Übersichtsarbeiten - OUP 11/2017

Worauf müssen wir beim Einsatz von Metamizol achten?

Jörg Jerosch1, Andreas Breil-Wirth1

Zusammenfassung: Der vorliegende Artikel bespricht die juristischen Aspekte, die bei der Gabe von
Metamizol zu bedenken sind. Allgemein wird das Risiko einer Agranulozytose geschätzt auf etwa 1 zu 30.000. Eine vom Hersteller akzeptierte und in der Literatur vielfach publizierte Anwendung ist die, dass Novalgin dann einzusetzen ist, wenn andere Therapien kontraindiziert sind. Hinsichtlich der Aufklärung gilt es hierbei, 2 Dinge zu betrachten. Zum einen sollte der Patient im Rahmen der Risikoaufklärung auf das
Risiko der Agranulozytose aufmerksam gemacht werden. Zum zweiten sollte er im Rahmen der Sicherungsaufklärung den Hinweis erhalten, dass er sich bei auftretenden Infektzeichen (Hals-Nasen-Rachen-Infekte etc.) unmittelbar in einer Klinik vorstellt und mitteilt, dass er Novalgin erhalten hat. Ideal wäre auch die Empfehlung, etwa eine Woche nach Beginn der Novalgin-Therapie ein Blutbild anfertigen zu lassen.

Schlüsselwörter: Metamizol, Risiken, Aufklärung

Zitierweise
Jerosch J, Breil-Wirth A: Worauf müssen wir beim Einsatz von Metamizol achten?
OUP 2017; 9: 577–581 DOI 10.3238/oup.2016.0577–0581

Summary: The present article is about medicolegal aspects, which have to be considered, if metamizole is used. The risk for an agranulocytosis is considered to be 1:30.000. One general accepted indication is the use of metamizole, if other pain medications are contraindicated. Concerning the patient information, the doctor has to consider the risk information as well as the therapeutic information. Ideally the patient is advised to perform a blood test one week after starting the medication.

Keywords: Metamizole, risks, patient information

Citation
Jerosch J, Breil-Wirth A: What do we have to consider when using
Metamizole?
OUP 2017; 9: 577–581 DOI 10.3238/oup.2016.0577–0581

Einleitung

Orthopäden und Unfallchirurgen sind seit langem die Gefahren der traditionellen und selektiven nichtsteroidalen Antirheumatika im Rahmen der Schmerztherapie bekannt. Gleichzeitig sind viele unserer Schmerzpatienten mit den typischen Arthrose- oder Rückenbeschwerden so multimorbide, dass sie auch eine Vielzahl von Begleitmedikationen benötigen bis hin zu Gerinnungshemmern.

Da die Grunderkrankungen und Begleitmedikation oft Kontraindikation zur Verordnung von nichtsteroidalen Antirheumatika ergeben, wird in der orthopädischen Schmerztherapie gerne auf Metamizol zurückgegriffen. Hier wird bei den orthopädisch/unfallchirurgisch tätigen Kollegen in der Regel übersehen, dass es hierzu bestimmte Rahmenbedingungen zu beachten gibt.

Metamizol (Wirkstoffname: Novaminsulfon) ist ein nicht opioides Analgetikum und Antipyretikum aus der Gruppe der Pyrazolone; das Präparat ist insgesamt gut verträglich und in Deutschland ein sehr verbreitetes Mittel zur Schmerzlinderung und Fiebersenkung.

Prinzipiell sind natürlich auch Opioide wie Tramal oder Tilidin als Schmerzmittel zu verordnen. Aufgrund der speziellen Nebenwirkungen, insbesondere der zentralen Dämpfung, wird hierdurch jedoch eine Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit, des Reaktionsvermögens und der Konzentrationsfähigkeit sowie der Vigilanz herbeigeführt. Das ist bei berufstätigen Personen, die regelmäßig Kraftfahrzeuge fahren, somit mit Vorsicht zu betrachten.

Indikationsliste
für Metamizol

In Deutschland ist Metamizol mit strengen Auflagen hinsichtlich der Indikation versehen:

akute starke Schmerzen nach Verletzungen oder Operationen

schmerzhafte Koliken

Tumorschmerzen

sonstige akute oder chronische starke Schmerzen, soweit andere therapeutische Maßnahmen kontraindiziert sind,

hohes Fieber, das auf andere Maßnahmen nicht anspricht.

