Arzt und Recht - OUP 11/2013

Altersversorgung – Stolperfallen umgehen

Der Arzt und seine Ehefrau reichten ihre Einkommensteuererklärungen für 2006 und 2007, die durch eine Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vorbereitet worden waren, jeweils im Folgejahr beim Finanzamt ein. Sie gaben die aus den Lohnsteuerbescheinigungen ersichtlichen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zum Versorgungswerk an. Zusätzlich trugen sie die in den Jahreskontoausweisen des Versorgungswerks genannten Beträge ein. Ihrer Einkommensteuererklärung 2007 fügten sie den entsprechenden Jahreskontoausweis bei; ob dies auch für das Jahr 2006 geschehen ist, ist zwischen den Beteiligten streitig.

Die Vordrucke zur Einkommensteuererklärung enthalten die folgenden Angaben:

 

Die Einkommensteuererklärung der Antragsteller für 2006 war im Finanzamt nur zur überschlägigen Prüfung vorgesehen. Der zuständige Bearbeiter vermerkte in der Prüfungsdokumentation durch Ankreuzen der entsprechenden Formularfelder, die Erklärung sei vollständig, schlüssig und glaubhaft. Demgegenüber war die Steuererklärung für 2007 zur Intensivprüfung vorgesehen. Im elektronisch unterstützten Veranlagungsverfahren wurden dem Bearbeiter zahlreiche maschinelle Prüfhinweise vorgegeben. Einer dieser Hinweise lautete: „Schwerpunktprüfung: Es liegen Eintragungen zu Zeile 63 des Mantelbogens vor, die zur Anwendung des neuen Rechts führen. Bitte prüfen.“ Der Sachbearbeiter richtete mit Schreiben vom 01.08.2008 und 11.08.2008 an die Antragsteller zahlreiche Rückfragen zur Steuererklärung, die allerdings nicht die hier streitigen Beiträge zur Altersversorgung betrafen. Im weiteren Verlauf der Bearbeitung versah er die von den Antragstellern in Zeile 63 eingetragene Zahl mit einem Haken und bescheinigte in der Prüfungsdokumentation, er habe die Intensivprüfung vorgenommen, insbesondere bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, den freiberuflichen Einkünften und den Steuerberatungskosten.

Im Ergebnis veranlagte das Finanzamt die Antragsteller hinsichtlich der Altersvorsorgeaufwendungen in den nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen ursprünglichen Bescheiden für 2006 und 2007 erklärungsgemäß. Dies führte dazu, dass der Gesamtbeitrag des Antragstellers zum Versorgungswerk doppelt berücksichtigt wurde.

In der Folgezeit entwickelte die für die Risikoprüfung zuständige Mittelbehörde ein Prüfungsraster, mit dem Fälle, in denen es möglicherweise zu einem doppelten Ansatz von Altersvorsorgeaufwendungen gekommen war, maschinell erkannt werden konnten.

Nach entsprechender Ankündigung erließ das Finanzamt am 23.02.2012 die im Hauptsacheverfahren angefochtenen geänderten Einkommensteuerbescheide für 2006 und 2007, die es verfahrensrechtlich auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) gestützt hat. Darin wurden – materiell-rechtlich zutreffend – nur noch entsprechend geringe Altersvorsorgeaufwendungen angesetzt.

Der Einspruch des Arztes und seiner Ehefrau gegen die geänderten Bescheide blieb ebenso wie der beim Finanzamt gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ohne Erfolg.

Mit dem im vorliegenden Beschwerdeverfahren angefochtenen Beschluss lehnte das Finanzgericht ebenfalls den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Es sei nicht ernstlich zweifelhaft, dass das Finanzamt die Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO habe ändern dürfen. Maßgebende Tatsache sei, dass den Antragstellern Altersvorsorgeaufwendungen nur in Höhe von etwa der Hälfte der insgesamt erklärten Beträge entstanden seien. Diese Tatsache sei dem Finanzamt erst nach Durchführung der ursprünglichen Veranlagungen bekannt geworden, da aus dem Jahreskontoausweis des Versorgungswerks nur hervorgehe, in welcher Höhe dort Beiträge eingegangen seien, nicht aber, dass darin die in der Lohnsteuerbescheinigung angegebenen Beträge enthalten seien.

Aus den Gründen

Der Bundesfinanzhof hat keine ernstlichen Zweifel daran gesehen, dass der Ansatz geringerer Altersvorsorgeaufwendungen trotz Unklarheit der Jahreskontoausweise des Versorgungswerks rechtmäßig war:

Vor dem steuergesetzlichen Hintergrund, dass nur tatsächlich gezahlte Altersvorsorgeaufwendungen den Tatbestand des § 10 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes erfüllen, sei als „Tatsache“ der Umstand anzusehen, dass der Arzt in den Streitjahren lediglich Altersvorsorgeaufwendungen (einschließlich der Zuschüsse des Arbeitgebers) in Höhe von 10.296 € (2006) bzw. 10.865 € (2007) geleistet hatte, nicht aber die wesentlich höheren in den Steuererklärungen insgesamt als Altersvorsorgeaufwendungen angegebenen Beträge. Diese Tatsache sei dem Finanzamt nachträglich bekannt geworden.

Der Umstand, dass dem Bearbeiter bei einer sorgfältigen Analyse der Steuererklärungen Zweifel an der Richtigkeit der dort gemachten Angaben hätten kommen können bzw. müssen, ändere nichts daran, dass ihm die maßgebende Tatsache – objektiv – nachträglich bekannt geworden sei:

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die Änderung eines Bescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO trotz Vorliegens aller Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm in Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn dem Finanzamt die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Allerdings muss der Steuerpflichtige dann seinerseits seine Mitwirkungspflicht erfüllt haben. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das Finanzamt es versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, treffe in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung, mit der Folge, dass die Berufung des Finanzamtes auf die Erfüllung der Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht als treuwidrig anzusehen ist (BFH-Entscheidungen vom 28.06.2006 Az. XI R 58/05, und vom 06.02.2013 Az. X B 164/12). Demgegenüber scheidet in Fällen beiderseitiger Pflichtverletzungen eine Änderungsmöglichkeit aus, wenn der Verstoß des Finanzamtes deutlich überwiegt (BFH-Urteil vom 20.12.1988, Az. VIII R 121/83).

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