Übersichtsarbeiten - OUP 01/2015
Risikofaktoren in der Entstehung von Achillessehnenbeschwerden im Laufsport
1. Läufer/innen, die AS generieren,
zeigen eine sagittale Bewegungseinschränkung des Sprunggelenks bereits in einem beschwerdefreien Zustand.
2. Eine erhöhte Pronationsbewegung in Kombination mit daraus resultierenden Bewegungsauffälligkeiten der unteren Extremität ist bei Läufer/innen bereits vor der Entstehung von AS zu sehen (im Vergleich zur beschwerdefreien Kontrollgruppe).
3. Ein erhöhtes Laufpensum und Veränderungen in der Trainingsgestaltung begünstigen das Entstehen von AS.
Methode
Population
Beschwerdefreie Läufer/innen wurden in die Studie eingeschlossen, insofern sie die folgenden Einschlusskriterien erfüllten: zwischen 18 und 55 Jahren, wöchentliche Laufleistung von mindestens 20 km, keine Einlagenversorgung in den Laufschuhen, Beschwerdefreiheit an der unteren Extremität seit mindestens 6 Monaten, sowie keine physiotherapeutischen Maßnahmen während der letzten 6 Monate. Alle eingeschlossenen Sportler/innen nahmen an einer standardisierten Eingangsuntersuchung teil, welche eine klinische Untersuchung, eine 3-dimensional kinematische Bewegungsanalyse, isometrische Maximalkraftmessungen sowie einen Fragebogen zu den individuellen Trainingsgewohnheiten beinhaltete. Im Anschluss an die Eingangsuntersuchung waren die Teilnehmer/innen aufgefordert, ihre individuelle Trainingsgestaltung über eine Dauer von maximal 52 Wochen zu dokumentieren. Sollte während der Teilnahme eine ÜB auftreten, wurde eine weitere Untersuchung durchgeführt, die neben einer Diagnosestellung der Symptome aus den gleichen Testprozeduren wie die Eingangsuntersuchung bestand.
269 Läufer/innen konnten für die Studienteilnahme gewonnen werden und nahmen an der Eingangsuntersuchung teil. Während der einjährigen Teilnahmedauer mussten 127 Läufer/innen (47 %) von der Studie ausgeschlossen werden. Gründe hierfür waren fehlende Rückmeldung ohne weitere Angabe von Gründen, das Auftreten anderer Verletzungen oder Krankheiten sowie persönliche oder zeitliche Gründe. Folglich schlossen 142 Läufer/innen (53 %) die Studie erfolgreich ab. 97 Läufer/innen blieben während ihrer Teilnahme beschwerdefrei, 45 Sportler/innen (32 %) generierten eine ÜB, 10 hiervon eine AS. Eine detaillierte Zusammenstellung der Studienpopulation ist in Tabelle 1 zu finden.
Da frühere Ergebnisse einen geschlechtsbedingten und anthropometrischen Einfluss auf die biomechanischen Ergebnisse zeigten [29, 30], wurde die Kontrollgruppe (KO) nach Geschlecht, Alter, Body-Mass-Index (BMI), Größe und Gewicht der AS-Gruppe gematcht. Folglich enthalten beide Gruppen, KO und AS, jeweils 8 männliche und 2 weibliche Personen und zeigen folgende Eigenschaften im Mittel (± Standardabweichung):
KO: BMI 23 kg/m2 (2), Größe 177 cm (5), Gewicht 72 kg (8), Alter 40J (2)
AS: BMI 23 kg/m2 (3), Größe 177 cm (4), Gewicht 72 kg (8), Alter 45J (5)
Definition einer
Überlastungsbeschwerde
Als Hauptkriterium für die Existenz einer ÜB galt die Diagnose durch eine erfahrene Sportorthopädin. Basierend auf Trainingsdokumentation und Korrespondenz mit den Teilnehmer/innen, galten das trainingsbedingte Auftreten von Schmerz bei mindestens 66 % aller Trainingseinheiten in 2 Wochen oder bei mindestens 50 % der Trainingseinheiten in 4 Wochen sowie der expliziten Wunsch einer medizinischen Untersuchung durch die Teilnehmer/innen als Nebenkriterium für eine ÜB.
Untersuchungsmethoden
Alle klinischen Untersuchungen wurden von derselben Orthopädin durchgeführt und beinhalteten u.a. die Messung von aktiven und passiven Bewegungsausmaßen (Range of Motion, ROM) von Hüft-, Knie- und Sprunggelenken nach der Neutral-Null-Methode [31]. Auf die Quantifizierung von Gelenkwinkeln wurde aufgrund mangelnder Reliabilität und Vergleichbarkeit verzichtet. Es wurde lediglich eine Einteilung in normale, eingeschränkte oder erhöhte Gelenkbeweglichkeit vorgenommen, wobei die Ausmaße beider Extremitäten verglichen wurden und eine Differenz von mindestens. 15° als Bewertungsgrundlage diente. Frühere Operationen sowie ÜB an den unteren Extremitäten wurden zudem dokumentiert.
