Arzt und Recht - OUP 10/2014

30 Jahre Arbeitsgemeinschaft für ArztRecht – Entwicklungen im Vertragsarztrecht*

§ 137e SGB V eröffnete die Möglichkeit, auf der Grundlage einer Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses neue Untersuchungs-und Behandlungsmethoden zu erproben.

In § 115a Abs. 1 SGB V wurde klargestellt, dass vor- und nachstationäre Behandlungen auch von niedergelassenen Ärzten in deren Arztpraxen oder in den Räumen des Krankenhauses erbracht werden können.

§ 115b Abs. 1 SGB V regelte, dass ambulante Operationen im Krankenhaus auch von niedergelassenen Vertragsärzten erbracht werden dürfen.

In § 116 b SGB V wurde eine neue Form der ambulanten spezialärztlichen Versorgung etabliert, wobei Krankenhäuser und andere an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Leistungserbringer Kassenpatienten gemeinsam behandeln können.

In der Vergangenheit war unklar, inwieweit ein in Teilzeit an der vertragsärztlichen Versorgung, z.B. im MVZ, teilnehmender Arzt noch im Krankenhaus angestellt sein konnte28 § 20 Abs. 1 Ärzte-ZV stellte nun klar, dass ein Beschäftigungsverhältnis unschädlich ist, solange der Arzt in der Lage ist, Sprechstunden zu den in der vertragsärztlichen Versorgung üblichen Zeiten anzubieten. Das sind gemäß § 17 Abs. 1a BMV-Ä 20 Wochenstunden bei vollem und 10 Wochenstunden bei halbem Versorgungsauftrag29.

8. Gerichtsentscheidungen

Es war ein Paukenschlag, als das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 23.3.196030 § 368a Abs.1 Satz 1 RVO in der Fassung durch das Gesetz über Kassenarztrecht für verfassungswidrig erklärte. Damit war die Beschränkung der Zulassung allein aufgrund einer vom Gesetzgeber beschlossenen Verhältniszahl (ein Arzt auf je 500 Mitglieder und ein Zahnarzt auf je 900 Mitglieder) hinfällig. Dies blieb allerdings der einzige große Paukenschlag der Gerichte im Kassenarzt- bzw. Vertragsarztrecht. Denn alle späteren Urteile bestätigten regelmäßig die gesetzlichen Vorgaben und dienten nur dazu, die teilweise undeutlichen gesetzlichen Regelungen auszulegen, zu vervollständigen und für die Praxis handhabbar zu machen.

Mit Urteil vom 23.7.196331 hielt das Bundesverfassungsgericht § 368a Abs. 8 RVO für mit dem Grundgesetz vereinbar und bestätigte damit die gesetzliche Vorgabe, dass die Beteiligung eines leitenden Krankenhausarztes bedarfsabhängig sei.

Die in § 73 Abs. 1 ff. SGB V vorgeschriebene Trennung in hausärztliche und fachärztliche Versorgung hielt das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 17.6.199932 für verfassungsgemäß.

Im Beschluss vom 6.12.200533 leitete das Bundesverfassungsgericht unmittelbar aus dem Grundgesetz – gegen die Bestimmungen des SGB V – eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für nicht anerkannte Behandlungsmethoden bei lebensbedrohlicher oder regelmäßig tödlicher Erkrankung her.

Im Beschluss vom 30.6.200834 knüpfte das Bundesverfassungsgericht daran an und billigte die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts35 zum sogenannten Off-Label- Use. Dieser kommt dann in Betracht, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn keine andere Therapie verfügbar ist und wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.

9. Ausblick

Seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts beherrscht die Kostendämpfung die Diskussion über die gesetzliche Krankenversicherung. Daran wird sich nichts ändern. Denn eine immer aufwendigere Apparatemedizin und Patienten, die immer älter werden (demografischer Wandel), werden auch in Zukunft steigende Kosten verursachen. Es blieb deshalb nicht bei den Gesetzen, die in den siebziger und achtziger Jahren zunächst noch ehrlich „Kostendämpfungsgesetze“ genannt wurden. Vielmehr waren alle späteren Gesetze stets auch Kostendämpfungsgesetze. Kostendämpfungsgesetze haben weiterhin Konjunktur, wie folgendes Beispiel zeigt:

§ 130a Abs. 3a Satz 1 SGB V enthielt ein gesetzliches Preismoratorium, um bestimmte Preissteigerungen bei den Arzneimittelausgaben zu begrenzen. Dieses Moratorium galt zunächst bis zum 31.12.2013. Mit dem 13. SGB V-Änderungsgesetz vom 22.12.201336 wurde das Moratorium bis zum 31.3.2014 verlängert. Das 14. SGB V-Änderungsgesetz vom 27.3.201437 sieht eine erneute Verlängerung bis zum 31.12.2017 vor.

Die rot-grüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Schröder hatte an eine weitgehende Entmachtung der Kassenärztlichen Vereinigungen gedacht38. Es wurde auch diskutiert, ob die Bedarfsplanung völlig abgeschafft werden sollte. Im Wahlprogramm der SPD 2013 (www.bundestagswahl-bw. de/wahlprogramm_spd.html) wurde die Bürgerversicherung als Krankenvoll- und Pflegeversicherung für jeden propagiert, wobei auf lange Sicht die Trennung zwischen privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen aufgehoben werden sollte. Von alldem (Entmachtung der KVen, Abschaffung der Bedarfsplanung, Bürgerversicherung) findet sich im Koalitionsvertrag, den CDU, CSU und SPD für die laufende 18. Legislaturperiode geschlossen haben, nichts39. Die große Koalition will sich im Vertragsarztrecht darauf beschränken, Unzuträglichkeiten, die in einzelnen Bereichen zutage getreten sind, zu beseitigen. Strukturelle Änderungen des Vertragsarztrechts sind nicht geplant.

Fussnoten

* Nachdruck aus ArztRecht 6/2014, mit freundlicher Genehmigung des Verlags für ArztRecht, Karlsruhe, www.arztrecht.org
1 Rechtsanwalt Dr. jur. Manfred Andreas, Karlsruhe
2 In dem von Laufs/Kern in 4. Auflage 2010 herausgegebenen Handbuch des Arztrechts befassen sich etwa 50 Seiten mit der Geschichte des Kassenarzt-/Vertragsarztrechts.
3 siehe das Beispiel der Verzahnung zwischen stationärer und ambulanter Versorgung bei Andreas, ArztR 1994, 151f.
4 BGBl. I S. 2477.
5 Wenner, Das Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, Rdnr. 9.
6 siehe dazu Andreas, ArztR 1991, 75 ff.

7 siehe dazu unten Gliederungsnummer 6.
8 Bundessozialgericht 15.5.1991 – 6 RKa 25/90 – ArztR 1991, 342.
9 siehe Andreas, ArztR 1991, 199 ff.
10 BGBl. I S. 2266.
11 Andreas, ArztR 1993, 77 (90 ff.)
12 Bundessozialgericht 29.9.1999 – B 6 KA 1/99 R – ArztR 2000, 162.
13 siehe zur neuen Richtlinie Debong/Osmialowski, ArztR 2013, 61 ff.
14 BGBl. I S. 2190.

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