Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2017

Vordere Kreuzbandruptur – wann ist eine konservative Therapie möglich, wann eine Operation notwendig

Im Jahr 2015 wurden in unserer Klinik 1400 vordere Kreuzbandrekonstruktionen durchgeführt. Hiervon waren 84 % primäre Rekonstruktionen. Eine geringe Anzahl dieser Patienten wurde zeitnah versorgt, bei 93 % mit isolierter vorderer Kreuzbandruptur ohne Begleitverletzung wurde primär Physiotherapie und physikalische Therapie durchgeführt, und die Operation erfolgte dann bei reizlosem Kniegelenk und freier Beweglichkeit in der Regel nach 3?4 Wochen (Abb. 2).

Zum Ersatz des VKB werden vor allem in Deutschland autologe Sehnen gegenüber Allografts bei der Primärrekonstruktion bevorzugt. Patellarsehnen-„Bone-tendon-bone“-Transplantate und Hamstring-Sehnen stellen zurzeit die am häufigsten verwendeten autologen Grafts zur Rekonstruktion des vorderen Kreuzbands dar. Die Vorteile der Patellarsehne scheinen in der schnelleren Einheilung und der besseren Beugefähigkeit zu liegen, die Hamstringsehnen zeigen dagegen kaum patellofemoralen Knieschmerz, bessere Streckfähigkeit des Kniegelenks und weniger Entnahmemorbidität. Aktuelle Metaanalysen zeigen ein erhöhtes Arthroserisiko nach Patella-BTB-Sehnen-Rekonstruktion im Vergleich zu Plastiken des vorderen Kreuzbands mit Hamstringsehnen (Tab. 1, 2) [27, 42]. In den letzten Jahren werden zunehmend Studien veröffentlicht, welche die Quadrizepssehne zur primären Rekonstruktion des vorderen Kreuzbands propagieren. Metaanalysen zeigten hier keine Unterschiede bezüglich des klinischen und funktionellen Outcomes im Vergleich zu den oben genannten Techniken [10].

In einer eigenen Nachuntersuchung konnten wir zeigen, dass bei Verwendung von Allografts primär gegenüber der Verwendung von Hamstringsehnen die Ergebnisse vergleichbar waren, jedoch die AP-Stabilität gemindert und die Re-Rupturrate bei Sportlern deutlich erhöht war [13].

VKB-Rupturen bei
offenen Wachstumsfugen

Die Versorgung der kindlichen vorderen Kreuzbandruptur bei noch offenen Wachstumsfugen erfordert eine spezielle OP-Technik und Fixation. Handelt es sich bei der kindlichen Kreuzbandruptur um eine Eminentia-Ausrissfraktur, sollte diese zeitnah versorgt werden, um das ausgerissene Fragment schnell zu refixieren (s.o.). Intraligamentäre kindliche vordere Kreuzbandrupturen stellen nach Ansicht der Autoren eine absolute OP-Indikation dar. Degenerative Veränderungen können vermieden werden, die körperlich-sportliche Aktivität kann wiederhergestellt werden. Trotz transepiphysärer Bohrkanalanlage ist eine Beeinträchtigung des Längenwachstums nicht beschrieben, sofern die Fixation des rekonstruierten vorderen Kreuzbands außerhalb der Wachstumsfugen liegt [6, 38]. Die Eltern der Kinder und Jugendlichen mit offenen Wachstumsfugen und vorderer Kreuzbandruptur müssen präoperativ über die erhöhte Rerupturrate der VKB-Plastik aufgrund des verbleibenden Restwachstums aufgeklärt werden. In unserem eigenen Patientengut konnten wir 152 Kinder und Jugendliche mit offenen Wachstumsfugen und intraligamentärer vorderer Kreuzbandruptur versorgen. Nach einem durchschnittlichen Follow-Up von 5 und 10 Jahren konnten 42 Patienten nachuntersucht werden: 89 % der Patienten hatten im IKDC ein sehr gutes und gutes Ergebnis. Die KT-1000-Messung zeigte eine Seitendifferenz von durchschnittlich 1,7 mm. Eine Störung des Längenwachstums trat nicht auf [24, 36].

