Übersichtsarbeiten - OUP 03/2025
Metal-back Glenoide in der anatomischen Schulterendoprothetik bei Glenoiddefekten und StandardpfannenEine sinnvolle Möglichkeit?
Der möglichst weitestgehende Erhalt des subchondralen Knochens am Glenoid ist wichtig für den Halt des Implantats. Bei einer übermäßigen Retroversion der Pfanne und/oder einem bikonkavem Glenoid sowie einer statischen, hinteren Humeruskopf-Subluxation sollte ein exzessives, exzentrisches Fräsen zur Implantation der Glenoidkomponente aber vermieden werden, da ansonsten die Haltbarkeit abnimmt. Glenoidkomponenten, die mit mehr als 15° Retroversion implantiert werden, zeigten eine 5-fach höhere Osteolyse rund um den zentralen Zapfen [12]. Biomechanische Arbeiten zeigten, dass eine Glenoid-Retroversion um etwa 15° das Maximum ist, das noch erfolgreich durch ein exzentrisches Fräsen intraoperativ korrigiert werden kann [13]. Somit sind die Möglichkeiten zur knöchernen Korrektur einer Glenoiddeformität limitiert. Zum einem wird durch exzessives Fräsen der subcortikale Knochen durchbrochen, zum anderen wird der Durchmesser des knöchernen Aufnahmelagers verringert, je weiter nach medial gefräst wird. Daher wird die Stabilität eines zementierten Polyethylens empfindlich gestört. In schweren Fällen ist daher eine Korrektur und Wiederherstellung der „normalen“ Anatomie oft gar nicht mehr möglich. Durch progressives Fräsen nach medial ergeben sich weitere, potentielle Nachteile: So kann zu starkes „Medialisieren“ mit der Glenoidfräse zu einer kleineren Glenoidkomponente führen, die dann zu Passungenauigkeiten zwischen Humeruskopfgröße und Glenoid führen kann. Des Weiteren führt eine zu starke Medialisierung zu einer nachlassenden Spannung der Rotatorenmanschette, die in der Folge funktionelle Defizite und Instabilitäten hervorrufen kann. Zuletzt kann ein zu starkes Abtragen von Knochen am Glenoid auch zum Einbruch der Komponente in durch die knöcherne Pfannenbegrenzung führen [14].
„Full-metal“ Glenoid und Materialumkehr
Die Verwendung metallischer Basisplatten hat in der Theorie gegenüber einem zementierten PE erhebliche Vorteile. Aus der Literatur wissen wir, dass die Bindungskraft zwischen PE und Knochen bei zementierter Prothese zum Zeitpunkt Null am stärksten ist; Allerdings zeigen sich bereits röntgentransparente Zonen rund um das Glenoid (radiolucent lines, RLL) an der Knochen-Zement-Verbindung schon zum Zeitpunkt Null, also unmittelbar im postoperativen Röntgenbild. Diese Beobachtung legt nahe, dass eine zementbasierte Fixierungstechnik nicht optimal sein kann [15, 16]. Hingegen sollte bei unzementierten Komponenten und robuster Primärstabilität durch das fortschreitende Einwachsen des Knochens über die Zeit eine zunehmende Stabilität erreicht werden, was die Überlebensdauer verbessern sollte. Ein weiterer Vorteil besteht in den Möglichkeiten der Konversion zu einer inversen Prothese. Das PE kann im Revisionsfall entfernt und die verbleibende Basisplatte kann, sofern sie fest eingewachsen ist, eine Glenosphäre für die Konversion aufnehmen, ohne der Knochensubstanz Flurschäden zuzufügen, die oft bei der Entfernung zementierter PE-Komponenten entstehen.
In der Vergangenheit scheiterten die Bemühungen um eine zementfreie, metallische Verankerung auch an Materialproblemen, die sich durch einen hohem PE-Abrieb zwischen metallischer Basisplatte und metallischen Humeruskopf auszeichneten [3]. So zeigte das PE zwischen diesen beiden metallischen Komponenten teilweise erhebliche Erosionen [17].
