Arzt und Recht - OUP 10/2014
30 Jahre Arbeitsgemeinschaft für ArztRecht – Entwicklungen im Vertragsarztrecht*
Manfred Andreas, Karlsruhe1
Der Berichtszeitraum für 30 Jahre Vertragsarztrecht beginnt mit dem Jahr 1984. Damals galt noch die Reichsversicherungsordnung. Der Verfasser zeigt auf, wie sich das Kassenarztrecht zum heutigen Vertragsarztrecht gewandelt hat. Die Zeitschrift ArztRecht hat die Entwicklung zeitnah begleitet. Die Auswahl der mitgeteilten Änderungen ist naturgemäß subjektiv und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit2. Mitunter ist es schwierig, den Zeitpunkt für den Beginn einer neuen Entwicklung festzulegen. Denn manches war zwar im Gesetz bereits angelegt, wurde aber von der Selbstverwaltung nicht umgesetzt. In solchen Fällen folgte häufig eine konkrete gesetzliche Zwangsregelung, die erst dann zur Umsetzung der betreffenden Maßnahme führte3. In der folgenden Darstellung wird in der Regel auf den Zeitpunkt abgestellt, in dem es zum praktischen Vollzug der jeweiligen Änderung kam.
1. Die Reichsversicherungsordnung (RVO)
Am Beginn des Berichtszeitraums, im Jahr 1984, war das Kassenarztrecht in der Reichsversicherungsordnung geregelt. Die Grundlagen für die Neuordnung nach dem 2. Weltkrieg hatte das Gesetz über Kassenarztrecht vom 17.8.1955 {BGBl. I S. 513} gelegt, indem es die bis dahin in den §§ 368 bis 369 enthaltenen Regelungen durch die neuen Bestimmungen der §§ 368 bis 368q RVO ersetzte. Das Sachleistungs-/Naturalleistungsprinzip, das schon vor der Reichsversicherungsordnung vom 19.7.1911 gegolten hatte, wurde beibehalten.
Es erfolgte eine strenge Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Eine Verzahnung zwischen beiden Bereichen gab es durch das Belegarztsystem und die bedarfsabhängige Beteiligung leitender Krankenhausärzte.
Der Kassenarzt hatte rechtliche Beziehungen nur zum Patienten und zu seiner Kassenärztlichen Vereinigung, nicht jedoch zur jeweiligen Krankenkasse des Patienten (Vierecksprinzip). Dieses heute noch geltende Prinzip ist in der folgenden Skizze dargestellt:
Im Übrigen gab es eine Doppelstruktur für die Behandlung von RVO-Patienten einerseits und Ersatzkassenpatienten andererseits.
2. Gesundheitsreformgesetz und SGB V ab dem 1.1.1989
Die Aufhebung der kassenarztrechtlichen Vorschriften der RVO und die Kodifikation des gesamten Krankenversicherungsrechts im Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB V) erfolgte durch das Gesundheitsreformgesetz vom 20.12.19884 mit Wirkung vom 1.1.1989. Der Übergang von der RVO zum SGB V stellt zwar äußerlich die größte Zäsur in der Rechtsentwicklung des Kassenarztrechts dar, hat aber inhaltlich zunächst nur wenige Änderungen gebracht5. So blieb es beim Sachleistungs-/Naturalleistungsprinzip und den Rechtsbeziehungen im Rahmen des oben erwähnten Vierecksprinzips.
Allerdings wurden die Ersatzkassen in das Vertragssystem einbezogen Wenner, a.a.O., was zu einer Neufassung des Arzt-/Ersatzkassen-Vertrags mit Wirkung vom 1.10.1990 führte6.
Für die leitenden Krankenhausärzte war von Bedeutung, dass die bisher nach § 368a RVO in der Regel unbefristet ausgesprochenen Beteiligungen an der ambulanten kassenärztlichen Versorgung durch eine gemäß § 116 SGB V nur noch befristet erteilte Ermächtigung ersetzt wurde. Dies bewirkte, dass Rechtsbehelfe gegen die nach Fristablauf ausgelaufene Ermächtigung – anders als früher gegen die Änderung einer unbefristet ausgesprochenden Beteiligung – keine aufschiebende Wirkung mehr hatten.
