Übersichtsarbeiten - OUP 06/2023

Posttraumatische cubitale Deformitäten bei Kindern und Jugendlichen
Supracondyläre Korrekturosteotomie des distalen Humerus

Alexander N. Herzog, Francisco F. Fernandez

Zusammenfassung:
Die Fraktur im Bereich des distalen Humerus ist nicht nur ein der am häufigsten vorkommenden, sondern auch das komplikationsträchtigste Skelettaltrauma im Kindesalter. Prozentual stammt nur ein geringer Anteil des gesamten Oberarmwachstums aus den Wachstumsfugen im Bereich des distalen Humerus. Die relativ niedrige Wachstumspotenz erlaubt nur einen sehr begrenzten Remodellierungsprozess, der kaum spontane Korrektur der posttraumatischen Deformität ermöglicht.
Die posttraumatische Deformität des distalen Humerus ist nicht nur ein anatomisches, oder wie öfters initial subjektiv wahrgenommen, gar ein kosmetisches Problem. Die unphysiologische Veränderung der Geometrie verursacht häufig auch funktionelle Defizite des Ellenbogengelenkes, die langfristig zusätzlich mit einer sekundären Instabilität einhergehen. Daher ist das Wiederherstellen der anatomischen Geometrie des distalen Humerus durch eine supracondyläre Umstellung hier der zielführende Therapieansatz.
Die Auswahl der optimalen Technik bleibt immer eine Fall zu Fall-Entscheidung, dabei ist die anatomische Norm nicht allein ausschlaggebend, vielmehr ist es wichtig, die individuellen Ansprüche der/des betroffenen Patientin/Patienten zu berücksichtigen. Bei Patientinnen und Patienten ab einem Alter von 10 Jahren favorisieren wir die supracondyläre Domosteotomie über einen dorsalen Trizeps-Split-Zugang aufgrund ihrer multidimensionalen Korrekturmöglichkeit und freifunktionellen Nachbehandlung sowie günstigen Narbenästhetik.
Nicht nur die Korrektur an sich, sondern auch der Zeitpunkt der Korrektur ist entscheidend für den Therapieerfolg. Der optimale Korrekturzeitpunkt ist vom Ausmaß der Deformität sowie vom Alter der Patientin/des Patienten abhängig. Im Bereich des distalen Humerus ist nach dem Alter von 7 Jahren mit einer Spontankorrektur durch Remodellierung nicht mehr zu rechnen. Bei massiven funktionell wirksamen Deformitäten kann eine Korrektur ab 6 Monaten post-Trauma durchgeführt werden. Die posttraumatischen Deformitäten des distalen Humerus können sich nicht nur in Funktionsdefiziten manifestieren, sondern auch langfristig zu Instabilitäten des Ellenbogengelenkes führen. Aufgrund des sehr begrenzten Spontankorrekturpotenzials ist ein abwartendes Vorgehen nicht sinnvoll. Wir empfehlen eine rechtzeitige Korrektur, bevor die sekundären Veränderungen der umgebenden Strukturen trotz der Behebung der primären Deformitäten irreversibel verbleiben.

Schlüsselwörter:
Domosteotomie, Cubitus varus, Cubitus valgus, supracondyläre Humerusfraktur,
posterolaterale rotatorische Instabilität

Zitierweise:
Herzog AN, Fernandez FF: Posttraumatische cubitale Deformitäten bei Kindern und Jugendlichen. Supracondyläre Korrekturosteotomie des distalen Humerus
OUP 2023; 12: 251–256
DOI 10.53180/oup.2023.0251–0256

Summary: Elbow fractures are one of the most common types of skeletal trauma in childhood and carry the greatest risk of post-traumatic complications. As only a small portion of arm growth originates from the growth plates of the elbow joint, their capacity for remodeling is limited, making the spontaneous correction of
deformity or misalignment challenging.
Post-traumatic deformity of the distal humerus is not just an anatomical or cosmetic problem. Non-physiological deviation of the geometry often causes functional elbow joint deficits, which can lead to additional secondary instability in the long term.
The goal of supracondylar correctional osteotomy is the restoration of the anatomical geometry of the distal
humerus. The optimal surgical technique is always decided on a case-by-case basis. The decision is based on both anatomical norms and the specific needs of the individual patient. With patients > 10 years old, we favor the supracondylar dome osteotomy with a posterior triceps-splitting approach. This method has substantial
capacity for simultaneous multiplanar correction, allows comfortable cast-free postoperative movement, and leaves a more cosmetically appearing surgical scar than the lateral approach.
For successful treatment, both the correction itself and the timing of the correction are crucial considerations. The optimal timing of the correction depends on both the dimension of the deformity and the age of the
patient. After the age of 7 years, no relevant remodeling can be expected. The correction of massive functionally effective deformities can be performed after 6 months post-trauma. Post-traumatic deformities of the distal humerus may manifest as functional deficits, and there is a risk of subsequent secondary instabilities of the elbow joint. Due to the limited potential of spontaneous correction, a wait-and-see approach is inappropriate. We recommend timely surgical correction to avoid secondary manifestations becoming irreversible even after the resolution of the primary deformity.

Keywords: Dome osteotomy, cubitus varus, cubitus valgus, supracondylar humerus fracture,
posterolateral rotatory instability

Citation: Herzog AN, Fernandez FF: Post-traumatic cubital deformities in children and adolescents. Supracondylar correctional osteotomy of distal humerus
OUP 2023; 12: 251–256. DOI 10.53180/oup.2023.0251–0256

Kinder- und Jugendtraumatologie, Kinderorthopädisches Zentrum, Olgahospital, Stuttgart

Einleitung

Die Fraktur im Bereich des distalen Humerus ist nicht nur ein der am häufigsten vorkommenden, sondern auch das komplikationsträchtigste Skelettaltrauma im Kindesalter [1–3]. Prozentual stammt nur ein geringer Anteil des gesamten Oberarmwachstums aus den Wachstumsfugen im Bereich des distalen Humerus [1–3]. Die relativ niedrige Wachstumspotenz erlaubt nur einen sehr begrenzten Remodellierungsprozess, der kaum spontane Korrektur der posttraumatischen Deformität ermöglicht [1–6].

Generell ist anzunehmen, dass in der sagittalen Ebene jenseits des 7. Lebensjahres und in der frontalen Ebene im Wesentlichen kein relevantes
Remodellierungspotenzial besteht, sodass die aufgrund der initial unzureichenden Reposition entstandene primäre Fehlstellung größtenteils verbleibt [4–6]. Des Weiteren führt das nicht-anatomische Stellungsverhältnis des distalen Fragments, insbesondere Rotationsfehler in der transversalen Ebene, zu posttraumatischen Veränderungen des distalen Humerus [1–3]. Infolgedessen kommt es entweder zum Kollabieren des ulnaren Pfeilers oder zum Überwachstum des radialen Pfeilers, was wiederum in einer sekundären Fehlstellung der cubitalen Achse resultiert [1–3]. Diese tritt aufgrund der dadurch entstandenen Veränderungen der gesamten Geometrie oft als eine kombinierte Deformität in mehreren Ebenen auf [1–3].

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