Übersichtsarbeiten - OUP 12/2014
Vergleich einer Standardtherapie mit einer individuell betreuten Therapie bei Patienten mit chronisch unspezifischen Rückenschmerzen
A. Bosse1, M. Dittrich1, G. Eichner1, B. Kleist1, W.F. Beyer1
Zusammenfassung: In dieser prospektiven Studie mit Kontrollgruppe zur Therapie von chronisch unspezifischen Rückenschmerzen wurden im Hinblick auf den allgemeinen Gesundheitszustand, auf die motorische Leistungsfähigkeit sowie auf die Zufriedenheit keine signifikanten Unterschiede zwischen Kontrollgruppe (wechselnde Therapeuten) und Interventionsgruppe (fester Bezugstherapeut) festgestellt. Beide Gruppen verbesserten sich während des Reha-Aufenthalts in ähnlichem Ausmaß. Bis 6 Monate nach der Reha (Follow-up) konnten diese Verbesserungen annähernd aufrechterhalten werden. Der Nutzen einer stationären Rehabilitation bei chronisch unspezifischen Rückenschmerzen wurde bestätigt, unabhängig davon, ob die Betreuung durch ein und denselben oder durch wechselnde Therapeuten stattfand.
Schlüsselwörter: Rückenschmerz, motorische Leistungsfähigkeit, Gesundheitszustand, Rehabilitation, individuelle Betreuung
Zitierweise
Bosse A, Dittrich A, Eichner G, Kleist B, Beyer WF. Vergleich einer Standardtherapie mit einer individuell betreuten Therapie bei
Patienten mit chronisch unspezifischen Rückenschmerzen.
OUP 2014; 12: 584–589 DOI 10.3238/oup.2014.0584–0589
Summary: In this prospective study with control group about the therapy of chronic non-specific low back pain, no significant differences were visible between the control group (different therapists) and the intervention group (fixed reference therapist) regarding their general health, physical fitness and feeling of satisfaction. Both groups have improved to a certain extent during their rehabilitation in the clinic. These improvements were maintained until approximately 6 months after rehabilitation (follow-up). The benefit of in-patient rehabilitation on chronic non-specific low back pain was confirmed regardless of whether the same or different therapists was/were in charge.
Keywords: back pain, movement abilities, health, rehabilitation, individual care
Citation
Bosse A, Dittrich A, Eichner G, Kleist B, Beyer WF. Comparison of a standard therapy with an individually supervised therapy in patients with chronic non-specific low back pain.
OUP 2014; 12: 584–589 DOI 10.3238/oup.2014.0584–0589
Einleitung
Chronische Erkrankungen des Herz-Kreislauf- und Bewegungssystems sind in der heutigen, zunehmend bewegungsärmeren Gesellschaft weit verbreitet. In diesem Zusammenhang ist auch der chronisch unspezifische Rückenschmerz zu nennen. Wenn man bedenkt, dass 85 % aller Deutschen mindestens einmal in ihrem Leben an meist harmlosen Rückenschmerzen leiden, dann bestätigt dies den Stellenwert als Volkskrankheit Nummer eins. Im Jahr 2006 gaben 69 % aller Bundesbürger an, gelegentlich Rückenschmerzen zu haben, 15 % davon chronisch [1]. Neben diesem gesundheitlichen Aspekt fallen im Jahr ca. 10–15 Mrd. Euro an Kosten an, die durch Arbeitsunfähigkeitszeiten oder Frühberentung in Verbindung mit chronischen Rückenschmerzen bedingt sind [1]. Deshalb ist das primäre Ziel einer Rehabilitation, den Patienten geeignete Möglichkeiten zu eröffnen, wie sie mit möglichst wenig Einschränkungen wieder am alltäglichen Leben teilhaben und vor allem einer beruflichen Tätigkeit nachgehen können [vgl. 2]. Vor dem Hintergrund dieser gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Belastungen werden auch in der medizinischen Rehabilitation bestehende Behandlungsmaßnahmen und -abläufe immer wieder hinterfragt und ggf. verbessert. Zu diesem Thema wurde im Orthopädie-Zentrum Bad Füssing eine Untersuchung durchgeführt, in der 2 Organisationsformen der Therapie bei chronisch unspezifischen Rückenschmerzen verglichen wurden: eine Standardtherapie und eine Therapie mit Bezugstherapeut.
