Übersichtsarbeiten - OUP 03/2016
Wiederkehr zum Sport nach VKB-RekonstruktionEmpfehlungen der DKG-Expertengruppe LigamentRecommendations of the DKG ligament expert group
Eine Umfrage unter den Instruktoren der Deutschsprachigen Gesellschaft für Gelenkchirurgie (AGA) hat dagegen ergeben, dass die Mehrzahl der Operateure einen zeitlichen Abstand von 6 Monaten als zu früh für eine sichere Wiederkehr zum Wettkampfsport ansieht (Abb. 1) [46].
Der Faktor Zeit ist im Hinblick auf eine sichere Wiederkehr zum Sport dabei zwar kein sicherer, jedoch auf verschiedene Weise relevanter Faktor. Einerseits wird das Transplantat postoperativ nekrotisch und baut sich in eine ligamentäre Struktur um [1, 14, 18, 27, 28, 30, 41]. Andererseits kommt es, bedingt durch das OP-Trauma, Teilbelastung und Bewegungslimitierung zu Störungen von Kraft, Balance und Koordination.
Ziel dieser Arbeit ist es, anhand von Daten aus dem Schrifttum unter Berücksichtigung der genannten Faktoren Kriterien zu definieren, die bei der Entscheidung, ob und wann ein Sportler zum Wettkampfsport zurückkehrt, hilfreich sein können. Aus diesen Kriterien soll ein Algorithmus entwickelt werden, der sowohl für Breiten- als auch für Leistungssportler gelten kann. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen außerdem als Grundlage für einen Konsensus-Prozess zu diesem Thema dienen.
Grundlagen zur Entscheidungsbildung
Rerupturraten und Risikofaktoren
Die im Schrifttum angegebenen Rerupturraten variieren zwischen 0 und 19 % für die ipsilaterale Seite, die Prävalenz für eine Ruptur der unverletzten Gegenseite liegt zwischen 7 und 24 % (Tab. 1) [24, 29, 34, 48, 56].
Als Risikofaktoren für eine Reruptur der operierten Seite gelten im Allgemeinen ein Alter unter 20, weibliches Geschlecht, eine hohe sportliche Aktivität und das Betreiben von Risikosportarten (z.B. Fußball, Handball, Basketball, Alpinski) [5, 16]. Auch rein biologische Faktoren bzw. eine unzureichend kurze Rehabilitationszeit werden immer wieder als Gründe eines Transplantatversagens aufgeführt [61]. Alle genannten Risikofaktoren sollten im Hinblick auf die Entscheidung berücksichtigt werden, wann ein Sportler zum Wettkampfsport zurückkehrt.
Auch die hohe Prävalenz an Rupturraten der unverletzten Gegenseite kann verschiedene Gründe haben. Am wahrscheinlichsten sind jedoch neuromuskuläre Faktoren, die als eigenständiger Risikofaktor an sich durch eine verletzte Gegenseite noch verstärkt werden und eine vielleicht vorbestehende funktionelle Valgus-Stellung fördern [22]. Zumindest bei weiblichen Athleten konnte ein Zusammenhang zwischen dynamischem Valgusdrift und der Verletzungsprävalenz aufgezeigt werden. [22, 40, 42]. Für männliche Athleten stehen umfassende Analysen noch aus. Wahrscheinlich können die Ergebnisse von den weiblichen Athleten auf die Männer übertragen werden.
Quasi bestätigend hierfür konnten Videoanalysen zeigen, dass bei den primären Verletzungsmechanismen die „Nicht-Kontakt-Mechanismen“ dominieren [22], die Verletzung also ohne Gegenkontakt geschieht.
Risikoathleten zeichnen sich durch Bewegungsmuster aus, die der Position der unteren Extremität in der Verletzungssituation ähnlich sind: Landen nach einem Sprung mit valgischer Kniestellung (Frontalebene) mit nur leichter Beugung und dem Körperschwerpunkt hinter dem Kniegelenk (Sagittalebene) [22, 42]. Die valgische Kniestellung wird auch als medialer Kollaps oder funktioneller Valgus bezeichnet [22] (Abb. 2).
Im Prinzip kann der verletzungsfördernde Valgusdrift kurz nach der einbeinigen Lande- oder Stabilisationsphase durch eine fehlende exzentrische Kraft des Quadrizepsmuskels, fehlende Kraft der Hüftstabilisatoren mit konsekutivem Abkippen des Beckens zur Gegenseite, eine übermäßige Eversion des unteren Sprunggelenks, fehlende koordinative und propriozeptive Fähigkeiten oder eine Kombination aus den genannten ausgelöst werden (Abb. 2)
Athleten mit derartigen Bewegungsmustern müssen im Rahmen der Rehabilitation nach VKB-Ersatzplastik identifiziert werden. Spätestens bei der Return-to-competition-Entscheidung sollte versucht werden, diese Bewegungsmuster mit einfachen Tests zu erfassen. Präventionsstudien haben gezeigt, dass die gefährdenden Bewegungsmuster durch spezielle Trainingsprogramme modifiziert und die Verletzungsraten mit diesen Maßnahmen reduziert werden können [22, 42]. Diese Programme umfassen Balanceübungen, Sprungübungen und spezielle Kräftigungsprogramme für die schützenden Beuger sowie den stabilisierenden Quadrizeps sowie die Abduktoren der Hüfte.
Einheilung und „Remodeling“ von Kreuzbandtransplantaten – Faktor Zeit
Unabhängig von jeglichen Risikofaktoren ist die biologische Heilung eines versorgten Kreuzbands grundlegend für eine valide Return-to-play-Entscheidung. Allein hier „fordert die Natur quasi ihre ausreichende Zeit!“
Bei der Kreuzbandersatzplastik wird das geschädigte vordere Kreuzband durch ein freies Sehnentransplantat ersetzt [43, 45]. Als autologe Sehnentransplantate kommen die Semitendinosus- und Gracilissehnen, die Patellarsehne und die Quadrizepssehne in Frage. Allogene Transplantate spielen in Deutschland nur im Bereich der Revisionschirurgie eine Rolle.
Die Kreuzbandtransplantate werden in Knochentunneln verankert und mit Implantaten (Interferenzschraube, Kippanker, transversale Stifte etc.) fixiert. In der Folgezeit muss das Transplantat im Knochen einheilen [43, 52].
Zur Einheilung von Sehnen in den Knochen liegen Daten aus Tierversuchen vor. Rodeo et al. [50] haben in einem Hundemodell gezeigt, dass die knöcherne Einheilung in den ersten postoperativen Monaten erfolgt. In der ersten Woche formte sich eine Schicht aus lockerem Bindegewebe zwischen Transplantat und Knochen, die sogenannte fibröse Zwischenzone. In der folgenden Einheilung wird das Transplantat über Kollagenfasern mit dem Knochen verbunden: Diese Fasern ähneln histologisch Sharphey‘schen Fasern [43]. Im Versagenstest kam es nach 8 Wochen noch zum Ausreißen der Transplantate aus dem Tunnel. Erst nach 12 Wochen waren die Transplantate eingeheilt. Diese Zeiten lassen sich nicht unbedingt auf den Menschen übertragen. Nach Einschätzung von Rodeo et al. [50] dauert die Sehnen-Knochen-Heilung beim Menschen wahrscheinlich doppelt so lange wie beim Hund. Diese Hypothese wird von neueren MRT-Studien unterstützt [2]. Danach waren die Knochentunnel noch nach 6 Monaten von einem deutlichen Ödem umgeben. Die Resorption von abbaubaren Interferenzschrauben kann bis zu 24 Monate dauern [3].