Übersichtsarbeiten - OUP 05/2023

Sinnvolle und mögliche orthopädisch-unfallchirurgisch- schmerztherapeutische Indikationen von Botulinumtoxin

In die Kategorie II der möglichen Indikationen kann man nach heutigem Wissensstand (ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Korrektheit) für unser Fachgebiet und fachübergreifend die Schmerztherapie folgende Indikationen eingruppieren:

Bruxismus (Injektion in den M. masseter: aktuelle Metaanalyse aus 2023 [99] von 4 Studien versus Placebo und 3 Studien versus Aufbiss-Schiene mit kleinen Fallzahlen zeigt signifikante Reduktion der maximale Beißkraft für Zeiträume bis einen Monat und 1–3 Monate sowie signifikante Schmerzreduktion für Zeiträume bis einen Monat, 1–3 Monate und 3–6 Monate). Diese Indikation könnte auch durch weitere Pilotstudien alternativ in die Kategorie I eingestuft werden.

Coxarthrose (extraartikuläre intramuskuläre Injektion: 1 RCT und 2 Pilotstudien mit Wirksamkeitsnachweisen) [100–102]

Diabetische Polyneuropathie der Füße (subkutane Injektion: 4 RCT BTX wirksamer als Placebo) [103–106]

Gonarthrose (intraartikuläre Injektion: 9 RCT mit unterschiedlichen Vergleichen versus Dextrose, Hyaluronsäure, Kortikosteroiden, versus „wait and see“, physikalische Therapie oder in verschiedenen Dosierungen, in der Regel Schmerzreduktionen gegenüber der Baseline, mit besseren Resultaten als Hyaluronsäure, physikalische Therapie und Abwarten, diametrale Ergebnisse bei verschiedenen Dosierungen sowie versus Placebo und versus Kortikosteroiden, ähnliche Ergebnissen bei den Funktionsskalen, aktuelle Übersichtsarbeiten und Metaanalysen bestätigen die Schmerzeffekte und die Funktionsverbesserungen) [107–122]

Myofasziale Triggerpunkte im Bereich LWS (intramuskuläre Injektion: 5 RCT BTX versus Placebo mit 3 RCT mit Effektivität von BTX, 1 RCT teilweise effektiver, 1 RCT ohne Unterschied) [123–127]

Piriformis-Syndrom (intramuskuläre Injektion: RCT BTX versus Placebo (BTX signifikant bessere Schmerzreduktion), BTX versus KS-LA versus Placebo (BTX signifikant bessere Schmerzreduktion versus KS-LA und versus Placebo) und BTX versus Ozon versus LA (BTX signifikant geringere Schmerzreduktion als die anderen beiden Therapien nach 1 und 2 Monaten, nach 3 und 6 Monaten signifikant höhere Schmerzreduktion, subjektiver Score analog, gemäß einer Metaanalyse signifikant weniger analgetisch wirksam KS und LA zusammen, signifikant stärker analgetisch wirksam als Placebo und gleichwertig zu KS oder LA alleine, gemäß einer weiteren Metaanalyse geringe Evidenz für eine analgetische Wirkung)) [128–132].

Postzosterneuralgie (subkutane Injektion: 2 RCT BTX wirksamer als Placebo) [133, 134]

Schulteraffektionen (intraartikuläre bzw. subakromiale Injektion bei adhäsiver Kapsulitis, Impingementsyndrom und Omarthrose, 1 RCT BTX wirksamer als Placebo, 2 von 3 RCT BTX wirksamer als KS, 1 RCT gleichwertig) [135–141]

Spannungskopfschmerzen (Infiltrationen verschiedener Muskeln im Kopf,- Hals- Nackenbereich: 2 aktuelle Metaanalysen zeigen eine moderate Signifikanz, 2 aktuellere systematische Übersichten befürworten die Therapie) [142–145]

Vorderer Knieschmerz (extraartikulärer Zugang, 1 RCT BTX wirksamer als Placebo, 4 Pilotstudien mit Wirksamkeitsnachweise) [146–150]

