Übersichtsarbeiten - OUP 01/2025

Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der symptomatischen langen Bizepssehne

Alexandros Kiriazis, Jonas Pallmann, Malte Holschen, Jens Agneskirchner

Zusammenfassung:
Die lange Bizepssehne (LBS) ist ein häufiger Schmerzgenerator des Schultergelenks. Oft zeigen sich begleitende Pathologien der Rotatorenmanschette (RM). Die primäre Tendinitis bicipitalis wie auch die isolierten Pathologien der LBS sind selten und betreffen häufig junge Überkopfsportlerinnen und -sportler. Zur Sicherung der Diagnose empfehlen sich die MRT und MR-Arthrographie. Akute Beschwerden der LBS können nach Ausschluss einer RM-Ruptur zunächst konservativ behandelt werden. Die operative Therapie besteht aus der Tenodese, Tenotomie sowie seltener dem SLAP-Repair. Die Wahl der Therapiemodalität wird individuell gestellt und richtet sich unter anderem nach der zugrundeliegenden Pathologie, dem Patientenalter, dem funktionellen Anspruch und der Präferenz der Patientin/des Patienten.

Schlüsselwörter:
Lange Bizepssehne, Pulley-Läsion, SLAP-Läsion, Tendinitis bicipitalis, vorderer Schulterschmerz

Zitierweise:
Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der symptomatischen langen Bizepssehne
OUP 2025; 14: 10?17
DOI 10.53180/oup.2025.0010-0017

Summary: The long head of the biceps tendon (LHBT) is a frequent generator of pain in the shoulder joint. It is often accompanied by pathologies of the rotator cuff (RC). Primary bicipital tendinitis as well as isolated pathologies of the LBS are rare and often affect young overhead athletes. MRI and MR arthrography are recommended to confirm the diagnosis. Acute symptoms of LBS can initially be treated conservatively after a rotator cuff tear has been ruled out. Surgical treatment consists of tenodesis, tenotomy, and, more rarely, SLAP repair. The choice of treatment modality is individualised and depends on the underlying pathology, the patient‘s age, the functional requirements and the patient‘s preference.

Keywords: Long head of the biceps tendon, pulley lesion, SLAP lesion, biceps tendinitis, anterior shoulder pain

Citation: Kiriazis A, Pallmann J, Holschen M, Agneskirchner JD: Current diagnostics and treatment of long head of biceps pathology. OUP 2025; 14: 10?17. DOI 10.53180/oup.2025.0010-0017

J. Agneskircher, J. Pallmann: go:h Gelenkchirurgie Orthopädie Hannover

M. Holschen: Orthopädische Praxis und Praxisklinik (OPPK), Münster

A. Kiriazis: Department Schulter- und Ellenbogenchirurgie, Sportorthopädie, Raphaelsklinik Münster

Einleitung

Ein häufiger Vorstellungsgrund in der orthopädisch/unfallchirurgischen Praxis ist der vordere Schulterschmerz. Nicht selten liegt diesem eine Pathologie der langen Bizepssehne (LBS) zu Grunde. Schmerzen im Bereich dieser Struktur sind häufig unspezifisch aber von großer Bedeutung [20, 22, 27]. Der Begriff „Tendinitis bicipitalis“ ist eher irreführend, da die eigentliche Entzündung der Synovialmembran der LBS lediglich 5 % der Bizepssehnenpathologien repräsentiert [16]. Isolierte Beschwerden der LBS treten üblicherweise bei jungen Überkopfsportlerinnen und -sportlern auf. Bei dem Großteil der Patientinnen und Patienten mit einem vorderen Schulterschmerz zeigt sich eine Komorbidität der Rotatorenmanschette oder ein Impingementsyndrom [6, 15, 44]. Im Folgenden werden die Ätiologie, Diagnostik und Therapie des vorderen Schulterschmerzes im Zusammenhang mit der langen Bizepssehne erläutert [56].