Auf diese Indikationsbeschränkung hat das Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte (BfArM) zusammen mit dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in einem Bulletin zur Arzneimittelsicherheit hingewiesen. Für den orthopädischen Schmerztherapeuten gilt somit, dass Metamizol auf keinen Fall als Medikament im Rahmen der „Erstlinientherapie“ anzusehen ist. Eine vom Hersteller akzeptierte und in der Literatur vielfach publizierte Anwendung ist die, dass Novalgin dann einzusetzen sei, wenn andere Therapien kontraindiziert sind. Hier ergibt sich aus der bereits oben aufgeführten Problematik bei unseren Schmerzpatienten ein entscheidender Aspekt. Bei vielen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Magen-Darm- oder Nieren-Erkrankungen sind nichtsteroidale Antirheumatika kontraindiziert.

Nebenwirkungen
von Metamizol

Metamizol zeigt in vielen Untersuchungen einen besonderen Stellenwert für die kausale Entstehung einer Agranulozytose. Ibanez et al. [14, 15] zeigen, dass Metamizol das höchste Risiko für die Entstehung einer Agranulozytose aufweist. Huber et al. [12] zeigten ebenfalls, dass Metamizol mit einem Anteil von 30 % das am häufigsten Agranulozytose verursachende Medikament ist. Die Häufigkeit der Metamizol-induzierten Agranulozytose, bezogen auf die Zahl von Verschreibungen/Anwendungen, wurde in verschiedenen Studien zwischen 1:1439 Verschreibungen [9] und 1:1,1 Millionen pro Woche Anwendung [16] angegeben. Die erste Angabe stellt vermutlich eine Überschätzung dar. In den vergangenen 20 Jahren sind im Rahmen einer sogenannten Spontanerfassung in Deutschland etwa 400 Fälle von Metamizol-induzierten Agranulozytosen berichtet worden [26]. Allein im Jahr 2011 wurden 31 Fälle gemeldet, von denen 6 einen tödlichen Verlauf nahmen. Allgemein wird das Risiko einer Agranulozytose geschätzt auf etwa 1:30.000.

Aufgrund dieser Zusammenhänge wurde Metamizol in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts in vielen Ländern vom Markt genommen, u.a. in den USA, Australien, Japan sowie in vielen Ländern der Europäischen Union. In Deutschland wurden im Jahr 1987 alle Metamizol-haltigen Kombinationspräparate vom Markt genommen, die Monopräparate der Rezeptpflicht unterstellt und die Indikationen auf eine Zweitlinientherapie beschränkt. Die Fachinformation von Metamizol empfiehlt weiterhin: „Bei längerfristiger Therapie mit Novalgin sind regelmäßige Blutbildkontrollen einschließlich Differenzialblutbild erforderlich.“

Wann kann der Orthopäde und Unfallchirurg Metamizol in der Schmerztherapie
einsetzen?

In Anlehnung an das WHO-Stufenschema stehen 4 Stufen mit Analgetika bzw. Maßnahmen steigender Potenz zur Verfügung, wobei in der Regel mit Stufe 1 begonnen und bei ausbleibender Wirkung zu Medikamenten der nächst höheren Stufe übergegangen wird. Den einzelnen Stufen sind folgende Wirkstoffgruppen zugeordnet:

  • Stufe 1: nichtopioide Analgetika (Metamizol, Paracetamol, Diclofenac, u.a.
  • Stufe 2: schwache Opioide (Tramadol, Tilidin u. a.)
  • Stufe 3: starke Opioide (Morphin, Methadon u. a.)
  • Stufe 4: z.B. rückenmarksnaher Einsatz von Opioiden, neurochirurgische Interventionen

Betrachtet man das Risikoprofil der nichtopioiden Analgetika an den Beispielen von Novaminsulfon-ratiopharm, Diclofenac AbZ, Paracetamol-
ratiopharm und Ibuprofen AbZ aus Stufe 1 in den jeweiligen Fachinformationen, so ergibt die Situation wie in Tabelle 1 dargestellt (s. jeweilige Fachinformationen).

