Übersichtsarbeiten - OUP 03/2016
Wiederkehr zum Sport nach VKB-RekonstruktionEmpfehlungen der DKG-Expertengruppe LigamentRecommendations of the DKG ligament expert group
Von der Knochen-Sehnen-Heilung wird der Prozess der Umwandlung des Sehnentransplantats in ein Band („Remodeling“) unterschieden [27, 28, 41, 52]. Das von der Blutgefäßversorgung getrennte Sehnentransplantat wird zunächst partiell nekrotisch und muss in der Folgezeit revaskularisiert werden. Fibroblasten wachsen ein und neues Kollagen wird synthetisiert. Durch die neue funktionelle Beanspruchung kommt es anschließend zu einem Umbau in ein Band.
Dieser Prozess kann aufgrund von aus Tierversuchen gewonnener Daten in 3 verschiedene Phasen unterteilt werden:
- 1. Frühe Heilungsphase,
- 2. „Remodeling“-phase und
- 3. Reifungsphase [41].
Angaben zur Dauer dieser Phasen im Tiermodell variieren zwischen 2 und 6 Wochen und 6 und 12 Monaten [1, 14, 30, 41, 55].
Auch an menschlichen Transplantaten ließen sich die genannten 3 Phasen nachweisen [27, 55]. An menschlichen Transplantaten war die Dauer der einzelnen Phasen jedoch deutlich länger als im Tiermodell. Die Angaben im Schrifttum zur Dauer der frühen Heilungsphase variieren zwischen 3 und 6 Monaten; die Angaben zur Dauer der „Remodeling“-Phase variieren zwischen 3 und 12 Monaten und die Angaben zur Dauer der Reifungsphase variieren zwischen 4 und 36 Monaten [1, 14, 30, 41, 55]. Im Hinblick auf die Dauer der einzelnen Phasen bestand kein Unterschied zwischen Beugesehnen und Patellarsehnentransplantaten. Bei Beugesehnentransplantaten setzten die Heilungsphasen jedoch um 6 Monate zeitversetzt später ein. Ein Problem bei der Interpretation der menschlichen Biopsiestudien ist, dass keine biomechanischen Daten zur Transplantatstabilität existieren.
Fazit für die Praxis
Im Schrifttum wird in vielen Studien ein 6-Monats-Zeitraum als einziges Kriterium bis zur Wiederkehr zum Sport angegeben [8]. Auch eine Umfrage unter den Instruktoren der Deutschen Gesellschaft für Gelenkchirurgie (AGA) hat gezeigt, dass viele Operateure VKB- Patienten nach 6 Monaten zum Sport zurücklassen [46]. Daher erfolgt in der Praxis die Belastung der Transplantate durch sportliche Betätigung zu einer Zeit, in der die Sehne zwar knöchern eingeheilt ist, der Umbau zu einem Band aber noch nicht abgeschlossen ist. Das bedeutet, dass die funktionelle Stabilität (neuromuskuläre Stabilisatoren) des Kniegelenks in dieser Phase optimal sein muss, um das sich noch im Umbau befindliche Transplantat zu schützen.
Gelenkfunktion nach
VKB Ersatzplastik
Durch das Unfall- und Operationstrauma kommt es zu Störungen der Gelenkfunktion. Diese Störungen umfassen Schmerz, Schwellung, Bewegungseinschränkungen und eine verminderte passive Stabilität [46]. Im Verlauf der Rehabilitation normalisieren sich diese Symptome. Bleibt eine Besserung aus, deuten diese Faktoren oft auf eine strukturelle Gelenkstörung hin, sie können im Einzelfall aber auch Ausdruck einer nozizeptiv bedingten Schonhaltung sein. Schmerz, Ergussbildung und Bewegungseinschränkungen können auf Cyclops-Läsionen, Arthrofibrosen, Infekte oder Fehlpositionen der Knochentunnel hindeuten. Passive Instabilitäten können durch Reruptur oder Tunnelfehlpositionen bedingt sein.
Fazit für die Praxis
Aus diesem Grunde kommt der Normalisierung der Gelenkfunktion im Rahmen der Return-to-play-Entscheidung eine grundlegende Bedeutung zu. Ohne „normale“ Gelenkfunktion kann eine Entscheidung zu einem „Return to Play“ nicht getroffen werden!