Nach § 98 Abs. 2 Nr. 12 SGB V in Verbindung mit § 25 Ärzte-ZV wurde die Zulassung eines Arztes, der das 55. Lebensjahr vollendet hatte – von Ausnahmefällen abgesehen – ausgeschlossen. Diese Regelung, die durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz7 mit Wirkung vom 1.1.2007 wieder aufgehoben wurde, hatte zur Folge, dass angestellte Ärzte, die ihre Tätigkeit im Krankenhaus nach dem 55. Lebensjahr aufgeben mussten, sich nicht mehr niederlassen konnten.
Außerdem regelte § 120 Abs. 1 SGB V, dass der Krankenhausträger die den ermächtigten Krankenhausärzten zustehende Vergütung mit der Kassenärztlichen Vereinigung abrechnete und die Vergütung dann nach Abzug der Kosten an den Krankenhausarzt weiterleitete. Dies galt auch für den Ersatzkassenbereich8.
3. Geltung des SBG V in den neuen Bundesländern
ab dem 1.1.1991
Mit Wirkung vom 1.1.1991 wurden die Regelungen des SGB V auch in den neuen Bundesländern angewendet. Für bestimmte Bereiche gab es Bestandsschutz- und Übergangsregelungen9.
4. Gesundheitsstrukturgesetz ab dem 1.1.1993
Das Gesundheitsstrukturgesetz vom 21.12.199210 brachte mit Wirkung vom 1.1.1993 wesentliche Änderungen des bisher geltenden Kassenarztrechts.
a) Einführung der Begriffe „Vertragsarzt“ und „vertragsärztliche Versorgung“
Der Gesetzgeber übernahm die Bezeichnung „Vertragsarzt“ von den Ersatzkassen und verwendete ihn nun für alle Ärzte, die nach dem SGB V bei sozialversicherten Patienten in Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung tätig wurden. In Wirklichkeit änderten sich die Rechtsbeziehungen der an der vertragsärztlichen Versorgung tätigen Ärzte jedoch nicht. Es blieb bei dem Vierecksverhältnis, wie es schon seit dem Gesetz über Kassenarztrecht von 1955 gegolten hatte. Die Ärzte schlossen keineswegs Verträge mit den Kassen oder ihrer Kassenärztlichen Vereinigung, sondern wurden wie bisher vom Zulassungsausschuss per Verwaltungsakt zugelassen oder ermächtigt. Die neue Terminologie wurde im Übrigen nicht konsequent eingeführt. So lautet die Überschrift des § 73 SGB V, der die vertragsärztliche Versorgung beschreibt, bis heute „Kassenärztliche Versorgung“. In §§ 77 ff. SGB V ist weiterhin von Kassenärztlichen Vereinigungen die Rede.
b) Vor- und nachstationäre Behandlung sowie ambulantes Operieren im Krankenhaus
§ 115a SGB V regelte neu, dass ein Krankenhaus bei der Ausstellung eines Einweisungsscheins durch den niedergelassenen Arzt drei Behandlungstage innerhalb von fünf Tagen vor Beginn der stationären Behandlung (vorstationär) und sieben Behandlungstage innerhalb von 14 Tagen nach Beendigung der Krankenhausbehandlung (nachstationär) tätig werden durfte. Die Vergütung sollte zwischen Krankenhausgesellschaften und Kassenverbänden vereinbart werden.
Außerdem wurden die Krankenhäuser gemäß § 115b SGB V kraft Gesetzes zum ambulanten Operieren zugelassen. Die Spitzenverbände der Krankenkassen, die Krankenhausverbände und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen sollten einen Katalog ambulant durchführbarer Operationen sowie die Vergütungen vereinbaren.
