Übersichtsarbeiten - OUP 01/2015
Risikofaktoren in der Entstehung von Achillessehnenbeschwerden im Laufsport
Die vorliegenden Ergebnisse der klinischen Untersuchungen wie der fehlende Einfluss einer eingeschränkten Mobilität des OSG auf die Entstehung von AS in unserer Studie stimmen nicht mit den publizierten Ergebnissen vergangener Studien überein [11, 12, 14, 15]. Als Hauptursachen für diese unterschiedlichen Ergebnisse lassen sich die subjektiven Beurteilungen der Gelenkbeweglichkeit (ohne die Verwendung von Goniometern) sowie die Untersuchung beschwerdefreier Hobbyläufer/innen als Folge des prospektiven Studienansatzes nennen. Es konnte in der vorliegenden Studie zudem kein Zusammenhang von Hyper- oder Hypomobilität der Hüft- und Kniegelenke und der Entstehung von AS gezeigt werden. Diese Ergebnisse lassen keinen Vergleich mit der publizierten Literatur zu, da auf die Untersuchung der Beweglichkeit der Hüft- und Kniegelenke in Hinblick auf die Entstehung von AS verzichtet wurde.
Die reduzierte Maximalkraft der Knieflexoren der AS-Gruppe im Vergleich mit der KO-Gruppe erscheint relevant, trotz der hohen Variabilität in den Kraftdaten. Hier ist allerdings zu beachten, dass die Kraftwerte von Läufer/innen ohne Normierung auf das Körpergewicht eingehen, da beide Gruppen bereits nach Geschlecht, BMI, Größe und Gewicht gematcht sind.
Basierend auf den Ergebnissen der 3-dimensionalen Bewegungsanalyse zeigt sich kein Zusammenhang zwischen einer erhöhten Pronationsbewegung und dem Entstehen von AS, wie in der Literatur beschrieben [16–18]. Dies kann an der geringen Stichprobe dieser Studie und der daraus resultierenden hohen Variabilität der Daten liegen. Die Annahme, dass eine erhöhte Pronationsbewegung zu einer „whippinng action“ der Achillessehne und final zu AS führen kann, scheint weiterhin eine Möglichkeit für das Entstehen von AS zu sein und sollte daher weiterhin Teil von zukünftigen Untersuchungen sein.
Die in der Studie gezeigten Unterschiede in der sagittalen Knie- und Sprunggelenkkinematik (weniger Knieflexion und OSG-Dorsalextension) zwischen der AS- und der KO-Gruppe im beschwerdefreien Zustand treten vor allem in der ersten Hälfte der Standphase, während der Lastaufnahme, auf. Ein möglicher Entstehungsmechanismus für AS könnte demnach auf die reduzierte Maximalkraft der Knieflexoren zurückzuführen sein, da die mangelnde Kniegelenkstabilität durch ein gestreckteres Kniegelenk in der Lastaufnahme ausgeglichen werden muss. Dies kann neben einer erhöhten Zugspannung des musculus gastrocnemius und folglich, aufgrund seines medialen Ursprungs an der Tibia, auch zu einem erhöhten Torsionsstress auf die Achillessehne führen. Dieser erhöhten Zugbelastung während der Lastaufnahme in der ersten Hälfte der Standphase scheint die verminderte Dorsalextension des OSG entgegenzuwirken.
Diese Veränderungen im Bewegungsablauf der unteren Extremität können bei einer Laufleistung von über 30 km pro Woche zu Fehlbelastungen führen. Kommt es zudem zu Veränderungen in der üblichen Trainingsgestaltung hin zu mehr schnellen Trainingseinheiten oder mehr Zusatzsport (in diesem Fall vor allem Fußball und Wandern), also zu erhöhten Aufprallkräften als Folge der schnelleren Läufe oder zu erhöhten exzentrischen Belastungen auf den Bewegungsapparat können diese Veränderungen als Auslöser für AS fungieren.
Es erscheint offensichtlich, dass die Analyse gemittelter Trainingsdaten über maximal 52 Wochen nicht der richtige Ansatz ist, um den Einfluss von Training auf das Entstehen von ÜB zu untersuchen. Ein Trainingsjahr zeichnet sich auch bei Hobbyläufer/innen durch Trainingsphasen, Wettkampfphasen, Regerationsphasen oder gar Ruhephasen aus, sodass die individuelle Trainingsgestaltung durch diese Art der Analyse nicht realistisch abgebildet werden kann. Hingegen zeigt sich aber, dass der prospektive Ansatz zur Trainingsanalyse (4 Wochen vor Beginn der Beschwerden) vielversprechend sein kann und dadurch Veränderungen in der Trainingsgestaltung, die vermeidlich zur Entstehung von ÜB beitragen, analysiert werden können. Dies ist besonders für zukünftige prospektive Studien von Interesse, die die Trainingsgestaltung den Teilnehmern überlassen.
Als Nachteil dieser Studie muss allerdings das Fehlen der Maximalkraftwerte des Gastrocnemius-Soleus-Komplexes genannt werden. So zeigen Läufer/innen mit AS eine reduzierte Kraftfähigkeit der Wadenmuskulatur [12, 13] was zudem im Hinblick auf die Therapie von AS von großem Interesse zu sein scheint [19, 39, 40].
Ausblick
Die Erhöhung der Stichprobe der Läufer/innen mit ÜB in der Fortführung der Studie wird notwendig sein, um evidenzbasierte klinische, biomechanische und trainingsspezifische Risikofaktoren in der Entstehung von laufbedingten ÜB zu ermitteln. Der Vergleich dieser Risikofaktoren vor und nach ÜB (in den Patientengruppen) wird als essenziell betrachtet in der abschließenden Klärung des Ursache-Wirkungs-Prinzips. Es wird sich dann zeigen, ob retrospektive Studien ausreichend sind zur evidenzbasierten Bestimmung von ÜB im Laufsport. Wichtig in diesem Zusammenhang erscheint, dass zukünftige Studien sich nicht auf die Bestimmung einzelner Risikofaktoren beschränken, sondern eine Kombination extrinsischer und intrinsischer Faktoren untersucht wird.
Acknowledgement: Besonderer Dank gilt Dr. Ursula Wagner-Fritz, Dr. Bettina Barisch-Fritz und Georg Haupt für die Unterstützung in der Durchführung der Studie.
Die Genehmigung zur Publizierung der Studienergebnisse in deutscher Sprache liegt durch den Verlag „John Wiley & Sons“ vor (License Number: 3505440862661). Erschienen als „Prospective analysis of intrinsic and extrinsic risk factors on the development of Achilles tendon pain in runners“ im Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports, 2014: 24: e201-e212.
Interessenskonflikt: Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des Internationalen Committee of Medical Journal Editors besteht.
Korrespondenzadresse
Dr. rer. nat. Tobias Hein