Übersichtsarbeiten - OUP 11/2018

Muskel- und Sehnenverletzungen der oberen Extremität

Mathias Ritsch1, Casper Grim2

Zusammenfassung: Muskel- und Sehnenverletzungen an der oberen Extremität sind besonders im Kraftsport häufiger zu beobachten. Viele dieser Verletzungen werden dabei unterschätzt und bagatellisiert. Die zuverlässige Einschätzung des tatsächlichen Verletzungsausmaßes ist Grundlage einer erfolgreichen Therapie. Die klinische und die sonografische Diagnostik haben hierbei den größten Stellenwert. Ein MRT ist nur im Zweifel erforderlich. Die operative Therapie,
welche beim Sportler schon bei partiellen Muskel- und Sehnenverletzungen notwendig sein kann, sollte innerhalb von 1–2 Wochen durchgeführt werden. Inwieweit eine
operative Therapie sinnvoll ist, muss mit dem Patienten diskutiert werden. Sekundäre Rekonstruktionen führen auch zu einer Verbesserung, sind aber der primären Rekonstruktion im Ergebnis unterlegen. Verletzungen der distalen Bizepssehne, des Trizeps und des Pectoralis bedürfen eher der operativen Therapie, während Verletzungen des Latissimus, des Teres major und der langen Bizepssehne auch konservativ therapiert gute Ergebnisse zeigen. Die Nachbehandlung richtet sich nach der Therapie der jeweiligen Verletzung.

Schlüsselwörter: Muskel-Sehnen-Ruptur, Pectoralis-major-
Ruptur, Ruptur distale Bizepssehne, Trizeps-Ruptur, operative Therapie

Zitierweise
Ritsch M, Grim C: Muskel- und Sehnenverletzungen der oberen
Extremität.
OUP 2018; 7: 550–555 DOI 10.3238/oup.2018.0550–0555

Summary: Muscle and tendon injuries to the upper extremity are more common, especially in strength training. Many of these injuries are underestimated and trivialized. The reliable assessment of the actual extent of the injury is the basis of a successful therapy. Clinical and sonographic diagnostics have the highest priority here. An MRI is only necessary in case of doubt. The surgical therapy, which may be necessary for the athlete in case of partial muscle and tendon injuries, should be carried out within 1–2 weeks. To what extent an operative therapy makes sense must be discussed with the patient. Secondary reconstructions also lead to an improvement, but are inferior to the primary reconstruction in the result. Injuries to the distal biceps tendon, triceps, and pectoralis are more likely to require operative treatment, while injuries to the latissimus, teres major, and long head biceps tendon also with conservative treatment good results can be achieved. The after-treatment depends on the treatment of the respective injury.

Keywords: muscle tendon rupture, pectoralis major rupture, distal biceps tendon rupture, triceps rupture, operative treatment

Citation
Ritsch M, Grim C: Muscle and tendon injuries to the upper extremity.
OUP 2018; 7: 550–555 DOI 10.3238/oup.2018.0550–0555

1 Sportorthopädie Rosenheim, Chefarzt Schön-Klinik Vogtareuth, Leitender Arzt Krankenhaus Bad Arolsen

2 Klinik für Orthopädie, Unfall- und Handchirurgie, Klinikum Osnabrück, Osnabrück

Einleitung

Muskelverletzungen sind durch funktionelle und strukturelle Veränderungen im Muskelgewebe definiert. Eine Einteilung erfolgt in Muskelverhärtung/-zerrung, Muskelfaserriss und Muskelbündel-/Muskelriss [2]. Die Zerrung zeigt in der Regel reversible Veränderungen, aber der Muskelfaserriss zeigt bereits strukturelle Veränderungen, die zu nicht kontraktilem Narbengewebe führen [18]. Exzentrische Kontraktionen erzeugen höhere Kräfte und führen zu größeren Muskelschädigungen [4]. Die Einteilung der Muskelverletzungen (Tab. 1) erfolgt nach Müller Wohlfahrt et al. [24].

Järvinen et al. [19] beschreiben in einer weiterführenden Klassifikation des Grad 3b (Bündelriss > 5 mm) und Grad 4 (Muskelriss) nach Müller Wohlfahrt et al. [24] die Lokalisation der Verletzung.