Studiendesign
Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine prospektive Untersuchung mit Kontrollgruppe im Prä-Post-Design und 6-monatigem Follow-up. In die Studie wurden 39 Patienten aus dem Orthopädie-Zentrum Bad Füssing eingeschlossen. Voraussetzung für die Teilnahme waren chronisch unspezifische Rückenschmerzen, die seit mehr als 6 Monaten bestanden. Von den 39 Probanden haben 4 die Studie vorzeitig beendet. Somit ergab sich eine Drop-out-Quote von 10,3 %. Letztlich konnten der Interventionsgruppe (IG) 15 und der Kontrollgruppe (KG) 20 Probanden zugeteilt werden. Die IG bestand aus 11 Männern (Alter: 53,9 Jahre) und 4 Frauen (Alter: 52,8 Jahre). In der KG befanden sich 15 Männer (Alter: 49,7 Jahre) und 5 Frauen (Alter: 51,8 Jahre). Zu Beginn (t1) und am Ende (t2) des 3-wöchigen Rehabilitationsaufenthalts wurden motorische Leistungstests durchgeführt: Statische Rumpfkraft (IPN Back Check, Dr. Wolff), dynamische Rumpfkraft (Bauchmuskeltest nach Spring, Test der dorsalen Streckerkette nach Müller und Hille) [3, 4], Gleichgewichtsfähigkeit (Biodex Stability System), Beweglichkeit der Lenden-Becken-Hüft-Region (Finger-Boden-Abstand), Hebekapazität (PILE-Test nach Mayer et al.) [5]. Zusätzlich wurden die Teilnehmer anhand von Selbstbeurteilungsfragebögen zu ihrem aktuellen Gesundheitszustand (SF-12, 1 Woche), zu alltäglichen Aktivitäten (FFbH-R) [6], zum Schmerzempfinden (Von Korff, modifiziert) sowie zu ihrer Zufriedenheit (ZUF-8, modifiziert) [7] befragt. Sechs Monate nach Ende der Rehabilitation (t3) erfolgte eine postalische Nachbefragung bzgl. Gesundheitszustand, Schmerzempfinden und Zufriedenheit, um die Nachhaltigkeit der Therapieergebnisse zu überprüfen.
Die grundlegenden Therapieinhalte waren für beide Gruppen identisch. Sowohl die KG als auch die IG erhielt das Standard-Behandlungsprogramm S9 entsprechend den Therapiestandards für die Rehabilitation bei chronischen Rückenschmerzen der DRV, Stand 2011 [8] mit folgenden übergeordneten Inhalten:
Bewegungstherapie
Arbeitsbezogene Therapien
Massage
Patientenschulung chronische Rückenschmerzen (Rückenschule)
Gesundheitsbildung
Psychologische Beratung und Therapie
Entspannungstraining
Schmerzbewältigung
Sozial- und sozialrechtliche Beratung
Unterstützung der beruflichen Integration
Nachsorge und soziale Integration
Für die KG wurden für die Bewegungstherapie (Nordic Walking, Medizinische Trainingstherapie, Wassergymnastik, Funktionelles Leistungstraining, Rückenschule und Morgengymnastik) gemäß der klinikinternen Vorgehensweise im Orthopädie-Zentrum Bad Füssing verschiedene Therapeuten eingeplant. Die IG unterschied sich von der Vergleichsgruppe darin, dass diese Therapie von einem festen Bezugstherapeuten durchgeführt wurde.
