Übersichtsarbeiten - OUP 06/2024
Vorderer KreuzbandersatzWann und welches Transplantat?
Benedikt Stolz, Daniel Günther
Zusammenfassung:
Konservative und operative Therapie haben ihren Stellenwert in der Behandlung der VKB-Ruptur. Das Risiko für Begleitverletzungen wird durch eine VKB-Rekonstruktion reduziert. Beruflicher und sportlicher Anspruch, junges Patientenalter, hohes Ausmaß an bestehender Instabilität und das Vorhandensein von Begleitverletzungen sind Indikatoren, die in der Empfehlung einer operativen Therapie resultieren sollten. Hierbei scheint sich, im Hinblick auf Versagensrate oder der Zeit zur Rückkehr zum Sport, kein Transplantat als alleiniger Favorit durchzusetzen. Patellasehne, Quadrizepssehne und Hamstringsehnen sind mit individuellen Unterschieden gute Optionen für die Rekonstruktion des VKBs, die Peroneus longus-Sehne und Allografts mit gewissen Einschränkungen sind mögliche Alternativen. Ein patientenspezifisches Vorgehen kann das Outcome optimieren.
Schlüsselwörter:
Vorderes Kreuzband, VKB, Knie, Rotationsinstabilität, Rekonstruktion
Zitierweise:
Stolz B, Günther D: Vorderer Kreuzbandersatz. Wann und welches Transplantat?
OUP 2024; 13: 266?271
DOI 10.53180/oup.2024.0266-0271
Summary: Non-operative and surgical therapy have their place in the treatment of ACL rupture. The risk of associated injuries is reduced by an ACL reconstruction. Professional sports, young patient age, high degree of existing instability and the presence of concomitant injuries are indicators that should result in the recommendation of surgical therapy. In terms of failure rate or time to return to sport, no transplant appears to be the sole favorite. With individual differences, the patellar tendon, quadriceps tendon, and hamstring tendons are good options for reconstructing the ACL. The peroneus longus tendon and allografts with their limitations are possible alternatives. A patient-specific approach can optimize the outcome.
Keywords: Anterior cruciate ligament, ACL, knee, rotatory instability, reconstruction
Citation: Stolz B, Günther D: Anterior cruciate ligament reconstruction. When and which graft?
OUP 2024; 13: 266?271. DOI 10.53180/oup.2024.0266-0271
Krankenhaus Köln-Merheim, Klinik der Universität Witten/Herdecke, Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sporttraumatologie
Einleitung
Die Ruptur des vorderen Kreuzbands (VKB) ist durch den Spitzensport in aller Munde. Sie betrifft allerdings auch regelhaft Sportlerinnen und Sportler aus Breitensportarten und dem Amateurbereich, wodurch die Verletzung auch für ärztliche Kolleginnen und Kollegen, die keine alltägliche sportmedizinische Betreuung durchführen, einen wichtigen Stellenwert hat [1].
Rupturen des VKBs treten selten als Folge eines direkten Kontakttraumas auf. In den meisten Fällen handelt es sich um ein indirektes, berührungsloses Trauma beim Landen eines Sprungs oder beim Richtungswechsel in unmittelbarer Nähe eines anderen Spielers. Verletzungen des VKBs treten häufig auf, wenn sich das Knie in einer Valgusstellung mit leichter Beugung befindet. Ein Hyperextensionstrauma gilt als zweiter kontaktloser Mechanismus. Wenn ein für eine VKB-Läsion typisches Knietrauma oder andere für eine VKB-Läsion typische klinische Symptome vorliegen, sollte eine Kernspintomografie durchgeführt werden.
Das VKB ist der primäre Stabilisator gegen die anteriore Tibiatranslation und die interne Tibiarotation. Daher kann es im Falle einer VKB-Ruptur zu einer anterioren und rotatorischen Knieinstabilität kommen, die zu einer funktionellen Beeinträchtigung der Patientin/des Patienten führt. Kommt es nach einer VKB-Ruptur zu einer chronischen Instabilität, führt die veränderte Kinematik zu einer erhöhten mechanischen Belastung der Menisken und des Knorpels mit der Gefahr von Sekundärschäden [2].
Inwieweit konservative oder operative Therapiealternativen zu bevorzugen sind und welchen möglichen Transplantaten als Ersatz des vorderen Kreuzbandes dabei die größte Bedeutung zukommt, soll im Folgenden näher beleuchtet werden.
Operatives vs.
nicht-operatives Vorgehen
Ziel der Therapie im Allgemeinen ist die Wiedererlangung der Stabilität des Gelenks, um eine möglichst physiologische Belastung zu erzielen und das Risiko für sekundäre Verletzungen weiterer Kniebinnenstrukturen vorzubeugen. Nutzen der empfohlenen Maßnahmen, Risiken und praktikable Behandlungsalternativen sollten gegeneinander abgewogen werden. Die medizinischen Empfehlungen sollten auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren. Die Entscheidung der Patientin/des Patienten sollte respektiert werden, auch wenn sie nicht mit der Empfehlung der Ärztin/des Arztes übereinstimmt.
Auf Basis der vorhandenen Literatur wird Leistungssportlerinnen und -sportlern aus Hochrisikosportarten (z.B. Ballsport, Skifahren) aufgrund des erhöhten Risikos von Sekundärverletzungen, Arthrose und der Gefahr eines Zeitverlusts bei konservativer Behandlung eine frühzeitige chirurgische Therapie nach einer VKB-Verletzung empfohlen. Die Therapie ist Teil eines Prozesses der „gemeinsamen Entscheidung“ (shared decision making) [3]. Begleitverletzungen beeinflussen die Entscheidung. So gilt eine zusätzliche Komplettruptur des medialen Seitenbandkomplexes als Indikation zur operativen Versorgung [4]. Auch begleitende Meniskusverletzungen können die Entscheidung hin zur Operation beeinflussen. Eine begleitende VKB-Rekonstruktion wiederum erhöht die Heilungschancen einer Meniskusnaht [5].
Einige Patientinnen und Patienten mit einer VKB-Verletzung können die funktionelle Instabilität nach einer VKB-Läsion funktionell kompensieren und gelten als „Coper“. Die strukturierte physiotherapeutische Rehabilitation ist eine geeignete Methode zur nicht-chirurgischen Therapie von Copern. Hierbei sind vor allem die frühe Kräftigung der Oberschenkelmuskulatur und die Wiedererlangung der Koordinationsfähigkeit des Gelenkes von zentraler Bedeutung. Dies wird initial durch die sekundäre Stabilisierung mittels einer Gelenkorthese erreicht. Im Folgenden ist eine physiotherapeutische Beübung mit Krankengymnastik und einer medizinischen Trainingstherapie sehr wichtig. Unterstützend können komplementäre Verfahren zum Einsatz kommen, wie spezielle Tapingverfahren, Injektionen mit Eigenblut oder Akupunktur. Eine regelmäßige ärztliche Betreuung und eine enge Kooperation mit der Physiotherapeutin/dem Physiotherapeuten sind für den Therapieerfolg entscheidend. So können im Verlauf Patientinnen und Patienten frühzeitig detektiert werden, die bei verbleibender Instabilität sekundär doch von einer operativen Therapie profitieren. Außerdem ist die Schulung der Patientin/des Patienten im Umgang mit möglichen Einschränkungen im Alltag und im Sport wesentlich. Das sekundäre Auftreten von Instabilitäten sowie das Auftreten sekundärer Meniskus- und Knorpelschäden ist ein Zeichen für das Scheitern einer nicht-chirurgischen Therapie.