Übersichtsarbeiten - OUP 02/2024

Rekonstruktion großer Knochendefekte durch RIA-Spongiosa und Spenderknochen in Masquelet-Technik

Marc Hückstädt, Sandra Schipper, Christian Fischer, Steffen Langwald, Thomas Mendel,
Friederike Klauke, Philipp Kobbe

Zusammenfassung:
Die Masquelet-Technik (MT) ist ein zweizeitiges Verfahren zur Rekonstruktion großer Knochendefekte. Durch vielfache Modifikationen der Originaltechnik differieren Konsolidierungsraten und Komplikationen erheblich. Grundsätzlich können sehr gute Ergebnisse erzielt werden, wobei der Erfolg von den Varianten der MT abhängig ist.
Im Sinne des Diamond-Konzeptes verbindet die dargestellte Modifikation der MT eine hohe Stabilität von Osteosynthese und Spongiosaplastik mit den Faktoren Osteokonduktion (Scaffold), Osteoinduktion (Wachstumsfaktoren) und Osteogenese (Zellen). Selbst ausgedehnte dia-metaphysäre Knochendefekte sind mit dieser Variante rekonstruierbar. Durch die hohe Primärstabilität ist eine frühzeitige Mobilisierung und Physiotherapie möglich, medizinische und psychische Folgen einer langwierigen Therapie können minimiert werden.

Schlüsselwörter:
Masquelet-Technik, RIA und Spenderfemurköpfe, stabile interne Osteosynthese, Rekonstruktion von Knochendefekten jeder Größe

Citation:
Hückstädt M, Schipper S, Fischer C, Langwald S, Mendel T, Klauke F, Kobbe P: Rekonstruktion großer Knochendefekte durch RIA-Spongiosa und Spenderknochen in Masquelet-Technik
OUP 2024; 13: 68–72
DOI 10.53180/oup.2024.0068-0072

Summary: The induced membrane technique (IMT) is a two-stage procedure for the reconstruction of large bone defects. Due to multiple modifications of the original technique, consolidation rates and complications vary considerably. In principle, excellent results can be achieved, whereby the success depends on the variants of IMT.
In line with the diamond concept, the described modification of IMT combines high stability of the osteosynthesis and spongiosaplasty with the factors osteoconduction (scaffold), osteoinduction (growth factors) and osteogenesis (cells). Even extensive dia-metaphyseal bone defects can be reconstructed using this variant. The high primary stability enables early mobilization and physiotherapy, and the medical and psychological consequences of protracted therapy can be minimized.

Keywords: Induced membrane technique, Reamer-Irrigator-Aspirator and donor femoral heads, stable internal osteosynthesis, reconstruction of bone defects of any size

Citation: Hückstädt M, Schipper S, Fischer C, Langwald S, Mendel T, Klauke F, Kobbe P: Reconstruction of large bone defects by RIA and allograft using the Masquelet technique
OUP 2024; 13: 67–71. DOI 10.53180/oup.2024.0067-0071

M. Hückstädt, S. Schipper, C. Fischer, S. Langwald, T. Mendel, F. Klauke: Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, BG Klinikum Bergmannstrost, Halle (Saale)

P. Kobbe: Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, BG Klinikum Bergmannstrost, Halle (Saale) & Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Uniklinik Halle

Einleitung

Die Rekonstruktion großer Knochendefekte stellt nach wie vor eine Herausforderung dar. Über Jahrzehnte war der Segmenttransport (Callusdistraktion) die wichtigste Operationstechnik. Durch die lange Behandlungszeit, hohe Komplikationsraten sowie Einschränkungen der Indikation ist der Segmenttransport nicht vollständig zufriedenstellend, auch wenn gute Ergebnisse erzielt werden können [1, 2].

Die Masquelet-Technik (MT) in ihrer Originaltechnik ist ebenfalls ein etabliertes zweizeitiges Rekonstruktionsverfahren für große Knochendefekte. Im ersten Schritt wird der Defekt durch einen Polymethylmethacrylat-(PMMA-)Spacer aufgefüllt und meist durch eine Osteosynthese stabilisiert. Durch eine synoviale Fremdkörperreaktion wird eine gut vaskularisierte Membran induziert, die zudem eine hohe Konzentration an Knochenwachstumsfaktoren aufweist, weshalb die Membran auch als Neoperiost bezeichnet wird. Im zweiten Schritt der MT wird der Spacer entfernt und der Defekt unter Schonung der Membran mit Knochenersatzmaterial gefüllt [3].