Anatomie und Biomechanik der langen Bizepssehne

Der Musculus biceps brachii teilt sich in das Caput breve mit Ursprung am Processus coracoideus sowie dem Caput longum, das dem Tuberculum supraglenoidale entspringt, auf. Die beiden Muskelbäuche setzen distal an der Tuberositas radii sowie dem oberflächlich verlaufenden Lacertus fibrosus an. Der Musculus biceps brachii ist der stärkste Supinator im Ellenbogengelenk und bildet mit dem Musculus brachialis die Flexoren des Ellenbogens. Die anatomische Besonderheit der langen Bizepssehne liegt in ihrem direkten Verlauf durch das Schultergelenk. Embryologisch wird vermutet, dass eine Differenzierung der langen Bizepssehne aus den Zellanteilen der Gelenkkapsel und Synovia stattfindet. Anatomische Anomalien der intraartikulären Portion wie bspw. intrakapsuläre Verläufe oder intraartikuläre Adhäsionen können hiernach durch Entwicklungsstörungen erklären werden [18, 42]. Die LBS beeinflusst durch den direkten Kontakt zum Humeruskopf die Beweglichkeit des Glenohumeralgelenks. Gemeinsam mit der Rotatorenmanschette wird das Glenohumeralgelenk in kombinierter Abduktion und Außenrotation des Armes durch die LBS dynamisch stabilisiert und eine ventrale Translation des Humeruskopfes gehemmt [30]. Der stabilisierende Effekt der LBS nimmt insb. bei Verletzungen des ventralen Labrum glenoidale an Wirksamkeit zu, wodurch sich die hohe Inzidenz von Bizepssehnenpathologien bei Überkopfsportlerinnen und -sportlern ableiten lässt.

Diagnostik

Anamnese

Die Anamnese bei Patientinnen und Patienten mit einem vorderen Schulterschmerz sollte Fragen zur Dauer und Modalität der Beschwerden, einem möglichen Trauma und dem entsprechenden Mechanismus, begleitenden Pathologien und Vorbehandlungen umfassen. Charakteristisch für Beschwerden der LBS sind Schmerzen, die von der Schulter bis zum ventralen Ellenbogen ausstrahlen. Häufig berichten Patientinnen und Patienten von einem hörbaren „Klicken“ oder „Springen“, das von den Patientinnen und Patienten in der klinischen Untersuchung willentlich reproduziert werden kann. Weitere Symptome können atraumatische akut auf chronisch exazerbierende Schmerzen, Beschwerden bei Überkopftätigkeit, nächtliche Schmerzen oder Ruheschmerzen sein. Eine positive Sozialanamnese für das Ausüben von Überkopfsportarten oder Verrichten einer körperlichen Arbeitstätigkeit ist mit einer hohen Prävalenz von Bizepssehnenpathologien assoziiert [58]. Weiterhin sollten Informationen zum funktionellen Anspruch, der beruflichen Tätigkeit sowie der Bereitschaft zum Befolgen der z.T. komplexen Nachbehandlung erhoben werden, um die betroffenen Patientinnen und Patienten individuell beraten zu können.

Klinische Untersuchung

Die klinische Untersuchung sollte mit einer orientierenden Untersuchung der HWS begonnen werden. Insbesondere eine Radikulopathie der Nerven von C5-Th1 sollte ausgeschlossen werden. Inspektorisch sollte die Körperhaltung des Nackens und Schultergürtels erfasst werden. Hierbei sollte auf eine Symmetrie der Muskulatur sowie des skapulothorakalen Rhythmus geachtet werden. In Folge einer akuten Ruptur der LBS können Hämatome sowie ein positives Popeye-Zeichen auftreten. Das Popeye-Zeichen beschreibt die Deformität des Bizepses bei vollständiger Ruptur der LBS und kann je nach Ernährungszustand der/des Betroffenen im Aussehen variieren.

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