Übersichtsarbeiten - OUP 02/2024

Verwendung von allogenem Knochen in der vorderen Kreuzbandchirurgie

Die Auffüllung der Bohrkanäle kann mit folgenden Materialien erfolgen:

Autogener Knochen

Allogener Knochen

Knochenersatzmaterial (bspw. Silicate-substituted Calciumphosphat)

Jedes Verfahren hat unterschiedliche Vor- und Nachteile hinsichtlich der Parameter Verfügbarkeit, Osteoinduktivität, Osteokonduktivität, Einheilungszeit, Komplikationsrate, Komorbidität, OP-Zeit und -Kosten [17–21, 34, 35].

Es besteht derzeit keine Evidenz für eine Überlegenheit eines Füllungsmaterials gegenüber den anderen [22].

Prall et al. konnten in einer retrospektiven vergleichbaren Studie zwischen spongiösem Allograftknochen und kortikospongiösen Beckenkammknochen keinen Unterschied in den Füllungsraten finden [23].

Der ESSKA-Konsensus aus dem Jahre 2022 empfiehlt die Anwendung von allogenem- oder autogenem Knochen. Die Verwendung von synthetischen Knochenmaterialien wird auf Grund der limitierten Datenlage und den ungünstigen Ergebnissen nach Umstellungsosteotomien als kritisch angesehen [24].

Nachdem jahrelang die Verwendung von autogenem Knochen aus dem Beckenkamm der Goldstandard zur Bohrkanalauffüllung war, hat sich in den letzten Jahren die Verwendung von allogenem Knochen zunehmend etabliert [22, 33].

Die Gründe hierfür liegen hauptsächlich in der nahezu freien, unlimitierten Verfügbarkeit von allogenem Knochen gegenüber autogenem Knochen. Durch den Verzicht auf die aufwendige Beckenkammspongiosaentnahme verkürzt sich die OP-Zeit signifikant [23, 28].

Die Komplikationsrate nach Beckenkammspongiosaentnahme wird in der Literatur mit 6–10 % angegeben [25–27]. Beckenkammfraktur, Nervenschäden, Hämatom und persistierende Schmerzen sind die häufigsten Komplikationen. Diese Komplikationsrisiken entfallen bei der Verwendung von allogenem Knochen.

Als Nachteil sind höhere Materialkosten zu nennen, welche sich allerdings aufgrund der signifikant kürzeren OP-Zeit im Vergleich zu einer Entnahme von Beckenkammknochen
relativieren können. Vergleichende Studien hinsichtlich der Kosteneffektivität liegen derzeit nicht vor. Das
Risiko für eine immunologisch assoziierte Abstoßungsreaktion auf den eingebrachten Allograftknochen ist aufgrund der aufwendigen Aufarbeitung des Materials nicht vorhanden [29].

Allogener Knochen

Das derzeit zur Verfügung stehende allogene Knochenmaterial wird i.d.R. durch das Hüftkopfspendeverfahren gewonnen. Das Knochengewebe wird in einem mehrstufigen Reinigungsverfahren derart aufgearbeitet, dass die natürlichen Strukturen für die Revaskularisierung und Migration von Osteoblasten erhalten bleiben. Dadurch soll die physiologische Knochenbildung und der Knochenumbau (Osteokonduktion) unterstützt werden.

Im Gegensatz zu der international verbreiteten Aufarbeitungsmethode der Kryokonservierung (fresh frozen bone), durchlaufen alle in Deutschland zugelassenen Allograftknochen eine chemische Dezellularisierung, wobei je nach Anbieter verschiedene Prozesse bzw. Chemikalien (Wasserstoffperoxid, Ethanol, Aceton, Diethylether, Peressigsäure) eingesetzt werden. Zusätzlich finden Thermodesinfektion und Sterilisation durch Bestrahlungsprozesse Anwendung. Gefriertrocknungsprozesse (Lyophilisation) ermöglichen die Lagerung bei Raumtemperatur. Schlussendlich ist es das Ziel aller Aufreinigungsprozesse, ein sicheres Knochenersatzmaterial zu generieren, welches vor allem als osteokonduktiv wirkende Gerüststruktur eine optimale Knochengewebeheilung ermöglicht, ohne immunogen wirksame Bestandteile zu enthalten [29–31].

Für eine Bohrkanalauffüllung steht derzeit Allograftknochen in unterschiedlichen Formen zur Verfügung (Abb. 3, 4):

Spongiosagranulat/-chips unterschiedlicher Größen

Spongiosazylinder

Halbierte Hüftköpfe oder Knochenblöcke

Die einzelnen Anwendungsindikationen richten sich nach dem Volumen und nach der Form der aufzufüllenden Bohrkanäle. Rein zylindrische Bohrkanäle lassen sich sehr gut mit dem Durchmesser entsprechend Allograftzylindern auffüllen, wohingegen sehr stark zystisch erweiterte Bohrkanäle besser mit Spongiosagranulat/-Chips und/oder Knochenblöcken aufgefüllt werden können (Abb. 9). Bohrkanäle mit geringer zystischer Erweiterung können durch Überbohren in eine zylindrische Form umgewandelt und somit ebenfalls problemlos mit Allograftzylindern aufgefüllt werden. In der aktuellen Literatur existieren keine vergleichenden Studien, welche die unterschiedlichen Anwendungsformen aufarbeiten. Dementsprechend kann derzeit eine wissenschaftlich basierte Aussage, welches Auffüllungsverfahren den anderen Verfahren hinsichtlich Füllungsraten, Einheilung und klinischen Ergebnissen überlegen ist, nicht getätigt werden.