Anhand der Auflistung wird deutlich, dass auch andere Wirkstoffe der WHO-Stufe 1 mit teilweise nicht unerheblichen Nebenwirkungen vergesellschaftet sind. Diese beziehen auch Veränderungen des Blutbilds mit ein, wobei die Leukopenie unter Metamizol am häufigsten auftritt. Auf der anderen Seite ist Metamizol nicht mit Nebenwirkungen im Bereich des Verdauungstrakts behaftet. Hier weisen insbesondere Diclofenac und Ibuprofen teilweise schwerwiegende Komplikationen bis hin zu einem Magen-Darm-Durchbruch auf, wobei diese insgesamt häufiger auftreten als Blutbildveränderungen unter Metamizol.

In diesem Gesamtzusammenhang ist anzumerken, dass das Agranulozytoserisiko bei allen oben aufgeführten
Arzneimitteln (Novaminsulfon-ratiopharm, Paracetamol-ratiopharm, Diclofenac-AbZ, Ibuprofen-AbZ) als sehr selten angegeben wird. Insgesamt wird jedoch eine Agranulozytose sehr viel häufiger – wenn auch immer noch selten – durch Metamizol verursacht als durch die anderen Arzneimittel [1, 8, 9, 11, 12, 22]. Deshalb gibt es auch keine Bemühungen, die anderen (nicht Metamizol-haltigen) Arzneimittel aufgrund ihres „Agranulozytoserisikos“ regulatorisch einzuschränken.

Nebenwirkungen von NSAR: Allgemein ist in der „orthopädischen“ Schmerztherapie anerkannt, dass NSAR nicht zur Dauerbehandlung eingesetzt werden sollten, sondern nur befristet („nach Bedarf“) während der akuten Schmerzperioden. Die folgenden Patienten haben ein besonders hohes Risiko für gastrointestinale Nebenwirkungen nach NSAR-Gabe [4, 6, 7, 13, 19, 20, 21, 25]:

Alter über 60 Jahre

Anamnestisch bekannte Ulzera und gastrointestinale Blutungen

Kortikosteroidtherapie

Antikoagulation/Thrombozytenaggregationshemmer

SSRI

schwere systemische Grunderkrankung

Helicobacter pylori-Infektion

Kombination mehrerer NSAR einschl. ASS

hohe Dosierung

lange Therapiedauer

Stress

Alkoholismus

Karow [17] berechnete die wöchentliche Mortalität (Anzahl der Todesfälle) pro 100 Millionen Nutzer bei unterschiedlichen Schmerzmitteln wie folgt:

Aspirin 185:100 Mio.

Paracetamol 230:100 Mio.

Diclofenac 592:100 Mio. und

Metamizol 25:100 Mio.

In Anbetracht dieser Tatsachen kann somit nicht von einer besonderen allgemeinen Gefährlichkeit von Metamizol ausgegangen werden, sondern lediglich von einem besonderen Gefährdungspotenzial bezüglich der Blutbildveränderungen. Hieraus ergibt sich also die Konsequenz, dass Patienten mit den o.g. Kontraindikationen für NSAR Metamizol als Schmerzmedikament erhalten dürfen. Es gilt nur, die Kontraindikation entsprechend zu dokumentieren.

Agranulozytose

Unter akuter Agranulozytose wird ein Abfall der neutrophilen Granulozyten unter 500/µl verstanden, der nicht durch Zytostatika (Tumortherapie), Radiotherapie (Bestrahlung) oder sonstige seltene Ursachen (wie z.B. eine Tumorinfiltration des Knochenmarks oder eine Myelofibrose (Fibrosierung des Knochenmarks)) verursacht wird, bei gleichzeitig normalen Werten von roten Blutkörperchen, Hämoglobin und Blutplättchen [8]. Da die weißen Blutkörperchen für die Infektabwehr zuständig sind, ist die Folge einer Agranulozytose eine erhöhte Infektanfälligkeit, die zum Teil zu schweren Infektionen, Sepsis und damit einhergehenden Komplikationen bis zum Tod führen kann.