Fragestellungen
Hauptfragestellung
1. Unterscheiden sich die beiden Gruppen bezüglich ihrer Zufriedenheit mit der Reha-Maßnahme am Ende des Aufenthaltes (t2) bzw. nach sechs Monaten (t3)?
Nebenfragestellungen
- 1. Sind zwischen Beginn (t1) und Ende (t2) der Rehabilitation Veränderungen in Bezug auf den Schmerz- und Gesundheitszustand nachzuweisen?
- 2. Sind zwischen Beginn (t1) und Ende (t2) der Rehabilitation Veränderungen in Bezug auf die körperliche Leistungsfähigkeit nachzuweisen?
- 3. Lassen sich etwaige Veränderung des subjektiven Schmerz- und Gesundheitszustands auch sechs Monate nach der Rehabilitation (t3) feststellen?
Ergebnisse
Bis auf eine Ausnahme (Schmerzintensität zu t1) ergaben sich zwischen den Vergleichsgruppen weder in Bezug auf die motorischen Tests noch auf die Selbstbeurteilungsfragebögen statistisch relevante Unterschiede zu den Messzeitpunkten.
Zufriedenheit mit der
Rehabilitation
Beide Gruppen erreichten zu t2 und t3 hohe Zufriedenheitswerte (Abb. 1). In der Zeit zwischen Rehabilitationsende (t2) und 6 Monate später (t3) hatte die Zufriedenheit aller Studienteilnehmer abgenommen, die der IG um –2,1 (± 0,7) Punkte mit p = 0,000 höchst signifikant (KG: –0,5 ± 0,3).
Ergänzend zu diesem Fragebogen wurde die Betreuung im Rahmen der Bewegungstherapie beurteilt (4 = ausgezeichnet; 3 = gut; 2 = weniger gut; 1 = schlecht) und eine Einschätzung darüber abgegeben, ob durch die Therapeutenauswahl ein Einfluss auf die Zufriedenheit bestehen würde (4 = eindeutig ja; 3 = ich glaube ja; 2 = ich glaube nicht; 1 = eindeutig nicht). Die Bewegungstherapie wurde in der KG mit durchschnittlich + 3,6 (± 0,5) zu t2 bzw. + 3,3 (± 0,6) zu t3 und in der IG mit + 3,7 (± 0,5) zu t2 bzw. + 3,5 (± 0,5) zu t3 sehr positiv beurteilt (Abb. 2). Im Verlauf zwischen t2 und t3 war mit einer mittleren Veränderung von –0,3 (± 0,1) in der KG bzw. –0,2 (± 0,1) in der IG eine leichte Abnahme der Bewertungen festzustellen. Dem Einfluss der Therapeutenauswahl auf die Zufriedenheit wurde mit einem Wert von + 3,5 (± 0,5) in der KG bzw. + 3,4 (± 0,5) in der IG bei t2 ein eindeutiger Einfluss zugeschrieben (Abb. 3). Zu t3 wurde der Therapeuteneinfluss nicht mehr so hoch eingeschätzt, in der IG mit + 3,4 (± 0,5) etwas höher als in der KG mit + 3,1 (± 0,5).
Schmerzsituation
und Gesundheitsempfinden
Zu Reha-Beginn wurde der Chronifizierungsgrad nach Von Korff (0 bis IV) bzgl. Rückenschmerzen berechnet. Dabei zeigte sich sowohl für die KG als auch für die IG ein mittlerer Chronifizierungsgrad von II, d.h. laut Definition [vgl. 9] ein funktionaler chronischer Schmerz mit hoher Intensität.
Die charakteristische Schmerzintensität zeigte zu t1 einen signifikanten Unterschied zwischen den Vergleichsgruppen. Die IG gab mit einem Wert von + 44,2 (± 16,0) Punkten signifikant weniger Schmerzen an als die KG mit + 59,0 (± 14,0). Aufgrund der fehlenden Varianzhomogenität wurde für einen weiteren Gruppenvergleich ein nicht parametrisches Verfahren (Mann-Whitney-U-Test) herangezogen. Demnach waren die Unterschiede zwischen KG und IG bei t2 und t3 statistisch nicht relevant.
