Übersichtsarbeiten - OUP 05/2017

Weichteilmanagement bei Verletzungen des oberen Sprunggelenks

Vor allem wenn eine VAC-Therapie zur Säuberung des Wundgrunds notwendig wird (Retraktion der Haut), aber auch wenn Hautnekrosen entfernt werden müssen, kann ein spannungsfreier, sekundärer Wundverschluss schwierig oder sogar unmöglich werden. In solchen Fällen sind plastisch-chirurgische Techniken notwendig.

Mobilisation der kurzen
Peronealmuskulatur und Spalthauttransplantation

Falls es nicht gelingt, die Haut spannungsfrei über der distalen Fibula zu verschließen, kann die Weichteildeckung durch eine Mobilisation des M. peroneus brevis in der Visiertechnik nach Pers et al. [18] mit distaler Durchtrennung der Sehne auf Höhe der Fibulaspitze erzielt werden. Voraussetzung ist, dass ein ausreichend nach distal reichender Muskelbauch vorhanden ist. In der eigenen Praxis erfolgt die unmittelbare Spalthauttransplantation auf den Muskel sowie die Deckung mittels Vakuumversiegelung, wobei darauf zu achten ist, dass der Sog 60 mmHg nicht überschreitet.

Lokale Lappenplastiken

Falls eine lokale Deckung durch das oben genannte Verfahren aufgrund der Defektgröße nicht möglich ist, müssen weitere plastisch-chirurgische Techniken zum Zuge kommen. Als einfachstes Verfahren gilt hierbei der distal gestielte, fasziokutane oder adipofasziale Suralislappen, welcher aber vor allem bei adipösen Patienten aufgrund von Problemen der Lappendicke und dem Verschluss der Hebestelle Probleme machen kann. Der Suralislappen ist der einzige regionale Lappen, welcher ohne mikrochirurgische Expertise zur Defektdeckung rund um das Sprunggelenk, sowohl am Innenknöchel als auch am Außenknöchel verwendet werden kann (Abb. 5).

Weitere regionale Lappenplastiken bedürfen der Expertise in mikrochirurgischer Präparationstechnik. Eine enge Kooperation und interdisziplinäre Kommunikation mit der Plastischen Chirurgie ist hierbei oft von Vorteil. Dies gilt sowohl für die Varianten des M. peroneus brevis Lappens als distal gestielter muskulärer oder osteomuskulärer Lappen [19, 20] als auch für die kleinen Muskellappen der Abduktoren von Groß- und Kleinzehen. Auch für perforatorbasierte Propellerlappen (Abb. 6a-c), welche ein Optimum an vergleichbarer Gewebedicke, Farbe und Textur liefern, ist die Präparation in Blutsperre unter Lupenbrillensicht und mit mikrochirurgischem Instrumentarium Pflicht. Die distalen Perforatorcluster der A. tibialis anterior und posterior eignen sich für Lappenplastiken zur Deckung rund um das Sprunggelenk [22]. In ausgewählten Fällen ist auch ein Propellerlappen an den Perforatoren der A. fibularis zur Defektdeckung am Außenknöchel möglich [23].

Freie Lappenplastiken

Aufgrund der anatomischen Form des Sprunggelenks sind klassischerweise die oben beschriebenen regionalen Defektdeckungsverfahren nur begrenzt möglich und freie mikrovaskuläre Transplantate müssen entsprechend der Defektgröße und Form ausgewählt werden. Die zu transplantierenden Gewebekomponenten, Dicke, Textur und Hebestelle der Lappen werden nach Rücksprache mit dem Patienten individuell ausgewählt und in Abhängigkeit vom bestehenden Defekt für die jeweilige Situation hin ausgewählt [24]. Beispiele für freie Lappendeckungen am oberen Sprunggelenk sind der Anterior-lateral-thigh (ALT)-Lappen oder auch der Radialislappen (Abb. 7 a–c). Eine präoperative Angiografie zählt hierbei heute zum Standard. Bei gefäßkompromittieren Beinen ist hierbei der arterielle End-zu-Seit-Anschluss des Lappens an die Unterschenkelgefäße zu bevorzugen. In Extremfällen können mit interdisziplinärer Planung freie Lappentransplantate auch an vaskuläre autologe oder alloplastische Bypässe angeschlossen werden („Piggy-back-Verfahren“) oder temporäre arteriovenöse Gefäßschleifen zum Anschluss des Transplantats an einen proximal gelegenen Gefäßabschnitt mit besserem Perfusionsstatus dienen.

Das Lappentransplantat sollte individualisiert für den Fall ausgewählt werden. Grundsätzlich gilt, dass bei nachgewiesener Keimfreiheit sowohl (faszio-)adipokutane Lappenplastiken als auch Muskeltransplantate zur Knochendeckung geeignet sind. Hohlräume sollten mit Muskelgewebe plombiert werden. Sind größere, ggf. auch strukturelle Knochendefekte vorhanden, kann eine vaskularisierte Knochentransplantation einen späteren Eingriff mit Spongiosatransplantation ersetzen. Interdisziplinäre Therapieplanung und Kommunikation sind hier wichtig, denn das spätere Wiederanheben eines Lappens zur Spongiosa- oder Beckenkammknochentransplantation kann das Transplantat gefährden. Bei der Auswahl des Rekonstruktionsverfahrens sind Schuhversorgungen, Integumentdicke und Anforderungsprofil des Patienten grundsätzlich immer mit zu berücksichtigen. Sowohl nach gestielter als auch freier Lappenplastik am Sprunggelenk empfehlen wir eine Versorgung mit Kompressionssocken für 3–6 Monate.

Bei Patienten mit Weichteildefekten über der distalen Fibula, bei welchen aufgrund einer schlechten lokalen Durchblutung weder lokale noch freie plastisch-chirurgische Deckungsverfahren angewendet werden können, ist als Rettungseingriff die Resektion der distalen Fibula zu erwägen.

Resektion der distalen Fibula und Implantation eines retrograden Arthrodesennagels

Im eigenen Vorgehen erfolgt hierbei nach Resektion der distalen Fibula die Entfernung der tibialen und der talaren Knorpelflächen im Bereich des OSG und die retrograde Arthrodese- Marknagelung in Bauchlage. Nach Entfernung des Knochens kann häufig ein spannungsarmer Verschluss der Haut über der distalen Tibia bzw. der Arthrodesenregion erfolgen (Abb. 8a–g).

Wenn nach Ausschöpfung aller o.g. Maßnahmen der Weichteilverschluss nicht möglich ist, bleibt als letzte Maßnahme nur noch die Amputation im oberen Drittel des Unterschenkels.

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Christopher Bliemel

Zentrum für Orthopädie und
Unfallchirurgie

Universitätsklinikum Marburg

Baldingerstraße

35043 Marburg

bliemel@med.uni-marburg.de

Literatur

1. Daly PJ, Fitzgerald RH, Melton LJ, Ilstrup DM: Epidemiology of ankle fractures in Rochester, Minnesota. Acta Orthop Scand 1987; 58: 539–44

2. Bengnér U, Johnell O, Redlund-Johnell I: Epidemiology of ankle fracture 1950 and 1980. Increasing incidence in elderly women. Acta Orthop Scand 1986; 57: 35–7

3. Jensen SL, Andresen BK, Mencke S, Nielsen PT: Epidemiology of ankle fractures. A prospective population-based study of 212 cases in Aalborg, Denmark. Acta Orthop Scand 1998; 69: 48–50

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