Die vor- und nachstationäre Behandlung sowie das ambulante Operieren durch den Krankenhausträger führten dazu, dass viele Chefärzte die Ermächtigung, die sie für diese Leistungen besessen hatten, nach Ablauf ihres Ermächtigungszeitraums verloren. Es stellte sich deshalb die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe den Chefärzten ein finanzieller Ausgleichsanspruch gegenüber ihrem Krankenhausträger zustand11.
c) Zulassung nach Verhältniszahlen
Gemäß § 102 SGB V erfolgte die Zulassung aufgrund von arztgruppenbezogenen Verhältniszahlen. In gesperrten Planungsbereichen wurde die Zulassung zu einem Wirtschaftsfaktor. Der Zulassungshandel ohne tatsächlich existierende Praxis wurde von den Gerichten als rechtswidrig eingestuft12.
Am 1.1.2013 ist eine Neufassung der Bedarfsplanungs-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses in Kraft getreten. Ziel ist eine größere Flexibilisierung und Regionalisierung der Bedarfsplanung13.
d) Altersgrenze von 68 Jahren
§ 95 Abs. 7 SGB V sah nun vor, dass ab 1.1.1999 die Zulassung in der Regel am Ende des Kalendervierteljahres endet, in dem der Vertragsarzt sein 68. Lebensjahr vollendet. Diese Altersgrenze gilt seit dem 1.10.2008 nicht mehr.
5. GKV-Modernisierungsgesetz ab dem 1.1.2004
Das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.200314 stellte eine bedeutsame Weiterentwicklung des Vertragsarztrechts dar. Es ist im Wesentlichen am 1.1.2004 in Kraft getreten.
a) Zulassung Medizinischer Versorgungszentren (MVZ)
§ 95 Abs. 1 SGB V bestimmte nun, dass an der vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Ärzte und zugelassene Medizinische Versorgungszentren sowie ermächtigte Ärzte und ermächtigte ärztlich geleitete Einrichtungen teilnehmen konnten. Im Rahmen der Bedarfsplanung durften auch Krankenhausträger Medizinische Versorgungszentren mit angestellten Ärzten betreiben. Diese MVZ machten den niedergelassenen und den ermächtigten leitenden Krankenhausärzten Konkurrenz. Es kam zu Konflikten mit den Chefärzten, deren Ermächtigung nicht erneuert wurde, soweit das Krankenhaus-MVZ vertragsärztliche Leistungen erbrachte. Für den benachteiligten Chefarzt stellte sich die Frage, ob er im MVZ mitarbeiten musste und ob er dafür eine Vergütung, gegebenenfalls auch einen Ausgleich für Einschränkungen im Ermächtigungsumfang, verlangen konnte.
b) Erbringung spezieller Leistungen durch das Krankenhaus
§ 116b Abs. 2a SGB V eröffnete zugelassenen Krankenhäusern die Möglichkeit, hoch spezialisierte Leistungen sowie Leistungen bei seltenen Erkrankungen und Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen zu erbringen. Das vorgesehene Vertragsmodell wurde durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26.3.200715 mit Wirkung vom 1.4.2007 durch ein neues Verwaltungs- und Entscheidungsverfahren abgelöst.
c) Plausibilitätsprüfung
Seit eh und je galt im Kassenarztrecht das Gebot der persönlichen Leistungserbringung16. Von den Kassenärztlichen Vereinigungen durchgeführte Plausibilitätsprüfungen anhand von Tages- oder Quartalsprofilen wurden durch § 106a SGB V auf eine konkrete gesetzliche Grundlage gestellt. Auf dieser Grundlage wurde der EBM 2000plus erstellt, der mit Wirkung vom 1.4.2005 erstmalig bundeseinheitlich Zeiten für die Erbringung einzelner im EBM aufgelisteter Leistungen enthielt. Anhand dessen wurden Zeitprofile erstellt. Überschritt der Leistungserbringer bestimmte Stunden pro Tag oder pro Quartal, wurde das Prüfverfahren eingeleitet17.