In die Kategorie III der Einzelfallindikationen kann man nach heutigem Wissensstand (ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Korrektheit) eine Vielzahl von Indikationen in unser Fachgebiet und fachübergreifend in der Schmerztherapie eingruppieren, so z.B. Muskelentspannung bei Achillessehnenruptur, Amputationen – Exoprothesen: Hyperhydrose und Stumpfschmerz, CRPS Beine, Hallux valgus, intraartikuläre Therapie von Reizzuständen nach Knieendoprothese, Morton-Neurom und OSG-Arthrose [151–159].

Ausbildung

Eine Reihe von Ausbildungsangeboten existieren im Bereich der offiziellen Indikationen; für unser Fachgebiet sowie fachübergreifend schmerztherapeutisch existiert seit mittlerweile über 10 Jahren mit inzwischen über 400 Teilnehmerinnen/Teilnehmern eine Ausbildungsserie der IGOST (Sektion Schmerz DGOOC und DGOU). Nähere Informationen auf www.igost.de und der Homepage der Kursserie www.orthobotulinumtoxin.de.

Diskussion

Botulinumtoxin ist ein seit über 30 Jahren bekanntes Medikament zur Behandlung einer Vielzahl von Indikationen, welche sich im Laufe der Zeit bezüglich der Zulassung stetig erweitert hat. Für die verschiedenen Präparate existiert eine breite Palette an zugelassenen Anwendungsgebieten. Klassische Indikationen wie Dystonien betreffen das Fachgebiet Orthopädie-Unfallchirurgie eher in Ausnahmefällen, häufiger für unser Gebiet relevant sind Spastiken, fachübergreifend relevant für Schmerztherapeutinnen und -therapeuten ist ferner die chronische Migräne. Die Anwendungen im Bereich der ästhetischen Medizin sind nicht an bestimmte Fachgruppen gebunden und für unser Fachgebiet mit genuin breiter Erfahrung in Injektionen gut erlernbar. Neben den zugelassenen Indikationen existiert eine Reihe von Anwendungsgebieten primär aus unserem Fachgebiet, für welche offiziell keine Zulassung bestehen, die aber dennoch als Reserveverfahren eine sinnvolle Therapiealternative darstellen können. Eine relativ breite wissenschaftliche Absicherung mit guten Therapieergebnissen ergibt sich aktuell für die Anwendungen bei myofaszialen Triggerpunkten im Bereich HWS/BWS/Schultern sowie für die Epikondylitis humeroradialis und die Plantarfasciitis. Für Schmerztherapeutinnen und -therapeuten interessant ist auch die Indikation der Trigeminusneuralgie. Interessante weitere Indikationen mit einer Literaturlage oberhalb von nur einzelnen und/oder qualitativ geringer wertigeren Studien ergeben sich im Bereich Bruxismus, Coxarthrose, Gonarthrose, myofasziale Triggerpunkte LWS, Postzosterneuralgie, Schulteraffektionen, Spannungskopfschmerz und vorderer Knieschmerz. Darüber hinaus existiert eine Reihe von weiteren Indikationen im Bereich des Bewegungsapparates, wobei hier die Literaturlage nicht über einzelne und zum Teil qualitativ nicht so hochwertige Studien hinausgeht. Insgesamt stellt Botulinumtoxin eine interessante Substanz dar, welche für unser Fachgebiet der Orthopädie-Unfallchirurgie einige zusätzliche Therapieoptionen ermöglicht, speziell auch für Schmerztherapeutinnen und -therapeuten mit zusätzlichen Behandlungsspektren jenseits der klassischen Erkrankungen unseres Fachgebietes. Die Anwendung setzt jedoch entsprechende Fachkenntnisse voraus, welche in speziellen Kursen vermittelt werden können.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Stephan Grüner

Praxis Dr. Grüner

Kalker Hauptstraße 217

51103 Köln

dsg@dr-gruener.de

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