Übersichtsarbeiten - OUP 12/2014
Vergleich einer Standardtherapie mit einer individuell betreuten Therapie bei Patienten mit chronisch unspezifischen Rückenschmerzen
A. Bosse1, M. Dittrich1, G. Eichner1, B. Kleist1, W.F. Beyer1
Zusammenfassung: In dieser prospektiven Studie mit Kontrollgruppe zur Therapie von chronisch unspezifischen Rückenschmerzen wurden im Hinblick auf den allgemeinen Gesundheitszustand, auf die motorische Leistungsfähigkeit sowie auf die Zufriedenheit keine signifikanten Unterschiede zwischen Kontrollgruppe (wechselnde Therapeuten) und Interventionsgruppe (fester Bezugstherapeut) festgestellt. Beide Gruppen verbesserten sich während des Reha-Aufenthalts in ähnlichem Ausmaß. Bis 6 Monate nach der Reha (Follow-up) konnten diese Verbesserungen annähernd aufrechterhalten werden. Der Nutzen einer stationären Rehabilitation bei chronisch unspezifischen Rückenschmerzen wurde bestätigt, unabhängig davon, ob die Betreuung durch ein und denselben oder durch wechselnde Therapeuten stattfand.
Schlüsselwörter: Rückenschmerz, motorische Leistungsfähigkeit, Gesundheitszustand, Rehabilitation, individuelle Betreuung
Zitierweise
Bosse A, Dittrich A, Eichner G, Kleist B, Beyer WF. Vergleich einer Standardtherapie mit einer individuell betreuten Therapie bei
Patienten mit chronisch unspezifischen Rückenschmerzen.
OUP 2014; 12: 584–589 DOI 10.3238/oup.2014.0584–0589
Summary: In this prospective study with control group about the therapy of chronic non-specific low back pain, no significant differences were visible between the control group (different therapists) and the intervention group (fixed reference therapist) regarding their general health, physical fitness and feeling of satisfaction. Both groups have improved to a certain extent during their rehabilitation in the clinic. These improvements were maintained until approximately 6 months after rehabilitation (follow-up). The benefit of in-patient rehabilitation on chronic non-specific low back pain was confirmed regardless of whether the same or different therapists was/were in charge.
Keywords: back pain, movement abilities, health, rehabilitation, individual care
Citation
Bosse A, Dittrich A, Eichner G, Kleist B, Beyer WF. Comparison of a standard therapy with an individually supervised therapy in patients with chronic non-specific low back pain.
OUP 2014; 12: 584–589 DOI 10.3238/oup.2014.0584–0589
Einleitung
Chronische Erkrankungen des Herz-Kreislauf- und Bewegungssystems sind in der heutigen, zunehmend bewegungsärmeren Gesellschaft weit verbreitet. In diesem Zusammenhang ist auch der chronisch unspezifische Rückenschmerz zu nennen. Wenn man bedenkt, dass 85 % aller Deutschen mindestens einmal in ihrem Leben an meist harmlosen Rückenschmerzen leiden, dann bestätigt dies den Stellenwert als Volkskrankheit Nummer eins. Im Jahr 2006 gaben 69 % aller Bundesbürger an, gelegentlich Rückenschmerzen zu haben, 15 % davon chronisch [1]. Neben diesem gesundheitlichen Aspekt fallen im Jahr ca. 10–15 Mrd. Euro an Kosten an, die durch Arbeitsunfähigkeitszeiten oder Frühberentung in Verbindung mit chronischen Rückenschmerzen bedingt sind [1]. Deshalb ist das primäre Ziel einer Rehabilitation, den Patienten geeignete Möglichkeiten zu eröffnen, wie sie mit möglichst wenig Einschränkungen wieder am alltäglichen Leben teilhaben und vor allem einer beruflichen Tätigkeit nachgehen können [vgl. 2]. Vor dem Hintergrund dieser gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Belastungen werden auch in der medizinischen Rehabilitation bestehende Behandlungsmaßnahmen und -abläufe immer wieder hinterfragt und ggf. verbessert. Zu diesem Thema wurde im Orthopädie-Zentrum Bad Füssing eine Untersuchung durchgeführt, in der 2 Organisationsformen der Therapie bei chronisch unspezifischen Rückenschmerzen verglichen wurden: eine Standardtherapie und eine Therapie mit Bezugstherapeut.