Im Verlauf zwischen den 3 Messzeitpunkten kam es in beiden Gruppen zu einer höchst signifikanten Reduzierung der Schmerzen (Abb. 4). Die KG verbesserte sich zwischen t1 und t2 mit p = 0,000 um –20,4 (± 4,3) und dann nochmals um –0,2 (± 0,0) Punkte (t2–t3). Die IG zeigte während des Aufenthalts eine Verbesserung um –16,4 (± 2,7) Punkte (p = 0,000). Zu t3 war dieser Wert wieder um + 4,9 (± 0,9) Punkte schlechter.
Die körperliche Funktionskapazität (FFbH-R) zeigte im zeitlichen Verlauf, dass die KG ihren Durchschnittswert um + 7,9 (± 1,7) verbesserte und dieses Ergebnis bis 6 Monate nach der Reha konstant hielt. In der IG war zwischen t1 und t2 ebenfalls eine deutliche Verbesserung um + 9,3 (± 1,3) zu erkennen. Zu t3 fiel dieser Wert wieder um –6,1 (± 0,9) ab (Abb. 5).
Die Auswertung des SF-12 (1 Woche) ergab zwischen t1 und t2 in beiden Gruppen Verbesserungen, die bis zu t3 teilweise wieder rückläufig waren. Die KG steigerte sich zwischen t1 und t2 in der körperlichen Summe um + 6,1 (± 2,3) Punkte, was sich bis zu t3 wieder um –0,6 (± 0,2) Punkte reduzierte. In der IG folgte auf eine Erhöhung um + 4,9 (± 2,0) Punkte (t2) zum 3. Zeitpunkt eine Reduzierung um –0,7 (± 0,3) Punkte (Abb. 6). In der psychischen Summenskala verbesserte sich die KG am Ende des Reha-Aufenthalts um + 6,7 (± 2,1) Punkte, verschlechterte sich aber zu t3 wieder um –4,5 (± 1,9). Auch die IG verbesserte sich zwischen t1 und t2 um + 3,5 (± 0,7) Punkte, gefolgt von einer leichten Abnahme um –2,1 (± 0,7) Punkte (Abb. 7).
Motorische Funktionstests
Die Frauen beider Vergleichsgruppen verbesserten die statische Rumpfkraft (Back Check, Kraft in Newton = N) zwischen t1 und t2 sowohl in der Flexion (KG: + 73,0 (± 1,1) N; IG: + 96,7 (± 5,0) N) als auch in der Extension (KG: + 88,0 (± 0,8) N; IG: + 40,0 (± 2,0) N). Bei den männlichen Teilnehmern verbesserte die KG den Flexionsmittelwert zwischen t1 und t2 um + 100,7 (± 2,1) Newton höchst signifikant (p = 0,000) und den Wert für die Extension um + 53,0 (± 2,1) Newton hoch signifikant (p = 0,001). Die Verbesserungen der IG waren statistisch nicht bedeutsam (Flexion: + 56,0 (± 0,9) N; Extension: + 26,0 (± 0,5) N).
Bei den dynamischen Tests der Bauch- und Rückenmuskulatur zeigte sich im Verlauf zwischen t1 und t2 bei den Frauen der KG für die Bauchmuskulatur mit –0,3 (± 0,0) Wiederholungen eine minimale Verschlechterung, während sich die IG um + 13,7 (± 0,9) Wiederholungen steigern konnte. Im Test der Rückenmuskulatur konnten sich die Frauen der KG um + 12,0 (± 1,3), die der IG um + 11,7 (± 1,4) Wiederholungen verbessern. Die männlichen Probanden der KG steigerten sich bei der Bauchmuskulatur um + 3,4 (± 1,1), die der IG signifikant um + 8,8 (± 2,0) Wiederholungen (p = 0,004). Die Verbesserungen der Rückenmuskulatur waren mit + 5,5 (± 1,2) Wiederholungen für die KG bzw. + 4,4 (± 1,1) Wiederholungen für die IG statistisch nicht relevant.
