowie der Band- und Muskelursprünge ist es wichtig, dass das MRT in bestmöglicher Streck- und Supinationsstellung durchgeführt wird.
Weiterhin sind Stabilitätstestungen unter BV- oder Sonografie-Kontrolle möglich.
Therapie
Die Entscheidung zur konservativen oder operativen Therapie hängt von verschiedenen Faktoren ab und muss letztlich meist individuell mit dem Patienten in Abhängigkeit von klinischen und radiologischen Befunden sowie vom persönlichen Anspruch des Patienten entschieden werden. Bei einem jungen Patienten mit hohem Anspruch durch Sport oder Beruf ist die Indikation zur operativen Therapie sicherlich großzügiger zu stellen als beim älteren Patienten mit geringem funktionellen Anspruch.
Absolute Indikationen stellen offene Verletzungen, gravierende Subluxationen und blockierende freie Gelenkkörper dar (Abb. 2).
Abgesehen davon existiert keine Evidenz, welche Bandverletzung konservativ behandelt werden kann und welche einer operativen Versorgung bedarf [10]. Ziel der Therapie muss in jedem Fall die frühfunktionelle Therapie mit dem Endergebnis eines frei beweglichen, stabilen und kongruenten Gelenks sein. Die Tendenz des Ellenbogens zur Arthrofibrose bzw. Einsteifung ist deutlich höher als bei anderen Gelenken. Eine mehr oder weniger ausgeprägte Bewegungseinschränkung ist posttraumatisch fast immer zu beobachten. Die Steife führt jedoch nicht automatisch zur suffizienten Bandheilung. Immer wieder sehen wir Patienten, die nach konservativer Therapie einer Bandverletzung steif und instabil sind. Diese Kombination ist deutlich aufwendiger und langwieriger in der Therapie für Patienten und Chirurgen als die Steife oder Instabilität allein.
Konservative Therapie
Zunächst wird meist eine Orthese, oder bei ausgeprägter Schwellung und Schmerzhaftigkeit eine dorsale Gipsschiene in Funktionsstellung des Ellenbogens angelegt. Bei der ersten Untersuchung ist die Beweglichkeit meist deutlich eingeschränkt und eine adäquate Untersuchung der Stabilität aufgrund der Schmerzen noch nicht möglich. Wir streben daher eine kurzfristige Wiedervorstellung zur klinischen Kontrolle inkl. MRT innerhalb von 10 Tagen an, da eine Bandnaht idealerweise innerhalb der ersten 14 Tage erfolgen sollte. Bewegungsübungen sollten möglichst zeitnah begonnen werden. Eine Ausführung der Bewegungsübungen über Kopf begünstigt die Zentrierung des Gelenks. Varus- oder Valgusbelastungen müssen bestmöglich vermieden werden [1].
Bei der Wiedervorstellung werden der Zugewinn der Beweglichkeit, die Stabilität und das MRT in der Zusammenschau beurteilt. Ein stabiler bzw. muskulär gut kompensierter Ellenbogen erreicht in aller Regel sehr schnell die Beweglichkeit wieder. Eine außergewöhnliche Steife und Schmerzen können hinweisend auf eine insuffizient geführte Artikulation und freie Gelenkkörper durch Abscherverletzungen des Knorpels sein. Da der Schmerz nach einigen Tagen meist deutlich rückläufig ist, kann im Rahmen der zweiten Evaluation häufig die Stabilität besser beurteilt werden. Im MRT können die Artikulation, das Ausmaß der Ligament- und Muskelverletzung sowie die Begleitschäden, wie z.B. traumatische Knorpelschäden, evaluiert werden. Nicht selten belegen diese Begleitschäden, dass in der Unfallsekunde eine (Sub)Luxation vorgelegen haben muss, auch wenn dies von den Patienten nicht unbedingt wahrgenommen wurde (Abb. 3).
Zeigt sich eine gute Entwicklung der Beweglichkeit mit regelrechter Artikulation im MRT ohne freie Gelenkkörper, kann die konservative Therapie mit guter Prognose fortgeführt werden. Meist zeigt sich in diesen Fällen eine Bandläsion mit geringem muskulärem Trauma und regelrechter Artikulation.