Studiendesign
Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine prospektive Untersuchung mit Kontrollgruppe im Prä-Post-Design und 6-monatigem Follow-up. In die Studie wurden 39 Patienten aus dem Orthopädie-Zentrum Bad Füssing eingeschlossen. Voraussetzung für die Teilnahme waren chronisch unspezifische Rückenschmerzen, die seit mehr als 6 Monaten bestanden. Von den 39 Probanden haben 4 die Studie vorzeitig beendet. Somit ergab sich eine Drop-out-Quote von 10,3 %. Letztlich konnten der Interventionsgruppe (IG) 15 und der Kontrollgruppe (KG) 20 Probanden zugeteilt werden. Die IG bestand aus 11 Männern (Alter: 53,9 Jahre) und 4 Frauen (Alter: 52,8 Jahre). In der KG befanden sich 15 Männer (Alter: 49,7 Jahre) und 5 Frauen (Alter: 51,8 Jahre). Zu Beginn (t1) und am Ende (t2) des 3-wöchigen Rehabilitationsaufenthalts wurden motorische Leistungstests durchgeführt: Statische Rumpfkraft (IPN Back Check, Dr. Wolff), dynamische Rumpfkraft (Bauchmuskeltest nach Spring, Test der dorsalen Streckerkette nach Müller und Hille) [3, 4], Gleichgewichtsfähigkeit (Biodex Stability System), Beweglichkeit der Lenden-Becken-Hüft-Region (Finger-Boden-Abstand), Hebekapazität (PILE-Test nach Mayer et al.) [5]. Zusätzlich wurden die Teilnehmer anhand von Selbstbeurteilungsfragebögen zu ihrem aktuellen Gesundheitszustand (SF-12, 1 Woche), zu alltäglichen Aktivitäten (FFbH-R) [6], zum Schmerzempfinden (Von Korff, modifiziert) sowie zu ihrer Zufriedenheit (ZUF-8, modifiziert) [7] befragt. Sechs Monate nach Ende der Rehabilitation (t3) erfolgte eine postalische Nachbefragung bzgl. Gesundheitszustand, Schmerzempfinden und Zufriedenheit, um die Nachhaltigkeit der Therapieergebnisse zu überprüfen.
Die grundlegenden Therapieinhalte waren für beide Gruppen identisch. Sowohl die KG als auch die IG erhielt das Standard-Behandlungsprogramm S9 entsprechend den Therapiestandards für die Rehabilitation bei chronischen Rückenschmerzen der DRV, Stand 2011 [8] mit folgenden übergeordneten Inhalten:
Bewegungstherapie
Arbeitsbezogene Therapien
Massage
Patientenschulung chronische Rückenschmerzen (Rückenschule)
Gesundheitsbildung
Psychologische Beratung und Therapie
Entspannungstraining
Schmerzbewältigung
Sozial- und sozialrechtliche Beratung
Unterstützung der beruflichen Integration
Nachsorge und soziale Integration
Für die KG wurden für die Bewegungstherapie (Nordic Walking, Medizinische Trainingstherapie, Wassergymnastik, Funktionelles Leistungstraining, Rückenschule und Morgengymnastik) gemäß der klinikinternen Vorgehensweise im Orthopädie-Zentrum Bad Füssing verschiedene Therapeuten eingeplant. Die IG unterschied sich von der Vergleichsgruppe darin, dass diese Therapie von einem festen Bezugstherapeuten durchgeführt wurde.