Bei der Überprüfung der Lastenhandhabung (PILE-Test) wurden die verrichtete Arbeit (Newton*Meter = Nm) und die erbrachte Leistung (Watt) berechnet. Im zeitlichen Verlauf konnten sich die Frauen der KG in allen Bereichen steigern (Arbeit lumbal: + 473,3 (± 1,0) Nm; Leistung lumbal: + 0,6 (± 0,2) Watt; Arbeit zervikal: + 11,2 (± 0,0) Nm; Leistung zervikal: + 0,6 (± 0,2) Watt). Die Frauen der IG verschlechterten sich bei der Arbeit lumbal mit –106,9 (± 0,2) Nm, bei der Leistung lumbal mit –1,1 (± 0,3) Watt sowie bei der Leistung zervikal mit –1,2 (± 0,4) Watt. Die verrichtete Arbeit des Lumbaltests konnten diese Probandinnen um + 23,9 (± 0,1) Nm verbessern. Die Männer der KG steigerten beim Lumbaltest die verrichtete Arbeit um + 384,7 (± 0,6) Nm, die erbrachte Leistung um + 2,9 (± 0,7) Watt. Die IG verbesserte die Arbeit um + 718,7 (± 1,5) Nm und die Leistung um + 7,4 (± 2,3) Watt. Beim Zervikaltest verbesserte die KG die Arbeit um + 338,8 (± 1,1) Nm und die Leistung um + 3,0 (± 1,2) Watt. Die IG konnte die Arbeit um + 477,9 (± 2,6) Nm und die Leistung um + 4,1 (± 2,3) Watt steigern.
Bei der Überprüfung der statischen Gleichgewichtsfähigkeit mithilfe des Biodex Stability Systems zeigte sowohl zu t1 als auch zu t2 bei beiden Geschlechtern die KG die besseren Werte, d.h. einen niedrigeren Stabilitätsindex. Im zeitlichen Verlauf reduzierten, also verbesserten die Teilnehmerinnen beider Gruppen den Stabilitätsindex, die KG um –0,5 (± 0,6) und die IG um –0,6 (± 0,2) Punkte. Bei den Männern waren die Veränderungen ebenfalls statistisch nicht relevant (KG: –1,4± 1,4; IG: –2,5± 1,9).
Die Beweglichkeit der Lenden-Becken-Hüft-Region (Finger-Boden-Abstand) verbesserte sich bei den Frauen zwischen t1 und t2 um –5,0 (± 1,1) cm (KG) bzw. um –13,5 (± 1,2) cm (IG). Bei den Männern erreichte die KG eine Reduzierung um –1,1 (± 0,2) cm, die IG verbesserte sich um –3,9 (± 1,1) cm.
Diskussion
In der psychosomatischen Rehabilitation hat sich eine Therapieorganisation in geschlossenen Gruppen und mit festen Bezugstherapeuten bewährt. Auch in der orthopädischen Rehabilitation könnte diese Art der Therapieorganisation für einen nachhaltigen Behandlungserfolg relevant sein. Gerade in geschlossenen Gruppen entwickelt sich oft eine Eigendynamik, die das Therapieergebnis positiv beeinflusst bzw. zu nachhaltigen Effekten führt. In der Literatur sind zur Therapie von chronischen Rückenschmerzen häufig Untersuchungen zu finden, in denen verschiedene Maßnahmen miteinander verglichen werden. Der Frage, welche Bedeutung eine Betreuung durch einen Bezugstherapeuten in der orthopädischen im Gegensatz zur psychosomatischen Rehabilitation haben könnte, wird in sehr wenigen Untersuchungen nachgegangen. Hall et al. [10] fanden eine signifikante Beziehung zwischen einer positiven Patient-Therapeut-Verbindung und dem Erfolg einer Rehabilitation sowie der Zufriedenheit mit der durchgeführten Maßnahme.
