Übersichtsarbeiten - OUP 06/2024
Vorderer KreuzbandersatzWann und welches Transplantat?
Bei Operationsindikation ist die anatomische VKB-Rekonstruktion die operative Therapie der Wahl. Die Bandrekonstruktion mit einem autologen Sehnentransplantat ist der Goldstandard. Leistungssportlerinnen und -sportler können von einer frühzeitigen operativen Versorgung profitieren. Für alle anderen Patientinnen und Patienten ist zunächst eine mehrwöchige strukturierte Rehabilitation möglich. Anschließend können die Patientinnen und Patienten funktionell getestet und in Coper und Non-Coper eingeteilt werden. Coper können unter klinischer Aufsicht weiterhin funktionell behandelt werden. Um die beeinträchtigte Kinematik des Knies bei Non-Copern wiederherzustellen, kann das gerissene Kreuzband operativ durch ein autologes oder allogenes Sehnentransplantat ersetzt werden.
Transplantatwahl
Hat man die Entscheidung zur operativen Stabilisierung durch eine Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes getroffen, stellt sich die Frage nach der Wahl des Transplantates.
Die am häufigsten verwendeten körpereigenen Transplantate sind die Quadrizepssehne, als Variante mit oder ohne Knochenblock, die Hamstringsehnen, hier vor allem die Semitendinosussehne, ggf. mit zusätzlicher Gracilissehne, und die Patellasehne mit jeweils einem Knochenblock an beiden Enden [6]. Neben diesen Transplantaten gibt es die Möglichkeit, die Sehne des M. peroneus longus als sog. Split-Graft zu verwenden. Zusätzlich zu den autologen finden auch allogene Transplantate, sog. Allografts von Sehnenspendern Verwendung. Hier eignen sich prinzipiell die gleichen Sehnen, die bei der Rekonstruktion mit autologen Transplantaten in Betracht kommen. Zusätzlich werden hier auch die Sehnen des M. tibialis anterior und posterior, sowie die Achillessehne mit kalkanearem Knochenblock verwendet.
Versagensrate
Die Rate an Rerupturen bzw. Transplantatversagen nach VKB-Rekonstruktion mit einem Hamstringsehnentransplantat scheint höher zu sein als die der Rekonstruktion mit einem Patellasehnentransplantat [7]. Auch die Quadrizepssehne scheint im Hinblick auf das Risiko eines Transplantatversagens dem Hamstringsehnentransplantat überlegen zu sein [8, 9]. Es besteht kein signifikanter Unterschied der Versagensrate zwischen Patellasehne und Quadrizepssehne [10].
Biomechanik
Biomechanische Untersuchungen zeigen eine vergleichbare maximale Last bis zum Versagen der 3 hauptsächlich verwendeten Transplantate. Die Quadrizepssehne hat dabei allerdings die höchste Steifigkeit der Transplantate, weshalb sie am wenigsten über die Zeit elongiert [11]. Die Einordnung des Allografts als mögliches Transplantat ist mit gewissen Einschränkungen möglich. Das Risiko für ein Transplantatversagen hängt wesentlich von Begleitfaktoren ab, die einerseits den Spender und andererseits den Prozess der weiteren Verarbeitung und Aufbewahrung betreffen. Eine Hochdosis-Bestrahlung und die chemische Sterilisierung im Rahmen der Aufbereitung können einen negativen Effekt auf Festigkeit und damit die maximal mögliche Last bis zur Ruptur der Sehne haben. Daneben scheint sich ein steigendes Alter der Spenderin oder des Spenders ebenfalls negativ auf die Festigkeit auszuwirken [12]. Zusammenfassend kann das Allograft eine Alternative bei fehlenden Transplantatoptionen aufgrund vorangegangener Eingriffe bzw. bei explizitem Patientinnen- und Patientenwunsch sein[13].
Einheilung und Remodeling
Mit postoperativen Magnetresonanztomografien kann die Einheilung und der Prozess des Remodelings beurteilt werden [14]. Im Hinblick auf die verschiedenen Transplantatoptionen, die als reine Sehnentransplantate oder Sehnentransplantate mit einem Knochenblock an einem oder beiden Enden in Frage kommen, scheint die Knochen-zu-Knochen-Heilung tendenziell schneller voranzuschreiten [15]. Andere Autoren fanden keinen signifikanten Unterschied in der Geschwindigkeit der Einheilung bei den 3 hauptsächlich genutzten Transplantaten [16]. Auch hier kann keine abschließende, eindeutige Aussage zu einem zu präferierenden Transplantat unter diesem Gesichtspunkt getroffen werden.
Entnahmemorbidität
Ein weiterer Aspekt beschäftigt sich mit der Frage einer auftretenden Morbidität im Bereich der Entnahmestelle des Transplantates sowie einer Erhöhung des Risikos möglicher Komplikationen. Postoperativ werden hier vor allem isometrische Krafttests zur Beurteilung eines möglichen Muskeldefizits herangezogen. In der Rehabilitationsphase besteht eine Schwäche der Quadrizepsmuskulatur innerhalb der ersten 5–8 Monate bei Verwendung des Quadrizepssehnentransplantats. Nach 9–15 Monaten ist diese Schwäche aufgehoben [17]. Bei Verwendung von Hamstringsehnen als Transplantat besteht eine diskrete Schwäche der Knieflexoren im Vergleich zur Verwendung der Quadrizepssehne, die sich ebenfalls im Verlauf aufhebt [18]. Im Vergleich von Quadrizepssehne und Patellasehne besteht im Hinblick auf eine mögliche Schwächung der Quadrizepsmuskulatur kein signifikanter Unterscheid [19]. Bei Transplantaten mit Knochenblock, also Patellasehne oder auch Quadrizepssehne kann es zu Verletzungen oder einem erhöhten Risiko für Frakturen im Bereich der Patella kommen, welches mit einer Inzidenz von 0–2 % jedoch gering ausfällt [20]. Entscheidender scheint die entstehende Komorbidität im Sinne eines persistierenden vorderen Knieschmerzes, bzw. ein schmerzhaftes Hinknien zu sein. Dieses Risiko ist bei der Verwendung der Patellasehne signifikant höher als bei der Verwendung der Quadrizepssehne oder Hamstringsehnen [21]. Allografts haben den Vorteil, dass durch die fehlende Entnahme am Körper, die o.g. Morbiditäten nicht auftreten. Dem sind die Nachteile in Bezug auf Einheilungsrate und Transplantatversagensrate gegenüberzustellen.
Infektionsrisiko
Gelenkinfektion nach VKB-Rekonstruktion werden in der Literatur mit einer Prävalenz von 0,48–1,1 % angegeben [22, 23]. Trotz der Seltenheit ist das Auftreten einer Infektion meist prognostisch ungünstig und gefährdet nicht nur den Erhalt des Transplantates und sorgt für meist mehrfache Revisionseingriffe, sondern verzögert und erschwert dadurch auch den Heilungsprozess. Insgesamt scheint das Hamstringsehnen-Transplantat ein höheres Risiko für eine Infektion zu haben als die Quadrizepssehne oder die Patellasehne. Neben der Wahl des Transplantates sind aber auch weitere Risikofaktoren beschrieben, wie eine OP-Dauer von mehr als 70 Minuten oder die alleinige Gabe von Clindamycin als perioperative Antibiotikaprophylaxe [23]. In der Vergangenheit haben sich diesbezüglich bereits Maßnahmen etabliert, die diesem Risiko vorbeugen sollen. Das perioperative Einwirken von Vancomycin auf das Transplantat kann die postoperative Infektionsrate signifikant senken [24].