Die akute Agranulozytose ist insgesamt sehr selten. Ihr Auftreten wird mit 2–9/1 Million Einwohner und Jahr geschätzt [8]. Allerdings wird die akute Agranulozytose fast ausschließlich durch Medikamente verursacht. Sie gilt deshalb als die vielleicht „typischste“ durch Arzneimittel induzierte Erkrankung. Heimpel [10] gibt an, dass mehr als 90 % der Fälle von akuter Agranulozytose durch Arzneimittel verursacht werden. Andersohn et al. [2] zeigten, dass 97 % der Patienten mit akuter Agranulozytose die Erkrankung arzneimittelbedingt waren.

Medikamente können prinzipiell 2 Typen von Agranulozytose auslösen:

  • Typ 1 allergisch bedingt, zeit- und dosisunabhängig, selektive Schädigung der Granulozyten
  • Typ 2 zeit- und dosisabhängig, keine selektive Schädigung der Granulozyten mit variablen Blutbildveränderungen.

Eine durch Metamizol ausgelöste Agranulozytose gehört zum Typ 1 [23]. Daraus folgt, dass jede Metamizolgabe unabhängig von der Dosis oder dem Zeitpunkt die Agranulozytose ausgelöst haben kann und eine Zuordnung zu einer bestimmten Gabe nicht möglich ist.

Die Ursachen der Leukopenie/Agranulozytose sind vielfältig:

verminderte Produktion im Knochenmark (aplastische Anämie, akute Leukämien, myelodysplastische Syndrome, u.a. Knochenmarkerkrankungen,

erhöhtes Pooling in der Milz,

vermehrte Zerstörung der zirkulierenden Granulozyten (Medikamente, Infektionen u.a.).

Auch bei den medikamenteninduzierten Leukopenien existiert neben den Chemotherapeutika, bei denen man eine Leukopenie erwartet, eine Vielzahl von Medikamenten, welche die Leukopenie im Nebenwirkungsspektrum aufweisen [27]. Hierzu zählen:

Antibiotika (z.B. Macrolide, ß-Lactame)

Medikamente zur Schilddrüsenregulation (z.B. Carbimazol, Thiamazol)

Analgetika (z.B. Metamizol, ASS)

Herzmedikamente (Antiarrhythmica, ß-Blocker, Digitalis)

Thrombozytenaggregationshemmer (z.B. Dipyridamol)

Kortikosteroide (z.B. Kortison)

Nichtsteroidale Antiphlogistika (z.B. Indomethacin)

Antikonvulsiva (z.B. Carbamazepin) u.v.a.m.

Ursachen einer Agranulozytose können neben den bereits genannten Medikamentennebenwirkungen auch akute oder chronische Infektionskrankheiten wie z.B. Mononukleose oder Hepatitis A sowie hämatologische Erkrankungen (z.B. Leukämie = Blutkrebs) sein.

Therapie der Agranulozytose

Eine kausale Therapie im eigentlichen Sinne gibt es nicht. Bei ursächlicher Medikamenteneinnahme muss das in Frage kommende Präparat sofort abgesetzt werden. Neben einer breiten Abdeckung durch Antibiotika (je nach Ausprägung einschließlich Virostatika sowie Antimykotika) erfolgt die übrige Therapie symptomorientiert (Pflege der Schleimhäute, Fiebersenkung, Kreislaufstabilisierung, evtl. Beatmung, Kontrolle aller Organfunktionen mit entsprechender Unterstützung bei Bedarf – z.B. Dialyse, Kontrolle des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts ...).

Letalität bei Agranulozytose

Der Verlauf der Erkrankung ist im individuellen Fall nicht konkret vorhersehbar; von eher leichtem Verlauf bis hin zum Tod. Durch Metamizol wird nicht das Knochenmark als Erzeugungsort der Granulozyten geschädigt, sondern es erfolgt eine Vernichtung bereits zirkulierender Blutzellen, d.h. das limitierende Element stellt hier die Immun-Abwehrschwäche des Patienten dar, wobei in der Regel schwere Infekte oder eine Sepsis (wie auch im vorliegenden Fall) todesursächlich sind.