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass die Betreuung durch einen festen Bezugstherapeuten in diesem Fall keinen entscheidenden Einfluss hatte. Beide Vergleichsgruppen zeigten hohe Zufriedenheitswerte bei Reha-Ende und der Rückgang der Zufriedenheit zu 6 Monaten später war in beiden Gruppen zu sehen, sodass dies nicht auf die Art der Betreuung zurückgeführt werden kann. Die weitere Auswertung des modifizierten ZUF-8 ergab, dass die Auswahl des Therapeuten durchaus einen Einfluss auf die Zufriedenheit haben kann. Obwohl die Gruppe mit wechselnden Therapeuten und die Gruppe mit Bezugstherapeut angegeben hatten, dass die Therapeutenauswahl die subjektive Zufriedenheit beeinflusst, waren die Ergebnisse bzgl. der übrigen Outcome-Variablen in beiden Gruppen ähnlich. Diese Tatsache bestätigt wiederum die Unabhängigkeit der Organisationsform.
Ein Zusammenhang zwischen Zufriedenheit und allgemeinem Gesundheitszustand, wie er von Richter et al. [11] in der psychosomatischen Rehabilitation nachgewiesen werden konnte, zeigte sich auch in der vorliegenden Untersuchung. Sowohl zu t2 als auch zu t3 war die Zufriedenheit umso höher, je besser der psychische und körperliche Zustand war. Vergleicht man die psychischen und körperlichen Summenskalen mit den Normwerten nach Nübling et al. [12], so lagen die Ergebnisse im körperlichen Bereich jeweils unter, im psychischen Bereich an der Grenze oder leicht darüber.
Neben dem subjektiven Gesundheitsempfinden und der Schmerzstärke war auch bei der Beurteilung der Funktionskapazität (FFbH-R) eine positive Entwicklung zu erkennen. Auch wenn die Verbesserungen der beiden Gruppen bis zum 3. Befragungszeitpunkt nicht ganz aufrechterhalten werden konnten, so waren die Werte 6 Monate nach dem Aufenthalt besser als zu Beginn der Maßnahme. Im Vergleich mit der Einteilung nach Kohlmann und Raspe [6] erreichten beide Gruppen bei t1 eine „mäßige“ Funktionskapazität. Zu t2 und t3 konnten diese Werte in Kontroll- und Interventionsgruppe gesteigert werden, sodass sie in einem „normalen“ Bereich lagen.
In der Therapie von chronischen Rückenschmerzen kann eine verbesserte muskuläre Stabilität eine Reduzierung von Schmerzen oder eine Minderung von funktionellen Einschränkungen bewirken. Im Vergleich mit den Normwerten für die Bauchmuskulatur (vgl. Spring et al.) [3] waren sowohl die Frauen als auch die Männer überdurchschnittlich gut, d.h., die altersentsprechenden Vorgaben wurden in beiden Gruppen übertroffen. Im Zuge der gesteigerten Muskelkraft konnte eine Reduzierung der Schmerzen bzw. eine Verbesserung der Alltagsfunktionen beobachtet werden. Durch eine gezielte Kräftigung der Rumpfmuskulatur oder auch durch Hinweise zu einer rückenschonenden Haltung und Hebetechnik kann einer Einschränkung in Beruf und Alltag entgegengewirkt werden. Bei der Überprüfung der Hebekapazität (PILE-Test) konnte sich ein Großteil aller Probanden verbessern (Ausnahme: Die Frauen der Interventionsgruppe verschlechterten sich bei den Werten für die Arbeit und Leistung lumbal sowie für die Leistung zervikal), wobei dies weder bei den Männern noch bei den Frauen in einem signifikanten Ausmaß der Fall war. Um einen wirklichen Effekt nachzuweisen, wird laut Küster [13] eine notwendige Steigerung von durchschnittlich + 6 kg (Frauen) bzw. + 7 kg (Männer) angegeben. Dies wurde in der vorliegenden Studie in keiner Gruppe erreicht, wobei die Ergebnisse aber eine positive Tendenz in der Entwicklung der Hebekapazität zeigten.
