Übersichtsarbeiten - OUP 02/2024

Rekonstruktion großer Knochendefekte durch RIA-Spongiosa und Spenderknochen in Masquelet-Technik

Grundsätzlich versuchen wir, entsprechend dem Konzept des zweizeitigen septischen Endoprothesenwechsels, mit einer singulären sanierenden Operation auszukommen. Dies beinhaltet neben einer Materialentfernung bei chronischen Infektionen ein vollständiges und radikales Knochen- und Weichteildebridement mit Resektion des gesamten avitalen Gewebes. Resultierende Knochendefekte werden mit PMMA-Spacern aufgefüllt, denen neben Gentamicin weitere Antibiotika zugemischt werden können. Eine Besonderheit unseres Konzeptes ist der Verzicht auf eine externe Fixation. Wir verwenden zur Stabilisierung temporäre winkelstabile Platten, Wechselnägel oder Kirschnerdrähte (Abb. 1, 6, 7a). Eine Vakuumversiegelung wird ausschließlich bei nicht möglichem Wundverschluss verwendet. Begleitet wird die chirurgische Therapie von einer 6-wöchigen resistogrammgerechten antibiotischen Therapie, meist für 1–2 Wochen intravenös, danach mit Umstellung auf eine oral verfügbare Medikation. Nach dieser Zeit erfolgt ohne Unterbrechung und erneuter mikrobiologischer Probeentnahme bei regelrechtem klinischen und paraklinischen Heilungsverlauf die rekonstruktive Operation, das temporäre Osteosynthesematerial wird dabei auf das definitive Implantat gewechselt. Entscheidend ist das Erreichen einer hohen Primärstabilität, sodass auch winkelstabile Doppelplattenosteosynthesen oder Kombinationen aus Marknagel und Platte zum Einsatz kommen (Abb. 7). Die antibiotische Therapie wird für weitere 6 Wochen oral fortgeführt.

Rationaler Hintergrund
und Entwicklung der
dargestellten Technik

Im eigenen Patientengut werden kleine knöcherne Defekte (bis 5 cm an der unteren, bis 10 cm an der oberen Extremität) durch eine Kombination von bi- oder trikortikalen Beckenkammspänen und internen Osteosynthesen behandelt (Abb. 2). Aufgrund der begrenzten Menge autologer Spongiosa vom Beckenkamm sind größere Knochendefekte mit dieser Variante nicht therapierbar.

Durch die Verwendung des Reamer-Irrigator-Aspirator (RIA) können größere Mengen autologer Spongiosa gewonnen werden, jedoch verliert die Spongiosa dadurch ihre Struktur und eignet sich deshalb nicht als osteokonduktive Matrix (Scaffold) für eine große MP. Durch die breiige Konsistenz kommt es zu typischen Sedimentationseffekten (Abb. 3), sodass bei alleiniger Verwendung von RIA-Spongiosa eine hohe Rate an Pseudarthrosen auftreten kann.

Durch die Verwendung solider allogener Femurköpfe wird im Sinne des Diamond-Konzepts die Stabilität der MP erreicht. Die Femurköpfe stellen das natürliche osteokonduktive Gerüst dar. Durch die Entfernung der Kortikalis wird das Einwachsen von Blutgefäßen aus der induzierten Membran ermöglicht. RIA-Spongiosa enthält neben osteogenen Zellen Knochenwachstumsfaktoren, sodass in Verbindung mit der Membran auch Osteoinduktivität und Osteogenese gegeben sind. Osteosynthesen mit absoluter Stabilität ermöglichen die Heilung einer MP, durch die primäre Übungsstabilität und Teilbelastbarkeit können die negativen Folgen einer langdauernden immobilisierenden Therapie minimiert werden.

Operationstechnik

MT durch die Kombination
autologer Spongiosa (RIA) und solider angepasster kortikalisfreier thermodesinfizierter Femurköpfe in Verbindung
mit hoch stabilen internen
Osteosynthesen

Die Entnahme der RIA-Spongiosa erfolgt meist orthograd aus dem ipsi- oder kontralateralen Femur, alternativ aus der Tibia. Sind am proximalen Femur Implantate vorhanden, kann auch eine retrograde Gewinnung erfolgen. Neben einem korrekten Eintrittspunkt ist ein Ausmessen des
Markraumes erforderlich, das Aufbohren erfolgt unter Durchleuchtung in 2 Ebenen. Die Menge der entnommenen Spongiosa orientiert sich an der Größe des aufzufüllenden Defektes. Für eine Defektstrecke von 4 cm (entspricht ca. 1 Femurkopf) ist die Menge von 10 cm3 Spongiosa ausreichend. Für einen 20 cm-Defekt werden also etwa 50 ml RIA-Spongiosa benötigt. Alternativ kann autologe Spongiosa auch aus Beckenkämmen entnommen und mit einer Knochenmühle zerkleinert werden.

Die Anzahl der zu verwendenden Femurköpfe orientiert sich ebenfalls an der Länge des Defektes. Aus einem Femurkopf können je nach Größe und Anteilen vom Schenkelhals spongiöse Zylinder zwischen 3 und 6 cm hergestellt werden. Für einen 20 cm-Defekt werden somit meist 5 Fe-
murköpfe benötigt. In den Fällen einer Nagelosteosynthese werden die Femurköpfe kanüliert und 1 mm über den Nageldurchmesser aufgebohrt. Die Köpfe werden komplett von Kortikalis befreit und auf den Durchmesser des Defektes angepasst (Abb. 4a). Es erfolgt die Ummantelung der spongiösen Zylinder mit der RIA-Spongiosa. Der Marknagel wird bis zur Defektzone eingebracht, die Femurköpfe werden auf den Nagel perlschnurartig aufgefädelt, wobei auch auf das Einbringen von ausreichend RIA-Spongiosa zwischen Knochen und Femurköpfen bzw. zwischen den Femurköpfen zu achten ist (Abb. 4b). Nach Möglichkeit wird Kompression auf Osteosynthese und MP gebracht. Ist noch RIA-Spongiosa vorhanden, werden mögliche kleinere Defekte aufgefüllt bzw. an die Kontaktzonen angelagert. In den Fällen einer bereits liegenden Nagelosteosynthese können die Femurköpfe auch halbiert und um den liegenden Nagel angebracht werden (Abb. 5). In diesen Fällen muss eine Sicherung mit Cerclage oder additiven Platte erfolgen. Ist bei einem sehr gelenknahem Defekt eine Nagelosteosynthese nicht sinnvoll möglich, werden die Köpfe en bloc implantiert (Abb. 7).

Ergebnisse und
Komplikationen

Von bisher 32 Fällen, die mit dieser Variante der MT behandelt wurden (Follow-up: ø 8 Monate, Range: 3–38 Monate), kam es in lediglich 3 Fällen (9 %) zu Reinfektionen, sodass die MP ganz oder teilweise entfernt werden musste. In allen anderen Fällen kam es zur Konsolidierung oder der Nachuntersuchungszeitraum ist für eine abschließende Beurteilung zu kurz. Aufgrund der stabilen Versorgung empfehlen wir eine primäre Teilbelastung von 20 kg, nach 6 Wochen eine schrittweise Belastungssteigerung mit dem Ziel des Erreichens der Vollbelastung nach 12 Wochen. Alle Patientinnen und Patienten werden in unserer Spezialsprechstunde bis zur vollständigen Konsolidierung nachbetreut.

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