Übersichtsarbeiten - OUP 06/2024
Vorderer KreuzbandersatzWann und welches Transplantat?
Gerade für den Leistungssport, aber auch für den ambitionierten Hobbysport ist die Frage nach der Rückkehr zum Training und Wettkampf, dem sogenannten Return-to-Sport, essenziell. Dieser Begriff ist nicht einheitlich definiert und ist von verschiedenen Faktoren abhängig, die in diversen Scores zusammengefasst sind und unterschiedliche Gewichtungen haben. Auch ist der Anspruch der Patientin oder des Patienten mit unterschiedlichem sportlichem Hintergrund, also Leistungssport oder Hobbysport, häufig sehr verschieden und damit die Anforderung nicht immer vergleichbar. Wenige Studien vergleichen verschiedene Transplantate im Hinblick auf die Rate an eine Wiederkehr zum Sport. Diese Studien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, die mal das eine und mal das andere Transplantat hervorheben. Insgesamt zeigt sich, dass kein signifikanter Unterscheid zwischen den einzelnen Transplantaten zu bestehen scheint [25]. Anzumerken ist auch, dass gerade im Leistungssportbereich eine relevante Anzahl von Patientinnen und Patienten gar nicht mehr das Leistungsniveau von vor der Verletzung erreicht [25].
Subjektive Outcome-Parameter
Neben den diversen genannten objektiven Kriterien ist ein entscheidendes Charakteristikum zur Bewertung einer therapeutischen Maßnahme das subjektive Empfinden der Patientin/des Patienten. Hierfür werden gewisse Empfindungen und Erfahrungen, wie bspw. das Auftreten von Blockierungen, das Bestehen eines Instabilitätsgefühls, Aussagen zu Schmerz und Schwellung, sowie Alltagseinschränkungen anhand bestimmter Fragebögen (Patient related outcome measurements – PROMS) abgefragt. Im Wesentlichen bestehen allerdings auch hier keine signifikanten Unterschiede zwischen den einzelnen Transplantaten [9, 26].
Peroneus longus-Sehne
Als zusätzliche Transplantatoption kommt die Peroneus longus-Sehne in Betracht. Diese kann als Splitgraft entnommen werden oder auch vollschichtig. Wird sie vollschichtig entnommen, muss eine Tenodese der Peroneus longus-Sehne auf die Peroneus brevis-Sehne erfolgen. Die postoperativen Ergebnisse im Hinblick auf Stabilität, Morbidität an der Entnahmestelle und patientenbezogene Faktoren scheinen mit den o.g. häufig verwendeten Transplantaten vergleichbar zu sein [27].
Patientenspezifisches
Vorgehen
Um eine optimale Patientenversorgung zu gewährleisten, sollte eine gute Kniechirurgin/ein guter Kniechirurg alle o.g. Transplantate entnehmen und verwenden können. Begleitverletzungen oder anatomische Besonderheiten wie eine valgische Beinachse oder chronische Kniebeschwerden wie eine patello-femorale Instabilität können die Transplantatwahl beeinflussen. Die Hamstringsehnen sind ein sekundärer medialer Stabilisator des Kniegelenks [28]. Sie sollten daher bei einer vorliegenden Verletzung des medialen Seitenbandkomplexes oder bei einer valgischen Beinachse eher geschont werden, um das Kniegelenk nach medial nicht weiter zu destabilisieren [29]. Die Quadrizepssehne und auch die Patellasehne sollten eher geschont werden, wenn eine patello-femorale Instabilität oder eine Verletzung des Streckapparats vorliegen, um eben diesen nicht weiter zu schwächen. Auch kosmetische Gründe können gegen die Entnahme der Quadrizepssehne sprechen, da die Narbe von den Patientinnen und Patienten im Sitzen selbst eher gesehen werden kann und somit in der subjektiven Patientenwahrnehmung eher negativ auffallen kann.
Fazit
Konservative und operative Therapien haben ihren Stellenwert in der Behandlung der VKB-Ruptur. Das Risiko für Begleitverletzungen wird durch eine VKB-Rekonstruktion reduziert. Außerdem ist die Zahl derjenigen, die sich sekundär, nach primär konservativ therapierter Verletzung, doch für eine Operation entscheiden mit 51 % durchaus relevant [32]. Es besteht ein deutliches Risiko, dass aus einer bestehenden Instabilität des Kniegelenks und weiterer Begleitverletzungen ein unphysiologischer Verschleiß des Gelenks hervorgehen kann. Beruflicher und sportlicher Anspruch, junges Patientenalter, hohes Ausmaß an bestehender Instabilität und das Vorhandensein von Begleitverletzungen sind Indikatoren, die in der Empfehlung einer operativen Therapie resultieren sollten. Daneben gilt es selbstverständlich, das perioperative Risiko aufgrund von Vorerkrankungen und weiterer Faktoren gegen den Nutzen der Maßnahme abzuwägen. Ist die Entscheidung zur operativen Therapie gefallen, so sollte in einer individuellen Berücksichtigung die Wahl des passenden Transplantates erfolgen. Hierbei scheint sich, im Hinblick auf Versagensrate oder der Zeit zur Rückkehr zum Sport, kein Transplantat als alleiniger Favorit durchzusetzen. Vielmehr ist neben den patientenspezifischen Faktoren vor allem entscheidend, welche Entnahmemorbidität individuell weniger Nachteile mit sich bringt, auch bezüglich der ausgeübten Sportart, welche mögliche Begleitverletzungen vorliegen und welches chirurgische Therapieverfahren durch die Operateurin/den Operateur routiniert beherrscht wird.
Patellasehne, Quadrizepssehne und Hamstringsehne sind mit individuellen Unterschieden gute Optionen für die Rekonstruktion des VKBs, die Peroneus longus-Sehne und Allografts mit ihren genannten Einschränkungen sind mögliche Alternativen. Ein patientenspezifisches Vorgehen kann das Outcome optimieren (Tab. 1).
Interessenkonflikte:
D. Günther: Arthrex Forschungsförderung; Vortrags-/Beratungshonorare oder Kostenerstattung von Arthrex, Stryker, Storz, Smith&Nephew, Medi, Codon, Anika, Geistlich, RIMASYS, Medical Magnesium; Bezahlte Beratungsleistungen, interne Schulungsvorträge, Gehaltsbezug o.ä.: DIZG
B. Stolz: keine angegeben
Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Daniel Günther,
MHBA, FACS
Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie
und Sporttraumatologie
Krankenhaus Köln-Merheim
Klinikum der Universität Witten/
Herdecke
Ostmerheimer Str. 200
51109 Köln
guentherd@kliniken-koeln.de