In der Originaltechnik von Alain Charles Masquelet wurde typischerweise zerkleinerter spongiöser Knochen aus dem Beckenkamm verwendet, die Osteosynthese erfolgte durch Fixateur externe. In den folgenden Jahren wurde die Technik mehrfach modifiziert. Einerseits kamen zunehmend interne Osteosynthesen zur Anwendung, andererseits erfolgte die Entnahme autologer Spongiosa mit dem Reamer-Irrigator-Aspirator (RIA), da so größere Mengen autologer Spongiosa gewonnen werden können. Weitere Knochenersatzmaterialien wie Spenderknochen, alloplastisches Knochenersatzmaterial und Wachstumsfaktoren kamen in verschiedenen Kombinationen zum Einsatz.

Grundsätzlich können mit der MT Knochendefekte jeder Genese (Trauma, Tumor, Infektion) therapiert werden. Die Osteomyelitis ist dabei die häufigste Entität. Neben den verschiedenen Varianten der MT erschweren unterschiedliche Behandlungskonzepte der Grunderkrankungen, etwa implantatassoziierte Infektionen, eine Vergleichbarkeit. Entsprechend differieren etwa Konsolidierungs- und Komplikationsraten [4, 5]. Die MT sollte daher als Behandlungskonzept und nicht als operative Technik betrachtet werden.

Ziel zukünftiger klinischer Studien sollte deshalb die Entwicklung klar definierter Operationstechniken der MT mit reproduzierbaren Ergebnissen sein, um Knochendefekte jeder Größe und Lokalisation mit geringer perioperativer Morbidität optimal behandeln zu können.

Grundlagen der
Knochenheilung

Auf molekularer Ebene sind die Faktoren der Knochenheilung komplex. Umso wichtiger ist ein praktikables Konzept, das die entscheidenden Faktoren einer erfolgreichen Therapie für die Praxis umfasst. Mit diesem Hintergrund entwickelte Giannoudis das ‚diamond concept‘. Es umfasst die Faktoren Stabilität, ausreichende Durchblutung, Osteokonduktion, Osteogenese und Osteoinduktion [6].

Werden die genannten Faktoren nicht gleichermaßen berücksichtigt, kann die Knochenheilung ausbleiben. An der Bedeutung der genannten Faktoren besteht kaum ein Zweifel, jedoch ist nicht klar, wie viel Primärstabilität sowohl die Osteosynthese als auch das transplantierte Knochenersatzmaterial aufweisen müssen und durch welche Art der Knochenersatzplastik die Faktoren Osteokonduktion, -induktion, und -genese optimal umgesetzt werden [5].

Therapiekonzept der
Osteomyelitis

Voraussetzung jeder erfolgreichen Knochenrekonstruktion ist die adäquate Therapie der zugrunde liegenden Pathologie. Im eigenen Patientengut sind Infektionen mit über 90 % häufigste Ursache. Kommt es zur Reinfektion, ist dies weniger eine Folge der rekonstruktiven Operation, als ein Fehlschlagen der kausalen Therapie [4]. Aufgrund der Heterogenität der Behandlungskonzepte implantatassoziierter Knocheninfektionen soll das durch uns angewandte Konzept als Voraussetzung einer erfolgreichen MT erläutert werden.

