Informationen aus der Gesellschaft - OUP 09/2013
Wir und unser FachFestrede des Präsidenten zum VSOU-Kongress 2013 Baden-Baden
Dass man nach einem Zusammengehen der Fächer genauso weitermachen konnte wie vorher, war nicht zu erwarten. Es sollte etwas Neues entstehen, aber hat man das genügend überlegt und vorbereitet oder hat man es auch den Göttern überlassen? Die Vereinigung von Orthopädie und Unfallchirurgie hat natürlich, aber unerwartet, zur Verschiebung von Schwerpunkten geführt. Mit vielen Phänomenen haben wir bereits gelernt, umzugehen, mit anderen tun wir uns noch schwer: z.B., dass Orthopäden und Unfallchirurgen neuer Prägung widersinnigerweise in der selbstständigen, freiberuflichen Struktur nicht mehr wird unfallchirurgisch tätig sein können. Als „gewöhnlicher“ Facharzt wird er nämlich keine BG-Zulassung mehr bekommen und er wird auch keine Teilradiologie mehr haben. Während der Weiterbildung zum normalen Orthopäden und Unfallchirurgen wird der Assistent keine Ausbildung in Teilradiologie mehr erfahren. „Braucht er auch nicht“, wird der Kundige antworten, weil man mit den RLVs und QZVs aktueller Prägung eine entsprechende apparative Struktur nicht mehr vorhalten kann. Ob es dadurch besser wird?
Gleichermaßen wird die Sonografie, und speziell die Säuglings-Hüftsonografie aus den Praxen der Orthopäden und Unfallchirurgen verschwinden, weil sie über die U3 in die Hände der Pädiater gelangt ist. Aber auch deshalb, weil bei der derzeitigen QZV-Sonografie die Amortisationszeit eines entsprechenden Ultraschallgeräts bei ungefähr 400 Jahren liegt. Trotzdem: Eine 3A-Hüfte in der Praxis gut zu behandeln, gehört weiterhin zu den Höhepunkten der orthopädischen Tätigkeit.
Vielleicht ist es aber auch historisch folgerichtig, dass die Sonografie der Säuglingshüfte in die pädiatrische Praxis geht. Das lässt sich bisher nicht entscheiden, ein Verlust ist es allemal. Dass aber pädiatrisch präsidierte Qualitätskontrollgremien bisweilen erhebliche Mängel in der orthopädisch-sonografischen Arbeit an der Säuglingshüfte feststellen müssen, sollte uns extrem nachdenklich stimmen. Hier ist es nicht mehr angezeigt, noch Unbill im Außen suchen zu wollen.
Die Rheumatologie macht ihre größten Fortschritte auf dem Gebiet der Pharmakologie. So große Fortschritte, dass die Synovektomien der großen und kleinen Gelenke einen dramatischen Rückgang erfahren, was aus der Sicht des Patienten ein Glücksfall ist, aber wieder hat der Organfacharzt eine Aufgabe weniger. Auch hier dürfen wir uns die Frage stellen, warum können Orthopäden nicht flächendeckend mit Biologicals umgehen und warum sind sie nicht in der Lage, die internistischen, meist laborchemischen, Kontrollen bei Therapie mit DMARDS eigenverantwortlich durchzuführen?
In der Schmerztherapie haben wir vor 15 Jahren angesichts der vor allem von anästhesiologischen Gesellschaften formulierten schmerztherapeutischen Curricula, noch vollmundig gesagt: Das haben wir doch schon immer so gemacht, das ist doch selbstverständlich unser Job. Die Gestalter der Gebührenwerke haben uns dann sehr schnell eine andere Realität gelehrt, wodurch wir definitiv eines wesentlichen Bestandteils unserer damaligen Arbeit beraubt wurden. Es waren vor allem die Gründer der IGOST und ihre Nachfolger, die die Wege aufgezeigt haben, wie wir in der Schmerzbehandlung noch Fuß fassen konnten; und viele von uns haben vor Ablauf der Übergangsfristen noch den Sprung gewagt, an der Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten teilzunehmen. Dennoch sind sie eine Minderheit geblieben. Vor Galens großer Aussage „divinum est sedare dolorem“ eigentlich unverständlich und angesichts der Tatsache, dass 80 Prozent aller relevanten Schmerzdiagnosen das Bewegungsorgan betreffen, nicht nachvollziehbar.
Schmerztherapie und
konservative Inhalte als
zentrales Anliegen von O&U
Die nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz weist heute insbesondere den psychotherapeutischen Verfahren, und in erster Linie der kognitiven Verhaltenstherapie als evidenzbasiert wirksames Verfahren beim chronischen, nicht spezifischen Kreuzschmerz die größte therapeutische Bedeutung zu. Physikalische Therapie und alle Arten von Injektionen fallen demgegenüber vor den Scharfrichtern der evidenzbasierten Medizin gänzlich durch. Die Kritik, dass der „nichtspezifische Kreuzschmerz“ als Eingangsentität der NVL unzureichend definiert sei und deshalb auch die therapeutischen Ableitungen nicht valide seien, ist einerseits richtig, eine solide Untergruppenbildung beim „nichtspezifischen Kreuzschmerz“ ist eine noch immer ausstehende Herausforderung. Andererseits hat das Organfach es bisher genauso wenig geschafft, auch nur im Ansatz zu definieren, was ein „spezifischer Kreuzschmerz“ ist, wenn wir von den sogenannten Red flags einmal absehen. Eine DGOOC-Leit-
linienkommission hat gerade die Arbeit daran aufgenommen.
Was bedeutet dies für den Orthopäden und Unfallchirurgen der Zukunft? Wird er auch, was den Kreuzschmerz betrifft, zuschauen, wie er in andere Fachgebiete abdriftet, insbesondere in die internistische Rheumatologie, die physikalische und rehabilitative Medizin, die Pädiatrie, die Anästhesiologie, die Sportmedizin und auch zu großen Anteilen in die nicht ärztlichen Berufsgruppen wie Physiotherapeuten und Masseure und am Ende auch in die Gruppen der nicht definierten Osteopathen und Laientherapeuten?
Der notwendige Blick in die Grundlagenforschung
Aus dem Bereich der Erfolgsphilosophie der Wirtschaftsunternehmen stammt folgender Leitsatz: „Die Lösung vieler Probleme liegt nicht auf der Ebene, auf der das Problem selbst angesiedelt ist, sondern auf der nächsthöheren.“ Das heißt für uns: Kreuzschmerzen haben nicht nur ein morphologisches Korrelat oder etwas, was wir dafürhalten, sondern einen Überbau, der uns weit in zum Teil gänzlich andere Fächer führt. Die Ursache dafür, dass viele Teilgebiete unseres Fachs in andere Hände wandern, liegt darin begründet, dass die wissenschaftlichen Fortschritte in diesen Teilgebieten nicht innerhalb klassischer Themenkreise der Orthopädie und Unfallchirurgie gemacht werden, sondern in anderen Fachgebieten, wie Biochemie, Pharmakologie, Membranphysiologie, Psychologie und anderen Fächern.
An dieser Stelle möchte ich ganz besonders auf unsere Special Lectures „Schmerzen verstehen – Schmerzen behandeln“ hinweisen, wo international renommierte Grundlagenforscher aus ihren Fachgebieten berichten, welche Bedeutung ihre Forschung für Assessment und Therapie von Kreuzschmerzen haben könnte, u.a. aus der Neurophysiologie, Hirnforschung und der funktionellen Bildgebung.