Kraftentwicklung nach
VKB-Ersatzplastik
Verschiedene systematische Reviews haben gezeigt, dass Kraftdefizite längere Zeit nach Ersatzplastik des vorderen Kreuzbands persistieren können [47, 62]. Alle Studien konnten 6 Monate nach der Operation noch relevante Kraftdefizite nachweisen [47, 62]. Diese betreffen vornehmlich die Beuger und den M. quadrizeps. Der M. quadrizeps war verstärkt nach Patellarsehnenentnahme geschwächt, wobei die Flexoren vor allem nach Semitendinosus/Gracilis-Sehnen-Entnahme geschwächt waren [23, 47, 62]. Beide Muskelgruppen sind im Hinblick auf die Entstehung von Rerupturen bedeutsam. Die Quadrizepskraft korreliert mit gefährdenden Bewegungsmustern bei Sprüngen [57]. Die Beuger wirken unter funktionellen Gesichtspunkten agonistisch zum vorderen Kreuzband [35].
Einige Studien konnten auch postoperative Defizite im Bereich der Hüfte und des Fußes aufzeigen [47, 62]. Auch Hüftmuskeldefizite können im Hinblick auf die Entstehung von Rerupturen relevant sein. Wie bereits unter „Risikofaktoren“ erwähnt, können Hüftmuskel-Defizite die Rotation der unteren Extremität entscheidend negativ beeinflussen und eine funktionelle Valgusposition des Kniegelenks fördern [22, 44]. Die funktionelle Valgusstellung kann indes zum medialen Kollaps führen (oder umgekehrt).
Fazit für die Praxis
Die postoperativen muskulären Defizite sollten bei der Return-to-Play-Entscheidung berücksichtigt werden. In den meisten Studien werden isokinetische Messverfahren bei verschiedenen
Winkelgeschwindigkeiten (60°/sec, 180°/sec) eingesetzt [47, 62]. Einfache Methoden zur Kraftanalyse sind die Bestimmung der Umfang-Maße des Ober- und Unterschenkels, Maximalkrafttests mit Geräten oder der Trendelenburg-Test zur Erfassung von Hüftabduktor-Defiziten.
Neuromuskuläre Kontrolle des Kniegelenks –
funktionelle Stabilität
Sportliche Aktivitäten, aber auch Aktivitäten des alltäglichen Lebens, erfordern eine koordinierte neuromuskuläre Kontrolle des Kniegelenks. Eine Ruptur des vorderen Kreuzbands kann zu schweren funktionellen Störungen der neuromuskulären Kontrolle führen, die nicht abhängig von der anterioren Laxität ist [15, 53, 54, 58].
Ursächlich für eine gestörte neuromuskuläre Kontrolle sind wahrscheinlich intermuskuläre koordinative Defizite der muskulären Agonisten (Beuger) und Antagonisten (M. quadrizeps) des vorderen Kreuzbands. Diese werden wahrscheinlich verursacht durch Verlust an Propriozeption durch die Kreuzbandruptur. Es wird vermutet, dass Subluxationen und Rerupturen über eine Verbesserung der neuromuskulären Kontrolle verhindert werden können [15, 22, 32, 42]. Dieser Zusammenhang wird auch als funktionelle Stabilität bezeichnet [15, 22, 32].
Über neuromuskuläre Kontrollmechanismen können manche Individuen mit einer VKB- Ruptur den Verlust an passiver Stabilität nahezu vollständig kompensieren (Kompensierer – Coper) [15, 38, 53, 54, 58].
Es besteht Evidenz, dass nach einer Kreuzbandersatzplastik für mehrere Monate postoperativ deutliche Defizite in der Propriozeption, Balance und neuromuskulären Koordination bestehen [10, 11, 13, 17, 39, 59, 60]. Bonfirm et al. [10] berichten, dass neuromuskuläre Defizite nach einer vorderen Kreuzbandersatzplastik bis zu 12–30 Monate persistieren können. Biomechanische Untersuchungen konnten Veränderungen in der Knie-Kinematik beim Gehen noch nach 3 Monaten, beim einbeinigen Landen nach einem Sprungs noch nach 4–12 Monaten und beim Bergabgehen noch nach 5–12 Monate nach einer VKB-Ersatzplastik nachweisen [11, 13, 59].