Ein völlig neues Konzept ist die komplette Materialumkehr am Glenoid: dieses besteht nun vollständig aus Metall („Full-metal“), die Humeruskopf-Komponente besteht aus PE (Abb. 2a, b). Dadurch soll erreicht werden, dass am Glenoid mit der trabkulären Implantatrückfläche eine hohe Primärstabilität und Osteointeration erreicht wird. Durch die Materialumkehr am Humerus, dessen Kalotte nun aus einem Polyethylen besteht, wird das weichere Polyethylen nun nicht mehr zwischen zwei metallischen Komponenten „aufgerieben“ und „eingeklemmt“. Der Langzeitverlauf muss nun noch zeigen, ob die Standzeiten dieses neuen Designs erwartungsgemäß tatsächlich überlegen sind. Bei sekundärer Insuffizienz der Rotatorenmanschette lässt sich die metallische Basisplatte zur Konversion auf eine Inverse-Prothese nutzen; eine schaftlose Implantation am Humerus schont die Knochensubstanz. Vor allem jüngere Patientinnen und Patienten mit Early-Onset Arthrose könnten von diesem neuen Konzept profitieren, da sie im Langzeitverlauf einem erhöhten Risiko für Glenoidlockerungen ausgesetzt sind.
Early-Onset Arthrose
Die Früh-Arthrose der Schulter, auch bekannt als „Early-Onset Arthrose“ (EOA), ist eine besondere Form der Schulterarthrose, die bereits in jungen Jahren auftritt [18, 19]. Während die klassische, primäre Omarthrose ihren Häufigkeitsgipfel typischerweise rund um das 70. Lebensjahr hat [20–22], erkranken Patientinnen und Patienten mit EOA schon etwa ab dem 40. Lebensjahr [18]. Dabei gibt es keine einheitliche Definition für das Alter: Patientinnen und Patienten mit weniger als 50–60 Jahren gelten im Allgemeinen als „jünger“ [18, 23, 24]. Auch wenn die Entstehung der Omarthrose als multifaktoriell anzusehen ist, gilt das Lebensalter als ganz wesentlicher Risikofaktor [25]. Zusätzlich werden prädisponierende, externe Faktoren wie Entzündungen oder Traumata als ursächlich für den Abbau und Verlust von Gelenkknorpel angesehen. Die Omarthrose wird also in primäre (unspezifische) und sekundäre (spezifische) Formen unterteilt, je nachdem, ob es eine erkennbare Ursache gibt oder nicht. Während Letzteres bei jüngeren Patientinnen und Patienten weitaus häufiger vorkommt, liegt die Prävalenz der primären Omarthrose in der Altersgruppe der 40– bis 55-Jährigen zwischen 2 und 10 % [18, 26] bei allerdings steigender Tendenz [27].
Die EOA geht in der Regel mit einer statischen, posterioren Dezentrierung des Humeruskopfes einher (Abb. 3 a–c) [18, 28, 29]. Obwohl einige Risikofaktoren, wie bspw. ein hoher BMI, inhalatives Rauchen, Bluthochdruck, Polyarthritis etc., in Zusammenhang mit der EOA gebracht wurden [18], konnte für die EOA bisher keine hinreichende Ursache ermittelt werden. Neben den genannten Risikofaktoren scheint insbesondere das Aktivitätsniveau mit exzentrischer Schulterbelastung die Entwicklung einer EOA zu begünstigen [18]. Diese hohen Belastungen treten hauptsächlich beim Kraftsport und beim Bankdrücken auf. Walch et al. beschrieben die statische Dezentrierung bei jungen Patientinnen und Patienten als eine prä-arthrotische Deformität mit Subluxation des Humeruskopfes, der eine posteriore Glenoiderosion vorausgeht [19]. Diese früheste Form der osteoarthritischen Entwicklung wurde als sog. „B0“-Glenoid bezeichnet [28]. Es bleibt unklar, ob die Dezentrierung eine Glenoidretroversion verursacht oder andersherum – ein klassisches „Henne-Ei“-Problem. Neben den o.g. Risikofaktoren scheint auch der Umfang und der antero-posteriore (AP) Durchmesser des Thorax einen Einfluss auf die Entwicklung der EOA zu haben: je größer der Umfang und AP-Durchmesser des Thorax, desto häufiger wurde in einer kürzlich vorgestellten Studie eine EOA-Arthrose beobachtet [30]. Vermutet werden auch dynamische Faktoren, im Besonderen eine unausgeglichene Muskelbalance der Rotatorenmanschette. Dies konnte allerdings in Untersuchungen mit Volumenbestimmung der Muskulatur der Rotatorenmanschette nicht bestätigt werden [30].