Grundsätzlich versuchen wir, entsprechend dem Konzept des zweizeitigen septischen Endoprothesenwechsels, mit einer singulären sanierenden Operation auszukommen. Dies beinhaltet neben einer Materialentfernung bei chronischen Infektionen ein vollständiges und radikales Knochen- und Weichteildebridement mit Resektion des gesamten avitalen Gewebes. Resultierende Knochendefekte werden mit PMMA-Spacern aufgefüllt, denen neben Gentamicin weitere Antibiotika zugemischt werden können. Eine Besonderheit unseres Konzeptes ist der Verzicht auf eine externe Fixation. Wir verwenden zur Stabilisierung temporäre winkelstabile Platten, Wechselnägel oder Kirschnerdrähte (Abb. 1, 6, 7a). Eine Vakuumversiegelung wird ausschließlich bei nicht möglichem Wundverschluss verwendet. Begleitet wird die chirurgische Therapie von einer 6-wöchigen resistogrammgerechten antibiotischen Therapie, meist für 1–2 Wochen intravenös, danach mit Umstellung auf eine oral verfügbare Medikation. Nach dieser Zeit erfolgt ohne Unterbrechung und erneuter mikrobiologischer Probeentnahme bei regelrechtem klinischen und paraklinischen Heilungsverlauf die rekonstruktive Operation, das temporäre Osteosynthesematerial wird dabei auf das definitive Implantat gewechselt. Entscheidend ist das Erreichen einer hohen Primärstabilität, sodass auch winkelstabile Doppelplattenosteosynthesen oder Kombinationen aus Marknagel und Platte zum Einsatz kommen (Abb. 7). Die antibiotische Therapie wird für weitere 6 Wochen oral fortgeführt.

Rationaler Hintergrund
und Entwicklung der
dargestellten Technik

Im eigenen Patientengut werden kleine knöcherne Defekte (bis 5 cm an der unteren, bis 10 cm an der oberen Extremität) durch eine Kombination von bi- oder trikortikalen Beckenkammspänen und internen Osteosynthesen behandelt (Abb. 2). Aufgrund der begrenzten Menge autologer Spongiosa vom Beckenkamm sind größere Knochendefekte mit dieser Variante nicht therapierbar.

Durch die Verwendung des Reamer-Irrigator-Aspirator (RIA) können größere Mengen autologer Spongiosa gewonnen werden, jedoch verliert die Spongiosa dadurch ihre Struktur und eignet sich deshalb nicht als osteokonduktive Matrix (Scaffold) für eine große MP. Durch die breiige Konsistenz kommt es zu typischen Sedimentationseffekten (Abb. 3), sodass bei alleiniger Verwendung von RIA-Spongiosa eine hohe Rate an Pseudarthrosen auftreten kann.

Durch die Verwendung solider allogener Femurköpfe wird im Sinne des Diamond-Konzepts die Stabilität der MP erreicht. Die Femurköpfe stellen das natürliche osteokonduktive Gerüst dar. Durch die Entfernung der Kortikalis wird das Einwachsen von Blutgefäßen aus der induzierten Membran ermöglicht. RIA-Spongiosa enthält neben osteogenen Zellen Knochenwachstumsfaktoren, sodass in Verbindung mit der Membran auch Osteoinduktivität und Osteogenese gegeben sind. Osteosynthesen mit absoluter Stabilität ermöglichen die Heilung einer MP, durch die primäre Übungsstabilität und Teilbelastbarkeit können die negativen Folgen einer langdauernden immobilisierenden Therapie minimiert werden.

Operationstechnik

MT durch die Kombination
autologer Spongiosa (RIA) und solider angepasster kortikalisfreier thermodesinfizierter Femurköpfe in Verbindung
mit hoch stabilen internen
Osteosynthesen

Die Entnahme der RIA-Spongiosa erfolgt meist orthograd aus dem ipsi- oder kontralateralen Femur, alternativ aus der Tibia. Sind am proximalen Femur Implantate vorhanden, kann auch eine retrograde Gewinnung erfolgen. Neben einem korrekten Eintrittspunkt ist ein Ausmessen des
Markraumes erforderlich, das Aufbohren erfolgt unter Durchleuchtung in 2 Ebenen. Die Menge der entnommenen Spongiosa orientiert sich an der Größe des aufzufüllenden Defektes. Für eine Defektstrecke von 4 cm (entspricht ca. 1 Femurkopf) ist die Menge von 10 cm3 Spongiosa ausreichend. Für einen 20 cm-Defekt werden also etwa 50 ml RIA-Spongiosa benötigt. Alternativ kann autologe Spongiosa auch aus Beckenkämmen entnommen und mit einer Knochenmühle zerkleinert werden.

