Übersichtsarbeiten - OUP 01/2015

Risikofaktoren in der Entstehung von Achillessehnenbeschwerden im Laufsport

T. Hein1,2, P. Janssen2, S. Grau1,2

Zusammenfassung: Aktuell gibt es keine allgemein gültigen und konsistenten Studienergebnisse, die eindeutig Risikofaktoren für das Entstehen von Achillessehnenbeschwerden (AS) bei Läufer/innen aufzeigen. Aus diesem Grund wurde die vorliegende prospektive Studie durchgeführt, um den multifaktoriellen Einfluss von klinischen, biomechanischen und trainingsspezifischen Risikofaktoren auf die Entstehung von AS im Laufsport zu untersuchen. So zeigen Läufer/innen mit AS bereits in einem beschwerdefreien Zustand schwächere Knieflexoren und Veränderungen im Bewegungsablauf der unteren Extremität (sagittale Knie- und Sprunggelenkbewegung), verglichen mit einer gematchten Kontrollgruppe.

Zudem scheint es, dass eine Kombination aus verändertem Bewegungsablauf der unteren Extremität und erhöhten Aufprallkräften (als Folge von schnelleren Trainingseinheiten) zu einer erhöhten Belastung der Achillessehne während der Lastaufnahme und dann resultierend zu Achillessehnenbeschwerden führt.

Schlüsselwörter: Überlastungsbeschwerden, Achillessehnenbeschwerden, Laufen, prospektive Untersuchung, multifaktoriell

Zitierweise
Hein T, Janssen P, Grau S. Risikofaktoren in der Entstehung von Achillessehnenbeschwerden im Laufsport.
OUP 2015; 01: 018–026 DOI 10.3238/oup.2015.0018–0026

Summary: There are currently no generally accepted consistent results, which clearly characterize factors causing Achilles tendon pain (AT) in runners. Therefore, we carried out a prospective study to evaluate the multifactorial influence of clinical, biomechanical (isometric strength measurements and 3D-kinematics) and training-related risk factors on the development of AT. In an uninjured state, AT runners already demonstrated decreased knee flexor strength and abnormal lower leg kinematics (sagittal knee and ankle joint) compared with a matched control group. A combination of alterations in lower leg kinematics and higher impacts caused by fast training sessions might lead to excessive stress on the Achilles tendon during weight bearing and to AT in runners.

Keywords: overuse injury, Achilles tendon pain, running, prospective, multifactorial

Citation
Hein T, Janssen P, Grau S. Risk factors leading to the development of achilles tendon pain in runners.
OUP 2015; 01: 018–026 DOI 10.3238/oup.2015.0018–0026

Einleitung

Der Laufsport gehört zu den beliebtesten Sportarten weltweit, wobei die Anzahl der Läufer/innen seit den 80er Jahren stetig steigt [1, 2]. Neben zahlreichen positiven Effekten auf das Herz-Kreislauf-System, das Immunsystem sowie das muskuloskelettale System [3, 4], kommt es immer wieder zu laufbedingten akuten oder überlastungsspezifischen Beschwerden an der unteren Extremität [5–7]. Epidemiologische Studien zeigen, dass zwischen 20 % und 90 % aller Läufer/innen jährlich eine Überlastungsbeschwerde (ÜB) generieren [8, 9]. Trotz zahlreicher wissenschaftlicher Studien zur Bestimmung von Risikofaktoren in der Entstehung von ÜB in den letzten Jahrzehnten konnte diese hohe Rate an laufbedingten Beschwerden nicht verringert werden [10]. Zwischen 5 % und 34 % der laufbedingten ÜB sind an der Achillessehne zu finden [11–13], die dann zu einer Reduzierung des Laufpensums oder zu einer längerfristigen Laufpause führen können.

Zahlreiche Studien und Reviews, die den Einfluss intrinsischer und extrinsischer Risikofaktoren auf die Entstehung von Achillessehnenbeschwerden (AS) untersuchten, wurden in den letzten Jahren veröffentlicht. So scheint die Entstehung von AS auf multifaktoriellen Entstehungsmechanismen zu beruhen, die sich aus klinischen, biomechanischen und trainingsspezifischen Risikofaktoren zusammensetzen. Beispiele klinischer Risikofaktoren bei Läufer/innen mit AS im Vergleich zu beschwerdefreien Läufer/innen sind eine reduzierte Dehnfähigkeit des Gastrocnemius-Soleus Komplexes sowie eine verringerte Beweglichkeit im oberen Sprunggelenk (OSG) [11, 12, 14]. Smart et al. [15] und Clement et al. [11] zeigten zudem, dass die verminderte Beweglichkeit des OSG zu einer erhöhten Kniebeugung führen kann, was wiederum eine erhöhte Pronationsbewegung zur Folgen haben kann. Diese Veränderungen im Bewegungsablauf resultieren in einer „whipping action“ der Achillessehne, welche dann zu Mikrotraumata in der Sehne führen kann. Aus biomechanischer Sicht können nicht nur Auffälligkeiten in der Kinematik der unteren Extremität, wie eine erhöhte Pronationsbewegung [16–18], sondern auch verminderte Kraftfähigkeiten oder muskuläre Dysbalancen [19, 20] als potenzielle Risikofaktoren genannt werden. Zudem wurden häufig auch trainingsbedingte Fehler als Risikofaktoren genannt, wie zum Beispiel erhöhtes wöchentliches Laufpensum, Veränderungen in der individuellen Trainingsgestaltung, erhöhte Anzahl schneller Laufeinheiten, vermehrtes Laufen auf bestimmten Laufuntergründen sowie die Schuhwahl [9, 11, 21, 22].

Es lässt sich folglich festhalten, dass die Entstehung von AS scheinbar auf multifaktorielle Entstehungsmechanismen zurückzuführen ist. Dennoch liegen keine allgemeingültigen und konsistenten Ergebnisse vor, die die individuellen klinischen, biomechanischen und trainingsspezifischen Risikofaktoren für die Entstehung von AS beschreiben. Ein wesentlicher Grund für diesen fehlenden Zusammenhang ist das zumeist retrospektive Studiendesign der beschriebenen Studien, da hierdurch Ursache und Wirkung nicht abschließend geklärt werden können [23]. Das Fehlen von nach Geschlecht und BMI gematchten Kontrollgruppen [18] kann als weiterer Grund für die fehlende Evidenz genannt werden. Die Untersuchung unterschiedlicher Laufpopulationen (Anfänger, Hobbyläufer, Eliteläufer oder gar Militärrekruten) sowie unterschiedlicher Zeiträume der Trainingskontrolle, inklusive variierender Trainingsmethoden, kann als weiteres Problem angesehen werden. Weiterhin zeigen sich inkonsistente Definitionen laufbedingter ÜB [24, 25].

Aus diesen Gründen sollten zukünftige Studien prospektiv angelegt sein, eine zur ÜB gematchte Kontrollgruppe verwenden, eine klar definierte Laufpopulation einschließen sowie vergleichbare Zeiträume der Trainingsüberwachung verwenden [9, 18, 20, 22, 26–28].

Basierend auf den Erkenntnissen bereits publizierter Studien wurde die vorliegende prospektive Studie durchgeführt, um den multifaktoriellen Einfluss von klinischen, biomechanischen und trainingsspezifischen Risikofaktoren auf die Entstehung von AS im Laufsport zu untersuchen. Zudem ergaben sich die folgenden 3 Studienhypothesen.

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