Die Letalität (Sterblichkeit) der durch Arzneimittel verursachten Agranulozytose hat in den letzten Jahren jedoch stark abgenommen. Während die Letalität in der Ära vor Einführung von Antibiotika mit über 70 % angegeben wurde und danach mit 10–25 % [8], verstarben nach 1990 nur noch 5–6 % der Patienten an ihrer akuten Agranulozytose [1]. Nach Andrès et al. [3] betrug die Sterblichkeit an Arzneimittel-induzierter Agranulozytose nur noch 2 %. In einer Arbeit speziell zur Metamizol-induzierten Agranulozytose betrug die Letalität sogar nur 0 % [14, 15].

Dieser Rückgang der Sterblichkeit ist auf verbesserte intensivmedizinische Behandlungsmöglichkeiten und eine erhöhte Wachsamkeit der Ärzte für Agranulozytose-verursachende Arzneimittel und damit ein früheres Absetzen der potenziell verursachenden Arzneimittel zurückzuführen [8].

Aufklärung

Für den Arzt ergibt sich ein erhebliches haftungsrechtliches Problem, denn nur in den seltensten Fällen wird die Verschreibung mit der Aufklärung über das Risiko einer bedrohlichen Leukopenie verbunden. Auch eine „therapeutische Aufklärung“, zum Beispiel mit Verhaltensempfehlungen bei Auftreten von Fieber und Halsschmerzen, findet in der Regel nicht statt. Das zahlenmäßig sehr geringe Risiko wird dabei angesichts der guten Wirksamkeit und der Verträglichkeit vernachlässigt.

Hierbei handelt es sich keinesfalls um abstrakte Risiken. Es gibt entsprechende Entscheidungen von den Gutachterkommissionen der Ärztekammern, von Landgerichten bis hin zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen aufgrund von vermeintlich fehlerhaftem Vorgehen bei verstorbenen Patienten gegen die behandelnden Kollegen. Solche staatsanwaltlichen Ermittlungen können je nach Ausgang des Verfahrens bis hin zu einer Vorbestrafung und Verlust der Approbation führen. Deshalb gilt es, einige Grundprinzipien bei der Verordnung von Metamizol zu beachten, die uns behandelnde Ärzte vor Anschuldigungen sichern.

Eine allgemeine Aufklärungspflicht vor jeder Medikamentengabe ist sicherlich unrealistisch, und es ist für viele Kollegen wahrscheinlich unverständlich, warum dies gerade für ein verbreitetes und gut verträgliches Schmerzmittel wie Metamizol anders sein sollte.

Bei bestimmten Medikamenten mit typischen und ernsthaften Risiken oder Nebenwirkungen, z.B. Blutungen unter Antikoagulanzien, gilt eine Pflicht zur Risikoaufklärung für Juristen als unbestritten. Wo die Grenze zwischen ernsthaft und nicht ernsthaften Risiken zu ziehen ist, ist vom Gesetzgeber nicht eindeutig fixiert. 2006 fand eine Konferenz von Ärzten und Juristen statt, auf der diese Fragen diskutiert wurden [18]. Es hat sich herausgestellt, dass es keine eindeutige Grenze gibt, von der ab eine Aufklärung wegen besonderer Risiken zu erfolgen hat. Oftmals ergibt sich deshalb erst im Zusammenhang mit einem Arzthaftungsverfahren und einem Richterspruch, ob eine Aufklärung im konkreten Fall notwendig gewesen wäre. Diese Situation ist natürlich aus ärztlicher Sicht sehr unbefriedigend, denn es fehlen klare Anhaltspunkte für konkrete Entscheidungssituationen.

Die Juristen haben jedoch sehr allgemein formuliert: Eine Aufklärung ist immer dann durchzuführen, wenn für ein bestimmtes Medikament eine „typische“ Nebenwirkung bekannt ist und wenn durch die Realisierung eines damit verbundenen Risikos die weitere Lebensgestaltung wesentlich beeinträchtigt werde. Dabei wurde betont, dass die Häufigkeit der typischen Nebenwirkungen keine Rolle spiele, über diese also auch bezüglich sehr seltener typischer Nebenwirkungen aufzuklären sei.