6. Vertragsarztrechtsänderungsgesetz ab dem 1.1.2007
Das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz vom 22.12.200618 hat das Vertragsarztrecht den Entwicklungen des ärztlichen Berufsrechts angepasst oder zum Teil weiterentwickelt19.
a) Hälftiger Versorgungsauftrag
§ 95 Abs. 3 SGB V in Verbindung mit § 19a Ärzte-ZV schuf die Möglichkeit, den Versorgungsauftrag von Anfang an oder nach einer Vollzulassung auf die Hälfte zu beschränken (Teilzulassung)20.
b) Anstellung von Ärzten durch zugelassene Vertragsärzte
Nachdem zugelassene MVZ seit dem 1.1.2004 mit angestellten Ärzten arbeiten durften, wurde gemäß § 95 Abs. 9 und 9a SGB V auch den niedergelassenen Vertragsärzten unter Beachtung der Bedarfsplanung erlaubt, Ärzte anzustellen21.
c) Zweigpraxen und Berufsausübungsgemeinschaften
§ 24 Ärzte-ZV hat die Tätigkeit in einer Zweigpraxis und in ausgelagerten Praxisräumen erleichtert22.
Nach § 33 Abs. 1 Ärzte-ZV wurde die gemeinsame Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit unter allen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringern an einem gemeinsamen Praxissitz zulässig. Dazu zählten insbesondere auch die Teilberufsausübungsgemeinschaften und die überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften23.
d) Tätigkeit als Krankenhausarzt und Vertragsarzt
Aus § 22 Abs. 2 Ärzte-ZV hatte die Rechtsprechung gefolgert, dass eine Tätigkeit als Krankenhausarzt im stationären Bereich und als zugelassener Vertragsarzt im ambulanten Bereich regelmäßig nicht erlaubt sei. Nun fügte der Gesetzgeber dem § 22 Abs. 2 einen zweiten Satz an. In ihm wurde die Tätigkeit oder die Zusammenarbeit des Vertragsarztes mit einem zugelassenen Krankenhaus nach § 108 SGB V oder einer Versorgungs- oder Rehabilitationseinrichtung nach § 111 SGB V ausdrücklich für zulässig erklärt24.
Allerdings blieb § 20 Abs. 1 Ärzte- ZV bestehen, wonach ein Arzt für die vertragsärztliche Tätigkeit nicht geeignet ist, soweit er wegen eines Beschäftigungsverhältnisses nicht in erforderlichem Maße zur Verfügung steht. Daraus wurde abgeleitet, dass ein im Krankenhaus angestellter Arzt in einem – gegebenenfalls vom selben Krankenhausträger betriebenen – MVZ in Vollzeit nur tätig werden durfte, wenn die stationäre Tätigkeit höchstens 13 Stunden wöchentlich ausmachte. War der Arzt im MVZ nur in Teilzeit beschäftigt, durfte die stationäre wöchentliche Arbeitszeit entsprechend höher sein25.
7. GKV-Versorgungsstrukturgesetz ab dem 1.1.2012
Mit Wirkung vom 1.1.2012 ist das GKV-Versorgungsstrukturgesetz vom 22.12.201126 in Kraft getreten. Es hat unter anderem Folgendes geregelt27:
Nach § 28 SGB V dürfen in bestimmten Fällen auch Nicht-Ärzte ärztliche Leistungen erbringen. Die Letztverantwortung bleibt jedoch beim behandelnden Arzt.
Das bisher nur berufsrechtliche Verbot, sich für die Zuweisung von Patienten ein Entgelt versprechen oder gewähren zu lassen, wurde in § 73 Abs. 7 SGB V gesetzlich verankert. § 128 Abs. 5a SGB V bezeichnete es nun als Verstoß gegen die vertragsärztlichen Pflichten, wenn ein Vertragsarzt unzulässige Zuwendungen forderte oder annahm oder wenn er Versicherte zur Inanspruchnahme einer privatärztlichen Versorgung anstelle der Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung beeinflusste.
§ 137e SGB V eröffnete die Möglichkeit, auf der Grundlage einer Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses neue Untersuchungs-und Behandlungsmethoden zu erproben.
In § 115a Abs. 1 SGB V wurde klargestellt, dass vor- und nachstationäre Behandlungen auch von niedergelassenen Ärzten in deren Arztpraxen oder in den Räumen des Krankenhauses erbracht werden können.
§ 115b Abs. 1 SGB V regelte, dass ambulante Operationen im Krankenhaus auch von niedergelassenen Vertragsärzten erbracht werden dürfen.