Eine Atrophie der wirbelsäulenstabilisierenden Muskulatur ist häufig die Folge von langwierigen Rückenbeschwerden. Veränderte Gelenkstellungen und Schonhaltungen beeinflussen das posturale System und die propriozeptiven Fähigkeiten. Oftmals sind damit auch die Koordination und die Gleichgewichtsfähigkeit eingeschränkt. In der vorliegenden Studie konnten sich beide Gruppen bei dem angewandten Gleichgewichts-/Koordinationstest (Biodex Stability System) deutlich verbessern, ohne dass speziell in diese Richtung trainiert wurde. Das allgemeine Sport- und Bewegungsprogramm konnte diese wichtigen konditionellen Fähigkeiten bereits positiv beeinflussen.
Um die Beweglichkeit der Lenden-Becken-Hüft-Region zu überprüfen, wurde mit dem Finger-Boden-Abstand ein Test gewählt, der in der Therapie von chronischen Rückenschmerzen häufig Anwendung findet. Wenn ein Finger-Boden-Abstand von 0–20 cm als normal angesehen wird [14], so lagen beide Gruppen in diesem Normbereich. Eine Ausnahme bildeten die Frauen der Kontrollgruppe mit einem Durchschnittswert von + 25,5 (± 21,6) cm zu t1. Zum Ende der Rehabilitation verbesserten sich diese Teilnehmerinnen auf + 12,0 (± 13,3) cm.
Die Tatsache, dass sich in fast allen Bereichen sowohl die Interventions- als auch die Kontrollgruppe verbesserte, lässt vermuten, dass eine Therapeutenkonstanz in der Therapie von chronisch unspezifischen Rückenschmerzen nicht entscheidend ist. Diese Erkenntnisse können aber aufgrund der geringen Probandenzahl nicht ohne Weiteres auf eine größere Population übertragen werden. Die positive Entwicklung in beiden Vergleichsgruppen bestätigt jedoch die Effekte einer stationären Rehabilitation bei chronisch unspezifischen Rückenschmerzen.
Fazit
In therapeutischen Gruppen spielen immer auch die persönlichen Eigenschaften sowohl von Therapeuten- als auch von Patientenseite eine Rolle. Wenn ein Patient mit einem Therapeuten überhaupt nicht zurechtkommt und keine erfolgreiche Therapeut-Patient-Beziehung aufgebaut werden kann, ist es fraglich, ob die Motivation während der Therapieeinheiten dann ausreicht, um zum gewünschten Erfolg zu kommen. Ebenso kann die allgemeine Zufriedenheit mit der Rehabilitation aus den genannten persönlichen Gründen zusätzlich in eine positive oder negative Richtung beeinflusst werden. Auf der anderen Seite sind aber auch gruppendynamische Aspekte vorstellbar, die zu einer höheren Motivation und dadurch zu einem besseren Therapieergebnis führen könnten.
Um eindeutigere Auswirkungen einer individuellen Betreuung in der Rehabilitation von chronisch unspezifischen Rückenschmerzen aufzeigen zu können, sind weitere Untersuchungen zu diesem Thema mit einer größeren Probandenzahl notwendig [vgl. 15]. Sollten sich wirklich eindeutige Effekte zeigen, wäre ein nächster Schritt der Versuch, eine derartige Therapieorganisation in den klinikinternen Ablauf zu integrieren. Ob allerdings die therapeutischen Erfolge diesen nicht unerheblichen Aufwand aufwiegen können, bleibt abzuwarten.
Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.
Korrespondenzadresse
Andreas Bosse
Dipl. Sportwiss. und Physiotherapeut
Orthopädie-Zentrum Bad Füssing
Waldstraße 12
94072 Bad Füssing
forschung.orthopaedie@drv-bayernsued.de
Literatur
1. www.forum-schmerz.de/zahlen/rueckenschmerzen.html Zugriff am 14.02.1012
2. Bengel J, Koch U. Grundlagen der Rehabilitationswissenschaften. Berlin, Heidelberg, New York: Springer, 2000
3. Spring H, Dvorák V, Schneider W et al. Theorie und Praxis der Trainingstherapie. Stuttgart, New York: Thieme, 1997
4. Müller G, Hille E. Muskuläre Dysbalancen im Rumpf – Möglichkeiten und Grenzen der klinischen und maschinellen Diagnostik in der Sportmedizin. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 1996; 47, 432–434
5. Mayer TG, Barnes D, Kishino ND et al. Progressive Isoinertial Lifting Evaluation. Spine 1988; 13: 993–997.
6. Kohlmann T, Raspe H. Der Funktionsfragebogen Hannover zur alltagsnahen Diagnostik der Funktionsbeeinträchtigung durch Rückenschmerzen (FFbH-R). In: Bös K, Tittlbach S, Pfeiffer K et al. (Hrsg.) Handbuch Motorische Tests (2. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage). Göttingen, Bern, Toronto, Seattle: Hogrefe Verlag für Psychologie 2001
7. Schmidt J, Lamprecht F, Wittmann WW. Zufriedenheit mit der stationären Versorgung. Entwicklung eines Fragebogens und erste Validitätsuntersuchungen. Psychother med Psychol 1989; 39: 248–255
8. Reha-Qualitätssicherung der Deutschen Rentenversicherung: Reha-Therapiestandards chronischer Rückenschmerz – Leitlinie für die medizinische Rehabilitation der Rentenversicherung, 2011
9. Prucha C. Retrospektive Studie zur craniomandibulären Dysfunktion unter Berücksichtigung von schmerzbezogenen und psychosozialen Aspekten. Universität Berlin, Medizinische Fakultät der Charité 2006
10. Hall AM, Ferreira PH, Maher CG et al. The influence of the therapist-patient-relationship on treatment outcome in physical rehabilitation: A systematic review. Physical Therapy 2010, 90: 1099–1110
11. Richter M, Schmid-Ott G, Muthny FA. Subjektive Anforderungen an die psychosomatische Rehabilitation und ihr Einfluss auf die Patientenzufriedenheit – „Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren“ nach dem Kano-Modell. Stuttgart, New York: Thieme Verlag, 2011
12. Nübling M, Andersen HH, Mühlbacher A. Entwicklung eines Verfahrens zur Berechnung der körperlichen und psychischen Summenskalen auf Basis der SOEP-Version des SF 12 (Algorithmus). Berlin: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, 2006
13. Küster M. Theoretische und empirische Untersuchung zum motorischen Leistungsvermögen 12– bis 14-jähriger Schulkinder. München 2000: Technische Universität, Lehrstuhl für Bewegungs- und Trainingslehre; S. 90–92
14. Engers AJ, Jellema P, Wensing M et al. Individual Patient Education for low-back pain. Cochrane Database of Systematic Reviews 2008, Issue 1. Art. No. CD004057.
15. Slade SC, Keating JL. Effects of preferred exercise prescription to usual exercise prescription on outcomes for people with non- specific low back pain: a randomized controlled trial. BMC Musculoskeletal Disorders 2009; 10: 14
Fussnoten
1 Orthopädie-Zentrum Bad Füssing der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd, Bad Füssing (Leiter: Prof. Dr. med. W.F. Beyer)