Die Anzahl der zu verwendenden Femurköpfe orientiert sich ebenfalls an der Länge des Defektes. Aus einem Femurkopf können je nach Größe und Anteilen vom Schenkelhals spongiöse Zylinder zwischen 3 und 6 cm hergestellt werden. Für einen 20 cm-Defekt werden somit meist 5 Fe-
murköpfe benötigt. In den Fällen einer Nagelosteosynthese werden die Femurköpfe kanüliert und 1 mm über den Nageldurchmesser aufgebohrt. Die Köpfe werden komplett von Kortikalis befreit und auf den Durchmesser des Defektes angepasst (Abb. 4a). Es erfolgt die Ummantelung der spongiösen Zylinder mit der RIA-Spongiosa. Der Marknagel wird bis zur Defektzone eingebracht, die Femurköpfe werden auf den Nagel perlschnurartig aufgefädelt, wobei auch auf das Einbringen von ausreichend RIA-Spongiosa zwischen Knochen und Femurköpfen bzw. zwischen den Femurköpfen zu achten ist (Abb. 4b). Nach Möglichkeit wird Kompression auf Osteosynthese und MP gebracht. Ist noch RIA-Spongiosa vorhanden, werden mögliche kleinere Defekte aufgefüllt bzw. an die Kontaktzonen angelagert. In den Fällen einer bereits liegenden Nagelosteosynthese können die Femurköpfe auch halbiert und um den liegenden Nagel angebracht werden (Abb. 5). In diesen Fällen muss eine Sicherung mit Cerclage oder additiven Platte erfolgen. Ist bei einem sehr gelenknahem Defekt eine Nagelosteosynthese nicht sinnvoll möglich, werden die Köpfe en bloc implantiert (Abb. 7).

Ergebnisse und
Komplikationen

Von bisher 32 Fällen, die mit dieser Variante der MT behandelt wurden (Follow-up: ø 8 Monate, Range: 3–38 Monate), kam es in lediglich 3 Fällen (9 %) zu Reinfektionen, sodass die MP ganz oder teilweise entfernt werden musste. In allen anderen Fällen kam es zur Konsolidierung oder der Nachuntersuchungszeitraum ist für eine abschließende Beurteilung zu kurz. Aufgrund der stabilen Versorgung empfehlen wir eine primäre Teilbelastung von 20 kg, nach 6 Wochen eine schrittweise Belastungssteigerung mit dem Ziel des Erreichens der Vollbelastung nach 12 Wochen. Alle Patientinnen und Patienten werden in unserer Spezialsprechstunde bis zur vollständigen Konsolidierung nachbetreut.

Eine abschließende Beurteilung der dargestellten Variante der MT ist aufgrund der zu geringen Fallzahl und des Nachuntersuchungszeitraumes noch nicht möglich, die kurz- und mittelfristigen Ergebnisse sind aber sehr erfolgversprechend.

Fazit

Die dargestellte Modifikation der MT reduziert die Behandlung von Osteomyelitiden mit notwendiger Segmentresektion auf möglichst nur 2 operative Eingriffe. In der ersten Operation erfolgt das vollständige Debridement mit Einbringen eines PMMA-Spacers, wobei die Stabilisierung durch temporäre interne Implantate (winkelstabile Platten, Marknägel, kräftige Kirschnerdrähte) erfolgt. Begleitet wird die operative Therapie durch eine resistogrammgerechte Antibiotikatherapie für insgesamt 12 Wochen. Durch die Kombination solider Spenderfemurköpfe und RIA werden in Verbindung mit einer hohen Primärstabilität der Osteosynthese alle Faktoren des Diamond-Konzeptes gleichermaßen beachtet. Die Femurköpfe dienen dabei als osteokonduktives Scaffold, wobei Osteoinduktion und Osteogenese durch die RIA-Spongiosa und die induzierte Membran gewährleistet werden. Die frühe Belastbarkeit reduziert darüber hinaus die physiologischen und psychischen Folgen einer langdauernden Therapie.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Marc Hückstädt

BG Klinikum Bergmannstrost Halle

Merseburger Straße 165

06112 Halle

marc.hueckstaedt@bergmannstrost.de

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