Übersichtsarbeiten - OUP 11/2017

Worauf müssen wir beim Einsatz von Metamizol achten?

Jörg Jerosch1, Andreas Breil-Wirth1

Zusammenfassung: Der vorliegende Artikel bespricht die juristischen Aspekte, die bei der Gabe von
Metamizol zu bedenken sind. Allgemein wird das Risiko einer Agranulozytose geschätzt auf etwa 1 zu 30.000. Eine vom Hersteller akzeptierte und in der Literatur vielfach publizierte Anwendung ist die, dass Novalgin dann einzusetzen ist, wenn andere Therapien kontraindiziert sind. Hinsichtlich der Aufklärung gilt es hierbei, 2 Dinge zu betrachten. Zum einen sollte der Patient im Rahmen der Risikoaufklärung auf das
Risiko der Agranulozytose aufmerksam gemacht werden. Zum zweiten sollte er im Rahmen der Sicherungsaufklärung den Hinweis erhalten, dass er sich bei auftretenden Infektzeichen (Hals-Nasen-Rachen-Infekte etc.) unmittelbar in einer Klinik vorstellt und mitteilt, dass er Novalgin erhalten hat. Ideal wäre auch die Empfehlung, etwa eine Woche nach Beginn der Novalgin-Therapie ein Blutbild anfertigen zu lassen.

Schlüsselwörter: Metamizol, Risiken, Aufklärung

Zitierweise
Jerosch J, Breil-Wirth A: Worauf müssen wir beim Einsatz von Metamizol achten?
OUP 2017; 9: 577–581 DOI 10.3238/oup.2016.0577–0581

Summary: The present article is about medicolegal aspects, which have to be considered, if metamizole is used. The risk for an agranulocytosis is considered to be 1:30.000. One general accepted indication is the use of metamizole, if other pain medications are contraindicated. Concerning the patient information, the doctor has to consider the risk information as well as the therapeutic information. Ideally the patient is advised to perform a blood test one week after starting the medication.

Keywords: Metamizole, risks, patient information

Citation
Jerosch J, Breil-Wirth A: What do we have to consider when using
Metamizole?
OUP 2017; 9: 577–581 DOI 10.3238/oup.2016.0577–0581

Einleitung

Orthopäden und Unfallchirurgen sind seit langem die Gefahren der traditionellen und selektiven nichtsteroidalen Antirheumatika im Rahmen der Schmerztherapie bekannt. Gleichzeitig sind viele unserer Schmerzpatienten mit den typischen Arthrose- oder Rückenbeschwerden so multimorbide, dass sie auch eine Vielzahl von Begleitmedikationen benötigen bis hin zu Gerinnungshemmern.

Da die Grunderkrankungen und Begleitmedikation oft Kontraindikation zur Verordnung von nichtsteroidalen Antirheumatika ergeben, wird in der orthopädischen Schmerztherapie gerne auf Metamizol zurückgegriffen. Hier wird bei den orthopädisch/unfallchirurgisch tätigen Kollegen in der Regel übersehen, dass es hierzu bestimmte Rahmenbedingungen zu beachten gibt.

Metamizol (Wirkstoffname: Novaminsulfon) ist ein nicht opioides Analgetikum und Antipyretikum aus der Gruppe der Pyrazolone; das Präparat ist insgesamt gut verträglich und in Deutschland ein sehr verbreitetes Mittel zur Schmerzlinderung und Fiebersenkung.

Prinzipiell sind natürlich auch Opioide wie Tramal oder Tilidin als Schmerzmittel zu verordnen. Aufgrund der speziellen Nebenwirkungen, insbesondere der zentralen Dämpfung, wird hierdurch jedoch eine Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit, des Reaktionsvermögens und der Konzentrationsfähigkeit sowie der Vigilanz herbeigeführt. Das ist bei berufstätigen Personen, die regelmäßig Kraftfahrzeuge fahren, somit mit Vorsicht zu betrachten.