Die Orthese wird dann für 6 Wochen nach Trauma empfohlen. Die Bewegungsübungen erfolgen über Kopf und aktiv, um die dynamischen Stabilisatoren nicht weiter zu schwächen. Bei lateralen Bandverletzungen sollte die Extension/Flexion in Pronation, bei medialen Bandverletzungen in Supination beübt werden. Die gegenläufige Rotation wird in 90° Flexion beübt. Bei beidseitigen Bandverletzungen wird in Neutralstellung geübt [22].
Bleibt jedoch die positive Entwicklung der Beweglichkeit deutlich hinter den Erwartungen zurück und zeigen sich im MRT Subluxationen und ein massives muskuläres Trauma und/oder freie Gelenkkörper, ist aus unserer Erfahrung die Prognose der konservativen Therapie kritisch zu sehen.
Die Befunde werden mit dem Patienten ausführlich besprochen und die Therapieoptionen inkl. Prognose und Komplikationsmöglichkeiten dargelegt. Es muss dann in Zusammenschau aller Befunde und in Abhängigkeit vom funktionellen Anspruch und der Präferenz des Patienten das weitere Vorgehen besprochen werden.
Vorteile der konservativen Therapie sind die Vermeidung von Komplikationen und vermehrter Schmerzen, die durch die OP verursacht werden können. Der Vorteil der operativen Therapie besteht in der Verringerung des Risikos einer chronischen Instabilität bzw. der kombinierten Steife und Instabilität. Zusätzlich können durch die OP – insbesondere in Kombination mit einer ASK – intraartikuläre Schäden detektiert werden, die nicht nur dem Röntgen, sondern nicht selten sogar dem MRT verborgen bleiben können (Abb. 2 und 3). Das Risiko der Gelenksteife besteht für beiden Therapieoptionen.
Operative Therapie
Die Entscheidung zur operativen Therapie sollte innerhalb der ersten 2 Wochen erfolgen. Innerhalb dieses Zeitfensters stellen sich die Band- und Muskelverletzungen intraoperativ noch gut dar. Darüber hinaus macht der narbige Umbau eine Abgrenzung der ursprünglichen Anatomie schwierig. Die anatomische Rekonstruktion mit korrekter Bandspannung am anatomischen Ursprungsort ist jedoch von höchster Wichtigkeit für den Erfolg der Operation (Abb. 2 und 5). Stellt sich der Patient erst 2 Wochen nach dem Trauma oder später vor, wird im eigenen Vorgehen zunächst von einer operativen Versorgung abgesehen und alle konservativen Maßnahmen werden ausgeschöpft, sofern nicht gravierende Subluxationen bzw. freie Gelenkkörper eine OP dringlich erscheinen lassen (Abb. 4).
Präoperativ erfolgt nochmals eine Stabilitätsprüfung unter Narkose. Die Reinsertion der Bänder und Muskeln kann entweder transossär oder mittels Fadenankern erfolgen. Wichtig ist die Verwendung von ausreichend stabilem Nahtmaterial mindestens der Stärke 2.
Der laterale Bandkomplex wird über einen lateralen Zugang dargestellt. In aller Regel reißt das LCL humeral aus [15]. Es sind jedoch auch ulnare Abrisse oder Abrissfrakturen der Crista supinatoris möglich [3]. Über das Kocher-Intervall zwischen dem M. anconeus und dem M. extensor carpi ulnaris kann der gesamte Bandverlauf evaluiert und adressiert werden [6]. Humeral sollte der Anker für den Bandkomplex im Bereich des Rotationszentrums des Capitulums gesetzt werden am Übergang des Condylus zum Epicondylus. Anker, die zentral im Epicondylus gesetzt werden, liegen zu proximal für eine Bandrefixation und eignen sich eher zur Rekonstruktion des Common extensor origin. Die Refixation des gemeinsamen Extensorenursprungs ist elementar. Da Bandapparat und CEO kaum getrennt werden können, bietet sich eine gemeinsame Refixation des gesamten „Pakets“ an.