OP-Technik

Die Bohrkanalauffüllung kann femoral in nahezu allen Fällen in rein arthroskopischer Technik erfolgen. Tibial ist ein offenes Vorgehen mit arthroskopischer Kontrolle notwendig. Grundvoraussetzung für ein korrektes Einheilen des eingebrachten Allograftknochenmaterials ist eine sorgfältige Präparation der aufzufüllenden Bohrkanäle. Sehnenreste sowie Faden- und Fixationsmaterial (bspw. Schraubenreste) müssen zwingend komplett entfernt werden. Die vorhandene Sklerosezone muss überbohrt oder aufgebrochen werden, um somit eine ausreichende Durchblutung des eingebrachten Allograftknochens zu gewährleisten. Das Einbringen des Materials kann manuell oder mit Hilfe von Applizierhilfen erfolgen (Abb. 4). Bei der Verwendung von Granulat oder Chips muss eine Verdichtung des Materials in den Tunneln erfolgen, um so eine möglichst hohe Füllungsrate zu erzielen. Dies ist femoral in der Regel problemlos mit entsprechenden Stößeln möglich. Tibial muss zunächst ein gelenknaher „Verschluss“ mit einem Knochenblock oder -zylinder erfolgen. So kann verhindert werden, dass Allograftmaterial unkontrolliert in das Gelenk gelangt. Durch die Verwendung solider Allograftzylinder, welche „pressfit“ in die Bohrkanäle eingebracht werden, kann das Risiko von freien Allograftanteilen im Gelenk sowohl bei femoraler, als auch bei tibialer Applikation minimiert werden (Abb. 5–7).

OP-Technik der Bohrkanalauffüllung mit Allograftzylindern

Im Folgenden wird die vom Autor präferierte und seit Jahren angewendete Operationstechnik der Bohrkanalauffüllung mit Allograftzylindern vorgestellt.

Zur Verfügung stehen derzeit maximal 30 mm lange Spongiosazylinder mit Durchmesser 10, 12 und 14 mm. Der Vorteil von Allograftzylindern gegenüber Spongiosachips liegt in der einfachen Handhabung im Sinne einer einfacheren, sichereren und schnelleren Applizierbarkeit. Vor allem die arthroskopische Auffüllung eines femoralen Bohrkanals, ist durch die Verwendung eines soliden Allograftzylinders wesentlich einfacher. Bohrkanäle mit geringer zystischer Erweiterung können durch Überbohren in eine zylindrische Form umgewandelt und somit ebenfalls problemlos mit Allograftzylindern aufgefüllt werden. Bei Verdacht auf Infektgeschehen kann ein Allograftzylinder auch als Antibiotikaträger verwendet werden.

  • 1. Klinische Untersuchung des Kniegelenkes in Narkose zum Ausschluss einer peripheren Instabilität
  • 2. Diagnostische Arthroskopie zur Evaluation von Knorpel, Menisken, Instabilität, Bohrkanallage
  • 3. Freipräparieren des femoralen Bohrkanals
  • 4. Ggf. Entfernen von Fixationsmaterial
  • 5. Sondierung des femoralen Bohrkanals mit einem K-Draht im passenden Winkel
  • 6. Schrittweises Aufbohren entsprechend der präoperativen Planung
  • 7. Bei Infektverdacht Probeentnahme des Debris
  • 8. Portalwechsel und Überprüfen auf Transplantatreste, Fadenreste und Skleroseherde
  • 9. Ggf. Aufbrechen von einzelnen Skleroseanteilen mit z.B. Chondropick o.ä.
  • 10. Einschlagen eines Allograftzylinders mit dem Bohrer entsprechender Dicke (zur Pressfitimplantation 1 mm < des Bohrerdurchmessers) mit Applizierhilfe (Abb. 8)
  • 11. Portalwechsel und Überprüfen der Zylinderlage
  • 12. Offenes Darstellen des tibialen Bohrkanals
  • 13. Ggf. Entfernung von Fixationsmaterial
  • 14. Sondieren des Kanals mit einem K-Draht unter arthroskopischer Kontrolle
  • 15. Schrittweises Überbohren bis zum präoperativ gemessen Durchmesser
  • 16. Tunneloskopie und Überprüfen auf Transplantatreste, Fadenreste und Skleroseherde
  • 17. Ggf. Aufbrechen von Skleroseanteilen mit z.B. Chondropick o.ä.
  • 18. Aufstößeln eines Allograftzylinders (Durchmesser entspricht dem des zuletzt verwendeten Bohrers) bis zur Gelenkfläche unter arthroskopischer Kontrolle
  • 19. Postoperatives Röntgenbild in 2 Ebenen

Nachbehandlung

SEITE: 1 | 2 | 3