Diskussion

Bei Vorstellung eines Patienten mit einer VKB-Läsion geht es primär um eine genaue Anamnese, welche die sportliche und berufliche Aktivität beinhaltet. Ebenso ist die Alltagsbelastung entscheidend für das weitere Prozedere: Wittenberg et al. zeigten, dass Patienten mit geringem sportlichen Anspruch, wenig Alltagsbelastung für das Knie und sitzendem Beruf auch bei Komplettruptur des VKB konservativ behandelt werden können [41]. Im Gegensatz dazu zeigten Moksnes und Risberg in Ihrer Untersuchung, dass sportlich ambitionierte Patienten oder schwer körperlich arbeitende Menschen ein funktionierendes vorderes Kreuzband benötigen und eher operativ versorgt werden sollten [28].

Bei der klinischen Untersuchung spielen neben der Beweglichkeit und dem Funktionsdefizit des Kniegelenks auch die Resultate der spezifischen Kreuzbandtests wie Lachman- und Pivot-Shift-Tests eine Rolle, ob konservativ oder operativ vorgegangen werden sollte. Streich et al. zeigten in ihrer Untersuchung, dass ein positiver Pivot-Shift-Test Grad II–III eine größere Instabilität zugrunde liegt und eher in Richtung Operation denken lässt [40].

Die konservative Therapie beinhaltet angepasste Aktivität, Orthesenbehandlung, Koordinations- und Muskelaufbautraining. Trotzdem konnten in Langzeitstudien eher nur unbefriedigende Resultate erzielt werden [1, 3, 15, 20]. Levy und Meier fanden 2003 eine erhöhte Inzidenz von Meniskusläsionen bei nicht operativ versorgten VKB-Läsionen. Nach einem Jahr lag diese bei 40 %, nach 5 Jahren bei 60 % und nach 10 Jahren sogar bei 80 % lag [22]. Die Entstehung einer sekundären Gonarthrose bei Meniskusverlust ist in mehreren Studien bewiesen [7, 23, 30]. Deshalb erklärt sich auch, dass in der Studie von Frobell et al. 51 % der primär konservativen Patienten innerhalb der ersten 5 Jahre doch operiert wurden [11].

Wird der operative Weg gewählt, so stellt die Versorgung des gerissenen vorderen Kreuzbands an den Operateur hohe technische Ansprüche und setzt ein permanentes Up-to-date-Wissen voraus. Die Begleitverletzungen entscheiden mit über den Operationszeitpunkt. Gerade bei einem sportlich aktiven Patienten ist die Wiederherstellung der Stabilität des Kniegelenks durch eine VKB-Rekonstruktion entscheidender prognostischer Faktor, um langfristig degenerativen Arthropathien vorzubeugen [1]. Jedoch fehlt der eindeutige wissenschaftliche Beweis in langfristigen Untersuchungen noch, dass dies auch immer gelingt [2, 16, 30].

Kindliche Kreuzbandrupturen, die konservativ versorgt werden, zeigen in der zeitlichen Abfolge eine Abnahme der sportlichen Aktivität, diverse Autoren fanden frühzeitig Sekundärschäden an Menisken und Knorpel, bedingt durch die persistierende Kniegelenkinstabilität mit häufigen Giving-way-Episoden [1, 20, 25]. Bis zu 50–75 % sekundäre Meniskusläsionen innerhalb der ersten 12 Monaten wurden dabei nach VKB-Ruptur nachgewiesen [4, 25, 17]. Auch konnten bereits nach 51 Monaten aufgrund persistierender Instabilität radiologische Arthrosezeichen aufgezeigt werden [26]. Deshalb empfehlen die Autoren die operative Rekonstruktion eines rupturierten vorderen Kreuzbands gerade bei offenen Wachstumsfugen. Die Verwendung von autologen Hamstringsehnen ist bei Patienten mit offener Wachstumsfuge zu bevorzugen. Generell gibt es kein Operationsverfahren, welches das Risiko einer Wachstumsstörung vollständig ausschließt, aber in ihrer Metaanalyse zeigten Frosch et al. eine Gesamtrate der Beinlängendifferenzen von 1,9 % bei transepiphysärer OP-Technik auf [12]. In einer aktuellen Doktorarbeit von Schopf konnte bei 42 Patienten und durchschnittlich 12,3 Jahren Nachuntersuchungszeitraum, die mit der gleichen Technik seit 1996 versorgt wurden, ebenso keine Wachstumsstörung nachgewiesen werden [36].

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