Auf der medialen Seite muss die Nähe des N. ulnaris beachtet werden. Eine Darstellung wird empfohlen, um eine iatrogene Verletzung zu vermeiden. Das AML kann über einen Flexorensplit in Verlängerung des ulnaren Epicondylus auf das Tuberculum subliminus dargestellt werden [23]. Wird die Indikation zur OP gestellt, liegt jedoch meist eine subtotale Abrissverletzung der Flexoren mit ausgehülstem Epicondylus vor. In diesen Fällen wird neben dem AML auch das PML rekonstruiert. Die Abrissverletzung der Flexoren gibt den Zugang vor. Die Reinsertion des AML erfolgt direkt an der Unterkante des Epicondylus oder an der Umschlagsfalte des Condylus zum Epicondylus [20]. Analog zum LCL ist eine Ankerpositionierung an der ulnaren Sitze des Epicondylus zu proximal. Die Fasern des PML werden ebenfalls transossär oder über einen Fadenanker am dorsalen Epicondylus refixiert. Die Nähte verlaufen dann direkt durch das Bett des N. ulnaris (Abb. 5). Daher ist eine Darstellung des Nervs in diesen Fällen zwingend erforderlich. Es ist jedoch auch eine distale Ruptur des MCL am Tuberculum subliminus möglich. Kleine knöcherne Ausrisse können ebenfalls mit Ankern refixiert werden. Größere Fragmente sollten mit Hilfe von Schrauben oder sogar Platten stabilisiert werden. Auch medial ist die Rekonstruktion des Common flexor origin von elementarer Bedeutung (Abb. 5).
In Fällen einer ausgedehnten Verletzung oder verzögerten Versorgung kann die Anwendung eines internal bracing sinnvoll werden [7]. Dabei wird ein Fibre-Tape im Bandverlauf gespannt und damit quasi eine Bandplastik mit einem stabilen Faden anstatt eines autologen Sehnentransplantats durchgeführt. Durch moderne Rekonstruktionstechniken ist die Bedeutung des Bewegungsfixateurs in der Akutsituation in den Hintergrund getreten.
Rolle der Arthroskopie
Die Arthroskopie der akuten Bandverletzung hat im eigenen Behandlungsalgorithmus seit einigen Jahren einen hohen Stellenwert. Die Vorteile einer vorgeschalteten ASK liegen zum einen in der Ausspülung des Hämarthros mit Resektion der bereits gebildeten Briden, die für die Entwicklung der Steife bzw. Arthrofibrose verantwortlich sind. Zum anderen kann mit der ASK das gesamte Gelenk eingesehen werden. Nicht selten offenbaren sich Knorpelläsionen, die im MRT selbst retrospektiv nicht sichtbar sind (Abb. 3). Außerdem kann die Stabilität im Rahmen der ASK standardisiert geprüft und dokumentiert werden. Das Therapiekonzept kann entsprechend der Befunde angepasst werden.
In der Literatur ist die ASK der akuten Bandverletzung oder Luxation weiterhin nicht als standardisiertes Verfahren zu finden. Im eigenen Vorgehen wird der Wert der ASK jedoch sehr hoch eingeschätzt, da regelmäßig überraschende Befunde aufgedeckt werden, die entweder einer direkten Intervention bedürfen, wie z.B. die Resektion freier Gelenkkörper, oder helfen, die Prognose des Gelenks besser einzuschätzen. Nachteile bestehen in der potenziellen Schwellungszunahme und der Seitlagerung, die die Versorgung des MCL aufgrund der ungewohnten Perspektive erschwert.
Nachbehandlung
Die Orthese wird für 6 Wochen post-OP bzw. nach Trauma empfohlen. Die Bewegungsübungen erfolgen über Kopf und aktiv, um die dynamischen Stabilisatoren nicht weiter zu schwächen. Bei lateralen Bandverletzungen sollte die Extension/Flexion in Pronation, bei medialen Bandverletzungen in Supination beübt werden. Die gegenläufige Rotation wird in 90° Flexion beübt. Bei beidseitigen Bandverletzungen wird in Neutralstellung beübt oder Rotation anhand der schwerer verletzten Seite ausgerichtet.