Es wird in

  • 1. proximaler myotendinöser Übergang,
  • 2. Muskel und
  • 3. distaler myotendinöser Übergang unterschieden. Die Rupturen im Muskel werden zudem in
  • a. intramuskulär,
  • b. myofaszial,
  • c. myofaszial/perifaszial,
  • d. myotendinös und
  • e. kombiniert differenziert.

Auch Sehnen zeigen Überlastungsschäden in Form der Tendopathie. In der Literatur werden zwar Sehnenrisse an einzelnen Lokalisationen klassifiziert, aber eine allgemeingültige Klassifikation von Sehnenverletzungen liegt nicht vor. Generell kann man jedoch qualitativ, quantitativ und die Lage der Sehnenpathologie unterscheiden. Qualitativ lassen sich Tendopathie, Peritendopathie und Riss differenzieren. Quantitativ werden Teilrisse und komplette Risse unterschieden. Die Lokalisation betrifft den myotendinösen Übergang, die Sehne selbst, den knöchernen Ansatz der Sehne als Avulsion oder die jeweilige Apophyse selbst als Avulsionsfraktur.

Muskel- und Sehnenverletzungen werden zudem in akute und chronische sowie in direkte und indirekte Verletzungen unterschieden.

Zum Riss kommt es, wenn die Belastbarkeit der jeweiligen Struktur überschritten wird. Ab einer Dehnung von > 4 % werden mikroskopisches Versagen und ab 8 % ein makroskopisches Versagen durch intrafibrilläre Schädigung beobachtet. Das größte Risiko einer Sehnenschädigung besteht bei schneller und schräger Spannung sowie bei exzentrischer Kontraktion [32]. Dynamische und isometrische Kraftspitzen, aber auch wiederholte Belastungen können ebenfalls zum Riss führen. Für Sehnenverletzungen werden vielfach auch degenerative Prozesse verantwortlich gemacht [15, 20]. Intrinsische Risikofaktoren wie Alter, lokale Anatomie und Biomechanik, vorangegangene Verletzungen, Degeneration, genetische Disposition, konsumierende Erkrankungen wie Rheumatoide Arthritis und Niereninsuffizienz, Rauchen und Medikamente wie Flourchinolone (Ciprofloxacin), Tetracyclin (Doxycyclin), Statine und Steroide können die Belastbarkeit modulieren [35, 36].

Ziel der Therapie sollte immer eine möglichst geringe Narbenausheilung sein, um die Ausgangslänge der Muskel-Sehnen-Einheit zu erhalten. Dies führt zum Krafterhalt und damit zum Erhalt der sportlichen Leistungsfähigkeit. Viele dieser Verletzungen werden dabei unterschätzt und bagatellisiert.

Merksatz: Die zuverlässige Einschätzung des tatsächlichen Verletzungsausmaßes ist Grundlage einer erfolgreichen Therapie.

Eine operative Therapie sollte innerhalb von 10 Tagen erfolgen.

Diagnostik

Die genaue Anamnese mit der gezielten Frage nach einem Riss-Gefühl oder Knallgeräusch legt den Verdacht auf eine relevante Verletzung nahe. Der klinische Befund zeigt in der Regel eine Deformierung des betroffenen Muskels. Das Vorhandensein oder die Größe eines Hämatoms lassen keine Rückschlüsse auf das Ausmaß der Verletzung zu. Auch kann ein Hämatom an anderer Stelle als die Verletzung lokalisiert sein. Ein Spannungsverlust im Muskel tritt nur bei großen Rissen auf und hier je nach Lokalisation auch nicht immer. Für die einzelnen Verletzungslokalisationen sind auch verschiedene funktionelle Teste beschrieben. Neben dem klinischen Befund ist die sonografische Untersuchung insbesondere durch die dynamische Untersuchungsmöglichkeit elementar. Ein MRT ist nur im Zweifel erforderlich, sollte dann aber auch zeitnah erfolgen. Die Kenntnis der spezifischen Verletzungsmuster erleichtert zudem die Diagnostik. Viele Verletzungen werden trotzdem nicht erkannt oder das Ausmaß der Verletzung falsch eingeschätzt.

Pectoralis

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