Übersichtsarbeiten - OUP 06/2023

Posttraumatische cubitale Deformitäten bei Kindern und Jugendlichen
Supracondyläre Korrekturosteotomie des distalen Humerus

Die Operation erfolgt in Bauchlage mit dem Oberarm ausgelagert in 90- Grad-Abduktion über einen kleinen Armtisch [9]. Die Schnittführung erfolgt mittig am dorsalen distalen Humerus [9]. Es erfolgt eine primäre Neurolyse des Nervus ulnaris [9]. Nach Inzision der Trizeps-Faszie wird die Muskulatur im Faserverlauf gespalten und stumpf abgeschoben [9]. Die Gelenkkapsel bleibt verschlossen [9]. Das Periost wird in Längsrichtung eröffnet [9]. Die weitere Präparation sowie die Osteotomie erfolgt dann strengst subperiostal und möglichst distal, sodass eine primäre Neurolyse des Nervus radialis in der Regel nicht erforderlich ist [9].

Es wird zuerst ein Kirschner-Draht als Joystick in den Condylus radialis eingebracht [9]. Die domförmige
Osteotomie wird ein Drittel- bis ein Halbkreis mittels Kirschner-Draht vorgebohrt und anschließend mit einem kleinen Meißel komplettiert [9].

Das Ziel der Korrektur ist eine symmetrische cubitale Achse in der frontalen Ebene sowie ein balancierter Bewegungsradius in der sagittalen Ebene [9]. Beim Vorliegen einer physiologischen Variante der kontralateralen Seite ist eine vollständige anatomische Korrektur nicht zielführend [9]. Nach gewünschter Einstellung des distalen Fragments wird die Osteotomie mittels eines weiteren Kirschner-Drahts transfixiert [9].

Eine simultane Korrektur in der
sagittalen sowie frontalen Ebene lässt sich problemlos einstellen [9]. Die Korrektur in der frontalen Ebene erfolgt durch Schwenken des distalen Fragments [9]. Für die Korrektur in der sagittalen Ebene wird die Platte auf Höhe der Osteotomie entsprechend gebogen [9].

Sollte es präoperativ bereits eine condyläre Prominenz bestehen, kann zusätzlich eine mediale Translation des distalen Fragments durchgeführt werden [9]. Allerdings ist die Korrektur eines Rotationsfehlers in der transversalen Ebene nur sehr bedingt einstellbar [9].

Für die Fixation wird in der Regel bei Kindern unter 12 Jahren die LCP-Radius-Platte und bei Jugendlichen über 12 Jahren die LCP-Tibia-Platte angewendet [9]. Bei älteren Jugendlichen kann für bessere Stabilität zusätzlich einen Antirotationsdraht angebracht werden [9].

Der dorsale Zugang reduziert das Risiko einer Nerven-Läsion. Der Trizeps-Split ist eine sowohl in der Trauma-Versorgung als auch bei der Korrekturosteotomie gut bewahrte Technik [26, 27], welche unserer Erfahrung nach zu keiner relevanten Beeinträchtigung der muskulären Kraft führt [9]. Des Weiteren stellt sich auch die OP-Narbe des dorsalen Schnitts ästhetisch vorteilhaft dar [13, 28, 29]. Die LCP-Plattenosteosynthese ermöglicht eine frei-funktionelle Nachbehandlung [9].

Zusammenfassung und Fazit für die Praxis

Im Grunde genommen hat jede posttraumatische Deformität ihre eigene Form, die die Geometrie des distalen Humerus beeinflusst und dadurch unterschiedliche Funktionsdefizite verursacht, sodass auch für deren Korrektur kein Standardverfahren existiert.

Die Auswahl der optimalen Technik bleibt immer eine Fall zu Fall-Entscheidung, dabei ist die anatomische Norm nicht allein ausschlaggebend, vielmehr ist es wichtig, die individuellen Ansprüche der/des betroffenen Patientin/Patienten zu berücksichtigen. Beispielsweise benötigt ein Tennisspieler eine volle Extension und bei einem Violinisten bestehen höhere Ansprüche an die Flexionsfähigkeit. Im Alltag ist die Supination des Unterarms zum Gewährleisten der persönlichen Hygiene essenziell, während die Pronation für das Schreiben und die Tastaturbenutzung als substanziell gilt. Des Weiteren ist es wichtig, die Verteilung der Funktion zwischen der dominanten Seite und der nicht dominanten Seite zu berücksichtigen, da diese hinsichtlich des Beweglichkeits- und Stabilitätsanspruchs differiert. Generell kann angenommen werden, dass die dominante Seite mehr an Beweglichkeit und die nicht-dominante Seite mehr an Stabilität fordert. Ein weiterer relevanter Aspekt ist es, dass Kinder und Jugendliche ein Beweglichkeitsdefizit funktionell besser kompensieren können im Vergleich zu Erwachsenen. Beispiel hierfür ist die funktionelle Kompensation eines Pronationsdefizits bei der Schreibarbeit durch die vermehrte Schulterabduktion. Jedoch führt dies langfristig zu einer sekundären Problematik der Schulter, wobei es dann im Erwachsenenalter zur symptomatischen Dekompensation kommt.

Für eine Korrektur in der sagittalen Ebene ist die Einstellung des distalen Fragments über eine radialseitige Condylen-Platte eine sehr effiziente Technik. Hier ist die Vergrößerung des absoluten Bewegungsradius nur sehr bedingt möglich. Vielmehr steht das Balancieren zwischen der Streck- und Beugefähigkeit im Vordergrund.

Bei der Korrektur in der frontalen Ebene hat sich die Wedge-Osteotomie als solide Methode bewahrt. Hier ist vor allem bei medialseitigem Zugang das erhöhte Risiko für eine Nervus-
ulnaris-Läsion zu beachten. Aufgrund der durch akute Elongation des ulnaren Pfeilers entstandenen Dehnungsstresses auf den Nervus ulnaris ist eine mediale Open-Wedge-Osteotomie primär nicht zu empfehlen. Bei einem lateralseitigen Vorgehen ist die sekundäre Wedge-induzierte condyläre Prominenz ein weiterer technikspezifischer Aspekt, der berücksichtigt werden muss, welcher insbesondere bei hochgradiger Korrektur durch die starke laterale Translation zu erheblicher Dysbalance der Geometrie führt.

Eine weitere Limitierung der beiden oben beschriebenen Techniken ist das Anwendungsalter. Aufgrund der anatomischen Gegebenheit sind die beiden Methoden in der Regel ab einem Alter von 10 Jahren zu empfehlen.

Bei kleineren Kindern sowie für eine mehrdimensionale Korrektur hat sich der Fixateur externe als eine valide Methode etabliert. Vorteile hier sind die freie Einstellungsmöglichkeit des distalen Fragments, die sehr hohe Korrekturpotenz sowie die gute Nachjustierbarkeit. Nachteile sind das höhere Risiko für Implantatlockerung und implantatassoziierte Infektionen. Des Weiteren muss auch die vergleichsweise längere Konsolidationsdauer, somit auch die Fixateur-Tragdauer, bei Jugendlichen berücksichtigt werden.

Bei Patientinnen und Patienten ab einem Alter von 10 Jahren favorisieren wir die supracondyläre Domosteotomie über einen dorsalen Trizeps-Split-Zugang aufgrund ihrer multidimensionalen Korrekturmöglichkeit und freifunktionellen Nachbehandlung sowie günstigen Narbenästhetik.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4