Insgesamt besteht am Ellenbogen nach Bandverletzungen immer ein erhöhtes Risiko einer Steife. Daher soll auch bei einer konservativen Therapie eine engmaschige Kontrolle der Patienten erfolgen. Sollte sich innerhalb der ersten 2 Wochen die Beweglichkeit nicht suffizient entwickeln und eine Einsteifung drohen, kann eine stationäre Aufnahme zur intensivierten Physiotherapie oder gar eine Narkosemobilisierung sinnvoll sein. Eine Narkosemobilisation wird jedoch nur innerhalb der ersten 2 bis maximal 3 Wochen in Erwägung gezogen, da darüberhinaus das Risiko einer iatrogenen Begleitverletzung zu hoch ist.
Komplikationen
Hauptkomplikation sowohl unter der konservativen wie auch unter der operativen Therapie ist die Ellenbogensteife. Es ist daher unter der KG auf eine ausreichende Analgesie zu achten. Im eigenen Vorgehen wird als Basis immer Ibuprofen verwendet, sofern keine Kontraindikationen vorliegen. Dies kann durchaus auch als Prophylaxe heterotoper Ossifikationen gesehen werden. Bei insgesamt sehr niedrigem Risiko relevanter HOs wird auf die Gabe von Indometacin, das ein deutlich erhöhtes Nebenwirkungsprofil hat, verzichtet. Zusätzlich erfolgt die schmerzabhängige Gabe höherpotenter Analgetika. Auf die eventuelle Erfordernis einer erneuten stationären Aufnahme zur Intensivierung der KG oder Narkosemobilisation innerhalb der ersten 2–3 Wochen wurde bereits hingewiesen.
Gerade unter der konservativen Therapie besteht die Gefahr der chronischen Instabilität. Insbesondere in Kombination mit einer Steife bedeutet dies für den Patienten unter Umständen einen langwierigen Weg mit mehreren OPs bis zur vollständigen Rehabilitation. Aber auch bei der operativen Therapie können chronische Instabilitäten entstehen. Ursachen sind dann entweder die fehlende Compliance des Patienten oder eine insuffiziente chirurgische Technik wie z.B. die falsche Ankerplatzierung (Abb. 6).
Um iatrogene Schädigungen des N. ulnaris zu vermeiden, sollte bei der Refixation des MCL die Darstellung des Nervs erfolgen.
Fazit
Bandverletzungen des Ellenbogens sind häufig. Bei jedem Ellenbogentrauma müssen die Bänder evaluiert und eine relevante Bandverletzung ausgeschlossen werden. Gerade die konsequente Anwendung des MRTs offenbart bei vielen vermeintlichen harmlosen Verletzungen dann doch einen Luxationsmechanismus, der die letztliche Schwere der Verletzung erklärt. Das MRT sollte innerhalb der ersten 10 Tage durchgeführt werden, um eine evtl. erforderliche operative Versorgung innerhalb der ersten 2 Wochen zu ermöglichen. Neben den Instabilitätszeichen wie Subluxationen, Coronoidfrakturen, Osborne-Cotterill-Läsionen und Abscherfragmenten des anterioren Radiuskopfs wird auch das Ausmaß der begleitenden muskulären Verletzung beurteilt. Mit der Schwere der Verletzung sinken die Chancen für ein gutes funktionelles Ergebnis unter der konservativen Therapie. Eine Überlegenheit der operativen Therapie konnte bisher jedoch noch nicht nachgewiesen werden. Die Therapieentscheidung muss letztlich individuell mit dem Patienten in Abhängigkeit von klinischen und radiologischen Befunden sowie vom persönlichen Anspruch des Patienten entschieden werden.
Interessenkonflikt: Keine angegeben
Korrespondenzadresse
PD Dr. med. Klaus J. Burkhart
Rastatter Straße 17–19
Pforzheim
burkhart@sportklinik.de
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Fussnoten
1 Ellenbogen- und Schulterchirurgie, Arcus Sportklinik, Pforzheim