Hieraus leitet sich nicht unbedingt die Schlussfolgerung ab, dass die Aufklärung mittels vorgedruckter und handschriftlich zu ergänzender Aufklärungsbögen (z.B. Perimed oder proCompliance) zu erfolgen hat. So scheint es auszureichen, wenn in einer Klinik oder einer Praxis eine hausinterne Regelung über Form und Umfang der Aufklärung formuliert wird und wenn aus der patientenbezogenen Dokumentation hervorgeht, dass eine dementsprechende Aufklärung tatsächlich stattgefunden hat, z.B. durch ein spezielles Kürzel im Behandlungsblatt.

Neben der Risikoaufklärung ist im Fall von Metamizol eine Sicherungsaufklärung (therapeutische Aufklärung) wichtig, etwa in dem Sinne, dass im Fall von Fieber/Schüttelfrost, Halsschmerzen, Abgeschlagenheit oder Affektionen von Haut oder Schleimhäuten unverzüglich ein Arzt aufzusuchen und auf die Medikamenteneinnahme hinzuweisen sei [25]. Ideal wäre auch die Empfehlung, etwa eine Woche nach Beginn der Novalgin-Therapie ein Blutbild anfertigen zu lassen.

Auch die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft hat im Deutschen Ärzteblatt 2011 deutlich darauf hingewiesen, dass Patienten bei Verordnung von Metamizol auf das Agranulozytoserisiko hingewiesen werden müssen: „Patienten müssen über das Risiko und mögliche Warnsignale wie Fieber, Halsschmerzen und Entzündungen im Bereich der Mundschleimhäute (Stomatitis) aufgeklärt werden“ [5].

Ebenso haben das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, das für die Überwachung der Arzneimittelsicherheit in Deutschland zuständig ist, und andere Publikationen auf diese Aufklärung hingewiesen [1, 12, 23]. Rotthauwe vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte schreibt in einem Artikel zu Metamizol: „Der behandelnde Arzt hat auf Zeichen einer Agranulozytose zu achten und den Patienten über das Risiko und mögliche Symptome aufzuklären. Mögliche Zeichen sind unter anderem: Verschlechterung des Allgemeinbefindens, Fieber, Schüttelfrost, Entzündungen im Bereich der Schleimhäute und Angina Tonsillaris mit Halsschmerzen und Schluckbeschwerden“ [23].

Man muss dies auch vor dem Hintergrund sehen, dass es im August 2011 in der allen Ärzten zugänglichen und von Ärzten meist gelesenen Fachzeitschrift, dem Deutschen Ärzteblatt, eine zweiseitige Warnung vor der Metamizol-induzierten Agranulozytose durch die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft gab [5].

Wie Sie eine derartige Aufklärung mit wenig Aufwand und dennoch juristisch abgesichert in Ihren Praxis- oder Klinikalltag integrieren können, finden Sie auf der IGOST-Homepage unter www.igost.de.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass wir nach wie vor Metamizol in der orthopädischen Schmerztherapie einsetzen können. Es gilt nur folgendes zu beachten:

Sorgfältige Dokumentation von Kontraindikationen für NSAR, sodass keine „Off-label“-Verwendung vorliegt.

Durchführung und Dokumentation einer Risiko- und Sicherungsaufklärung.

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med Dr. h.c. Jörg Jerosch

Johanna Etienne Krankenhaus

Klinik für Orthopädie

Unfallchirurgie und Sportmedizin

Am Hasenberg 46

41462 Neuss

J.Jerosch@ak-neuss.de

Literatur

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3. Andrès E, Maloisel F, Kurtz JE et al.: Modern management of non-chemotherapy drug-induced agranulocytosis: a monocentric cohort study of 90 cases and review if the literature, European Journal of Internal Medicine, 2002; 13: 324–28

4. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) im Vergleich: Risiko von Komplikationen im oberen Gastrointestinaltrakt, Herzinfarkt und Schlaganfall. Deutsches Ärzteblatt 2013; 110: 29–30, A1447–48

5. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Agranulozytose nach Metamizol. Deutsches Ärzteblatt, 2011; 108: A-1758 / B-1498 / C-149

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23. Reinhardt N et al.: Metamizol – Renaissance eines Analgetikums, Pharmazeutische Zeitung online, www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=1635

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27. Thamer S et al.: Leukopenie, Wiener Klinische Wochenschrift 2008; 3: 164ff

Fussnoten

1 Klinik für Orthopädie, Johanna-Etienne-Krankenhaus, Neuss

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