Die Messung der isometrischen Maximalkraft von Oberkörper und unterer Extremität wurden auf Basis eines standardisierten Testprotokolls durchgeführt, welches sich über mehrere Jahre im klinischen Alltag als zuverlässig dargestellt hatte. Das Protokoll sah vor, dass nach einer standardisierten Eingewöhnungsphase und sich stets erhöhenden Widerständen 2 maximale isometrische Muskelkontraktionen an vorgegebenen und relevanten Gelenkwinkeln [32–35] gemessen wurden. Dokumentiert wurde dabei stets der Maximalwert. Zur Quantifizierung der Maximalkraft des Oberkörpers wurde die Kraftfähigkeit der geraden Bauchmuskulatur (GB) und der geraden Rückenmuskulatur (GR) gemessen. Die Ausführung erfolgte hier in einer sitzenden Position und einem Kniewinkel von 90°. GB wurde dabei in einer aufrechten Position von 0° Oberkörperneigung gemessen, GR hingegen bei 30° Körpervorneigung. Die Kraftfähigkeit der Hüftabduktoren und -adduktoren wurde ebenfalls in einer sitzenden Position und einem Hüftabduktionswinkel von 30° (15° jede Seite) beidbeinig gemessen (bHAB, bHAD). Einbeinige Hüftabduktoren und -adduktorenkraft (eHAB, eHAD) wurde zudem im Stehen mit einem Abduktionswinkel von 20° gemessen. Knie-flexoren und -extensoren (KFL, KEX) wurden einseitig in einer sitzenden Position getestet, mit einem Kniebeugewinkel von 30° für KFL und 60° für KEX. Zur Messung der einbeinigen Kraftfähigkeit der Hüftabduktoren und -adduktoren wurde die Hip Machine der Firma FREI SWISS AG (Thalwil, ZH, Schweiz) verwendet. Alle weiteren isometrischen Maximalkraftmessungen wurden auf Geräten der Firma DAVID (David, GmbH & CO KG, Neu Ulm, Deutschland) durchgeführt.
Für die 3-dimensionale Bewegungsanalyse mussten alle Probanden barfuß mit einer kontrollierten Laufgeschwindigkeit von 12 km/h (± 5 %) auf einer 13 m langen, mit EVA-Schaummatten ausgelegten Laufbahn, laufen. Ein Infrarot-Kamerasystem bestehend aus 6 Kameras der Firma Vicon Peak (MCam, M1, Oxford, Großbritannien) diente zur Erfassung der Laufbewegung. Die Aufnahmefrequenz lag bei 250 Hz. Insgesamt wurden 34 sphärische Marker auf allen Probanden nach den Richtlinien der International Society of Biomechanics angebracht [36], um die Bewegung des Beckens (2 x ASIS, 2 x PSIS), der Oberschenkel (Trochanter major, Epicondylus femoris lateralis und medialis), Unterschenkel (laterales und mediales Tibiaplateau, Tuberitas tibiae, mediale Tibiakante sowie Malleolus lateralis und medialis) und der Füße (Calcaneus lateral, mediali und posterior, Caput metatarsale 1 und 5, Hallux) zu erfassen. Dreidimensionale Gelenkbewegungen wurden im Anschluss durch die Berechnung von Cardan-Winkeln quantifiziert [37], wobei die Gelenkbewegung als Bewegung des distalen Segments relativ zum proximalen Segment definiert wurde. Die Datenanalyse wurde auf die Standphase beschränkt, wobei Touchdown (erster Bodenkontakt) und Toe-Off (letzter Bodenkontakt) mittels eines Algorithmus von Maiwald et al. [38] automatisch detektiert wurden. Die berechneten kontinuierlichen Gelenkwinkelverläufe wurden auf 100 Datenpunkte normiert. Mittelwertberechnungen beruhen auf 10 gültigen Versuchen und wurden für die folgenden Gelenkbewegungen quantifiziert: Hüftflexion/-extension (HFL, HEX), Hüftab-/-adduktion (HAB, HAD), Knieflexion/-extension (KFL,KEX), Knieaußen-/-innenrotation (KAR, KIR), Dorsalextension/Plantarflexion (DE, PF) des OSG sowie Rückfußinversion/-eversion (INV/EV). Basierend auf den kontinuierlichen Gelenkwinkelverläufen wurden zudem die folgenden diskreten Messgrößen berechnet.