Indikationsliste
für Metamizol

In Deutschland ist Metamizol mit strengen Auflagen hinsichtlich der Indikation versehen:

akute starke Schmerzen nach Verletzungen oder Operationen

schmerzhafte Koliken

Tumorschmerzen

sonstige akute oder chronische starke Schmerzen, soweit andere therapeutische Maßnahmen kontraindiziert sind,

hohes Fieber, das auf andere Maßnahmen nicht anspricht.

Auf diese Indikationsbeschränkung hat das Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte (BfArM) zusammen mit dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in einem Bulletin zur Arzneimittelsicherheit hingewiesen. Für den orthopädischen Schmerztherapeuten gilt somit, dass Metamizol auf keinen Fall als Medikament im Rahmen der „Erstlinientherapie“ anzusehen ist. Eine vom Hersteller akzeptierte und in der Literatur vielfach publizierte Anwendung ist die, dass Novalgin dann einzusetzen sei, wenn andere Therapien kontraindiziert sind. Hier ergibt sich aus der bereits oben aufgeführten Problematik bei unseren Schmerzpatienten ein entscheidender Aspekt. Bei vielen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Magen-Darm- oder Nieren-Erkrankungen sind nichtsteroidale Antirheumatika kontraindiziert.

Nebenwirkungen
von Metamizol

Metamizol zeigt in vielen Untersuchungen einen besonderen Stellenwert für die kausale Entstehung einer Agranulozytose. Ibanez et al. [14, 15] zeigen, dass Metamizol das höchste Risiko für die Entstehung einer Agranulozytose aufweist. Huber et al. [12] zeigten ebenfalls, dass Metamizol mit einem Anteil von 30 % das am häufigsten Agranulozytose verursachende Medikament ist. Die Häufigkeit der Metamizol-induzierten Agranulozytose, bezogen auf die Zahl von Verschreibungen/Anwendungen, wurde in verschiedenen Studien zwischen 1:1439 Verschreibungen [9] und 1:1,1 Millionen pro Woche Anwendung [16] angegeben. Die erste Angabe stellt vermutlich eine Überschätzung dar. In den vergangenen 20 Jahren sind im Rahmen einer sogenannten Spontanerfassung in Deutschland etwa 400 Fälle von Metamizol-induzierten Agranulozytosen berichtet worden [26]. Allein im Jahr 2011 wurden 31 Fälle gemeldet, von denen 6 einen tödlichen Verlauf nahmen. Allgemein wird das Risiko einer Agranulozytose geschätzt auf etwa 1:30.000.

Aufgrund dieser Zusammenhänge wurde Metamizol in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts in vielen Ländern vom Markt genommen, u.a. in den USA, Australien, Japan sowie in vielen Ländern der Europäischen Union. In Deutschland wurden im Jahr 1987 alle Metamizol-haltigen Kombinationspräparate vom Markt genommen, die Monopräparate der Rezeptpflicht unterstellt und die Indikationen auf eine Zweitlinientherapie beschränkt. Die Fachinformation von Metamizol empfiehlt weiterhin: „Bei längerfristiger Therapie mit Novalgin sind regelmäßige Blutbildkontrollen einschließlich Differenzialblutbild erforderlich.“

Wann kann der Orthopäde und Unfallchirurg Metamizol in der Schmerztherapie
einsetzen?

In Anlehnung an das WHO-Stufenschema stehen 4 Stufen mit Analgetika bzw. Maßnahmen steigender Potenz zur Verfügung, wobei in der Regel mit Stufe 1 begonnen und bei ausbleibender Wirkung zu Medikamenten der nächst höheren Stufe übergegangen wird. Den einzelnen Stufen sind folgende Wirkstoffgruppen zugeordnet:

  • Stufe 1: nichtopioide Analgetika (Metamizol, Paracetamol, Diclofenac, u.a.
  • Stufe 2: schwache Opioide (Tramadol, Tilidin u. a.)
  • Stufe 3: starke Opioide (Morphin, Methadon u. a.)
  • Stufe 4: z.B. rückenmarksnaher Einsatz von Opioiden, neurochirurgische Interventionen
SEITE: 1 | 2 | 3 | 4