In § 116 b SGB V wurde eine neue Form der ambulanten spezialärztlichen Versorgung etabliert, wobei Krankenhäuser und andere an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Leistungserbringer Kassenpatienten gemeinsam behandeln können.
In der Vergangenheit war unklar, inwieweit ein in Teilzeit an der vertragsärztlichen Versorgung, z.B. im MVZ, teilnehmender Arzt noch im Krankenhaus angestellt sein konnte28 § 20 Abs. 1 Ärzte-ZV stellte nun klar, dass ein Beschäftigungsverhältnis unschädlich ist, solange der Arzt in der Lage ist, Sprechstunden zu den in der vertragsärztlichen Versorgung üblichen Zeiten anzubieten. Das sind gemäß § 17 Abs. 1a BMV-Ä 20 Wochenstunden bei vollem und 10 Wochenstunden bei halbem Versorgungsauftrag29.
8. Gerichtsentscheidungen
Es war ein Paukenschlag, als das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 23.3.196030 § 368a Abs.1 Satz 1 RVO in der Fassung durch das Gesetz über Kassenarztrecht für verfassungswidrig erklärte. Damit war die Beschränkung der Zulassung allein aufgrund einer vom Gesetzgeber beschlossenen Verhältniszahl (ein Arzt auf je 500 Mitglieder und ein Zahnarzt auf je 900 Mitglieder) hinfällig. Dies blieb allerdings der einzige große Paukenschlag der Gerichte im Kassenarzt- bzw. Vertragsarztrecht. Denn alle späteren Urteile bestätigten regelmäßig die gesetzlichen Vorgaben und dienten nur dazu, die teilweise undeutlichen gesetzlichen Regelungen auszulegen, zu vervollständigen und für die Praxis handhabbar zu machen.
Mit Urteil vom 23.7.196331 hielt das Bundesverfassungsgericht § 368a Abs. 8 RVO für mit dem Grundgesetz vereinbar und bestätigte damit die gesetzliche Vorgabe, dass die Beteiligung eines leitenden Krankenhausarztes bedarfsabhängig sei.
Die in § 73 Abs. 1 ff. SGB V vorgeschriebene Trennung in hausärztliche und fachärztliche Versorgung hielt das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 17.6.199932 für verfassungsgemäß.
Im Beschluss vom 6.12.200533 leitete das Bundesverfassungsgericht unmittelbar aus dem Grundgesetz – gegen die Bestimmungen des SGB V – eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für nicht anerkannte Behandlungsmethoden bei lebensbedrohlicher oder regelmäßig tödlicher Erkrankung her.
Im Beschluss vom 30.6.200834 knüpfte das Bundesverfassungsgericht daran an und billigte die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts35 zum sogenannten Off-Label- Use. Dieser kommt dann in Betracht, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn keine andere Therapie verfügbar ist und wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.
9. Ausblick
Seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts beherrscht die Kostendämpfung die Diskussion über die gesetzliche Krankenversicherung. Daran wird sich nichts ändern. Denn eine immer aufwendigere Apparatemedizin und Patienten, die immer älter werden (demografischer Wandel), werden auch in Zukunft steigende Kosten verursachen. Es blieb deshalb nicht bei den Gesetzen, die in den siebziger und achtziger Jahren zunächst noch ehrlich „Kostendämpfungsgesetze“ genannt wurden. Vielmehr waren alle späteren Gesetze stets auch Kostendämpfungsgesetze. Kostendämpfungsgesetze haben weiterhin Konjunktur, wie folgendes Beispiel zeigt:
§ 130a Abs. 3a Satz 1 SGB V enthielt ein gesetzliches Preismoratorium, um bestimmte Preissteigerungen bei den Arzneimittelausgaben zu begrenzen. Dieses Moratorium galt zunächst bis zum 31.12.2013. Mit dem 13. SGB V-Änderungsgesetz vom 22.12.201336 wurde das Moratorium bis zum 31.3.2014 verlängert. Das 14. SGB V-Änderungsgesetz vom 27.3.201437 sieht eine erneute Verlängerung bis zum 31.12.2017 vor.
