Übersichtsarbeiten - OUP 03/2017
Operative Therapieoptionen degenerativer Erkrankungen der Lendenwirbelsäule
Bei den hier beschriebenen Verfahren ist immer eine Einzelfallentscheidung notwendig. So kommen rein dekompressive Verfahren ebenfalls bei alten Patienten mit hohem perioperativen Risiko, milder Deformität und reduzierter Knochenqualität in Frage.
Interspinöse Implantate
Die interspinösen Implantate werden über einen dorsalen, entweder offenen oder minimalinvasiven, Zugang implantiert und sollen zu einer relativen segmentalen Kyphosierung führen bzw. eine übermäßige segmentale Lordosierung verhindern. Hierbei variieren die Indikationen bei den verschiedenen Implantaten und reichen von Patienten mit Black-disc-Phänomen, Spinalkanalstenose oder Foraminalstenose, Bandscheibenvorfällen bis hin zur Vermeidung einer Anschluss-Segmentdegeneration bei vorangegangenen Fusionsoperationen. Klinische Studien zeigten einen positiven Effekt bei der Behandlung von Spinalkanalstenosen sowie einen positiven Einfluss auf die Anschluss-Segmentproblematik [9, 10]. Hinsichtlich der Lumbalgien scheinen die Implantate keine relevante Verbesserung zu erbringen [9, 11]. Insgesamt fehlen zu diesen Implantaten jedoch valide Langzeitdaten aus prospektiv-randomisierten Multicenterstudien.
Semirigide Implantate
Semirigide Implantate sind im Bereich der Wirbelsäule eine relativ neue Entwicklung. Erstmalig wurde 1994 von Dubois ein solches System implantiert. Diese Implantate basieren auf Pedikelschrauben, Bändern und Spacern, wobei die anatomischen Strukturen des Bewegungssegments erhalten werden sollen. Eingebracht werden diese Implantate über einen klassischen posterioren Zugang. Als Indikationen werden die lumbale Spinalkanalstenose mit mäßiger Instabilität, die Spondylolisthese Grad 1, die Anschluss-Segmentdegeneration nach vorangegangener Fusion, der rezidivierende Bandscheibenvorfall und degenerative Bandscheibenerkrankungen beschrieben [12–14]. Mit diesen Implantaten konnte eine geringere Belastung der in die Stabilisierung eingeschlossenen und der benachbarten Segmente nachgewiesen werden als bei Fusionen [15, 16]. Jedoch zeigte sich bei diesen Implantaten eine in diesem Umfang nicht erwartete Rigidität [17], sodass auch die von den Fusionsoperationen bekannten Komplikationen wie Schraubenlockerung und Anschluss-Segmentdegeneration beobachtet wurden [14]. Klinische Studien konnten im Vergleich zu Fusionsoperationen die Überlegenheit semirigider Implantate nicht belegen [18]. Zudem ist bei Verwendung von semirigiden Implantaten eine hohe Rate an notwendigen Revisionsoperationen beschrieben [19, 20].
Experimentelle Verfahren
Zur Behandlung von degenerativen Bandscheibenveränderungen stehen weiterhin sogenannte Nucleus-pulposus-Ersatzverfahren zur Verfügung. Diese Implantate werden über einen anterioren, retroperitonealen Zugang implantiert. Obwohl diese Implantate in ersten kleinen Studien vielversprechende Ergebnisse zeigen konnten, besitzen diese in der täglichen Praxis keinen Stellenwert und werden nur der Vollständigkeit halber deswegen hier aufgeführt [21].
Da ein nicht unerheblicher Teil (ca. 30 %) der lumbalen Beschwerden auf eine Facettengelenkpathologie zurückzuführen ist [22, 23], werden der Endoprothetik nachempfundene Ersatzsysteme für Facettengelenke entwickelt. Implantiert werden diese Systeme über einen klassischen posterioren Zugang. Indikationen sind laut Hersteller Facettengelenkarthrosen, welche zu einer Spinalkanalstenose führen. Aber auch isolierte Facettengelenkschmerzen ohne Stenose sowie verbliebene facettogene Schmerzen nach Bandscheibenersatzoperationen werden als mögliche Indikationen zur Verwendung dieser Systeme beschrieben. Diese Implantate bestehen aus superioren und inferioren Facettengelenkimplantaten, welche über Pedikelschrauben fixiert werden. Weiterhin existieren Systeme zum reinen Oberflächenersatz von Facettengelenken. Aufgrund fehlender Studien haben diese Verfahren jedoch in der täglichen Praxis bis dato keinen Stellenwert.
Bandscheibenersatz
Der lumbale Bandscheibenersatz ist nach wie vor eine viel diskutierte Alternative zu den oben beschriebenen Operationen. Im Detail wird der lumbale Bandscheibenersatz im Rahmen dieses Sonderhefts separat betrachtet (Seite 136). Mit diesem Verfahren konnten jedoch die bei Fusionsoperationen auftretenden hohen Raten an Anschluss-Segmentpathologien deutlich gesenkt werden [6]. Valide Langzeitergebnisse mit diesen Verfahren existieren bis dato jedoch nur spärlich. Bei korrekter und strenger Indikationsstellung ist die lumbale Bandscheibenprothetik jedoch sicherlich auch weiterhin eine therapeutische Option.
Zusammenfassung
Die operativen Therapieoptionen bei degenerativ bedingten Beschwerden der Lendenwirbelsäule, wie in diesem Artikel beschrieben, sind mannigfaltig. Grundsätzlich ist jedoch vor jeglicher operativer Intervention außer bei Entzündungen, instabilen Frakturen oder einer neurologischen Symptomatik, ein konservatives Therapieregime voranzustellen. Da alle bis dato routinemäßig durchgeführten Verfahren unter Umständen mit schwerwiegenden, kurz- oder langfristigen Komplikationen kurz und langfristig einhergehen können, ist stets auf eine individuelle und strenge Indikationsstellung zu achten.
Interessenkonflikt: Keine angegeben
Korrespondenzadresse
PD Dr. med. Sebastian Weckbach
Orthopädische Universitätsklinik Ulm am RKU
Universität Ulm
Oberer Eselsberg 45
89081 Ulm
Sebastian.Weckbach@rku.de
Literatur
1. Andersson GB: Epidemiological features of chronic low-back pain. Lancet 1999; 354: 581–585
2. Buchbinder R, Blyth FM, March LM, Brooks P, Woolf AD, Hoy DG: Placing the global burden of low back pain in context. Best Pract Res Clin Rheumatol 2013; 27: 575–589
3. Pai S, Sundaram LJ: Low back pain: an economic assessment in the United States. Orthop Clin North Am 2004; 35: 1–5
4. Silva FE, Lenke LG: Adult degenerative scoliosis: evaluation and management. Neurosurg Focus 2010; 28: E1
5. Fischer CR, Hanson G, Eller M, Lehman RA: A Systematic Review of Treatment Strategies for Degenerative Lumbar Spine Fusion Surgery in Patients With Osteoporosis. Geriatr Orthop Surg Rehabil 2016; 7: 188–196
6. Harrop JS, Youssef JA, Maltenfort M et al.: Lumbar adjacent segment degeneration and disease after arthrodesis and total disc arthroplasty. Spine (Phila Pa 1976) 2008; 33: 1701–1707
7. Etebar S, Cahill DW: Risk factors for adjacent-segment failure following lumbar fixation with rigid instrumentation for degenerative instability. J Neurosurg 1999; 90 (2 Suppl): 163–169