Die rot-grüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Schröder hatte an eine weitgehende Entmachtung der Kassenärztlichen Vereinigungen gedacht38. Es wurde auch diskutiert, ob die Bedarfsplanung völlig abgeschafft werden sollte. Im Wahlprogramm der SPD 2013 (www.bundestagswahl-bw. de/wahlprogramm_spd.html) wurde die Bürgerversicherung als Krankenvoll- und Pflegeversicherung für jeden propagiert, wobei auf lange Sicht die Trennung zwischen privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen aufgehoben werden sollte. Von alldem (Entmachtung der KVen, Abschaffung der Bedarfsplanung, Bürgerversicherung) findet sich im Koalitionsvertrag, den CDU, CSU und SPD für die laufende 18. Legislaturperiode geschlossen haben, nichts39. Die große Koalition will sich im Vertragsarztrecht darauf beschränken, Unzuträglichkeiten, die in einzelnen Bereichen zutage getreten sind, zu beseitigen. Strukturelle Änderungen des Vertragsarztrechts sind nicht geplant.
Fussnoten
* Nachdruck aus ArztRecht 6/2014, mit freundlicher Genehmigung des Verlags für ArztRecht, Karlsruhe, www.arztrecht.org
1 Rechtsanwalt Dr. jur. Manfred Andreas, Karlsruhe
2 In dem von Laufs/Kern in 4. Auflage 2010 herausgegebenen Handbuch des Arztrechts befassen sich etwa 50 Seiten mit der Geschichte des Kassenarzt-/Vertragsarztrechts.
3 siehe das Beispiel der Verzahnung zwischen stationärer und ambulanter Versorgung bei Andreas, ArztR 1994, 151f.
4 BGBl. I S. 2477.
5 Wenner, Das Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, Rdnr. 9.
6 siehe dazu Andreas, ArztR 1991, 75 ff.
7 siehe dazu unten Gliederungsnummer 6.
8 Bundessozialgericht 15.5.1991 – 6 RKa 25/90 – ArztR 1991, 342.
9 siehe Andreas, ArztR 1991, 199 ff.
10 BGBl. I S. 2266.
11 Andreas, ArztR 1993, 77 (90 ff.)
12 Bundessozialgericht 29.9.1999 – B 6 KA 1/99 R – ArztR 2000, 162.
13 siehe zur neuen Richtlinie Debong/Osmialowski, ArztR 2013, 61 ff.
14 BGBl. I S. 2190.
15 BGBl. I S. 378.
16 siehe Andreas, ArztR 1988, 321 ff.
17 Pollandt, ArztR 2005, 99ff.
18 BGBl. I S. 3439.
19 Steinhilper in Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Auflage 2010, § 23 Rdnr. 7.
20 Steinhilper, a.a.O., Rdnr. 41.
21 Steinhilper, a.a.O., Rdnr. 21, 22.
22 Steinhilper, a.a.O., Rdnr. 12 bis 20.
23 Steinhilper, a.a.O., Rdnr. 32 bis 40.
24 siehe dazu Steinhilper, a.a.O., Rdnr. 9 bis 11.
25 Steinhilper, a.a.O., Rdnr. 10; zur geltenden Rechtslage siehe unter Gliederungsnummer 7 am Ende.
26 BGBl. I S. 2983.
27 siehe dazu im Einzelnen Osmialowski, ArztR 2012, 61 ff.
28 siehe dazu Bundessozialgericht 13.10.2010 – B 6 KA 40/09 R – ArztR 2011, 319 ff..
29 Osmialowski, ArztR 2012, 61, 66.
30 1 BvR 216/51 – NJW 1960, 715.
31 1 BvL 1 und 4/61 – NJW 1963, 1667.
32 1 BvR 2507/97 – ArztR 1999, 249.
33 1 BvR 347/98 – ArztR 2007, 10.
34 1BvR 1665/07 – ArztR 2009, 129.
35 27.3.2007 – B 1 KR 17/06 R –; siehe schon Bundessozialgericht vom 19.3.2002 – B 1 KR 37/00 R – ArztR 2002, 319.
36 BGBl. I S. 4382.
37 BGBl. I S. 261.
38 siehe Wenner, a.a.O. Rdnr. 17.
39 www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf.